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Oberhessische Zeitung vom 21.11.2007

Verbraucher lange Zeit Stiefkind

EU-Kommission entdeckt mangelndes Vertrauen der Bürger - „Binnenmarkt nicht bloße Möblierung, sondern Kronjuwel"

BRÜSSEL. Ärger mit der Bank, unverständliche Angaben auf der Nudelpackung, Probleme mit der Post:
Millionen Verbraucher in Europa stoßen täglich auf Schwierigkeiten, die mit europäischer Gesetzgebung zu tun haben. Zwei Jahrzehnte nach der Einführung des europäischen Binnenmarktes hat das auch die EU-Kommission erkannt und in Brüssel ein Bündel von Verbesserungen versprochen.

„Wir müssen den Verbrauchern und kleinen Unternehmen -mehr Macht geben", verkündete Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso. Der Binnenmarkt sei mehr als die bloße Möblierung der Europäischen Union: „Es handelt sich, vielmehr um das Kronjuwel Europas." Bisher hätten davon aber vor allem große Konzerne profitiert. „Wir glauben", fügte Barroso hinzu, „dass ein großes Problem das Vertrauen der Verbraucher ist", genau genommen: der Mangel an Vertrauen.

Viele Kunden sind bei Geschäften im EU-Ausland misstrauisch. „Nur 26 Prozent der Verbraucher kaufen jenseits der Grenzen ein und nur 24 Prozent der Einzelhändler", sagte Barroso. Kein Wunder: Die Kommission selbst räumt Anzeichen für ein mangelhaftes Funktionieren von 23 Branchen ein. In neun Sektoren mit mehr als einem Viertel der europäischen Wirtschaftskraft und der Beschäftigten -darunter Einzelhandel, Banken und Post -laufe ganz klar etwas schief.

Wie die Brüsseler Hüter des Binnenmarktes das genau ändern wollen, ließen sie aber vielfach offen. Der zuständige Kommissar Charlie McCreevy schließt neue Vorschriften nicht aus, will sie aber keinesfalls versprechen. Er lobt Einrichtungen wie Solvit, die bei Bürgerbeschwerden über Probleme im Binnenmarkt eingreifen. Dem Geldmangel bei Solvit könne die EU indes nicht abhelfen: Da seien die Mitgliedstaaten zuständig.

Wenig konkret

Auf die Frage nach greifbaren Änderungen verweist Barroso auf die Öffnung der Telefonmärkte, die Anrufe seit dem Jahr 2000 um rund 40 Prozent verbilligt habe. Auch die Kostenbrernse für Handygespräche im EU-Ausland heftet sich die Kommission an die Brust. Zu den wenigen
konkreten Ankündigungen gehören neue Vorschläge zur Kennzeichnung von Lebensrnitteln. Sie sollen im Dezember kommen. Außerdem sollen Verbraucher besser über Finanzdienste informiert werden. Nächstes Jahr will Verbraucherschutz-Kommissarin Meglena Kuneva zudem einen Vorschlag zu Sammelklagen von Verbrauchern im größten Binnenmarkt der Welt vorlegen. Was davon im Ministerrat und Europa-Parlament übrigbleiben wird, steht noch in den Sternen. Sicher scheint hingegen schon, dass Europäer anders als geprellte Kunden in den USA auf dieser Grundlage wohl kaum Schadenersatz in Millionenhöhe einklagen dürften. „Wir werden auf keinen Fall das amerikanische Modell einführen", betonte Barroso bereits.

Roland Siegloff( dpa)