Zurueck zur Vorseite
Vorbemerkung :

In dem vorliegenden gescannten Text fehlen die konkreten Angaben von Personen-, Ortsnamen usw., die auch schon im Buchtext nicht vorhanden waren. Ausserdem sind wohl beim Scannen noch weitere Fehler entstanden, was ich ggf. auch zu berücksichtigen bitte.
 

                                                                - Ausfertigung -
Geschäftsnummer:                                                                                                                Verkündet am
10049/04                                                   Stempel                                              08. Dezember 2004

                                                                                                                                        JAng.e
                                                                                                                                        als Urkungsbeamtin
                                                                                                                                        der Geschäftsstelle
                                                             Landgericht Freiburg
                                                 1. Kammer für Handelssachen
                                                        Im Namen des Volkes
                                                              Urteil
In dem Rechtsstreit

- Kläger -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte

gegen

- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte!

wegen Feststellung der Nichtigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses u.a.

hat die 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Freiburg auf die mündliche Verhandlung vom 08. Dezember 2004 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Landgericht Dr. Güde
Handelsrichter
Handelsrichter

für Recht erkannt:

1. Es wird festgestellt, dass der Aufsichtsratsbeschluß der Beklagten vom 28.11.2003, das Verhalten des Klägers zu missbilligen und dies diesem schriftlich mitzuteilen, nichtig ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Missbilligung schriftlich zu widerrufen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
 

Tatbestand

Der Kläger war Gemeinderat der Stadt , und von diesem in den Aufsichtsrat der beklagten Gesellschaft entsandt. Die Beklagte steht zu 100 Prozent im Eigentum der Stadt l Der Oberbürgermeister der Stadt i, Dr. , ist Vorsitzender des Aufsichtsrates der Beklagten.

In der Sitzung des Aufsichtsrates der Beklagten vom 18.7.2003 kritisierte der Kläger die Kosten für eine Gedenktafel für den Alt-Oberbürgermeister Diese ist im angebracht und verursachte Kosten in Höhe von ca. 35.000,- €. Aus diesem Grund weigerte sich der Kläger, dem Jahresabschluss der Beklagten zuzustimmen.

Mit einer Pressemitteilung vom 21.7.2003 machte der Kläger die Mittelverwendung hinsichtlich der Gedenktafel publik und teilte gleichzeitig mit, dass er als einziges Aufsichtsratsmitglied dem Jahresabschluss nicht zugestimmt habe.

In der Tagesordnung zur Aufsichtsratssitzung vom 28.11.2003 wurde unter TOP 16 aufgeführt:

„Information - Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsräten; Bericht des Aufsichtsratsvorsitzenden, ohne Druckvorlage"

Unter diesem Tagesordnungspunkt fasste der Aufsichtsrat der Beklagten den Beschluss, das Verhalten des Klägers bezüglich der Pressemitteilung zu missbilligen und dies dem Kläger schriftlich mitzuteilen. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Sitzung anwesend. Das Sitzungsprotokoll wurde dem Kläger am 16.12.2003 übermittelt. Am 2.4.2004 hat OB Dr. als Aufsichtsratsvorsitzender im Vollzug dieses Beschlusses das Verhalten des Klägers schriftlich missbilligt und ihn aufgefordert, Derartiges in Zukunft zu unterlassen. Dagegen wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 28.4.2004 an Dr. Am 11.5.2004 hat der Kläger Klage erhoben.

Der Kläger rügt diverse formale Mängel des streitbefangenen Beschlusses und vertritt die Ansicht, dass der Aufsichtsratsbeschluss auch materiell-rechtlich unwirksam sei. Insbesondere macht er geltend, dass er bei der Beschlussfassung vom 28.11.03 wegen dringender Verpflichtungen auswärts tätig gewesen sei. Auch habe er nicht wissen können, dass sich TOP 16 nur auf ihn bezog und sein Verhalten Gegenstand einer Beschlussfassung sein sollte. Ihm sei keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Des Weiteren sei die Rüge bzw. Missbilligung kein dem Aufsichtsrat der Beklagten gegenüber seinen Mitgliedern zustehendes Sanktionsmittel. Auch materiell-rechtlich habe er nicht gegen ihn als Aufsichtsratsmitglied treffende Verschwiegenheitspflichten verstoßen, u.a. da die Ausgabe der Beklagten in Höhe von 35.000,- € öffentlich bekannt bzw. in der Bilanz der Beklagten einsehbar sei, so dass der Aufsichtsratsbeschluss auch aus diesen Gründen unwirksam sei.
 

Der Kläger stellt den Antrag,

1. festzustellen, dass der Aufsichtsratsbeschluss der Beklagten vom 28.11.2003, das Verhalten des Klägers schriftlich zu missbilligen, unwirksam bzw. nichtig ist.

2. die Beklagte zu verurteilen, die Missbilligung schriftlich zu widerrufen.

Die Beklagte stellt den Antrag, die Klage abzuweisen.
 

Sie hält entgegen, dass der Kläger gewusst habe, dass sich TOP 16 auf ihn beziehe. Er habe die Sitzung dennoch bewusst unmittelbar vor dem TOP 16 verlassen. Formelle Bestimmungen zur Einberufung seien nicht verletzt. Die Beklagte vertritt des weiteren die Ansicht, dass der Kläger auch materiell-rechtlich gegen Verschwiegenheitspflichten verstoßen habe, da er Gegenstand und Höhe einer bestimmten Betriebsausgabe und das Abstimmungsverhalten des Aufsichtsrates offen gelegt habe. Insbesondere sei die Mittelverwendung in der Pressemitteilung des Beklagten vom 21.7.2003 falsch dargestellt, da die Mittel für die Gedenktafel nicht von der Beklagten, sondern von der       getragen wurden und Einzelheiten insoweit
nicht in der Bilanz der Beklagten auftauchten. Des Weiteren hält sie die Klage für verfristet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet

Der Aufsichtsratsbeschluss der Beklagten vom 28.11.2003 kann keinen Bestand haben.

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der von Seiten der Beklagten im Verlauf des Rechtsstreits erhobene Vorwurf, der Kläger habe mit seinem Hinweis, er allein habe dem Jahresabschluss nicht zugestimmt, zugleich pflichtwidrig das Abstimmungsverhalten der übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats offenbart, nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Die Klage richtet sich gegen den Beschluss des Aufsichtsrats vom 28.11.2003 und gegen die in Ausführung des Beschlusses erfolgte Missbilligung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden. Weder in dem Aufsichtsratsbeschluss noch in dem Schreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden war aber der Vorwurf enthalten, der Kläger habe pflichtwidrig das Abstimmungsverhalten der übrigen Aufsichtratsmitglieder offen gelegt. Es geht demgemäß lediglich um die öffentliche Kritik des Klägers an der Mittelverwendung für die Gedenktafel im .

Die Klage ist nicht verfristet. Eine Klagefrist besteht nicht. Entgegen der Ansicht der Beklagten beträgt die Klagefrist für die Anfechtung des Aufsichtsratsbeschlusses nicht einen Monat. Die Grundsätze für die Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen sind nicht anwendbar, insbesondere findet § 246 Abs.1 AktG keine Anwendung. Für eine GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat, wie sie hier unstreitig gegeben ist, finden ausschließlich die in § 52 GmbHG genannten Vorschriften entsprechende Anwendung, die Aufzählung in § 52 GmbHG ist „erschöpfend" (Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbH-Gesetz, 17.A., Rn 20 zu § 52). Die Fristregelung des § 246 Abs.1 AktG wird in § 52 GmbHG nicht genannt. Zwar ist es möglich, weitere aktienrechtliche Normen durch Satzung ausdrücklich oder konkludent in Bezug zu nehmen (Baumbach/Hueck/Zöllner, ebenda), doch ist § 10 Abs.1 des Gesellschaftsvertrages der Beklagten, der die Anwendung der aktienrechtlichen Vorschriften ausdrücklich ausschließt, insoweit eindeutig.

Der streitbefangene Beschluss leidet an formalen Mängeln.

Ein solcher ist schon darin zu sehen, dass in der Tagesordnung der Beschlussgegenstand „Rüge eines Aufsichtsratsmitglieds" nicht aufgeführt war. Nach § 13 Abs.1 Satz 4 des Gesellschaftsvertrages sind mit der Einberufung jedoch die Tagesordnungspunkte mitzuteilen. Gegenstände der Tagesordnung sind alle Punkte, über die beraten oder Beschluss gefasst werden soll (Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, Rn 21 zu § 51). Sie müssen so genau bezeichnet sein, dass der Empfänger sich ein hinreichend genaues Bild machen kann, worum es geht und ihm eine angemessene Vorbereitung ermöglicht wird (Scholz/Schneider, GmbH-Gesetz, S.A., Rn 277 zu § 52). Zwar muss die Ankündigung keine Beschlussvorschläge oder Anträge enthalten. Doch lautet TOP 16 „Information durch Bericht", so dass für den Kläger nicht erkennbar gewesen ist, dass überhaupt eine Beschlussfassung beabsichtigt war. Hier ist ein „Überraschungsmoment" zu erkennen, das dem Kläger die ausreichende Vorbereitung auf die Sitzung zumindest erschwerte und einen Ankündigungsmangel begründet. Dieser macht nach allgemeiner Auffassung die Beschlussfassung zwar nicht unzulässig, trotzdem gefasste Beschlüsse sind jedoch anfechtbar (Baumbach/Hueck/Zöllner, Rn 27 zu § 51; Scholz/Schmidt, Rn 34 zu § 51).

Letztlich kann aber die Frage des Ladungsmangels dahinstehen, weil der Aufsichtsrats-beschluss schon deshalb nichtig ist, weil eine Missbilligung der vorliegenden Art kein  Sanktionsmittel war, das bei der gegebenen Rechtslage dem Aufsichtsrat der Beklagten gegenüber seinen Mitgliedern zustand.

Wird eine Gemeinde im Bereich der unmittelbaren Verwaltungsaufgabe (Verwaltung einer öffentlichen Einrichtung) in Form einer privatrechtlichen Gesellschaft tätig, so kann sie damit doch nicht vollständig ihre öffentlich-rechtlichen Bindungen ablegen. Vielmehr gelten nach herrschender Meinung auf jeden Fall weiterhin die Grundrechte und die grundlegenden Bindungen der öffentlichen Gewalt ( BGH NJW 1985, 197; Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2.A., Rn 181; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14A, § 3 Rn 9). Damit gilt auch im Bereich des Verwaltungsprivatrechts der Vorbehalt des Gesetzes, der besagt, dass der Hoheitsträger ohne gesetzliche Ermächtigung nicht tätig werden darf. Insbesondere dürfen Sanktionen nicht ohne Rechtsgrundlage ergehen. Diese Bindung kann die Kommune nicht dadurch umgehen, dass sie - wie hier - in Form einer juristischen Person des Privatrechts tätig wird. Dies gilt um so mehr, als die beklagte GmbH zu 100 Prozent im Eigentum der Stadt   steht.

Eine ausreichende Ermächtigung für den Beschluss und die schriftliche Missbilligung des Verhaltens des Klägers durch den Aufsichtsrat ist nicht erkennbar. Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf § 103 AktG, der die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern regelt und daher die Rüge als milderes Mittel und „vorangehende Warnung" zulasse. Diese Vorschrift ist nicht entsprechend anwendbar. Die Norm ist zwar in § 52 GmbHG genannt, doch ist die Anwendung der aktienrechtlichen Vorschriften durch § 10 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages der Beklagten ausgeschlossen. Nach § 12 des Gesellschaftsvertrages ist der Aufsichtsrat zwar ermächtigt, sich selbst eine Geschäftsordnung zu geben. Eine solche hat sich die Beklagte aber nie gegeben. Das Argument, dass die Ermächtigung, sich eine Geschäftsordnung zu geben bereits als solche die Befugnis enthalte, Sanktionen der vorliegenden Art zu verhängen, greift nicht durch. Es gilt hier im weiteren Sinne der alte rechtsstaatliche Grundsatz „nulla poena sine lege", der besagt, dass eine Strafe nicht verhängt werden darf, wenn nicht zuvor deren Voraussetzungen gesetzlich festgelegt sind.

Obwohl es für die Entscheidung im Ergebnis nicht mehr darauf ankommt, ist darauf hinzuweisen, dass in der öffentlichen Kritik an der Verwendung der Mittel für die Errichtung der Gedenktafel die Verletzung einer dem Kläger obliegenden Verschwiegenheitspflicht auch materiellrechtlich nicht zu sehen ist.

Es geht den Aufwand für die Gedenktafel.

Diese Tatsache ist kein Geheimnis i.S. von §§ 93 Abs.1 AktG, 85 GmbHG. Nach diesen Bestimmungen ist Geheimnis jede unbekannte Tatsache, deren Weitergabe zu einem Schaden der Gesellschaft führen würde, wobei der Schaden nicht nur materieller Natur sein muss, sondern auch immaterielle Schäden wie Minderung des Ansehens der Gesellschaft und Vertrauensverlust in sie erfasst (Lutter/Krieger, Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrates, 4.A., S. 106). Die hier streitige Tatsache war jedoch nicht unbekannt. Um unbekannt zu sein, muss eine Tatsache zwar keineswegs völlig unbekannt sein, ein Dritter darf jedoch nicht problemlos Zugang zu dem Wissen haben. Vorliegend ist bei der rechtlichen Bewertung der Frage der Unbekanntheit die besondere Situation des hier maßgeblichen Verwaltungsprivatrechts zu beachten. Die beklagte GmbH steht vollständig im Eigentum der Stadt' und ist im Bereich der genuin öffentlichen Aufgaben tätig. Hätte sich die Stadt bei der Errichtung des nicht der privatrechtlichen Form bedient, wären die Mittel direkt von der Stadt erbracht und nach kommunalrechtlichen Grundsätzen im Gemeinderat diskutiert worden. Die Sitzungen des Gemeinderates sind grundsätzlich öffentlich, nur wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen einzelner erfordern, kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, § 35 Abs.1 Satz1,2 GemO BaWü. Zwar hat eine sich wirtschaftlich betätigende Gesellschaft ein berechtigtes Interesse daran, Fehlentscheidungen, die ihr Ansehen schädigen können, solange nicht an die Öffentlichkeit zu lassen, bis zumindest entschieden ist, wie intern damit umgegangen wird. Doch ist § 35 GemO ein Vorschrift, die im Interesse der Gemeindeeinwohner geschaffen wurde, um es ihnen zu ermöglichen, die Entscheidungs-findung in der Gemeinde zu verfolgen und auch zu kontrollieren. Diese besondere Entscheidung des Gesetzgebers kann eine Gemeinde nicht dadurch umgehen, dass sie in privatrechtlicher Form einer GmbH tätig wird und die gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitsverpflichtung für sich in Anspruch nimmt.

Die Pflicht zum Widerruf folgt aus § 823 Abs.1 BGB unter dem Gesichtspunkt einer rechtswidrigen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers i.V.m. § 1004 Abs.1 BGB analog (Palandt/Sprau, BGB, 63.A. Rn 123 zu §823).

Dr. Güde !
Vors. Richter am Landgericht  Handelsrichter  Handelsrichter

Ausgefertigt
, Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
des Landgerichts