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DER SPIEGEL vom 11.06.2007 (gescannt)
STUDIENGEBÜHREN
Plastischer Eindruck
Erste Gerichtsentscheidungen machen
protestierenden Studenten neuen Mut: Der Uni-Obolus ist keineswegs so
gerichtsfest, wie von den Hochschulen erhofft
Die Pressemitteilung der Universität Bielefeld vom Dienstag
vergangener Woche klang kämpferisch: Das Urtefl des
Verwaltungsgerichts Minden, mit dem wenige Tage zuvor die
Studienge-bühren-Satzung der Hochschule für rechtswidrig
erklärt worden war, beziehe sich nur auf den Einzelfall, zudem sei
es nicht rechtskräftig, und natürlich lege man Berufung ein.
Dann allerdings kam die überraschende Wendung: „Dennoch" habe das
Rektorat beschlossen, auf den Konten Hegende Studentengelder „vorerst
nicht auszugeben".
Für Gegner der inzwischen vielerorts in Deutschland
eingeführten Studiengebühren ist das ein kleiner Sieg. Denn
das Urteil kippt, zum ersten Mal in Deutschland, eine derartige
Regelung.
Die Richter störten sich maßgeblich an einer Bielefelder
Besonderheit: Dort wurden die Gebühren nach Semesterdauer
gestaffelt - die Juristen sahen darin einen Verstoß gegen den
Gleichheitsgrundsatz.
Ein Desaster für die Bielefelder Universität: Denn rund 5000
dort immatrikulierte Studenten, die Widerspruch gegen ihre
Gebührenbescheide eingelegt haben, könnten nun „ihr Geld bis
zur endgültigen Klärung zurückverlangen", sagt der
münstersche Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler; und auch im
nächsten Semester könnten Kommilitonen die Zahlung vorerst
verweigern. In den Fakultäten stehen nun Tutorien und andere
gebührenfinanzierte Haushaltsposten auf der Kippe.
Bielefeld ist kein Einzelfall, massenhaft klagen derzeit Studenten, vor
allem in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hessen und
Bayern, gegen den zusätzlichen Obolus.
Gerichtsentscheidungen gibt es bislang erst aus Nordrhein-Westfalen.
Doch schon die ersten Urteile zeigen, dass die Gebühren nicht so
gerichtsfest sind, wie von den Befürworn erhofft und dass die
Debatte um Für und Wider von Studiengebühren wohl noch einmal
neue Fahrt aufnimmt.
Kritisch wird von den Gerichten gesehen, dass die in Nordrhem-Westfalen
nötigen Satzungsbeschlüsse an etlichen Hochschulen in
nicht-öffentlicher Sitzung gefasst wurden, um Studentenprotesten
zu entgehen. In Köln etwa ließ die Uni-Leitung die
entscheidende Tagung sogar hinter den Stacheldraht des früheren
Kernforschungszentrums Jülich verlegen.
Das könnte jetzt zum Fallstrick werden: Das Verwaltungsgericht
Arnsberg entschied im Mai auf Klage eines studentischen Senators der
Universität Siegen, der „Ausschluss der Öffentlichkeit" bei
der betreffenden Sitzung sei „rechtswidrig" gewesen. Damit dürften
in Siegen und in vergleichbaren Fällen auch die
Gebührensatzungen nichtig sein. Diese Rechtsfolge muss zwar noch
endgültig geklärt werden. Doch Studenten-Anwalt Achelpohler
sieht gute Chancen, dass viele Hochschulen an Rheia und Ruhr ihre
Gebühren mm doch noch öffentlich zur Diskussion stellen
müssen.
Dass dies keine bloße Formalie ist, zeigt das Beispiel der
Fachhochschule Düsseldorf. Dort waren zu allen Senatssitzungen
Zuhörer und Mitdiskutanten zugelassen.
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* Demonstration im Juni 2005 (Anmerkung).
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Studentenprotest {in Essen}*: Sitzung hinter Stacheldraht (Bild)
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Eine Studentin schildete unter Tränen, dass sie trotz mehrerer
Nebenjobs ihr Studium aufgeben müsste, wenn sie pro Halbjahr neben
den 150 Euro Semesterbeitrag noch 500 Euro an Studiengebühren zu
zahlen hätte. „Das hat Eindruck hinterlassen", sagt die
Düsseldorfer Professorin für Sozialarbeit Lilo Schmitz, „weil
das ganz plastisch zeigte, unter welchem Druck die Studierenden
stehen," Mit elf zu sieben Stimmen lehnten die FH-Senatoren
schließlich Gebühren ab. Wenn nun andernorts ebenfalls noch
einmal öffentlich diskutiert werden müsste, „geht das
vielleicht auch dort anders aus", hofft der Kölner
Studentenvertreter Patrick Schnepper. Umso mehr, als der
nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart
(FDP) just Anfang vergangener Woche ein PR-Desaster erlebte, als er
erklären musste, warum die Studierendenzahlen in NRW im Vergleich
zum gebührenfreien Vorjahr deutlich zurückgegangen sind.
Während Pinkwart von einem „gewissen Bereinigungseffekt" durch
erhöhte Abgänge sprach, teilte das Landesamt für
Statistik schonungslos mit, was die Presseerklärung des Ministers
verschwieg: Vor allem die Anfänger-Zahlen seien „binnen
Jahresfrist um 6,5 Prozent" gesunken, „obwohl die Zahl derjenigen, die
in NRW eine Hochschulzugangsberechtigung erwarben", um 4,9 Prozent
höher war als ein Jahr zuvor.
Wenn es dafür keine andere Erklärung als die finanzielle
Zusatzbelastung gibt, könnte ein solcher Rückgang die
Studiengebühren in ihrer derzeitigen Form sogar insgesamt in Frage
stellen - und das nicht nur in NRW.
Denn das Verwaltungsgericht Minden hatte bereits Ende März in
einem Urteil die Gebühren zwar prinzipiell gebilligt - dabei
allerdings betont, dass nach dem Sozialpakt der Vereinten Nationen, an
den auch Deutschland gebunden ist, jeder Student „unabhängig von
seiner sozialen Herkunft und seinen finanziellen
Möglichkeiten einen chancengleichen Zugang zur
Hochschulbildung" haben muss. Sollte sich „herausstellen, dass
finanzschwache Studierende durch die Studienbeiträge von der
Aufnahme eines Studiums abgehalten werden", so die Mindener Richter,
sei das Bundesland „gehalten, die gesetzlichen Regelungen zu
ändern". Im Klartext: Die Länder müssten die Abgabe
sozialer abfedern und notfalls sogar komplett streichen.
DIETMAR HIPP