Opfer fuer Boersengang
Eisenbahnern soll ein "Beschaeftigungsbuendnis" schmackhaft gemacht werden. Die damit verbundenen Zumutungen wiegen allerdings schwer
Hans-Gerd Oefinger
In diesen Tagen veranstalten die Bahngewerkschaften Transnet (DGB) und GDBA (Beamtenbund) an ueber 100 Orten "Basisdialoge" ueber ein neues Tarifpaket mit dem verheissungsvollen Titel "Beschaeftigungsbuendnis". Doch der Inhalt haelt nicht, was das Etikett verspricht und bedeutet fuer die Beschaeftigten im Bahnkonzern Rueckschritt und erhebliche Zumutungen. Nach ersten Berichten finden die Veranstaltungen starken Zulauf, wobei nach Aussagen erfahrener Transnet-Funktionaere auch viel mehr Fragen gestellt und mehr kritische Diskussionsbeitraege gemacht wurden als in frueheren Jahren.
Waehrend die Lokfuehrergewerkschaft GDL das Tarifpaket bereits Mitte Dezember abgesegnet hat, moechten die Spitzen von Transnet und GDBA das Vertragswerk bis Mitte Februar durch die massgeblichen Gremien bringen.
Gewerkschaftssekretaere sind derzeit im Auftrag ihrer Vorstaende voll damit beschaeftigt, der Basis das Tarifpaket schmackhaft zu machen und Kritikern entgegenzuhalten, dass es zu diesem Weg "keine Alternative" gebe nach dem Motto "Friss oder stirb", wie ein Insider auf jW-Anfrage kritisierte. Vom alternativen Weg der franzoesischen Gewerkschaften, die letzte Woche aus Protest gegen eine angedachte Privatisierung alle Raeder zum Stillstand gebracht hatten, will man in den deutschen Gewerkschaftszentralen bislang nichts wissen.
Sonderopfer fuer Aktionaere
Das Vertragswerk macht Schluss mit der 38-Stunden-Woche und bringt de facto eine flaechendeckende Einfuehrung der 40-Stunden-Woche. Ebenso wird den Eisenbahnern ab sofort ein Urlaubstag im Jahr genommen. Kritiker gehen davon aus, dass allein diese Massnahmen zu einer Vernichtung von mehreren tausend Arbeitsplaetzen und weiterer Leistungsverdichtung fuehren werden.
"Es besteht keine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit zu solchen einschneidenden Opfern", erklaerte ein Transnet-Vertrauensmann gegenueber jW. Wenn - wie vom DB-Management angekuendigt - das zu erwartende positive Betriebsergebnis fuer 2004 besser sei als der Vorjahreswert, koenne dieses "Opfer" nur einem Ziel dienen: der "Herstellung der Boersenfaehigkeit auf Teufel komm raus". "Der DB-Konzern soll fuer Kapitalanleger im Zuge der weiteren Privatisierung mit hohen Rendite-Erwartungen interessant gemacht werden", bemaengelt auch ein Hamburger Transnet-Aktivist: "Es doch ist ein schlechter Witz, Arbeitszeitverlaengerung als "Beschaeftigungssicherung" zu verkaufen."
Kleingedrucktes
Ein genauerer Blick in das Kleingedruckte des Tarifpaketes zeigt indes, dass die Eisenbahner keineswegs bis 2010 aufatmen und ruhig schlafen koennen. So steht hier, dass die "Beschaeftigungssicherung", also der Verzicht auf betriebsbedingte Kuendigungen, bis zum 31.12.2010 nur gelten soll, so lange der integrierte Bahnkonzern bestehen bleibt. Ansonsten entfaellt die Geschaeftsgrundlage. Ein weitere Formulierung, die aufhorchen laesst, ist die Bestimmung, wonach bei einem Betriebsuebergang bzw. einem Verkauf des Unternehmens an einen Dritten, der Tarifvertrag ueber die Beschaeftigungssicherung keine Anwendung mehr finden wird.
Warum, so fragt sich mancher Eisenbahner, wiegt man uns mit einem "integrierten Boersengang" und der "Einheit des Konzerns" unter Hartmut Mehdorn in Sicherheit und haelt sich dann die Tuer fuer den Verkauf von einzelnen Tochterunternehmen offen?
Befuerworter des Vertragswerks weisen darauf hin, dass die vereinbarte Beschaeftigungssicherung fuer mehr Tochterunternehmen im DB-Konzern gelten soll als in den letzten Jahren. Dies hat in den Reihen vieler Betroffener erstmal eine gewisse Erleichterung ausgeloest. Allerdings gilt die Beschaeftigungssicherung nur fuer Tarifkraefte mit mindestens fuenf Jahren Beschaeftigungsdauer und zielt somit auch auf eine Spaltung zwischen Jung und Alt ab.
Fuer alle Beschaeftigten, deren Arbeitsplatz wegfaellt, sind die "Zumutbarkeitsbedingungen" indes sehr breit gefasst. So sind auch sehr weit entfernte Arbeitsorte "zumutbar", was ohne Umzug oder aufreibendes Wochenendpendeln nicht moeglich ist. Wer sich nicht darauf einlaesst, wird eben nicht "betriebsbedingt", sondern "verhaltensbedingt" gekuendigt. Schon bisher sind deshalb viele mit einer Abfindung "freiwillig" ausgeschieden. Zumutbar ist auch eine Abstufung in der Einkommensgruppe. So kann sich etwa ein Werkmeister nach zwei bis drei Jahren auf der Einkommensstufe eines Ungelernten wiederfinden.
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