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23.01.2004

Ausland

Christian Giacomuzzi, Paris

Eisenbahner und Mediziner im Streik

Protestbewegung gegen Privatisierung und Streikverbot in Frankreich

Mit einer Arbeitsniederlegung im öffentlichen Energiekonzern »Electricité de France« (EdF) am Dienstag und in der staatlichen Bahngesellschaft SNCF am Mittwoch begann in Frankreich ein breit angelegter sozialer Protest, mit dem sich die Gewerkschaften gegen Sparmaßnahmen, Stellenstreichungen und ein von der konservativen Regierung angekündigtes teilweises Streikverbot wehren wollen. Die EdF-Beamten protestieren gegen die geplante Umwandlung des Staatsbetriebs in eine Aktiengesellschaft. Sie betrachten diese als ersten Schritt in Richtung einer Privatisierung.

Die Streikwelle setzte den rechtsliberalen Premierminister Jean-Pierre Raffarin (UMP) erneut unter Druck. Er hatte sich in jüngsten Umfragen gerade erst von einem Stimmungstief erholt, in das er 2003 wegen seiner als »Rentenreform« verkauften Verlängerung der Lebensarbeitszeit gerutscht war. Damals hatte es massive Streikbewegungen und Demonstrationen gegeben. Umso wichtiger ist der »soziale Test«, dem die Regierung durch die neue Protestbewegung nun ausgesetzt wird, im Hinblick auf die im März anstehenden Regionalwahlen und sicher auch auf die EU-Wahlen im Juni.

Die Mitarbeiter der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF streikten diesmal insbesondere gegen den staatlicherseits angekündigten Abbau von 3 500 der insgesamt 180 000 Stellen bei der Bahn. Der am Dienstagabend begonnene 36stündige Ausstand legte am Mittwoch das gesamte Bahnnetz lahm gelegt. Im Großraum von Paris führte der Streik zu kilometerlangen Staus auf den Autonbahnen. Besonders betroffen war der Vorortverkehr der Eisenbahnen, wo nach Angaben der SNCF nur etwa jeder fünfte Zug fuhr. Stundenlange Wartezeiten auf den Bahnhöfen waren die Folge.

Derweil plant Frankreichs Präsident Jacques Chirac offenbar die Einschränkung des Streikrechts. Er erwog jüngst öffentlich, eine Aufrechterhaltung des öffentlichen Verkehrs bei einem Streik per Gesetz zu erzwingen, sollten sich die Tarifparteien nicht »freiwillig« darauf verständigen. »Es ist Zeit, eine gerechte Bilanz zwischen zwei Verfassungsprinzipien zu ziehen, dem Recht auf Streik und dem Aufrechterhalten des öffentlichen Verkehrs«, erklärte der Neogaullist wörtlich in einer programmatischen Rede. Mit welchen staatlich-repressiven Mitteln konkret die sogenannten Wirtschaftsreformen der Regierung gegen den erklärten Widerstand der Gewerkschaften durchgesetzt werden sollen, ließ er indes offen.

Die Streikwelle ging am Donnerstag mit einem Ausstand der Beschäftigten im Gesundheitswesen weiter, die ebenfalls gegen die angekündigten Stellenkürzungen protestierten. Seit bei der Hitzewelle im vergangenen Sommer rund 15 000 Menschen ums Leben gekommen sind, steht das französische Gesundheitssystem verstärkt in der Kritik.

Bereits im vergangenen Jahr hatten Tausende Franzosen gegen die Rentenpläne der Regierung demonstriert. Dabei kam es auch zu Streiks der Beschäftigten bei der Métro und der Bahn in Paris.