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Viele Anlässe für Aktionen

Gewerkschaften eröffnen neue Runde gegen Regierung in Paris

VON HANS-HELMUT KOHL (PARIS)

Beim aktuellen Kräftemessen zwischen den Gewerkschaften des öffentlichen Sektors in Frankreich und der Regierung Raffarin geht es - vor der landesweiten Demonstration für den Erhalt der 35-Stunden-Woche am 5. Februar - um die Abschätzung der Mobilisierung, die den Arbeitnehmerorganisationen gelingt.

Nach dem "ruhigen" Jahr 2004 eröffnen die Gewerkschaften mit Streiks eine neue Runde gegen die konservative Regierung und deren Privatisierungs- und Reformpläne für den öffentlichen Dienst und große staatliche Unternehmen. Bei den Protesten gegen die Rentenreform 2003 hatten sich Risse in der Gewerkschaftsfront gezeigt, die jetzt wieder geschlossen scheinen.

Die Aktionen im Erziehungswesen, in der Beamtenschaft, bei der Staatsbahn SNCF, dem Energieversorger EDF-GDF und bei der Post haben unterschiedliche Anlässe. Die Lehrergewerkschaften wenden sich gegen die Streichung von 5500 Stellen und das neue Bildungsplanungsgesetz. Die Beamten reagieren mit ihrem landesweiten Protest auf die im Dezember gescheiterten Gehaltsverhandlungen, bei denen ihnen ein Plus von einem Prozent angeboten wurde. Die Regierung errechnete gleichzeitig einen Kaufkraftzuwachs von 3,1 Prozent durch Höhergruppierungen, was die Gewerkschaften als "Milchmädchenrechnung" kritisierten.

Bei der SNCF fürchten die Gewerkschaften - neben dem Abbau von 3590 Stellen in diesem Jahr - die Aufteilung des Konzerns im Vorgriff auf eine Privatisierung. Als Beispiele nennen sie die Frachtaktivitäten der SNCF und die Gründung einer Internet-Tochter, die schon - nur im Netz - sehr günstige Tickets für die Strecke Paris-Marseille (19 Euro einfache Fahrt) anbietet. Die Öffnung des europaweiten Energiemarktes, deren Folgen für den Finanzbedarf der EDF-GDF und die angekündigte Teilprivatisierung sind Themen, die im Mittelpunkt der Proteste bei dem Energieriesen stehen.

Die französische Post wird sich, so ein Gesetzesprojekt, eine Banktochter zulegen, die das Kredit- und Finanzierungsgeschäft aus dem "normalen" Schalterbetrieb ausgliedern soll. Als Folge sehen die Gewerkschaften die "Privatisierung" der Post, was massive Arbeitsplatzverluste bedeutet, die in Sortierzentren bereits zu beobachten sind. Chirurgen, Notärzte und Psychiater schließlich, die ebenfalls Aktionen bis hin zu Streiks planen, setzen sich für höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen in öffentlichen Krankenhäusern ein.

Die Regierung reagiert bisher zurückhaltend auf die Streiks. Ihr Sprecher Jean-François Copé sagte, er gehe nicht davon aus, dass die Bewegung so stark werde wie jene in der Mitte der 90er Jahre, die zum Sturz der damaligen konservativen Regierung um Premier Alain Juppé führte: " Die Zeiten haben sich geändert. Die Mentalität der Menschen hat sich weiterentwickelt in diesen zehn Jahren." Die Gewerkschaften wollen zeigen, dass Copé falsch liegt.

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Dokument erstellt am 17.01.2005 um 17:12:52 Uhr
Erscheinungsdatum 18.01.2005