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Novellierung des Atomgesetzes ( hier Strahlenschutzverordnung ) verwaessert den Schutz der Buerger

Kurzstellungnahme

zu dem am 25.02.2000 verabschiedeten Gesetzentwurf der Bundesregierung: "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung atomrechtlicher Vorschriften für die Umsetzung von EURATOM-Richtlinien zum Strahlenschutz", Drucksache 14/2443 vom 23.12.1999 und dem Entwurf der Novellierung der "Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung -StrSchV)" vom 03.04.2000

I. Einleitung

Der o.g. Gesetzentwurf der Bundesregierung hat das Ziel, die Richtlinie 96/29/EURATOM des Rates vom 13.05.1996 zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen (ABl. EG Nr. L 159 S. 1) und  die Richtlinie 97/43/EURATOM des Rates vom 30.06.1997 über den Ge-sundheitsschutz von Personen gegen die Gefahren ionisierender Strahlung bei medizinischer Exposition und zur Aufhebung der Richtlinie 84/466/EURATOM (ABl. EG Nr. L 180 S. 22) in innerstaatliches Recht umzusetzen. Diese Umsetzung hat bis zum 13.05.2000 zu erfolgen.

Die Novellierung der Strahlenschutzverordnung vollzieht diese Umsetzung auf der untergesetzlichen Ebene nach.

II. Ziele der Novellierung

Die Novellierung der Strahlenschutzverordnung enthält zwar zahlreiche Detailregelungen, sie betrifft aber im Kern die aus der Nutzung der Kernenergie entspringenden Probleme bzgl. Der Behandlung der radioaktiven Stoffe und Abfälle.
In diesem Zusammenhang sind folgende Neuregelungen zu nennen:

Neugestaltung der Freigrenzen für radioaktive Stoffe (Eintritt in die strahlenschutzrechtliche Überwachung)
Das bisherige System der Überwachung beim Umgang mit radioaktiven Stoffen sah den genehmigungsfreien, aber anzeigebedürftigen Umgang mit radioaktiven Stoffen in der in der Anlage II der StrSchV genannten Art, § 4 Abs. 1 StrSchV i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AtomG vor.

Daneben regelte § 4 Abs. 2 StrSchV den genehmigungsfreien Umgang mit radioaktiven Stoffen in der in der Anlage III Teil A genannten Art, § 4 Abs. 2 Satz 1 StrSchV sowie den Umgang mit radioaktiven Stoffen in der in der Anlage III Teil B genannten Art im beruflichen Bereich, § 4 Abs. 2 Satz 2 StrSchV.

Die Genehmigungsfreiheit war in der Regel bei Einhaltung der Freigrenzen (Anlage IV) oder bestimmter anderer Grenzwerte gegeben und betraf auch den Umgang mit Kernbrennstoffen (vgl. § 2 Abs. 1 AtomG) sowie die Verwendung und Lagerung derselbigen (Anlage II Nrn. 2, 3).

Diese Systematik ist im wesentlichen beibehalten worden, wobei die genehmigungsfreien Tätigkeit in der jetzigen Anlage I zusammengefaßt, im Ergebnis aber eher ausgeweitet wurden.

Umfassende Regelung der Freigabe (Entlassung aus der strahlenschutzrechtlichen Überwachung) : Die Freigabe für Stoffe aus genehmigungsbedürftigem Umgang mit radioaktiven Stoffen oder dem Betrieb von Anlagen wird in der Novelle erstmals explizit geregelt.

Der Begriff der Freigabe ist in dem Novellierungsentwurf definiert als Verwaltungsakt, der die Entlassung radioaktiver Stoffe sowie (kontaminierter) beweglicher Gegenstände, Gebäude, Bodenflächen, Anlagen oder Anlagenteile aus der atom- oder strahlenschutzrechtlichen Überwachung bewirkt, vgl. § 3 Nr. 15 der Novelle.

Die freigegebenen Stoffe unterliegen dem Regelungsbereich des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG) und sind damit zu beseitigen oder zu verwerten. Besondere Vorkehrungen aus der Sicht des Strahlenschutzes sind für die Stoffe nach ihrer Freigabe aufgrund der damit verbundenen Unbedenklichkeit nicht mehr erforderlich.

Die Freigabe soll zu Strahlenexpositionen führen, welche allenfalls im Bereich von 10 Mikrosievert im Jahr liegen.

Im folgenden soll auf die aus Sicht der Umweltverbände wesentlichen Gesichtspunkte kurz eingegangen werden.

III. Entlassung radioaktiver Stoffe aus der staatlichen Aufsicht

Die Entlassung radioaktiver Stoffe aus der staatlichen Aufsicht ist im wesentlichen eine Folge der Änderung des Atomgesetzes, welche zunächst skizziert wird.

1. Änderung des Atomgesetzes

Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung atomrechtlicher Vorschriften sieht in seinem Artikel 1 Nr. 1 die Änderung des § 2 Abs. 1 des Atomgesetzes dahingehend vor, daß als "radioaktive Stoffe (Kernbrennstoffe und sonstige radioaktive Stoffe) im Sinne dieses Gesetzes ... alle Stoffe (anzusehen sind), die ein Radionuklid oder mehrere Radionuklide enthalten und deren Aktivität oder Konzentration im Zusammenhang mit der Kernenergie oder dem Strahlenschutz nach den Regelungen dieses Gesetzes oder einer auf-grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung nicht außer Acht gelassen werden (können)".

Im Klartext bedeutet dies, daß nicht die physikalisch-chemische Eigenschaft eines Stoffes entscheidend für seine Qualifizierung als radioaktiver Stoff, sondern allein der Wille des Gesetzgebers oder des Verordnungsgebers maßgebend für die Frage ist, welchem Regelungsbereich (Atomrecht oder KrW-/AbfG) dieser Stoff unterworfen ist.

Nach dem neuen § 2 Absatz 2 Satz 1 des AtG kann die Aktivität oder Konzentration eines Stoffes insbesondere dann außer Acht gelassen werden, wenn die Freigrenzen nach einer auf-grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung unterschritten werden.

Bzgl. derjenigen Stoffe, welche bereits dem Regelungsbereich des Atomgesetzes bzw. der Strahlenschutzverordnung unterfallen sind gilt nach dem neuen § 2 Abs. 2 Satz 2 AtomG, daß sie "außer Acht" gelassen werden können, sofern "eine Freigabe erteilt und die Feststellung wirksam getroffen worden ist, daß die Freigabewerte nach einer aufgrund dieses Gesetztes erlassenen Rechtsverordnung nicht überschritten werden."

Die dem AtomG bzw. der StrSchV unterfallenden Stoffe, d.h., radioaktive Stoffe und Abfälle, können aus der staatlichen Aufsicht entlassen werden, soweit dies in der StrSchV seinen Niederschlag findet.

Die Regelungskompetenz hat der Gesetzgeber damit auf den Verordnungsgeber (Bundesregie-rung) übertragen.
Der Einbezug oder der Verzicht staatlicher Kontrolle/ Überwachung bzgl. radioaktiver Stoffe etc. obliegt daher nicht mehr dem Gesetzgeber selbst, sondern ist von diesem auf den Verord-nungsgeber übertragen worden. Dies bedeutet zunächst einen erheblichen Verlust (formeller) parlamentarischer Kontrolle.

Da in der Strahlenschutzverordnung der Anwendungsbereich des Atomgesetzes bestimmt wird, legt nunmehr der Verordnungsgeber (d.h., die jeweilige Bundesregierung) fest, in welchen Fällen die Regelungen des Atomgesetzes "greifen" sollen, also Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Strahlung aus radioaktiven Stoffen ergriffen werden müssen.

Im Hinblick auf den mit der Freigabe von Stoffen bzw. der Festlegung von Freigrenzen verbundenen möglichen Eingriff in den Schutzbereich des Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz (Schutz von Leben und Gesundheit) ist diese Übertragung der Rechtsetzungsbefugnis, Artikel 80 Abs. 1 GG nicht hinnehmbar.

Soweit die Freigabe von Stoffen mit der Umsetzung des Artikel 5 der EURATOM-Grund-norm-Richtlinie begründet wird, ist dies vorgeschoben, da Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 der Richtlinie lediglich eine "kann"-Bestimmung für die Einführung von Freigabewerten enthält!

2. Novellierung der Strahlenschutzverordnung

Die Novellierung der Strahlenschutzverordnung betrifft sowohl die Festlegung der Freigrenzen als auch die Einführung der Freigabe von radioaktiven Abfällen. Relevant sind aus hiesiger Sicht vor allen Dingen die Freigaberegelungen. Die Regelungen bzgl. der Freigrenzen sollen hier nicht betrachtet werden.

Die Novellierung der Strahlenschutzverordnung (NStrSchV) enthält in § 29 die maßgeblichen Regelungen über die Voraussetzungen für die Freigabe.

2.1 Die Freigabe bewirkt die Entlassung aus der atomrechtlichen Überwachung von radioaktiven Stoffen sowie beweglichen Gegenständen, Gebäuden, Bodenflächen, Anlagen oder Anlagenteilen, die aktiviert oder mit radioaktiven Stoffen kontaminiert sind zur Verwendung, Verwertung, Beseitigung, Innehabung oder zu deren Weitergabe an Dritte als nicht radioaktive Stoffe, § 3 Nr. 15 NStrSchV. Die Freigabe führt damit zur Entlassung aus der staatlichen Kontrolle.

2.2 Die Freigabe ist zu erteilen

("Die zuständige Behörde erteilt auf Antrag ... die Freigabe"),

d.h., es handelt sich um eine gebundene Entscheidung. Es besteht ein Anspruch auf diese Freigabe, wenn "für Einzelpersonen der Bevölkerung nur eine effektive Dosis im Bereich von 10 Mikrosievert im Kalenderjahr auftreten kann",

so § 29 Abs. 1 Satz 1 NStrSchV.

Hierbei kann die zuständige Behörde die Einhaltung der o.g. Dosis unterstellen, wenn die weiterhin in der Anlage III und IV genannten (Freigabe-) Werte eingehalten sind.

Die Behörde hat damit lediglich im Bereich der Sachverhaltsermittlung (Verfahren zum Nachweis der Einhaltung der Freigabewerte) einen Beurteilungsspielraum - soweit die zuständige Behörde personell, organisatorisch und fachlich in der Lage ist, die von den jeweiligen Antragstellern vorgelegten Nachweise zu überprüfen.

Dies bedeutet, daß die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde gegenüber den Antragstellern erheblich eingeschränkt sind und das gerade im Bereich des Umweltverwaltungsrechts seit Jahren bekannte und beklagte Vollzugsdefizit auch in diesem Bereich des Atomrechts festgeschrieben wird.

2.3 Die Nachweise zur Einhaltung der Dosiswerte können von dem Antragsteller unter Umständen auch "auf andere Weise" geführt werden, § 29 Absatz 1 Satz 3 NStrSchV.

Wie dieser Nachweis geführt werden kann, d.h., welche Kontrollinstrumente der Behörde an die Hand gegeben sind, wird aus der Regelung nicht deutlich.

2.2.4 Daneben ist zu berücksichtigen, daß lediglich eine effektive Dosis "im Bereich vom 10 Mikrosievert im Kalenderjahr"
eingehalten bzw. nachgewiesen sein muß.

Die Novelle gibt dem Antragsteller damit einen aus der Sicht des Unterzeichnenden weiten und nicht zu rechtfertigenden, d.h., nicht zu überprüfenden Handlungs- und Nachweisspielraum, welcher letztlich zu einer erheblichen Überschreitung der effektiven Dosis von 10 Mikrosievert/ Kalenderjahr führen kann (und führen wird).

Die Freigabe und das mit ihr verbundene "10 Mikrosievert-Konzept" wird hierdurch zur Disposition gestellt.

IV. Das "10 Mikrosievert-Konzept"

Das dem § 29 der Novelle zugrundeliegende "10 Mikrosievert-Konzept" krankt nicht nur an der oben dargestellten Regelung der Freigabe, welche eine Freigabeverpflichtung der Behörde und einen Anspruch auf Erteilung der Freigabe des Antragstellers beinhaltet, ohne daß der Behörde - im Regelfall - ein tatsächlicher und/ oder rechtlicher Überprüfungsspielraum zusteht.
Das "Konzept" leidet insbesondere an seiner rechtlichen Unverbindlichkeit, d.h., seiner fehlenden Einklagbarkeit für die betroffene Bevölkerung.

1. Schon die Formulierung des § 29 Abs. 1 Satz 1, 3 der Novelle zur StrSchV ("im Bereich von 10 Mikrosievert im Kalenderjahr) bedeutet, daß diesem Wert keine Verbindlichkeit zukommen soll und nicht eingehalten werden muß.

2. Daß es sich hierbei nicht um einen zwingend einzuhaltenden Grenzwert, sondern lediglich um ein Schutzziel handelt, wird im übrigen sowohl vom Bundesamt für Strahlenschutz als auch von der Strahlenschutzkommission unter Hinweis auf die internationale Atomenergieorganisation dargestellt.

3. Auch aus der Regelung des § 47 Abs. 1 der Novelle, nach der für eine Person der Bevölkerung der Grenzwert der effektiven Dosis 1 Millisievert im Kalenderjahr durch Strahlenexposition aus Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 betragen darf, folgt, daß es sich bei dem "10 Mikrosievert-Konzept" lediglich um eine Schutzziel, nicht jedoch um einen Grenzwert handelt.
Daneben kann die zuständige Behörde bei Anlagen oder Einrichtungen abweichend von Absatz 1 zulassen, daß die effektive Dosis mehr als 1 Millisievert im Kalenderjahr betragen darf, sofern der Mittelwert über 5 aufeinanderfolgende Kalenderjahre 1 Millisievert pro Jahr nicht überschreitet, § 47 Abs. 4 der Novelle.

Es ist schon bei der Regelung des § 47 Abs. 1, 4 der Novelle fraglich, ob und in welcher Weise der von einer entsprechenden Dosis Betroffene die Einhaltung dieses (Grenz-) Wertes gerichtlich einfordern kann, da er mindestens den Strahlenverursacher namentlich benennen und die Kausalität nachweisen muß.

Das "10 Mikrosievert-Konzept" kann somit nicht als Regelung der Gefahrenabwehr, also als dem Schutz des einzelnen dienend angesehen werden, da eine solche, Rechtsschutz vermittelnde Funktion im Regelungswerk ihren Niederschlag gefunden haben müßte.
Dies hat der Gesetz- und Verordnungsgeber offensichtlich nicht gewollt.

Letztendlich sei angemerkt, daß Schutzziele bekanntlich von den Verwaltungsgerichten ebenfalls nicht als Drittschutz (d.h., Rechtsschutz) vermittelnd angesehen wurden.

Die Formulierung eines solchen Konzeptes stellt angesichts der o.g. Regelungen eher ein Täuschungsmanöver hinsichtlich der tatsächlichen Zielsetzungen der Novellierung dar.

Die Entlassung (schwach) radioaktiver Stoffe und Abfälle aus der staatlichen Aufsicht und die hiermit verbundene Minderung des "Entsorgungsdrucks" (und flächendeckende Verteilung dieser Stoffe über das Gebiet der Bundesrepublik) verträgt sich nicht mit dem Rechtsschutz des Bürgers. Auch dies streitet nicht für die Bürgerfreundlichkeit des "10 Mikrosievert-Konzept" oder gar dessen mutmaßlichen Schutz von Leben und Gesundheit, Art. 2 Abs., 2 Satz1 Grundgesetz.

4. Das "10 Mikrosievert-Konzept" soll jedoch nur die Empfehlung der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) umsetzen, welche lediglich die "Exposition aus verschiedenen Anwendungsbereichen" auf die jährliche effektive Dosis von einigen 10 Mikrosievert für Einzelpersonen beschränkt wissen will.

Diese Dosis von 10 Mikrosievert wird von der IAEO als vernachlässigbar angesehen. Da eine Einzelperson durch verschiedene Anwendungsbereiche zugleich exponiert werden kann, wird von der IAEO eine Beschränkung der Dosis im Bereich von 10 Mikrosievert in einem Jahr für einen einzelnen Anwendungsbereich empfohlen.

5. Nach hiesiger Auffassung dürfte es allerdings nicht zutreffend sein, daß das "10 Mikrosievert-Konzept" der EURATOM-Richtlinie 96/29 des Rates vom 13.05.1996 dem hier umgesetzten Konzept entspricht.

Gemäß Anhang 1 der o.g. EURATOM-Richtlinie, in welchem die Kriterien für die Anwendung des Artikels 3 zugrundegelegt sind, wird in der dortigen Ziffer 3 festgelegt, daß eine Tätigkeit ggfls. auch ohne weitere Prüfung im Einklang mit den Grundkriterien dann freigestellt werden kann, wenn die betreffenden Radionuklide von den Werten in Tabelle A abweichen, sofern unter allen vertretbaren Umständen - u.a. -  "die von einer Einzelperson der Bevölkerung aufgrund der freigestellten Tätigkeit voraussichtlich aufgenommene effektive Dosis ... höchstens 10 Mikrosievert jährlich" beträgt. Dieser Regelung läßt sich (eher) die strikte Einhaltung des 10 Mikrosievert-Konzeptes entnehmen.

6. Tatsächlich wird jedoch sowohl durch den Wortlaut des § 29 der Novellierung der Strahlenschutzverordnung als auch durch die dieser Novellierung zugrundeliegenden Arbeiten bzw. Stellungnahmen des BfS sowie der SSK die Einhaltung des 10 Mikrosievert-Konzeptes nur für den einzelnen Anwendungsbereich zu entnehmen sein.

Letztendlich ist dieses "Konzept" unverbindlich und dient lediglich der rhetorischen Verbrämung der eigentlichen Zielsetzung des Gesetzgebers, nämlich der Entlassung erheblicher Mengen radioaktiver Abfälle etc. aus der staatlichen Aufsicht und damit der Minimierung des Entsorgungsproblems.

V. Die Freigabe unter praktischen Gesichtspunkten

1. Die praktischen Probleme der Freigabe lassen sich an der Regelung des § 29 Abs. 1 Satz 4 der Novelle der StrSchV festmachen.

Danach dürfen "die Voraussetzungen für die Freigabe nicht zielgerichtet durch Ver-mischen oder Verdünnen herbeigeführt, veranlaßt oder ermöglicht werden" (Hervorhebung durch den Unterzeichnenden). Damit wird gleichwohl die Verdünnung oder Vermischung nicht ausgeschlossen.

Soweit Metallschrott zur Rezyklierung freigegeben werden soll, ist zu beachten, daß diese Stoffe nach der Freigabe mit nicht kontaminierten Stoffen eingeschmolzen werden (sollen) und hierbei eine Verdünnung oder Vermischung herbeigeführt wird. Es erfolgt also eine verfahrensbedingte (An- oder) Abreicherung, vgl. z.B. auch: Bericht der Strahlenschutzkommission (SSK) des Bundes-ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Heft 16, 1998: Freigabe von Materialien, Gebäuden und Bodenflächen mit ge-ringfügiger Radioaktivität aus anzeige- oder genehmigungspflichtigem Umgang, S. 16 ff, 46 ff.

Da dieses Vorgehen durch entsprechende Genehmigungen vorgegeben wird, kann von einem "Verdünnungsgebot" gesprochen werden.

Bei Verbundstoffen wird vor der Freigabe eine Trennung vorzunehmen sein, was ebenfalls zu einer verfahrensbedingten Herabsetzung und Unterschreitung der Freigabewerte führen wird.

Bei der Freigabe von Gebäuden ist der vorherige Gebäudeabriss zu berücksichtigen. Typi-scherweise wird hierbei Wasser zu Minimierung der Staubexposition eingesetzt, was u.U. eine Herabsetzung der Belastung führen kann.
In jedem Fall ist die Vermischung des Bauschutts mit unbelasteten Materialien zu berück-sichtigen, d.h., es kommt hierbei verfahrensbedingt zu einer Vermischung.

Bezüglich der Freigabe von Bodenflächen stellt sich das Problem in ähnlicher Weise.

Das Verbot der nicht zielgerichteten Vermischung oder Verdünnung kann also regelmäßig durch Hinweis auf die
- versuchs- oder betriebsbedingt auftretende Verdünnung,
- verfahrensbedingten Abreicherungsvorgänge oder
- die bekannten Verluste, z.B. beim Umfüllen oder Pipetieren,

unterlaufen werden.

2. Die Strahlenschutzkommission hat in ihren o.g. Empfehlungen bereits darauf hingewiesen, wie am Beispiel der Müllverbrennungsschlacke die Freigabewerte eingehalten werden können.

Es wurde hierbei darauf hingewiesen, daß für die Radionuklide, die in der Müllverbrennungsschlacke verbleiben, eine radionuklidspezifische Aufkonzentration von max. 3 gegenüber der Eingangskonzentration des Abfalls besteht.
Da der schwach radioaktive Abfall im Mittel im Verhältnis von mehr als 1:750 von radioaktiv zu nicht-radioaktiv in die Verbrennungsanlage gelangt, ergäbe sich eine effektive mittlere Konzentration in der Schlacke von 1:250 gegenüber der Eingangskonzentration des schwach radioaktiven Abfalls.
Am Beispiel des Co 60 mit einem Freigabewert von 4 Bq/g ergäbe sich eine Konzentration in der Müllverbrennungsschlacke von 0,016 Bq/g.

Der uneingeschränkte Freigabewert in der Spalte 2 der Tabelle 1 für Co 60 liegt bei 0,1 Bq/g.

Von einer entsprechenden Vermischung geht auch das Bundesamt für Strahlenschutz in seiner o.g. Stellungnahme für die Entsorgungspfade Mülldeponierung und Müllverbrennung aus.

3. Geradezu ein Freifahrtschein stellt die Regelung in § 29 Absatz 5 NStrSchV dar, wonach die zuständige Behörde auf Antrag zu einzelnen Fragen, von denen die Erteilung der Freigabe abhängig ist, feststellen kann, ob bestimmte Voraussetzungen des Absatzes 1 vorlie-gen. Dies bedeutet, daß sich der Antragsteller bei der Beurteilung von Einzelfragen diejenige Behörde aussuchen wird, von der er am ehesten Wohlwollen, bzw. am wenigsten Widerstand hinsichtlich der Nachweisverfahren erwartet. Sind Freigaben oder Teilaspekte hierzu erst einmal von einer Behörde beschieden, geht hiervon eine gewisse "Bindungswirkung" und ein "Entscheidungsdruck" für andere Verfahren aus.

VI. (Abfall-) rechtliche Konsequenzen aus der Freigabe

Nach Entlassung radioaktiver Stoffe aus der staatlichen Aufsicht stellt sich die Frage, wie mit derartigen Abfällen umzugehen ist.

1. § 29 Abs. 4 der Novelle weist darauf hin, daß keinerlei Bedenken gegen die abfallrechtliche Zulässigkeit des vorgesehenen Verwertungs- oder Beseitigungsweges und seiner Einhaltung bestehen.

1.1 Die aus der staatlichen Aufsicht entlassenen Abfälle lassen sich den Abfallgruppen des Anhangs I des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG):
- Q 5: infolge absichtlicher Tätigkeiten kontaminierte oder verschmutzte Stoffe,
- Q 12: kontaminierte Stoffe oder
- Q 16: Stoffe oder Produkte aller Art, die nicht einer der oben erwähnten Gruppen angehören,

zuordnen.

1.2 Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG handelt es sich um Abfälle im Sinne dieses Gesetzes, wenn - neben der Zuordnung zum Anhang I - sich der Besitzer dieser Stoffe etc. entledigt, entledigen will oder entledigen muß.

1.3 Eine Entledigung liegt nach § 3 Abs. 2 KrW-/AbfG vor, wenn der Besitzer bewegliche Sachen einer Verwertung im Sinne des Anhangs II B oder an einer Beseitigung im Sinne des Anhangs II A zuführt oder die tatsächliche Sachherrschaft über sie unter Wegfall jeder weiteren Zweckbestimmung aufgibt.

1.4 Hierbei ist der Wille zur Entledigung im Sinne des Absatzes 1 hinsichtlich solcher beweglicher Sachen anzunehmen, welche bei der Energieumwandlung, Herstellung, Behandlung oder Nutzung von Stoffen oder Erzeugnissen oder bei Dienstleistungen anfallen, ohne daß der Zweck der jeweiligen Handlung hierauf gerichtet ist oder deren ursprüngliche Zweckbestimmung entfällt oder aufgegeben wird, ohne daß ein neuer Verwendungszweck unmittelbar an deren Stelle tritt, § 3 Abs. 3 Nr. 1 und 2 KrW-/AbfG.

1.5 Für die der staatlichen Aufsicht entlassenen freigegebenen Stoffe dürften die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 KrW-/AbfG zu bejahen sein.

2. Nach § 15 des KrW-/AbfG haben die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger die in ihrem Gebiet angefallenen und überlassenen Abfälle aus privaten Haushaltungen und Abfälle zur Beseitigung aus anderen Herkunftsbereichen nach Maßgabe der §§ 4-7 zu verwerten oder nach Maßgabe der §§ 10-12 zu beseitigen, § 15 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG.
Gegebenenfalls kommt eine Verwertung von Abfällen nach § 5 Abs. 4 KrW-/AbfG in Betracht.

In tatsächlicher Hinsicht bedeutet dies, daß die kraft Gesetzes/ Verordnung aus der staatlichen Aufsicht entlassenen radioaktiven Abfälle nicht mehr als solche, sondern lediglich als "gewöhnliche" Abfälle angesehen werden, welche im Regelfall noch nicht einmal der Verordnung zur Bestimmung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen vom 10.09.1996, in der Fassung vom 22.12.1998 unterfallen.

3. Darüber hinaus sind Erzeuger oder Besitzer von Abfällen zur Beseitigung aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushaltungen verpflichtet, diese Abfälle den nach Landesrecht zur Entsorgung verpflichteten juristischen Personen (öffentlich-rechtlich Entsorgungsträger) zu überlassen, sofern sie die Abfälle nicht in eigenen Anlagen beseitigen oder überwiegende öffentliche Interessen eine Überlassung erfordern, § 13 Abs. 1 KrW-/AbfG.

4. Dem korrespondiert die Pflicht der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger, die in ihrem Gebiet angefallenen und überlassenen Abfälle zu verwerten oder zu beseitigen, diese also zunächst anzunehmen, § 15 KrW-/AbfG.

Die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger können in diesen Fällen noch nicht einmal einwenden, es handelt sich um besonders überwachungsbedürftige oder sonstwie besondere Schutzmaßnahmen etc. erfordernde Abfälle, da die tatsächlich radioaktiven Stoffe kraft Verordnung nicht mehr als solche angesehen werden.

5. Vereinfacht und überspitzt formuliert bedeutet dies, daß radioaktive Stoffe kraft Gesetzes nicht mehr als solche angesehen, sondern als "gewöhnliche" Abfälle flächendeckend über das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verteilt werden sollen.
Hierdurch wird die "natürliche" Strahlenbelastung in Deutschland tatsächlich massiv erhöht.

VII. Resümee
Die Novellierung der StrSchV sowie die Änderung des Atomgesetzes haben ersichtlich den Zweck, das Aufkommen radioaktiver Stoffe und Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland drastisch zu vermindern. Dieses geschieht jedoch nicht durch eine Beendigung der Nutzung der Kernenergie, sondern "per ordre mufti" durch den Gesetzgeber, der niedrigstrahlende radioaktive Stoffe kraft Definition aus dem Anwendungsbereich des Atomgesetzes und der StrSchV, d.h., aus der staatlichen Aufsicht entläßt und diese zu gewöhnlichen Abfällen umdeklariert.

Eine flächendeckende Verteilung dieser radioaktiven Stoffe/ Abfälle und massive Erhöhung der natürlichen Strahlenbelastung ist die Folge.

Daß bei diesem Vorhaben der Rechtsschutz suchende Bürger stören würde, ergibt von selbst.
 

Dortmund, den 04.05.2000
Jurisch, Rechtsanwalt