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FR vom 02.09.2006

Wie Steuersenkungen wirken


VON HEINER FLASSBECK

Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers, hat mit seiner Aussage von den deutschen Lebenslügen in der deutschen Ökonomenzunft helle Empörung ausgelöst. In der Steuerfrage stellte er schlicht fest, dass in Deutschland die  Unternehmenssteuern und die Einkommensteuerbelastung seit 1998 gefallen sind, die Arbeitslosigkeit aber weiter gestiegen ist.

Unkenntnis elementarer ökonomischer Zusammenhänge wirft ihm nun der Kölner Finanzwissenschaftler Clemens Fuest vor und sagt, jeder Student in Köln würde bei einer solchen Argumentation in der Prüfung durchfallen. Um sein vernichtendes Urteil zu untermauern, behauptet der Herr Professor, man könne den Effekt der Senkung der Unternehmenssteuern nicht so einfach messen. Vielmehr müsse man zur Kenntnis nehmen, dass die Öffentlichkeit die positiven Effekte der Unternehmenssteuerreform nicht wahrgenommen habe, weil der konjunkturbedingte Rückgang der Investitionen in dieser Zeit größer gewesen sei.

Bei genauerem Hinsehen muss man sich allerdings fragen, wer hier fundamentale Zusammenhänge nicht verstanden hat. Der Kölner Ökonomieprofessor unterstellt schlicht, die Steuerreform habe gar nichts zu tun mit dem gleichzeitigen Konjunktureinbruch. Dabei ist die am nächsten liegende Frage bei der Untersuchung der Wirkungen einer Steuersenkung, wie diese vom Staat finanziert wurde und welche Effekte von dieser Finanzierung auf die Konjunktur ausgegangen sind.

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Heiner Flassbeck ist ChefVolkswirt der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (Unctad).
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Mit anderen Worten; Das Geld, das der Staat für die Entlastung der Unternehmen brauchte, ist nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde jemand anderem aus der Tasche gezogen. Da in dieser Zeit die Überzeugung herrschte, die Finanzierung einer Steuersenkung über höhere staatliche Schulden sei des Teufels, hat der Staat sie „ordentlich" finanziert, indem er Ausgaben kürzte.

Eine Kürzung der staatlichen Ausgaben, sagen wir die Kürzung von Investitionen oder von Zuschüssen für Bedürftige, hat in der Kölner Fakultät für Ökonomie offenbar keinerlei Auswirkung auf die Konjunktur. Jede negative Wirkung der Reform-Finanzierung auf die Konjunktur würde ja das Argument, man könne die positiven Wirkungen der Steuerreform auf die Konjunktur wegen gleichzeitig schlechterer Konjunktur nicht messen, der Lächerlichkeit preisgeben.

In den vergangenen Zeiten, als die an deutschen Universitäten gelehrte „Finanzwissenschaft" sich noch als Wissenschaft verstand und nicht als verlängerter Arm bestimmter Lobbygruppen, wäre sie bei einer Würdigung der Rüttgers'schen Aussage zuallererst auf Folgendes gestoßen: Man kann die Belastung durch die Finanzierung einer Steuersenkung und die Entlastung für die Begünstigten von vorneherein nicht trennen. Vielmehr muss man die beiden Effekte bei jeder Untersuchung saldieren, um zu sinnvollen Ergebnissen zu gelangen.

Es ist aber geradezu grotesk, wenn der eine Effekt der Unternehmens- Steuersenkung, nämlich die Verschlechterung der Konjunktur durch die geringeren staatlichen Ausgaben, nun sogar als Argument dafür genommen wird, die direkten positiven Wirkungen der Steuerentlastung groß zu rechnen.

Natürlich ist die negative Wirkung der Steuerentlastung nicht verantwortlich für die gesamte Abschwächung der Konjunktur nach 1998. Aber zu sagen, wie es eine Kölner Studie offenbar tut, „der Abschwung wäre ohne die Steuerreform noch deutlich größer ausgefallen" (so im Handelsblatt zitiert), stellt den relevanten Zusammenhang auf dem Kopf. Ohne die belastenden Wirkungen der Reform wäre der Abschwung eindeutig schwächer gewesen. Dass dies zum Teil von den positiven Effekten der Steuersenkung ausgeglichen wurde, ist selbstverständlich, macht die Aussage des Ministerpräsidenten von NRW aber nicht falsch.