"Sozial und solidarisch": DGB will für die Bürgerversicherung werben
Gesundheitspolitik: Thüringens Gewerkschaftschef Frank Spieth kritisiert Kopfpauschale
ALSFELD (la). Zur gegenwärtigen Finanzsituation in der Bundesrepublik und zur aktuellen Entwicklung im Gesundheitswesen, zu Kopfpauschale und Bürgerversicherung, nahm in der Jahreshauptversammlung der DGB-Senioren Alsfeld der Vorsitzende des DGB- Thüringen und früherere Vogelsberger Gewerkschaftschef, Frank Spieth, Stellung.
Die soziale Markwirtschaft habe in den fünfziger Jahren - auch durch die Steuerpolitik - eine Umverteilung des Reichtums "von oben nach unten" gebracht. Dies sei geschehen, um mehr Gerechtigkeit in die Gesellschaft zu bekommen und sozialen Frieden zu realisieren. 1949 sei von der Unionsregierung ein Spitzensteuersatz von 95 Prozent beschlossen worden. Es sei damals klar gewesen, dass die Vermögenden bei den großen gesellschaftlichen Herausforderungen im Lande einen wesentlich höheren Beitrag für die Bewältigung der öffentlichen Aufgaben leisten müssten.
All dies gerate zur Zeit aus dem Lot. Im nächsten Jahr würde der Spitzensteuersatz in der Bundesrepublik auf 42 Prozent abgesenkt. Die Union wolle sogar noch bis auf 36 Prozent erniedrigen. "Eine paradoxe Situation", merkte Spieth hierzu an. Die Politik gehe dazu über, die Reichen aus der Finanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge zu entlassen. Gleichzeitig bestünden "wahnsinnig viele Abschreibungsmöglichkeiten", die jeden gut Verdienenden in die Lage versetzten, so viel abzuschreiben, dass er am Ende keine Steuern bezahle. Diese Situation ist für Spieth "von Perversität" gekennzeichnet.
Die Tatsache, dass die öffentliche Hand über unzureichende
finanzielle Mittel verfüge, sei Folge einer "völlig verfehlten
Steuerpolitik", bemerkte der DGB-Sprecher. Die Konzerne seien in den letzten
drei Jahren mit über 60 Milliarden Steuer-
zahlung entlastet worden. Es sei klar, dass diese Gelder bei den öffentlichen
Einnahmen fehlten. Die aktuelle finanzielle Situation sei nicht "durch
Naturgesetz" entstanden, sondern sei "durch Politik" gemacht. Die Bundesregierung
habe versucht, die Steuerbefreiungstatbestände einzuschränken,
was aber von der Unionsmehrheit im Bundesrat abgelehnt worden sei. Damit
sei ein wesentlicher Teil der Rechnung nicht aufgegangen.
"Wir sind eines der reichsten Länder der Erde", sagte Spieth. "Wir haben nach wie vor eine ungeheuer dynamische Volkswirtschaft". Dennoch bestehe eine ständig wachsende Arbeitslosigkeit, da die Nachfrage im Binnenbereich immer geringer werde. Die Folge der prekären Finanzsituation sei zunehmende Arbeitslosigkeit und damit einhergehend massiver Sozialabbau. Dies habe einen Einschnitt in die reale Kaufkraft derjenigen zur Folge, die hundert Prozent ihres Einkommens dafür aufwenden müssten, um „überleben zu können."
Es sei eines "der schlimmsten und tragischsten Irrtümer der Politik", zu glauben, man müsse gut Verdienenden mehr Einkommen bescheren, damit dies dann volkswirtschaftlich positiv wirksam werde. Auch die Wohlhabenden könnten nicht mehr als sich täglich gut zu versorgen. Es gelte demgegenüber, bei den Geringverdienenden, das untere Drittel der Einkommen zu erhöhenn, weil dies dann sofort in der Kaufkraft und damit m der Stärkung der Binnennachfrage wirksam werde.
Spieth ging auf die beiden derzeit diskutierten Gesundheitsniodelle
ein. Das CDU-Modell der "Kopfpauschale" sei "hochgradiger Unsinn", es sei
unsozial und unsolide. Die "Bürgerversicherung" der SPD dagegen sei
ein sozialer und solidarischer Weg, den es auch für die Arbeitslosenversicherung,
die Rentenversicherung und die Pflegeversicherung zu beschreiten gelte.
Der DGB werde für diesen weg intensiv werben und Aufklärung betreiben.
Es sei dringend erforderlich, dass die Bundesregierung noch vor den kommenden
Bundestagswahlen einen Gesetzentwurf für die Bürgerversicherung
einbringe. Dies diene der Glaubhaftigkeit der Regierungspolitik.