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Auszug aus
express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und
Gewerkschaftsarbeit, Nr. 3-4/2007 45. Jahrgang, Seiten 13 - 15
(gescannt)
Signale auf rot
Anton Kobel und Johannes Hauber über das "bahnbrechende"
Privatisierungsdesaster
»Meine Bahn« meint Mehdorn, »Deine Bahn« meint
»Bahn für alle«. Die Auseinandersetzung darüber,
wer wie mobil sein, reisen, das Klima schützen, arbeiten will und
kann, nimmt langsam an Fahrt auf. Der Anlass: Mitte März legte das
Verkehrsministerium unter Wolfgang Tiefensee (SPD) einen neuerlichen
Gesetzentwurf zur (weiteren Privatisierung der bereits seit 1994 als
Aktiengesellschaft firmierenden Deutsche Bahn AG vor. Damit reagierte
der SPD-ler auf Kritik von Bahnmanager Hartmut Mehdorn und der in
parlamentarischen Kreisen mittlerweile unvermeidlichen
Unternehmensberater an dem vorherigen Entwurf vom Januar 2007, mit dem
der Börsengang der Bahn nicht wie von dieser Seite erhofft
»auf die Schiene gesetzte werden könne. Mit der nun
geplanten Kapitalprivatisierung würde der Bund auf 49 Prozent
seiner Anteile verzichten, die Gewinne würden vollständig
privatisiert, die Investitionen in Netz und Neubauten jedoch weiterhin
von der öffentlichen Hand, also den Bürgerinnen, getragen.
Dagegen formiert sich vielstimmig Widerstand, der sich u.a. in dem
Bündnis »Bahn für alle« zusammen geschlossen hat.
Ihm gehört als erste und bislang auch einzige Gewerkschaft
mittlerweile auch ver.di an, doch gegen das in der Geschichte der BRD
größte Spekulationsprojekt mit öffentlichem Eigentum
haben sich auch DGB und IG Metall ausgesprochen. Das wiederum macht
Bahnkönig Hartmut, der die Gewerkschaften auf seiner Seite hoffte
und dies in Bezug auf den von ihm favorisierten Königsweg auch oft
kann, traurig. Zum DGB-Beschluss meinte er: »Mit Argumenten der
Vergangenheit kann man nicht die Zukunft gewinnen. Nur wenn die DB AG
den vollen Zugang zum Kapitalmarkt erhält, werden
Arbeitsplätze langfristig gesichert und geschaffen«.
»Der Staat« sei mit Ausgaben für Bildung, Gesundheit,
Rente und Familie ohnehin stark strapaziert. Doch wer ist dieser Staat,
wem gehört die Bahn, wie ist das mit dem Glaubenssatz, dass mehr
Markt auch mehr Arbeitsplätze schaffe, und: Warum fehlt die
Bahngewerkschaft Transnet bei denen, die meinen, die Bahn gehöre
allen? Über solche und andere Fragen diskutierte Anton Kobel mit
Johannes Hauber, Betriebsratsvorsitzender beim Bahn-Zulieferer
Bombardier - mit 25 000 Beschäftigten in 15 Ländern Europas,
davon 7000 in Deutschland, selbst ein Multi.
Du bist BR-Vorsitzender von Bombardier Transportation in Mannheim und
Vorsitzender des Europäischen Betriebsrates dieses Unternehmens.
Was sind Deine Beweggründe, Dich bei »Die Bahn ist keine
Ware« zu engagieren?
Für mich geht es dabei um zwei Themen. Erstens ist die Bahn das
umweltfreundlichste motorisierte Verkehrsmittel, und zweitens sind wir
in der Bahnindustrie stark von politischen Entscheidungen anhängig.
Bei einer Privatisierung der Bahn sehen wir eine weitere
Gefährdung von Arbeitsplätzen im Bahnbereich. Sowohl im
Bahnbetrieb - also im Kern bei der DBAG - als auch in der Bahnindustrie
haben sich die Beschäftigtenzahlen in den letzten zehn Jahren
bereits etwa halbiert. Allein bei der Bahn verloren 180 000
Beschäftigte ihren Arbeitsplatz, bei der Bahnindustrie ca. 50 000
zwischen 1993 und 2005.
In 2005 erwirtschaftete die DBAG eine Rendite von einem Prozent. Aber
auch das jetzt vorgestellte »Traumergebnis« der DBAG ist
weit von dem entfernt, was Investoren erwarten. Laut Aussagen des
Börsenanalysten und Beratungsunternehmens Stanley Morgan geht es
dabei um 17 Prozent Rendite.
Diese Rendite kann nur erzielt werden, wenn die Bahn auf
Verschleiß fährt bzw. wenn es zu weiteren massiven
Stillegungen von Strecken kommt. Dies würde ein allmähliches
Sterben der Bahn mit sich bringen. Und das würde eben erneut
Arbeitsplätze auch in der Bahnindustrie kosten.
Zudem wird sich die privatisierte Bahn auf Hauptmagistralen
beschränken, auf denen höhere Umsatzrenditen zu erwarten
sind, und die Nebenstrecken werden geopfert werden, bzw. nur mit hohen
finanziellen Zuschüssen überleben. Das von der
Unternehmensberatungsfirma Booz-Allen-Hamilton erstellte
»Primon-Gutachten«, in dem verschiedene
Privatisierungsvarianten präsentiert werden, geht bereits jetzt
von einer weiteren Stillegung von 5 000 Kilometer Schienenstrecken aus.
Einen Vorgeschmack auf eine privatisierte Bahn erhielten wir jetzt
über den Netzzustandsbericht des Bundesrechnungshofes, der
für diese Analyse von Mehdorn in übler Weise beschimpft
wurde. Dieser ließ das Netz in den vergangenen Jahren regelrecht
verludern. So dauert z.B. die Fahrt von Stuttgart nach München
heute zwölf Minuten länger als noch vor wenigen Jahren. Nicht
erfolgte Investitionen trugen zur Ergebnisverbesserung bei. Zur wahren
Bilanz nur ein paar Stichworte: 5 000 Kilometer Strecken-Stillegung,
Hunderte verkaufter Bahnhöfe, unzählige zerstörte
Gleisanschlüsse für den Güterverkehr und 20 Milliarden
neue Schulden. Das kommt zum bereits genannten Arbeitsplatzabbau dazu,
und das alles in wenig mehr als zehn Jahren. Von den vollmundigen
Worten: »Mehr Verkehr auf die Schiene« bleibt wenig
übrig.
Zwar sollen auch der privatisierten Bahn jährlich zehn bis
zwölf Milliarden Euro zufließen. Knappe sieben Milliarden
als Regionalisierungsrnittel, 2,5 Milliarden für Investitionen ins
Netz und drei Milliarden für das Bundeseisenbahnvermögen als
Ausgleich für die Einkommen der verbliebenen Bahnbeamten. Das
wäre die öffentliche Subventionierung eines Bereichs, der
auch bei einer nur 49-prozentigen Veräußerung der bisher zu
100 Prozent im Staatsbesitz befindlichen Bahn trotzdem
ausschließlich von privaten Investoren kontrolliert würde.
Eine demokratische Kontrolle wird allerdings bereits heute nicht mehr
wahrgenommen.
Neben der regelmäßigen Absicherung der Dividende würden
»Investoren« vor allem Interesse haben an den
Grundstücken der Bahn. Der Wert der DBAG wird heute
übereinstimmend auf 130 bis 200 Milliarden Euro geschätzt,
die Differenzen resultieren lediglich aus unterschiedlichen Annahmen
darüber, in welchem Umfang die in letzter Zeit weltweit erfolgten
Aufkäufe von Logistikunternehmen mitgerechnet werden. Zwischen
1994 und 2004 wurden ungefähr 100 Milliarden Euro in die DBAG
investiert. Das Eisenbahn-Bundesamt beziffert den Wert der DBAG auf 136
Mrd. Euro. Im Primon-Gutachten wird der Erlös aus einer
49-prozentigen Veräußerung auf fünf bis neun Mrd. Euro
geschätzt. Der Differenzbetrag zum Gesamtwert würde also
verschenkt werden.
Hinzu kommt noch - und das ist in der Öffentlichkeit zur Zeit noch
weit weniger bekannt —, dass es nach dem jetzt bekannt gewordenen
Gesetzentwurf aus dem Hause Tiefensee keine Trennung zwischen Betrieb
und Netz geben wird, obwohl das nach außen so dargestellt wird.
Die öffentliche Hand könnte dahet nur mit enormem
finanziellen Aufwand die Kontrolle über das eigene Eigentum
wiedererlangen. Neuer Eigentümer wird die teilprivatisierte DBAG
werden, die dieses Eigentum auch bilanzieren kann - eine neue und
rechtlich noch ungeklärte Konstruktion.
Zur Rückführung der Kontrolle über das Netz beschreibt
der Gesetzentwurf vier Varianten:
1. Verlängerung der »Verwaltung« und Bilanzierung des
Netzes durch die DBAG
2. Kann der DBAG nachgewiesen werden, dass sie ihren Verpflichtungen
zur Erhaltung des Netzes nicht nachkommt, kann die
Eigentümerschaft vom Bund gekündigt werden. Der Bund
rnüsste die DBAG aber entschädigen. Die Erstellung des
Netzzustandsberichts liegt in der Verantwortung der teilprivatisierten
Bahn.
3. Nach 15 Jahren wird die DBAG auch formell Eigentümerin, wenn
keine Verlängerung des Eigentumssicherungsmodells oder
Rückführung der Verfügungsgewalt an den Bund folgen soll.
4. Sollte sich der Bund entscheiden, nach 15 Jahren wieder die volle
Verfügungsgewalt über die Infrastruktur ausüben zu
wollen, muss er die DBAG wie unter der zweiten Variante
entschädigen, und zwar in Hohe des dann gegebenen Verkehrswertes.
Die vom Bund jährlich bezahlten Mittel werden bei der
Wertermittlung nur berücksichtigt, wenn ein bestimmter Anspruch
nachgewiesen ist.
Entschuldige meine lange und vielleicht zu detaillierte Darstellung,
aber ich glaube, das ist notwendig, um erklären zu können,
dass es sich bei der Privatisierung der Bahn um das größte
Spekulationsprojekt aller staatlichen Unternehmen handelt.
Um auf Deine Eingangsfrage zurückzukommen. Es gibt diese zwei
Gründe, warum ich mich als Betriebsrat und als Person gegen die
Bahnprivatisierung engagiere: Eine Privatisierung der Bahn fuhrt zu
weiterern Arbeitsplatzverlust im Bahnbereich insgesamt und zu weiteren
ökologischen Belastungen, weil die Potentiale der Bahn nicht
genutzt werden.
Teilen die Belegschaften diese Einschätzungen? Wie verlaufen die
Diskussionen?
Die Bahn hat keine bzw. nur eine sehr schwache Lobby. Deswegen haben
die Betriebsräte der Bahnindustrie sich zusammengeschlossen, um
politischen Druck zu entwickeln, damit Entscheidungen über die
Befriedigung von Mobilitätsbedürfhissen eher zu Gunsten der
Schiene gefällt werden. Ich bin Gründungsmitglied von
»Bürgerbahn statt Börsenbahn«, diese Gruppe ist
Mitglied von »Bahn für Alle«. Die Betriebsräte
aller großen Unternehmen der Bahnindustrie, aber auch
mittelständischer Unternehmen haben sich im Oktober 2004 im
»Branchenausscnuss Bahnindustrie der IG Metall«
zusammengeschlossen.
Neben dem Informationsaustausch über die alltägliche
Betriebsratsarbeit und der Intensivierung der überbetrieblichen
Zusammenarbeit haben wir von Anfang an große Anstrengungen
unternommen, die oben genannten Ziele -also die Förderung des
Schienenverkehrs — voranzutreiben. So haben wir uns z.B. engagiert
gegen die Kürzung der Regionalisierungsmittel.
Bereits im Februar 2006 kamen wir in einer Konferenz der IG Metall des
Branchenausschusses übereinstimmend zu dem Ergebnis, ,
dass wir die Kapitalprivatisierung der DBAG ablehnen. An dieser
Konferenz beteiligten sich über 100 Betriebsräte.
Die Bahnprivatisierung ist Thema auf Betriebsversammlungen, sie ist
Thema öffentlicher Erklärungen einzelner Betriebsräte,
wird in Betriebsratssitzungen und Gesamtbetriebsratssitzungen
diskutiert. Ich selbst kenne niemanden, der, wenn er eine politische
Position hierzu hat, das anders sehen würde.
Neben den Arbeitsplatzaspekten hat eine Teilprivatisierung des
DB-Kapitals ja auch Folgen für die Gesellschaft und die Kunden der
Bahn. Spielen diese Folgen eine Rolle in Euren Diskussionen?
Bei der Entscheidung der Gewerkschaften ver.di und IG Metall sowie des
DGB, sich gegen jede Form der Privatisierung auszusprechen, hat der
gesellschaftspolitische Aspekt der Privatisierung und die aktuelle
Klimadebattc mit Sicherheit Entscheidungshilfe geleistet. Die
Erfahrungen mit Private Equities und Hedge Fonds haben ebenfalls ihre
Spuren hinterlassen.
Im Branchenausschuss der IGM gelang es uns zum ersten Mal bei internen
Diskussionen, dass die Betriebsräte sich zumindest in
Anfängen auch Gedanken machten, welche Fahrzeuge und welche
Schienenstrecken den Kundenwünschen am ehesten gerecht werden.
Noch in den 90ern haben Betriebsräte getreu die Leier ihres
Managements herunter gebetet - immer größer, immer
schneller. Das ist vorbei, jetzt haben wir eine kritische Haltung zu
Hochgeschwindigkeitsstrecken, wir diskutieren Themen wie integraler
Taktverkehr und Flächenbahn etc. Das erzeugt auch eine positive
Identifikation mit dem eigenen Produkt. Die Autofa\hrerkultur ist, wie
in der übrigen Gesellschaft, auch unter den Beschäftigten der
Barmindustrie weit verbreitet. Das wollen wir durchbrechen. Die
Überzeugung, ein zukunftsträch--tiges Produkt herzustellen,
ist wertvoll, wenn es darum geht, um den Erhalt von Arbeitsplätzen
zu kämpfen. Wer glaubt, in einem Industriezweig zu arbeiten, der
im Niedergang begriffen ist, wird weniger Kräfte mobilisieren
können..,,"
Nachdem ver.di jetzt auch die Position des Branchenausschusses gegen
die Privatisierung der Bahn eingenommen hat, werden sich weitere
interessante Debatten bezüglich der Wünsche der
»Kunden«, also der Fahrgäste ergeben. Inwieweit das
dann in Beratungen mit dem jeweiligen Management einfließen wird,
werden wir sehen.
Die Privatisierung der Bahn wird schon seit 1994 geplant. Im Februar
2007 sprachen sich die IGM und ver.di und am 6. März 2007 auch der
DGB gegen diese Privatisierung aus. Warum so spät?
Dass bereits im Jahr 1994 Im Gesetz zur Bahnreform die
Kapitalprivatisierung »geplant« oder sonst irgendwie
festgelegt worden wäre, wie Du sagst, ist falsch. Weder die
Vertreter der CDU noch der SPD nahmen damals diese Position ein.
Lediglich in den Reihen der FDP wurde das damals so diskutiert. Die PDS
sprach sich bereits 1994 gegen eine Grundgesetzänderung aus, weil
sie darin eine Weichenstellung in Richtung einer späteren
Privatisierung sah.
Offen thematisiert und auch als Ziel festgelegt wurde die
Privatisierung mit der Ernennung von Herrn Mehdorn zum Chef der DBAG
durch die SPD/Grünen-Regierung, allen voran Bundeskanzler
Schröder. Wenn ich mich nicht ganz täusche, hat
»Bürgerbahn statt Börsenbahn« zum Jahreswechsel
2000/2001 zum ersten Mal das Thema Privatisierung der Bahn und Trennung
von Betrieb und Netz aufgegriffen und eine dezidierte Position in der
Gründungserklärung gegen beide Pläne vorgetragen. Der
Name ist Programm.
Bei der IG Metall hat der Branchenaus-schuss wesentlich mit dazu
beigetragen, dass diese absolut eindeutige Beschlussfassung gegen jede
Form der Kapitalprivatisierung der Bahn zustande kam. Allerdings war
die aktuelle Debatte bei ver.di und innerhalb der IG Metall, wie
bereits erwähnt, sehr hilfreich. Ob wir das sonst erreicht
hätten, wage ich zu bezweifeln. Ich musste bei der
innergewerkschaftlichen Diskussion lernen, dass die Gewerkschaften sehr
zurückhaltend sind, wenn sie die Gefahr sehen, in das Revier einer
anderen Gewerkschaft einzudringen, selbst wenn es sich um wichtige
gesellschaftspolitische Themen handelt. Insofern ist es mir lieber,
wenn es jetzt eine Positionsbestimmung gibt, als wenn es sie gar nicht
gäbe.
Die Eisenbahnergewerkschaft Transnet unterstützt den
Börsengang der DB. Wie seht Ihr deren Beweggründe?
Ob man wirklich davon reden kann, dass die Transnet hier eine
übereinstimmende Position hat, wage ich zu bezweifeln. Immerhin
haben sich die Ortsverbände in Offenburg, Darmstadt und
Göttingen eindeutig gegen eine Kapitaiprivatisiemng und
natürlich auch gegen eine Trennung von Betrieb und Netz
ausgesprochen. Wie es mit dem Thema innerhalb der Transnet weitergehen
wird, bringt wohl ein außerordentlicher Kongress ans Licht, der
im Juli stattfinden soll. Der Vorsitzende Norbert Hansen marschiert in
engster Umarmung mit Mehdorn. Einen Tarifvertrag zur
Arbeitsplatzsicherung an die Bahnprivatisierung zu knüpfen mag
verstehen, wer will, hat doch bislang jede Privatisierung den
Arbeitsplatzabbau rapide beschleunigt. Es kann natürlich auch
sein, dass sich Hansen eine Vergrößerung seines Territoriums
verspricht, wenn Mehdorn Unternehmen der Logistikbranche zukauft.
Allerdings kommt er dann ver.di ins Gehege.
Insgesamt präsentieren sich die Positionen Hansens vollkommen
widersprüchlich: Einerseits signalisiert er volle
Übereinstimmung mit Mehdorn. Andererseits geht er hausieren mit
»Plan B«, wobei B für Bund steht. Dieser Plan soll
gehen, wenn die vollständige Privatisierung incl. Netz nicht
zustande kommt. Zentrales politisches Ziel der Transnet ist es, die
Trennung von Betrieb und Netz zu verhindern. Und dann gibt es auch die
gemeinsame Erklärung mit Bsirske gegen die Bahnprivatisierung.
Solche 360 Grad-Schwenks kann sich eigentlich nur der Chef eines
kleinen Königreichs erlauben.
In den Debatten mit Vertretern der Transnet, welche die Hansen-Linie
repräsentieren, hört man immer weniger das ursprüngliche
Argument, die Bahn müsse privatisiert werden, um an Geld zu
kommen. Offensichtlich ist es zu eindeutig, dass die Finanzströme
nicht zur Bahn, sondern zu den vermeintlichen »Investoren«
fließen werden. Als einzig nachvollziehbarer Beweggrund bleibt,
dass die Entscheidungen zur Privatisierung sowieso gefallen waren und
es jetzt darum gehe, das Schlimmste zu verhindern. Ich denke, dazu habe
ich schon etwas gesagt.
Ist an dem Vorwurf, ver.di handele aus egoistischen Gründen —
nämlich einen neuen Organi-sationsbereich zu gewinnen — etwas
dran? Handelt es sich also um Gewerkschaftskannibalismus?
In Bezug auf ver.di glaube ich das nicht, aber ich kann nicht an deren
Türen lauschen. Meiner Kenntnis nach hat die Diskussion auf dem
letzten Gewerkschaftstag des DGB und die ungeklärte Position von
Hansen, wie sich die Transnet in den DGB einbindet, wesentlich zur
Positionierung von ver.di beigetragen. Aber auch der Schutz des eigenen
Bereichs gegen mögliche Übergriffe durch Transnet könnte
zur Positionsfindung beigetragen haben. Wesentlich dabei ist aber die
gesellschaftspolitische Frage: »Wie halte ich es mit der
Privatisierung öffentlichen Eigentums?« - und dass Hansen
Kooperationen mit Gewerkschaften außerhalb des DGB anstrebt - von
der Beamtengewerkschaft GDBA, über Montgomery's Arztege-werkschaft
MB bis zum christlichen Gewerkschaftsbund CGB. Insofern ist das nicht
nur ein Thema von ver.di, sondern aller D-GB-Gewerkschaften.
Ihr arbeitet seit letztem Jahr mit attac u. a. gegen die
DB-Privatisierung. Sucht die IGM mit sozialen Bewegungen neue Wege zur
Interessenvertretung? Oder sind das Lippenbekenntnisse gegenüber
mittelbar betroffenen Belegschaften?
Ich bin mir sicher, dass der IGM-Vorstand die •Position gegen die
Bahnprivatisierung vom Branchenausschuss übernommen hat. Im
Gegensatz zu ver.di hat sich die IGM nicht dem Bündnis
»Bahn-fur-Alle« angeschlossen. Für uns im
Branchenausschuss sind aber durch die Beschlusslage alle Türen
geöffnet, um innerhalb von »Bahn für Alle« aktiv
zu sein.
Wie groß sind die Chancen, den Börsengang der DB noch zu
verhindern?
Nach den Beschlüssen von ver.di, IGM und des DGB haben wir eine
vollständig neue Situation. Jetzt müssen Wege gefunden
werden, die neu gewonnene Stärke zu nutzen. Der Entwurf-des
Privatisierungsgesetzes selbst ist äußerst
widersprüchlich. Offen ist, ob der geplante Grundstücksdeal
überhaupt zustande kommen kann, weil die Liegenschaften der Bahn
in deren Gründungszeiten häufig kostenlos, allerdings mit
eindeutiger Nutzungsbestimmung übergeben wurden. Sie können
also von der Bahn nicht bzw. nicht in nennenswertem Umfang verkauft
werden. Das hangt natürlich auch davon ab, ob die Kommunen ihre
Besitzansprüche geltend machen. Das ganze Projekt steht wegen
erheblicher Rechtsunsicherheit auf wackeligen Füßen.
Mit den Folgen der Privatisierung kann man sich am Beispiel der
englischen Bahn schon seit Jahren auseinandersetzen, Ken Loach zeigt
sie in seinem Spielfilm »The Navigators«. Bei der Konferenz
zur Zukunft der Bahn am 17.118. März war auch ein
Eisenbahn-Gewerkschafter der CGT aus Frankreich dabei. Gibt es hier
eine internationale Zusammenarbeit der Gewerkschaften?
Was sich bei den Gewerkschaften der Eisenbahner abspielt, weiß
ich nicht. In der Bahnindustrie gibt es diese internationale
Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften noch nicht. Wir haben uns
allerdings im Branchenausschuss die Aufgabe gestellt, diese
Zusammenarbeit in nächster /^eit anzugencii. wie alles hängt
aber auch das von den mobilisierbaren Kräften ab. Im
Europäischen Betriebsrat von Bombardier haben wir diese
Zusammenarbeit. Als in 2004 in verschiedenen europäischen
Ländern sechs Werke zur Schließung anstanden, stellten wir
engen Kontakt zur Fraktion im Europäischen Parlament
»Vereinigte Linke - Nordische Grüne« her. Die Fraktion
hat dann eine Anhörung im-Rahmen einer Fragestunde zur Problematik
der Bahnindustrie und den Werksschließungen organisiert. Es ist
uns aber nicht gelungen, gemeinsame Aktionen zu organisieren. Die
Bedingungen in den einzelnen Ländern sind sehr unterschiedlich,
und leider besteht zwischen den Belegschaften auch eine nicht zu
unterschätzende Konkurrenz. Da ist noch-viel zu tun.
In Berlin hatte am 17. März der deutsche Film »Bahn unterm
Hammer« Premiere. Was erhoffst Du Dir von diesem Film? Zeigt Ihr
den Film auf einer Betriebsversammlung?
Wir werden den Film im Rahmen der Betriebsräteversammlung zeigen.
Ob er auch für Betriebsversammlungen geeignet ist? Da kommt es
bestimmt auf die jeweiligen betrieblichen Gegebenheiten an. Der Film
ist spannend, auch in der langen Version von 90 Minuten, und er
beantwortet viele Fragen. Ich denke, auch Menschen, die sich mit dem
Thema nicht so stark befasst haben, verstehen hinterher die Problematik
- echte Aufklärung! In Mannheim wird er am 4. Mai auf einer
Veranstaltung gezeigt, die das Zukunftsforum Gewerkschaften, die IG
Metall, ver.di und attac gemeinsam organisieren.*
Freitag, 4. Mai, 19 Uhr im Gewerkschaftshaus Mannheim, großer
Saal, Hans Böckler Str. l
Johannes Hauber
lebt in Mannheim und ist Betriebsratsvorsitzender der Bombardier
Transportation GMBH Werk Mannheim und Vorsitzender des
Europäischen Betriebsrates von lombardier Inc.
Weitere
Informationen zum Bündnis »Bahn für alle".: www,
deinebahn.de
Auf der Homepage
finden sich, neben Aufklärungsmaterialien, einer Umfrage zum
Thema. Privatisierung der Bahn, Informationen über die aktuellen
Gesetzesvorhaben, Aktionen und Veranstaltungen, auch Hinweise über
den Film »Bahn unterm Hammer«. Der NDR hatte die
Finanzierungszusage zu dem Film der Regisseurin Leslie Franke, die
bereits »Wasser unterm Hammer« für das
öffentlich-rechtliche Fernsehen gedreht hatte, zurückgezogen.
Damit die privatisierungskritische Intention des Films dennoch den Weg
in die Öffentlichkeit und der Film eine Finanzierung findet,
bitten die Produzentinnen um Mithilfe, sei es durch Veranstaltungen,
sei es durch Beteiligung an den Erstellungskosten. Wer 20 Euro gibt,
erhält eine DVD, 100 Euro reichen für den Ehrentitel
»HeizerIn der Bürgerbahn-«, ab l 000 Euro wird man
Lokführerin. Mehr dazu unter: www.bahn-unterm-hammer.de