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Auszug aus express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Nr. 3-4/2007 45. Jahrgang, Seiten 13 - 15 (gescannt)  

Signale auf rot

Anton Kobel und Johannes Hauber über das "bahnbrechende" Privatisierungsdesaster

»Meine Bahn« meint Mehdorn, »Deine Bahn« meint »Bahn für alle«. Die Auseinandersetzung darüber, wer wie mobil sein, reisen, das Klima schützen, arbeiten will und kann, nimmt langsam an Fahrt auf. Der Anlass: Mitte März legte das Verkehrsministerium unter Wolfgang Tiefensee (SPD) einen neuerlichen Gesetzentwurf zur (weiteren Privatisierung der bereits seit 1994 als Aktiengesellschaft firmierenden Deutsche Bahn AG vor. Damit reagierte der SPD-ler auf Kritik von Bahnmanager Hartmut Mehdorn und der in parlamentarischen Kreisen mittlerweile unvermeidlichen Unternehmensberater an dem vorherigen Entwurf vom Januar 2007, mit dem der Börsengang der Bahn nicht wie von dieser Seite erhofft »auf die Schiene gesetzte werden könne. Mit der nun geplanten Kapitalprivatisierung würde der Bund auf 49 Prozent seiner Anteile verzichten, die Gewinne würden vollständig privatisiert, die Investitionen in Netz und Neubauten jedoch weiterhin von der öffentlichen Hand, also den Bürgerinnen, getragen.

Dagegen formiert sich vielstimmig Widerstand, der sich u.a. in dem Bündnis »Bahn für alle« zusammen geschlossen hat. Ihm gehört als erste und bislang auch einzige Gewerkschaft mittlerweile auch ver.di an, doch gegen das in der Geschichte der BRD größte Spekulationsprojekt mit öffentlichem Eigentum haben sich auch DGB und IG Metall ausgesprochen. Das wiederum macht Bahnkönig Hartmut, der die Gewerkschaften auf seiner Seite hoffte und dies in Bezug auf den von ihm favorisierten Königsweg auch oft kann, traurig. Zum DGB-Beschluss meinte er: »Mit Argumenten der Vergangenheit kann man nicht die Zukunft gewinnen. Nur wenn die DB AG den vollen Zugang zum Kapitalmarkt erhält, werden Arbeitsplätze langfristig gesichert und geschaffen«. »Der Staat« sei mit Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Rente und Familie ohnehin stark strapaziert. Doch wer ist dieser Staat, wem gehört die Bahn, wie ist das mit dem Glaubenssatz, dass mehr Markt auch mehr Arbeitsplätze schaffe, und: Warum fehlt die Bahngewerkschaft Transnet bei denen, die meinen, die Bahn gehöre allen? Über solche und andere Fragen diskutierte Anton Kobel mit Johannes Hauber, Betriebsratsvorsitzender beim Bahn-Zulieferer Bombardier - mit 25 000 Beschäftigten in 15 Ländern Europas, davon 7000 in Deutschland, selbst ein Multi.

Du bist BR-Vorsitzender von Bombardier Transportation in Mannheim und Vorsitzender des Europäischen Betriebsrates dieses Unternehmens. Was sind Deine Beweggründe, Dich bei »Die Bahn ist keine Ware« zu engagieren?

Für mich geht es dabei um zwei Themen. Erstens ist die Bahn das umweltfreundlichste motorisierte Verkehrsmittel, und zweitens sind wir in der Bahnindustrie stark von politischen Entscheidungen anhängig.

Bei einer Privatisierung der Bahn sehen wir eine weitere Gefährdung von Arbeitsplätzen im Bahnbereich. Sowohl im Bahnbetrieb - also im Kern bei der DBAG - als auch in der Bahnindustrie haben sich die Beschäftigtenzahlen in den letzten zehn Jahren bereits etwa halbiert. Allein bei der Bahn verloren 180 000 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz, bei der Bahnindustrie ca. 50 000 zwischen 1993 und 2005.

In 2005 erwirtschaftete die DBAG eine Rendite von einem Prozent. Aber auch das jetzt vorgestellte »Traumergebnis« der DBAG ist weit von dem entfernt, was Investoren erwarten. Laut Aussagen des Börsenanalysten und Beratungsunternehmens Stanley Morgan geht es dabei um 17 Prozent Rendite.
Diese Rendite kann nur erzielt werden, wenn die Bahn auf Verschleiß fährt bzw. wenn es zu weiteren massiven Stillegungen von Strecken kommt. Dies würde ein allmähliches Sterben der Bahn mit sich bringen. Und das würde eben erneut Arbeitsplätze auch in der Bahnindustrie kosten.

Zudem wird sich die privatisierte Bahn auf Hauptmagistralen beschränken, auf denen höhere Umsatzrenditen zu erwarten sind, und die Nebenstrecken werden geopfert werden, bzw. nur mit hohen finanziellen Zuschüssen überleben. Das von der Unternehmensberatungsfirma Booz-Allen-Hamilton erstellte »Primon-Gutachten«, in dem verschiedene Privatisierungsvarianten präsentiert werden, geht bereits jetzt von einer weiteren Stillegung von 5 000 Kilometer Schienenstrecken aus.

Einen Vorgeschmack auf eine privatisierte Bahn erhielten wir jetzt über den Netzzustandsbericht des Bundesrechnungshofes, der für diese Analyse von Mehdorn in übler Weise beschimpft wurde. Dieser ließ das Netz in den vergangenen Jahren regelrecht verludern. So dauert z.B. die Fahrt von Stuttgart nach München heute zwölf Minuten länger als noch vor wenigen Jahren. Nicht erfolgte Investitionen trugen zur Ergebnisverbesserung bei. Zur wahren Bilanz nur ein paar Stichworte: 5 000 Kilometer Strecken-Stillegung, Hunderte verkaufter Bahnhöfe, unzählige zerstörte Gleisanschlüsse für den Güterverkehr und 20 Milliarden neue Schulden. Das kommt zum bereits genannten Arbeitsplatzabbau dazu, und das alles in wenig mehr als zehn Jahren. Von den vollmundigen Worten: »Mehr Verkehr auf die Schiene« bleibt wenig übrig.

Zwar sollen auch der privatisierten Bahn jährlich zehn bis zwölf Milliarden Euro zufließen. Knappe sieben Milliarden als Regionalisierungsrnittel, 2,5 Milliarden für Investitionen ins Netz und drei Milliarden für das Bundeseisenbahnvermögen als Ausgleich für die Einkommen der verbliebenen Bahnbeamten. Das wäre die öffentliche Subventionierung eines Bereichs, der auch bei einer nur 49-prozentigen Veräußerung der bisher zu 100 Prozent im Staatsbesitz befindlichen Bahn trotzdem ausschließlich von privaten Investoren kontrolliert würde. Eine demokratische Kontrolle wird allerdings bereits heute nicht mehr wahrgenommen.

Neben der regelmäßigen Absicherung der Dividende würden »Investoren« vor allem Interesse haben an den Grundstücken der Bahn. Der Wert der DBAG wird heute übereinstimmend auf 130 bis 200 Milliarden Euro geschätzt, die Differenzen resultieren lediglich aus unterschiedlichen Annahmen darüber, in welchem Umfang die in letzter Zeit weltweit erfolgten Aufkäufe von Logistikunternehmen mitgerechnet werden. Zwischen 1994 und 2004 wurden ungefähr 100 Milliarden Euro in die DBAG investiert. Das Eisenbahn-Bundesamt beziffert den Wert der DBAG auf 136 Mrd. Euro. Im Primon-Gutachten wird der Erlös aus einer 49-prozentigen Veräußerung auf fünf bis neun Mrd. Euro geschätzt. Der Differenzbetrag zum Gesamtwert würde also verschenkt werden.

Hinzu kommt noch - und das ist in der Öffentlichkeit zur Zeit noch weit weniger bekannt —, dass es nach dem jetzt bekannt gewordenen Gesetzentwurf aus dem Hause Tiefensee keine Trennung zwischen Betrieb und Netz geben wird, obwohl das nach außen so dargestellt wird. Die öffentliche Hand könnte dahet nur mit enormem finanziellen Aufwand die Kontrolle über das eigene Eigentum wiedererlangen. Neuer Eigentümer wird die teilprivatisierte DBAG werden, die dieses Eigentum auch bilanzieren kann - eine neue und rechtlich noch ungeklärte Konstruktion.

Zur Rückführung der Kontrolle über das Netz beschreibt der Gesetzentwurf vier Varianten:

1. Verlängerung der »Verwaltung« und Bilanzierung des Netzes durch die DBAG

2. Kann der DBAG nachgewiesen werden, dass sie ihren Verpflichtungen zur Erhaltung des Netzes nicht nachkommt, kann die Eigentümerschaft vom Bund gekündigt werden. Der Bund rnüsste die DBAG aber entschädigen. Die Erstellung des Netzzustandsberichts liegt in der Verantwortung der teilprivatisierten Bahn.

3. Nach 15 Jahren wird die DBAG auch formell Eigentümerin, wenn keine Verlängerung des Eigentumssicherungsmodells oder Rückführung der Verfügungsgewalt an den Bund folgen soll.
    
4. Sollte sich der Bund entscheiden, nach 15 Jahren wieder die volle Verfügungsgewalt über die Infrastruktur ausüben zu wollen, muss er die DBAG wie unter der zweiten Variante entschädigen, und zwar in Hohe des dann gegebenen Verkehrswertes. Die vom Bund jährlich bezahlten Mittel werden bei der Wertermittlung nur berücksichtigt, wenn ein bestimmter Anspruch nachgewiesen ist.

Entschuldige meine lange und vielleicht zu detaillierte Darstellung, aber ich glaube, das ist notwendig, um erklären zu können, dass es sich bei der Privatisierung der Bahn um das größte Spekulationsprojekt aller staatlichen Unternehmen handelt.

Um auf Deine Eingangsfrage zurückzukommen. Es gibt diese zwei Gründe, warum ich mich als Betriebsrat und als Person gegen die Bahnprivatisierung engagiere: Eine Privatisierung der Bahn fuhrt zu weiterern Arbeitsplatzverlust im Bahnbereich insgesamt und zu weiteren ökologischen Belastungen, weil die Potentiale der Bahn nicht genutzt werden.

Teilen die Belegschaften diese Einschätzungen? Wie verlaufen die Diskussionen?

Die Bahn hat keine bzw. nur eine sehr schwache Lobby. Deswegen haben die Betriebsräte der Bahnindustrie sich zusammengeschlossen, um politischen Druck zu entwickeln, damit Entscheidungen über die Befriedigung von Mobilitätsbedürfhissen eher zu Gunsten der Schiene gefällt werden. Ich bin Gründungsmitglied von »Bürgerbahn statt Börsenbahn«, diese Gruppe ist Mitglied von »Bahn für Alle«. Die Betriebsräte aller großen Unternehmen der Bahnindustrie, aber auch mittelständischer Unternehmen haben sich im Oktober 2004 im »Branchenausscnuss Bahnindustrie der IG Metall« zusammengeschlossen.

Neben dem Informationsaustausch über die alltägliche Betriebsratsarbeit und der Intensivierung der überbetrieblichen Zusammenarbeit haben wir von Anfang an große Anstrengungen unternommen, die oben genannten Ziele -also die Förderung des Schienenverkehrs — voranzutreiben. So haben wir uns z.B. engagiert gegen die Kürzung der Regionalisierungsmittel.

Bereits im Februar 2006 kamen wir in einer Konferenz der IG Metall des Branchenausschusses übereinstimmend zu dem Ergebnis,   , dass wir die Kapitalprivatisierung der DBAG  ablehnen. An dieser Konferenz beteiligten sich über 100 Betriebsräte.

Die Bahnprivatisierung ist Thema auf Betriebsversammlungen, sie ist Thema öffentlicher Erklärungen einzelner Betriebsräte, wird in Betriebsratssitzungen und Gesamtbetriebsratssitzungen diskutiert. Ich selbst kenne niemanden, der, wenn er eine politische Position hierzu hat, das anders sehen würde.
Neben den Arbeitsplatzaspekten hat eine Teilprivatisierung des DB-Kapitals ja auch Folgen für die Gesellschaft und die Kunden der Bahn. Spielen diese Folgen eine Rolle in Euren Diskussionen?

Bei der Entscheidung der Gewerkschaften ver.di und IG Metall sowie des DGB, sich gegen jede Form der Privatisierung auszusprechen, hat der gesellschaftspolitische Aspekt der Privatisierung und die aktuelle Klimadebattc mit Sicherheit Entscheidungshilfe geleistet. Die Erfahrungen mit Private Equities und Hedge Fonds haben ebenfalls ihre Spuren hinterlassen.

Im Branchenausschuss der IGM gelang es uns zum ersten Mal bei internen Diskussionen, dass die Betriebsräte sich zumindest in Anfängen auch Gedanken machten, welche Fahrzeuge und welche Schienenstrecken den Kundenwünschen am ehesten gerecht werden. Noch in den 90ern haben Betriebsräte getreu die Leier ihres Managements herunter gebetet - immer größer, immer schneller. Das ist vorbei, jetzt haben wir eine kritische Haltung zu Hochgeschwindigkeitsstrecken, wir diskutieren Themen wie integraler Taktverkehr und Flächenbahn etc. Das erzeugt auch eine positive Identifikation mit dem eigenen Produkt. Die Autofa\hrerkultur ist, wie in der übrigen Gesellschaft, auch unter den Beschäftigten der Barmindustrie weit verbreitet. Das wollen wir durchbrechen. Die Überzeugung, ein zukunftsträch--tiges Produkt herzustellen, ist wertvoll, wenn es darum geht, um den Erhalt von Arbeitsplätzen zu kämpfen. Wer glaubt, in einem Industriezweig zu arbeiten, der im Niedergang begriffen ist, wird weniger Kräfte mobilisieren können..,,"

Nachdem ver.di jetzt auch die Position des Branchenausschusses gegen die Privatisierung der Bahn eingenommen hat, werden sich weitere interessante Debatten bezüglich der Wünsche der »Kunden«, also der Fahrgäste ergeben. Inwieweit das dann in Beratungen mit dem jeweiligen Management einfließen wird, werden wir sehen.

Die Privatisierung der Bahn wird schon seit 1994 geplant. Im Februar 2007 sprachen sich die IGM und ver.di und am 6. März 2007 auch der DGB gegen diese Privatisierung aus. Warum so spät?

Dass bereits im Jahr 1994 Im Gesetz zur Bahnreform die Kapitalprivatisierung »geplant« oder sonst irgendwie festgelegt worden wäre, wie Du sagst, ist falsch. Weder die Vertreter der CDU noch der SPD nahmen damals diese Position ein. Lediglich in den Reihen der FDP wurde das damals so diskutiert. Die PDS sprach sich bereits 1994 gegen eine Grundgesetzänderung aus, weil sie darin eine Weichenstellung in Richtung einer späteren Privatisierung sah.
Offen thematisiert und auch als Ziel festgelegt wurde die Privatisierung mit der Ernennung von Herrn Mehdorn zum Chef der DBAG durch die SPD/Grünen-Regierung, allen voran Bundeskanzler Schröder. Wenn ich mich nicht ganz täusche, hat »Bürgerbahn statt Börsenbahn« zum Jahreswechsel 2000/2001 zum ersten Mal das Thema Privatisierung der Bahn und Trennung von Betrieb und Netz aufgegriffen und eine dezidierte Position in der Gründungserklärung gegen beide Pläne vorgetragen. Der Name ist Programm.

Bei der IG Metall hat der Branchenaus-schuss wesentlich mit dazu beigetragen, dass diese absolut eindeutige Beschlussfassung gegen jede Form der Kapitalprivatisierung der Bahn zustande kam. Allerdings war die aktuelle Debatte bei ver.di und innerhalb der IG Metall, wie bereits erwähnt, sehr hilfreich. Ob wir das sonst erreicht hätten, wage ich zu bezweifeln. Ich musste bei der innergewerkschaftlichen Diskussion lernen, dass die Gewerkschaften sehr zurückhaltend sind, wenn sie die Gefahr sehen, in das Revier einer anderen Gewerkschaft einzudringen, selbst wenn es sich um wichtige gesellschaftspolitische Themen handelt. Insofern ist es mir lieber, wenn es jetzt eine Positionsbestimmung gibt, als wenn es sie gar nicht gäbe.

Die Eisenbahnergewerkschaft Transnet unterstützt den Börsengang der DB. Wie seht Ihr deren Beweggründe?

Ob man wirklich davon reden kann, dass die Transnet hier eine übereinstimmende Position hat, wage ich zu bezweifeln. Immerhin haben sich die Ortsverbände in Offenburg, Darmstadt und Göttingen eindeutig gegen eine Kapitaiprivatisiemng und natürlich auch gegen eine Trennung von Betrieb und Netz ausgesprochen. Wie es mit dem Thema innerhalb der Transnet weitergehen wird, bringt wohl ein außerordentlicher Kongress ans Licht, der im Juli stattfinden soll. Der Vorsitzende Norbert Hansen marschiert in engster Umarmung mit Mehdorn. Einen Tarifvertrag zur Arbeitsplatzsicherung an die Bahnprivatisierung zu knüpfen mag verstehen, wer will, hat doch bislang jede Privatisierung den Arbeitsplatzabbau rapide beschleunigt. Es kann natürlich auch sein, dass sich Hansen eine Vergrößerung seines Territoriums verspricht, wenn Mehdorn Unternehmen der Logistikbranche zukauft. Allerdings kommt er dann ver.di ins Gehege.

Insgesamt präsentieren sich die Positionen Hansens vollkommen widersprüchlich: Einerseits signalisiert er volle Übereinstimmung mit Mehdorn. Andererseits geht er hausieren mit »Plan B«, wobei B für Bund steht. Dieser Plan soll gehen, wenn die vollständige Privatisierung incl. Netz nicht zustande kommt. Zentrales politisches Ziel der Transnet ist es, die Trennung von Betrieb und Netz zu verhindern. Und dann gibt es auch die gemeinsame Erklärung mit Bsirske gegen die Bahnprivatisierung. Solche 360 Grad-Schwenks kann sich eigentlich nur der Chef eines kleinen Königreichs erlauben.

In den Debatten mit Vertretern der Transnet, welche die Hansen-Linie repräsentieren, hört man immer weniger das ursprüngliche Argument, die Bahn müsse privatisiert werden, um an Geld zu kommen. Offensichtlich ist es zu eindeutig, dass die Finanzströme nicht zur Bahn, sondern zu den vermeintlichen »Investoren« fließen werden. Als einzig nachvollziehbarer Beweggrund bleibt, dass die Entscheidungen zur Privatisierung sowieso gefallen waren und es jetzt darum gehe, das Schlimmste zu verhindern. Ich denke, dazu habe ich schon etwas gesagt.

Ist an dem Vorwurf, ver.di handele aus egoistischen Gründen — nämlich einen neuen Organi-sationsbereich zu gewinnen — etwas dran? Handelt es sich also um Gewerkschaftskannibalismus?

In Bezug auf ver.di glaube ich das nicht, aber ich kann nicht an deren Türen lauschen. Meiner Kenntnis nach hat die Diskussion auf dem letzten Gewerkschaftstag des DGB und die ungeklärte Position von Hansen, wie sich die Transnet in den DGB einbindet, wesentlich zur Positionierung von ver.di beigetragen. Aber auch der Schutz des eigenen Bereichs gegen mögliche Übergriffe durch Transnet könnte zur Positionsfindung beigetragen haben. Wesentlich dabei ist aber die gesellschaftspolitische Frage: »Wie halte ich es mit der Privatisierung öffentlichen Eigentums?« - und dass Hansen Kooperationen mit Gewerkschaften außerhalb des DGB anstrebt - von der Beamtengewerkschaft GDBA, über Montgomery's Arztege-werkschaft MB bis zum christlichen Gewerkschaftsbund CGB. Insofern ist das nicht nur ein Thema von ver.di, sondern aller D-GB-Gewerkschaften.

Ihr arbeitet seit letztem Jahr mit attac u. a. gegen die DB-Privatisierung. Sucht die IGM mit sozialen Bewegungen neue Wege zur Interessenvertretung? Oder sind das Lippenbekenntnisse gegenüber mittelbar betroffenen Belegschaften?

Ich bin mir sicher, dass der IGM-Vorstand die •Position gegen die Bahnprivatisierung vom Branchenausschuss übernommen hat. Im Gegensatz zu ver.di hat sich die IGM nicht dem Bündnis »Bahn-fur-Alle« angeschlossen. Für uns im Branchenausschuss sind aber durch die Beschlusslage alle Türen geöffnet, um innerhalb von »Bahn für Alle« aktiv zu sein.

Wie groß sind die Chancen, den Börsengang der DB noch zu verhindern?

Nach den Beschlüssen von ver.di, IGM und des DGB haben wir eine vollständig neue Situation. Jetzt müssen Wege gefunden werden, die neu gewonnene Stärke zu nutzen. Der Entwurf-des Privatisierungsgesetzes selbst ist äußerst widersprüchlich. Offen ist, ob der geplante Grundstücksdeal überhaupt zustande kommen kann, weil die Liegenschaften der Bahn in deren Gründungszeiten häufig kostenlos, allerdings mit eindeutiger Nutzungsbestimmung übergeben wurden. Sie können also von der Bahn nicht bzw. nicht in nennenswertem Umfang verkauft werden. Das hangt natürlich auch davon ab, ob die Kommunen ihre Besitzansprüche geltend machen. Das ganze Projekt steht wegen erheblicher Rechtsunsicherheit auf wackeligen Füßen.

Mit den Folgen der Privatisierung kann man sich am Beispiel der englischen Bahn schon seit Jahren auseinandersetzen, Ken Loach zeigt sie in seinem Spielfilm »The Navigators«. Bei der Konferenz zur Zukunft der Bahn am 17.118. März war auch ein Eisenbahn-Gewerkschafter der CGT aus Frankreich dabei. Gibt es hier eine internationale Zusammenarbeit der Gewerkschaften?

Was sich bei den Gewerkschaften der Eisenbahner abspielt, weiß ich nicht. In der Bahnindustrie gibt es diese internationale Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften noch nicht. Wir haben uns allerdings im Branchenausschuss die Aufgabe gestellt, diese Zusammenarbeit in nächster /^eit anzugencii. wie alles hängt aber auch das von den mobilisierbaren Kräften ab. Im Europäischen Betriebsrat von Bombardier haben wir diese Zusammenarbeit. Als in 2004 in verschiedenen europäischen Ländern sechs Werke zur Schließung anstanden, stellten wir engen Kontakt zur Fraktion im Europäischen Parlament »Vereinigte Linke - Nordische Grüne« her. Die Fraktion hat dann eine Anhörung im-Rahmen einer Fragestunde zur Problematik der Bahnindustrie und den Werksschließungen organisiert. Es ist uns aber nicht gelungen, gemeinsame Aktionen zu organisieren. Die Bedingungen in den einzelnen Ländern sind sehr unterschiedlich, und leider besteht zwischen den Belegschaften auch eine nicht zu unterschätzende Konkurrenz. Da ist noch-viel zu tun.

In Berlin hatte am 17. März der deutsche Film »Bahn unterm Hammer« Premiere. Was erhoffst Du Dir von diesem Film? Zeigt Ihr den Film auf einer Betriebsversammlung?

Wir werden den Film im Rahmen der Betriebsräteversammlung zeigen. Ob er auch für Betriebsversammlungen geeignet ist? Da kommt es bestimmt auf die jeweiligen betrieblichen Gegebenheiten an. Der Film ist spannend, auch in der langen Version von 90 Minuten, und er beantwortet viele Fragen. Ich denke, auch Menschen, die sich mit dem Thema nicht so stark befasst haben, verstehen hinterher die Problematik - echte Aufklärung! In Mannheim wird er am 4. Mai auf einer Veranstaltung gezeigt, die das Zukunftsforum Gewerkschaften, die IG Metall, ver.di und attac gemeinsam organisieren.*


Freitag, 4. Mai, 19 Uhr im Gewerkschaftshaus Mannheim, großer Saal, Hans Böckler Str. l


Johannes Hauber lebt in Mannheim und ist Betriebsratsvorsitzender der Bombardier Transportation GMBH Werk Mannheim und Vorsitzender des Europäischen Betriebsrates von lombardier Inc.

Weitere Informationen zum Bündnis »Bahn für alle".: www, deinebahn.de

Auf der Homepage finden sich, neben Aufklärungsmaterialien, einer Umfrage zum Thema. Privatisierung der Bahn, Informationen über die aktuellen Gesetzesvorhaben, Aktionen und Veranstaltungen, auch Hinweise über den Film »Bahn unterm Hammer«. Der NDR hatte die Finanzierungszusage zu dem Film der Regisseurin Leslie Franke, die bereits »Wasser unterm Hammer« für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gedreht hatte, zurückgezogen. Damit die privatisierungskritische Intention des Films dennoch den Weg in die Öffentlichkeit und der Film eine Finanzierung findet, bitten die Produzentinnen um Mithilfe, sei es durch Veranstaltungen, sei es durch Beteiligung an den Erstellungskosten. Wer 20 Euro gibt, erhält eine DVD, 100 Euro reichen für den Ehrentitel »HeizerIn der Bürgerbahn-«, ab l 000 Euro wird man Lokführerin. Mehr dazu unter: www.bahn-unterm-hammer.de