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HLZ Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung
Forschung 7-8/2007, Seite 14
Schattenkabinett aus Gütersloh
Die Bertelsmann-Stiftung will das „Gemeinwohl" definieren
Der größte und einflussreichste Politikberatcr im Land, die
Berteismann-Stiftung, ist als „gemeinnützig" anerkannt. Das ist,
folgt man den Ausführungen des eben im BdWi-Verlag Marburg
erschienenen Buches „Netzwerk der Macht - Bertelsmann", alles andere
als ein unbedeutendes Detail.
Denn während es beispielsweise in den USA untersagt ist, dass
steuerbegünstigte Stiftungen mehr als 20 Prozent der Anteile eines
Unternehmens halten, hält die Bertelsmann-Stiftung ganze 76
Prozent der Anteile der milliardenschweren Bertelsmann AG, einem der
bedeutendsten Medien- und Dienstleistungsriesen der Welt. Hierdurch
spart sie nicht nur - ganz im Sinne ihres Stifters Reinhard Mohn -
einen Großteil der für den Bertelsmann-Jahresumsatz von rund
18 Milliarden Euro eigentlich fälligen Steuern ein. Hinter der
Fassade des sich ergebnisoffcnen gebenden Gutmenschentums ist ihr
Wirken und Handeln deutlich nachvollziehbar von den Interessen des
Konzerns geleitet und bestimmt. Sie ist also „politisch" - und das darf
Politikberatung per se niemals sein. Das uneingeschränkte
Stimmrecht in Sachen des Konzerns liegt dabei nicht etwa bei der
Stiftung, sondern einzig bei den Mitgliedern der Familie Mohn, die auch
in dieser selbst wiederum tonangebend sind.
Weil der Bertelsmann-Stiftung jährlich etwa 60 Millionen Euro zur
Verfügung stehen, unterscheidet sie sich maßgeblich von
anderen „Beratern" Im Geschäft: Sie finanziert sich nicht mittels
Beraterhonorar, sondern hat eigenes Geld. Mit diesem arbeitet sie
operativ und finanziert nicht etwa Drittprojekte, in denen sie nicht
den Ton angeben könnte, sondern ausschließlich die eigene
Organisations-, Forschungs- und Beratungsstruktur. Das sichert
Schlagkraft und Autonomie. Neben diesen Eigenschaften verfugt sie
überdies über einen sehr hohen Grad an wissenschaftlichem
Potenzial sowie vielfältigen Kontakten hin zu Medien, Wirtschaft,
Wissenschaft und Politik.
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Bertelsmann
Aktiengesellschaft und Stiftung
Die Bertelsmann-Stiftung wurde 1977
von Finnenpatriarch Reinhard Mohn gegründet. Mit der Errichtung
einer gemeinnützigen Stiftung wollte er dauerhaft verhindern,
„dass Erbschaftssteuern und Erbstreitigkeiten zum Verkauf von Teilen
des Konzerns führen." Laut Handelsblatt ist sie die
einflussreichste Stiftung in Deutschland. Sie hält
gegenwärtig 76 °/o der Anteile der Berteismann
AG. Zu ihr gehören
• der private
Fernsehsender RTL,
• der Verlag Random House,
• das Zeitschriften- und
Druckimperium Grüner + Jahr,
• das Musik- und
Unterhaltungsunternehmen BMG,
• das Technik- und
DiensÜeistungsunternehmen Arvato und
• der Buchclub
DirectGroup.
Für dieses Konglomerat arbeiten
schätzungsweise 90.000 Mitarbeiter. Der Jahresumsatz beträgt
etwa 18 Milliarden Euro. Aus dem Gewinn von mehr als einer Milliarde
Euro speist sich eine jährliche steuerfreie Dividendenzahlung der
Aktiengesellschaft an die „gemeinnützige" Stiftung in Höhe
von rund 60 Millionen Euro. Mit diesem Geld finanziert die Stiftung
etwa 300 Mitarbeiter und zahlreiche Projekte.
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Dank dieser Alleinstellungsmerkmale des geballten
Macht-Finanz-Konglomerats gehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der Stiftung inzwischen in allen Landesregierungen ein und aus. Sie
kooperieren mit Kultusministerien, Kanzleramt und Bundespräsident
ebenso wie mit Kommunalverwaltungen. Längst sind die Expertinnen
und Experten der Stiftung politisch allgegenwärtig und kaum mehr
wegzudenken, sei es bei neuen Hochschulgesetzen, der EU-Verfassung,
Hartz-Gcsetzgcbung oder Außenpolitik, bei geplanten
Schulreformen, der Privatisierung von Gesundheitssystem und
Kommunalverwaltungen oder auch der Etablierung einer europäischen
Armee. Mehr und mehr gelingt es der Stiftung und dem für sie
richtungsweisenden Stifter Reinhard Mohn, selbst zu definieren, was
„Gemeinwohl" eigentlich meint. Zudem nimmt sie immer mehr die Rolle der
politischen Intelligenz ein, die dem Staat aufgrund fehlender
Steuereinnahmen zunehmend abhanden kommt. So macht sie sich
unverzichtbar und dringt bereits weit in die Kernbereiche staatlicher
Souveränität vor. Die Stiftung wird so mehr und mehr selbst
zum „Staatsapparat" - ohne dabei jedoch demokratisch verfasst oder
kontrolliert zu sein.
Inzwischen hat die Stiftung ein riesiges Politiknetzwcrk aufgebaut, mit
dem sie Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt, lange bevor diese
im Parlament verabschiedet werden. Mittels dieses Netzwerkes wird im
vorparlamentarischen Raum eine Art „Elitenkonsens" hergestellt, der
kritische Stimmen bereits im Voraus eliminiert. So wird sichergestellt,
dass es große öffentliche Debatten über viele
Reformvorhaben gar nicht erst gibt. So demokratisch und gutmenschlich
die Stiftung dabei auch immer tut, stets arbeitet sie „top-down": Kein
Stiftungsprojekt findet statt, das nicht von vornherein der
Prämisse „wirtschaftsfreundliches Ergebnis" unterliegt. Stets ist
die Stiftung darum bemüht, die geförderten Projekte und
Vorstellungen für Zwecke zu instrumentalisieren, die „ihrem"
Konzern dienlich sind.
In den Kommunen hat sich die Stiftung längst zwischen Verwaltung
und Bürger gedrängt: Auf kommunalen Kongressen lockt sie
Stadtdirektoren, Kämmerer und Oberbürgermeister mit einer
ganzen Palette von Reformvorschlägen an. Sie legitimiert ihr
Wirken dabei fast ausschließlich über ihren Status als
vermeintlich gemeinnütziger Akteur. Als dieser rät sie den
öffentlichen Kommunen dann zur Teilprivatisierung ihrer Aufgaben.
Die Arvato steht als hoch-profitable Dienstleistungstochter der
Berteismann AG als möglicher Anbieter bereit - ein sehr, sehr
lukratives Geschäft. Bleibt zu hoffen, dass Gesellschaft und
Politik die Stiftung bald als das begreifen, was sie einzig ist: nicht
„Lösungsgeber", sondern Teil des Problems.
Jens Wernicke
Der Autor ist Studienstipendiat der Rosa-Luxemburg-Süftung und
zusammen mit Torsten Bultmann Herausgeber des kürzlich im
BdWi-Verlag Marburg erschienenen Buches „Netzwerk der Macht -
Bertelsmann. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh" (434
Seiten, 15 Büro).