"BBU- WASSER- RUNDBRIEF "
Nr. 601 vom 10. März 2001
( 20. Jahrgang )
Die in den RUNDBR. 599 und 600 begonnene Auseinandersetzung mit dem "Gutachten" des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) zur "Liberalisierung" des deutschen "Wassermarktes" wird hier fortgesetzt. Der Schwerpunkt in diesem RUNDBR. liegt auf der für eine "Totalliberalisierung" notwendigen Abschaffung des Anschluß- und Benutzungszwangs in der Wasserversorgung. Die dabei unterbreiteten Vorschläge sind einigermaßen widersprüchlich, so daß es schwer fällt, das Durcheinander zu sortieren. Symptomatisch für den Agitprop-Charakter des "Gutachtens" ist zudem, daß immer dann, wenn von "Haushaltskunden" und "Verbrauchern" gesprochen wird, tatsächlich einzig und allein das Wohl der Wassergroßverbraucher gemeint ist!
Geht es überhaupt um Effizienzerhöhung?
Durch den "Wettbewerb im Markt" und durch den "Wettbewerb um den Markt" erhoffen sich die BMWi-"Gutachter" neben einer "Disziplinierung" der kommunalen Wasserversorgungsunternehmen (s. RUNDBRIEF 599/2) vor allem eine Effizienzerhöhung in der Wasserversorgung. Die "Gutachter" gehen - nicht ganz zu unrecht - davon aus, daß die größten Defizite bei den kleinen Wasserversorgungen im ländlichen Raum vorhanden sind. Aber genau dort werden die von den "Gutachtern" vorgeschlagenen Wettbewerbsvarianten am wenigsten greifen. Man muß deshalb fragen, warum mit einem gigantischen Aufwand an "Flankierung", "Überwachung", "Kontrolle" und "Regulierung" höchst risikoreiche Wettbewerbsformen eingeführt werden sollen - Wettbewerbsformen, von denen die "Gutachter" selbst zugeben, daß nicht absehbar ist, zu welchen Ergebnissen sie führen werden. Zudem kann die von den "Gutachtern" empfohlene "Totalliberalisierung" des "Wassermarktes" nicht im Konsens erreicht werden, da zahlreiche gesellschaftliche Gruppierungen (Gewerkschaften, kirchliche Kreise, die Wasserwerker selbst, viele Parlamentarier und die Umweltverbände) die risikoreiche "Liberalisierung" in der Wasserwirtschaft nicht mittragen werden. Die "Gutachter" und das BMWi sind aber derart selbstverliebt in ihre "Liberalisierungsideen", daß sie andere Möglichkeiten der Effizienzerhöhung, die zudem ohne komplizierte Rechtsänderungen - und vor allem im Konsens - zu erreichen wären, erst gar nicht ernsthaft diskutieren. Der Verdacht drängt sich auf, daß es bei der ganzen "Liberalisierungskiste" überhaupt nicht um Effizienzerhöhung geht. Mit der "Liberalisierung" soll ein politisch-psychologisches Signal gesetzt werden, um endlich auch die bislang kommunal organisierte Wasserwirtschaft den privaten Kapitalverwertungsinteressen zu öffnen. -ng-
Föderale und andere Hindernisse für die "Totalliberalisierung"
Um die Liberalisierung im Strom- und Gasmarkt durchzusetzen, hat das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) das "Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen" (GWB) stromlinienförmig dem neoliberalen Zeitgeist anpassen lassen (s. RUNDBR. 535/1, 525/1-2, 389/1-2, 377/1). Wie ein einsamer Pfeiler in dem auf Wettbewerb getrimmten Gesetzeswerk steht einzig noch allein der § 103 GWB alter Fassung (a.F.) über den marktkonformen Niederungen. Der § 103 a.F. sichert bislang den Wasserversorgungsunternehmen die "geschlossenen Versorgungsgebiete". Diese "Gebietsmonopole" für die Wasserversorgung waren seinerzeit eingeführt worden, weil nur im Rahmen einer "Solidargemeinschaft" die hohen Kosten für den Leitungsbau "sozialverträglich" auf alle Anschlußnehmer in einem Versorgungsgebiet abwälzbar waren ("Systemstabilität"). Unter einem Wettbewerbsregime hätten die sündhaft teuren Infrastrukturkosten der Wasserversorgung nie und nimmer finanziert werden können. Daß heutzutage der § 103 a.F. immer noch solitär aus dem neoliberal geprägten Umfeld der Energieversorgung herausragt, ist für die marktradikalen Seilschaften und die Rechtsdogmatiker in und außerhalb des Bundeswirtschaftsministerium ein ständiger Anlaß für Verdruß. Der Auftrag an die "Gutachter" lautete demzufolge: "Schießt den § 103 GWB a.F. ab! Auch die geschützten Versorgungsgebiete für die Wasserversorgung müssen endlich zu Fall gebracht werden!" Die "Gutachter" sind zwar auch dieser Meinung, wagen aber den Einwand, daß das Schleifen von § 103 GWB a.F. noch keineswegs die erhoffte "Totalliberalisierung" in der Wasserversorgung nach sich ziehen wird.
"Liberalisierung" soll schrittweise eingeführt werden
Die BMWi-"Gutachter" gestehen ein, daß man sich mit einer "Totalliberalisierung" auf unbekanntes Terrain begeben würde. "Wettbewerbsprozesse lassen sich weder planen, noch sind sie zuverlässig vorhersehbar", räumen die "Gutachter" ein. Insbesondere im Hinblick auf die gemeinsame Netzbenutzung (Durchleitung) konzedieren die "Gutachter", daß die hierfür erforderlichen Regelungen "insgesamt komplex" wären. "Bislang liegen keine Erfahrungen vor, wie sie sachgerecht erarbeitet werden können und sich wirtschaftlich und zeitlich in der Praxis umsetzen lassen" (s. RUNDBR. 599/-4). Die "Gutachter" verweisen zwar auf angebliche Erfahrungen in England und Frankreich. Gleich danach machen die "Gutachter" aber wieder einen Rückzieher, wenn sie eingestehen, daß es "Anwendungsfälle" für eine "Totalliberalisierung" (insbesondere Wasserdurchleitung durch fremde Netze) auch in England und Wales "bislang jedoch noch nicht" gibt. Daß sie mit einer Totalliberalisierung unkalkulierbare Umwelt- und vor allem Hygienerisiken heraufbeschwören, scheint auch den Hardcore-"Liberalisierungsgutachtern" bewußt zu sein. Sie raten deshalb, die Sache zunächst einmal langsam angehen zu lassen:
Von der "Rosinenpickerei" zu den Hygienerisiken
Damit der Wettbewerb so richtig voll in die Gänge kommt, sollen aggressive Mitkonkurrenten und agile "Wasserhändler" im entfesselten "Wassermarkt" den traditionellen Wasserversorgungsunternehmen (WVU) die Großkunden abspenstig machen (s. RUNDBR. 599/2-3). Sollte diese BMWi-Strategie Erfolg haben, wird die "Rosinenpickerei" angesichts des ohnehin kontinuierlich zurückgehenden Wasserverbrauchs zu signifikanten Wasserverbrauchseinbrüchen bei den angestammten WVU führen. Der Mindestdurchfluß im nun zu groß dimensionierten Netz nimmt ab und Stagnationserscheinungen nehmen demzufolge zu - und damit auch die Gefahr eines nicht mehr tolerierbaren Bakterienwachstums. Die "Gutachter" schreiben selbst:
Hü und Hott beim Anschluß- und Benutzungszwang
Symptomatisch für die Brüche in dem Gutachten ist die dann gleich folgende Feststellung, daß für kommunale Unternehmen die vorgeschlagene Ministererlaubnis für wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen "nicht erforderlich" sei. Die kommunalen Wasserversorgungsunternehmen könnten sich nämlich "bei Gefahr für die Stabilität der Versorgungssysteme durch Anschluss- und Benutzungszwänge vor dem Markteintritt durch Wettbewerber schützen". Als eine der Grundvoraussetzungen für die "Totalliberalisierung" war zuvor von den Gutachtern aber gerade die generelle Abschaffung des Anschluß- und Benutzungszwanges gefordert worden. Nach Ansicht der Gutachter könne der "Wegfall des Anschluss- und Benutzungszwangs" durch vier Maßnahmen erreicht werden:
Daß es den "Gutachtern" bei der Abschaffung des Anschluß- und Benutzungszwanges nur um die Belange der Großkunden geht, wird an anderer Stelle des Gutachtens deutlich: Damit sich der "Wettbewerb im Markt" entfalten kann, muß nach Ansicht der "Gutachter" der Anschluß- und Benutzungszwang nämlich nur für Großkunden aufgehoben werden. Wassergroßverbraucher sollen sich künftig nach Belieben aus eigenen Quellen oder per Stich- und Durchleitungen von fremden Wasserlieferanten versorgen lassen können. "Demgegenüber" erachten die "Gutachter" die Umstellung von Haushalten auf Eigenversorgung als "problematisch". Dies wird folgendermaßen begründet:
Viel zu viel Blei im französischen Trinkwasser
In jedem zweiten französische Haushalt soll Trinkwasser aus dem Hahn fließen, das den künftigen EG-Grenzwert für Blei von 10 Mikrogramm pro Liter überschreitet! Wie die ZfK 2/01 berichtet, sind dafür Hausinstallationen verantwortlich, die bis in die dreißiger Jahre hinein in Blei ausgeführt worden waren. Dagegen hätten die französischen Wasserwerke die Bleirohre im öffentlichen Netz mittlerweile fast vollständig ausgetauscht. Um den künftigen Blei-Grenzwert in der EG-Trinkwasser-Richtlinie einhalten zu können, sollen jetzt in Frankreich "Bestimmungen" in Vorbereitung sein, die die Hausbesitzer zum Austausch der Bleirohre veranlassen sollen. Als Anreiz sind Steuererleichterungen für die Hausbesitzer geplant. Die Kosten für den Rohrwechsel werden für die Hausbesitzer "auf einen Betrag in fast dreistelliger Milliardenhöhe geschätzt" (!). (Zum Vergleich: Für einige Regionen in Ost- und Norddeutschland wird geschätzt, daß dort noch bis zu 10 Prozent Bleirohre in der Hausinstallation verbaut sind.) Siehe auch Kasten auf S. 4!
"Rosinenpickerei" zum Nachteil der Haushaltskunden
Daß das Abwerben von Großkunden "die Verbraucher vor hohen Preisen schützen" wird, ist gerade nicht anzunehmen! Aufgrund der hohen Fixkosten wird das Wasserwerk gezwungen sein, bei deutlich abnehmenden Wasserbezugsmengen die Kubikmeterpreise entsprechend anzuheben. Der niedrigere Bezugspreis für die Großkunden muß von den "Normalverbrauchern" über höhere Wassergebühren kompensiert werden. Mithin auch hier die im Neoliberalismus übliche Umverteilung von unten nach oben! Mit einigem Wortgeklingel versuchen sich die "Gutachter" des BMWi gegen diesen Vorwurf zu wehren:
Großer Nachholbedarf bei der Abwasserreinigung in Frankreich
Nur 38 Prozent der Kläranlagen in Frankreich entsprechen den Vorgaben der EG-Kommunalabwasserrichtlinie (s. RUNDBR. 589/1-2). Wie die ZfK unter Berufung auf das französische Umweltministerium in der Ausgabe 3/01 meldet, werden die Kosten für die Nachrüstung der französischen Kläranlagen in den nächsten 20 Jahren auf 500 Mrd. fFr (umgerechnet etwa 150 Mrd. DM) geschätzt. Angesichts der eklatanten Defizite bei der Sanierung der desolaten Abwassersituation tröstet sich das Umweltministerium in Paris mit dem Hinweis darauf, daß die Situation "in 13 der 15 EU-Mitgliedsländer nicht viel besser" sei. Zusammen mit der im RUNDBR. 599/4 erwähnten extrem kleinparzellierten Wasserversorgungsstruktur in Frankreich ist es schon recht erstaunlich, wenn uns die neoliberalen Wasserstrategen angesichts der Defizite bei der Abwasserreinigung die französische Wasserwirtschaft als leuchtendes Vorbild entgegenhalten.
Fortschritt durch Wettbewerb! Dampft die Wasserwerke ein!
Daß das Herausbrechen von Großkunden mit Hilfe von Dumpingpreisen auch bislang gut geführte Wasserversorgungsunternehmen ökonomisch in den Ruin treiben kann, ist den "Gutachtern" klar. Kühl konstatieren sie:
Weitere Anmerkungen zum "Liberalisierungs-Gutachten" des BMWi können im RUNDBR. 602 nachgelesen werden. All diejenigen, die das "Gutachten" im Original studieren wollen, finden das "Gutachten" zum Herunterladen auf der Homepage des Bundeswirtschaftsministeriums. Auf der Titelseite
www.bmwi.de
ist ein "Knopf", der einem zum "Gutachten" führt.
Auch EU-Parlamentarier denken über Wasser-"Liberalisierung" nach
"Die EU hat keinerlei Absichten, die kommunalen Wasser- und Abwasserbetriebe einer Liberalisierung auszusetzen!" So der Tenor zahlreicher Reden von Mitarbeitern der Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission in den letzten Monaten (s. RUNDBR. 589/3). Unterschwellig wird in Brüssel aber weiterhin über die "Liberalisierung" des europäischen "Wassermarktes" nachgedacht - vielleicht nicht unbedingt in der Generaldirektion Umwelt, dafür offenbar umsomehr in der Wettbewerbs- und Binnenmarktskommission und in Teilen des EU-Parlaments. Der Eindruck drängt sich jedenfalls auf, wenn man den Fragenkatalog liest, der einer Anhörung des EU-Parlaments am 6.3.2001 zur "Daseinsvorsorge in Europa" (s. 583/1-3) zugrunde lag. Unter der Berichterstattung des Abgeordneten WERNER LANGEN wurde in dem Fragebogen den Sachverständigen als Nr. 2 folgender Text zur Stellungnahme vorgelegt: