WAZ
Washington/Essen. Die umstrittenen Cross-Border-Leasing-Geschäfte deutscher Kommunen mit amerikanischen Investoren könnten schon bald der Vergangenheit angehören.
Der US-Kongress hat ein Gesetz in Vorbereitung, das Cross-Border-Leasing grundsätzlich verbieten soll - und sogar bestehende Verträge in Frage stellen könnte. "Diese Leasing-Modelle sind eine Trickserei zu Lasten der amerikanischen Steuerzahler", sagte der republikanische Senator Chuck Grassley, der sich an die Spitze einer Bewegung gesetzt hat, die der milliardenschweren Leasing-Industrie die Steuervorteile entziehen will.
Nach Informationen der WAZ sind Grassley die nötigen Kongress-Mehrheiten so gut wie sicher. Im Finanzausschuss stimmten in der letzten Woche 19 von 21 Senatoren für Grassleys Vorschlag.
Der Sprecher des NRW-Innenministeriums, Harmeier, sieht Probleme auf jene deutschen Städte zukommen, die zu sorglos waren. "Wenn die Steuervorteile in den USA abgeschafft werden, müssen die Städte nun unbedingt ihre Verträge überprüfen." Nur wenn die Abschaffung der Steuervorteile zu Lasten der US-Vertragspartner gehe, seien die deutschen Städte "aus dem Schneider".
Harmeier: "Sonst wird es ein Bumerang."
Hunderte deutsche Städte, auch viele Revierkommunen, haben mit Cross-Border-Geschäften versucht, Löcher im Haushalt zu stopfen.
Nach Einschätzung des NRW-Innenministeriums ist Cross-Border-Leasing durch den Protest von Bürgern zum Erliegen gekommen. Auch in Rathäusern habe es angesichts der vielen Risiken ein Umdenken gegeben.
Kommentar: Ausgetrickst Ruhrgebiet
WAZ 04.12.2003
"Ein Missbrauch, der beendet werden muss"
WAZ Washington. Der republikanische Senator Chuck Grassley steht nicht nur an der Spitze der Anti-Cross-Border-Leasing-Bewegung. Als Vorsitzender des Finanzausschusses sitzt Grassley auch an einflussreicher Stelle, um sein Ziel in die Tat umzusetzen.
In Anbetracht akuter Finanznot entdeckten in den letzten Jahren viele deutsche Kommunen das Cross-Border-Leasing als scheinbares Wundermittel.
Das komplizierte Verfahren funktioniert, verkürzt gesagt, so: Eine deutsche Gemeinde überlässt einem amerikanischen Investor über einen langfristigen Leasingvertrag (meist 25 bis 99 Jahre) das örtliche Kraftwerk, das Straßenbahnnetz oder das Kanalisationssystem. Mit einem weiteren Leasingvertrag in die Gegenrichtung sichert sich die Gemeinde die Nutzungsrechte, übernimmt die Instandhaltung und hat nach Ablauf des Vertrages ein Rückkaufrecht. Der amerikanische Investor zahlt alle Leasingraten im voraus, die deutsche Kommune zahlt für die Nutzung laufende Raten. Den geldwerten Vorteil für beide Seiten besorgt eine Finesse des amerikanischen Steuerrechts: Der US-Partner kann die Investitionen in öffentliche Infrastruktureinrichtungen von der Steuer abschreiben. Unterm Strich bleibt dabei ein geldwerter Vorteil von 15 Prozent des Investitionsvolumens übrig.
Um deutsche Kommunen für die trickreichen Verträge zu gewinnen, überlässt der US-Investor den Deutschen einen Teil des Gewinns, wodurch vielen Kommunen in den letzten Jahren Millionenbeträge in die leeren Kassen geflossen sind. Doch damit soll nun Schluss sein.
Ein Gesetzespaket gegen Steuerschlupflöcher unter dem Namen "Jobs Pact" sieht vor, die raffinierten Leasingmodelle zu verbieten. "Senator Grassley hat die meisten seiner Kollegen überzeugt, dass hier ein Missbrauch stattfindet, der beendet werden muss", sagt Jill Gerber, Sprecherin des Finanzausschusses.
Im US-Steuerrecht seien die Abschreibungsmöglichkeiten als indirekte Subvention für die amerikanische Infrastruktur gedacht gewesen. An grenzüberschreitende Leasingverträge sei dabei nie gedacht gewesen, auch wenn die amerikanischen Behörden in der Vergangenheit entsprechende Verträge toleriert haben.
"Diejenigen, die solche Modelle vermarkten, sprechen von Public Private Partnership, aber in Wirklichkeit handelt es sich hier um nichts anderes als gute, alte Steuerhinterziehung", sagt Grassley. In seiner aggressiven Kampagne gegen die Leasing-Modelle hat er wichtige Mitstreiter auch bei den Demokraten gefunden.
Doch es gibt auch Widerstand gegen ein Verbot der Steuersparmodelle. Vor allem Dennis Hastert, als Sprecher des Repräsentantenhauses und republikanischer Fraktionschef einer der mächtigsten Männer auf dem Capitol
Hill, will das Verbot verhindern. Haster hat dabei die Interessen seiner Heimatstadt Chicago im Sinn, die sich dieselben Tricks zunutze gemacht hat wie viele deutsche Kommunen.
Unklar ist, welche Auswirkungen das Verbot auf die bestehenden Verträge deutscher Kommunen haben könnte. Im Kapitol heißt es, dass geschlossene Verträge grundsätzlich ihre Gültigkeit behalten würden. Grassley will aber durchsetzen, dass das Verbot rückwirkend ab dem 18. November gilt, dem Tag, an dem er den Gesetzentwurf eingebracht hat. Außerdem argumentiert er, dass es sich schon in der Vergangenheit um einen systematischen Steuerbetrug gehandelt habe, weil die Geschäfte zu keinem anderen Zweck abgeschlossen worden seien als zur Steuervermeidung.
In einem Brief an den Verkehrsminister Norman Mineta hat Grassley sämtliche Unterlagen über genehmigte Leasing-Geschäfte ab dem Jahr 1995 angefordert, die er im Finanzausschus einer Revision unterziehen will. Ob bestehende Verträge angefochten werden können, ist nicht sicher. Vermutlich komme es auf die Details einzelner Verträge an, berichten die Lobbyisten der Leasinggesellschaften in Washington.
Die Abstimmungen im Senat und Repräsentantenhaus sollen Anfang kommenden
Jahres stattfinden.
04.12.2003 Von Markus Günther WAZ
Revierstädte befürchten keine finanziellen Nachteile
WAZ Ruhrgebiet. Cross-Border-Leasing ist auch im Ruhrgebiet ein Dauerbrenner. Hier ein Überblick über abgeschlossene Verträge, Bürgerproteste und Revier-Kommunen, die keine Geschäfte gemacht haben.
Recklinghausen: Einer der Vorreiter der Cross-Border-Diskussion war Recklinghausen. Die Absicht, das städtische Kanalnetz für fünf Mio Euro an US-Investoren zu verleasen, rief im Herbst 2002 Bürgerproteste auf den Plan.
Die Bürgerinitiative "Nix mit Abwassertricks" sammelte zwar die notwendigen 6000 Protestunterschriften für ein Bürgerbegehren, doch der Stadtrat lehnte das Begehren ab. Begründung: Es fehlte ein Vorschlag zur Gegenfinanzierung.
Wenig später flossen 4,6 Mio Euro in den Haushalt, der so 2003 ausgeglichen werden konnte.
Bochum: Als Ende März abgerechnet wurde, klimperten 20,2 Mio Euro im Einnahmetopf. Ein Dreivierteljahr hatte man verhandelt und gar ein Bürgerbegehren missachtet: Dann war der Vertrag über das Hin- und Zurückleasen des Abwasserkanal-Netzes mit der "First Fidelity International" aus North-Carolina perfekt.
Stadt-Sprecher Thomas Sprenger ist überzeugt, dass "rechtsgültig geschlossene Verträge nicht im Nachhinein von Gesetzesänderungen betroffen sein können" - die Rückzahlung des ausgegebenen Geldes stelle sich nicht.
Dortmund: In Dortmund spülten Cross-Border-Geschäfte fast 100 Mio Euro in die Kassen. Den ersten Deal machten die Stadtwerke im Dezember 1997, als sie den Stadtbahn-Fuhrpark abgaben und 13,4 Mio Euro kassierten. Auch die Westfalenhalle ging über den Tisch und brachte acht Mio Euro. Der profitabelste Coup gelang im Dezember 2002: Für alle immobilen Stadtbahnanlagen (Haltepunkte und Strecken) flossen jeweils gut 30 Mio Euro auf die Konten von Stadt und Stadtwerken.
Zwar hatte die Bezirksregierung Arnsberg attestiert, die Verträge seien "juristisch nicht zu beanstanden". Doch der SPD-Fraktion wurde mulmig zumute. Auf ihre Initiative hin wurde entschieden, keine neuen Deals mehr anzustreben.
Essen: Das Schienennetz der Evag und die Messegebäude gehören schon US-Investoren und brachten 90 Mio Euro. Für Kämmerer Horst Zierold ist der Cross-Border-Vertrag "einer der am intensivsten geprüften Verträge". Auch bei einer Gesetzesänderung sei die Stadt auf der juristisch sicheren Seite.
Dennoch liegen weitere Leasing-Geschäfte mit dem Trinkwassernetz und mit den Abwasserkanälen auf Eis.
Gelsenkirchen: Rund 21 Mio Euro hat die Stadt Gelsenkirchen bei zwei Cross-Border-Geschäften kasssiert. Mitte 2002 wurde das Kanalnetz vergoldet, ein halbes Jahr später gingen 31 Schulen und andere öffentliche Gebäude über den großen Teich und wieder zurück - anders als beim Kanal-Deal gegen die Stimmen der SPD, die diese Transaktion als zu risiskoreich eingeschätzt hatte. Gesetzesänderungen in den USA bereiten Kämmerer Rainer Kampmann keine schlaflosen Nächte: "Das Risiko trägt in einem solchen Fall der US-Investor. Das haben wir vertraglich so vereinbart."
Duisburg: Mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachtet Duisburg das mögliche Aus für Cross-Border. Denn während das Schienennetz und Teile der U-Bahnhöfe 49 Mio Dollar erbrachten, kam Cross-Border-Leasing bei Kanalnetz und Kläranlagen nie so recht voran. Als Ursachen nannte Kämmerer Peter Langner Schwierigkeiten des Finanzinstituts, das "nicht zu Potte" gekommen sei.
Herten: Als "Betrug am amerikanischen Steuerzahler" geißelte die Hertener SPD die Leasing-Geschäfte, die auch deswegen für die Stadt Herten nie ernsthaft ein Thema wurden, da auch die CDU frühzeitig Abstand nahm. Cross-Border spielte dennoch ein Thema: Die Abfallentsorgungsgesellschaft Ruhrgebiet brachte ihren in Herten stehenden Müllofen für 16 Mio Euro in ein solches Geschäft ein.
Castrop-Rauxel: "Nein, nein" sagt Bürgermeister Nils Kruse (CDU), "wir blicken nicht mit Schadenfreude auf diejenigen, die mit Cross-Border ihr Finanzelend zu lindern versucht haben." Als eine der ersten Kommunen habe man aber da den richtigen Riecher gehabt: Castrop-Rauxel verzichtete auf fünf Mio Euro. "Wenn sich viele auf eine solche Einnahmequelle stürzen, dann wird eines Tages der Gesetzgeber - wie jetzt in den USA - eingreifen", so Kruse.
In Herne, Dorsten, Velbert, Marl und Haltern war Cross-Border-Leasing
entweder kein Thema oder wurde vom Rat der Stadt abgelehnt.