Kritiker setzen sich durch: Öffentliche Unternehmen nach Amerika vermieten und diese gewinnbringend zurückmieten, wird bald nicht mehr funktionieren.
AUSLAUFMODELL: Lässt sich mit dem Betrieb einer Kläranlage künftig kein Geld mehr verdienen? Foto: dpa
Autor: SILKE LINNEWEBER
Reinhard Löffler steht unter Druck. Der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart droht ein Haushaltsdefizit von fast 500 Millionen Euro. Als wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion kämpft Löffler an vorderster Front um Sanierungskonzepte. Einer der strittigen Punkte: Cross-Border-Leasing (CBL). Bei dieser Art von Transaktion wird kommunales Eigentum an einen amerikanischen Finanzinvestor vermietet und unmittelbar zurückgemietet. Die Geschäfte vor Ort werden genauso abgewickelt wie vor dem Deal. Weil der amerikanische Investor aber bei diesem internationalen Mietgeschäft Steuern spart, können sich beide Vertragspartner den Gewinn teilen.
Die baden-württembergische Hauptstadt hat in der Vergangenheit solche Verträge für Klärwerke, Abwasserkanäle, Sonderbauwerke und Anlagen des Eigenbetriebs Stadtentwässerung Stuttgart (SES) unterschrieben. Jetzt prüft die Verwaltung, ob auch größere Schulzentren und die Schienennetzinfrastruktur infrage kommen. "Wir hoffen auf Einnahmen in Höhe von etwa 14 Millionen Euro", erklärt Löffler. Sie sollen vor allem in Schulen fließen.
Das Problem: Vielen Bürgern ist das Geschäft nicht geheuer. Sie fürchten, dass die Stadt die Kontrolle über wichtige Infrastruktur verliert und nicht vorhersehbare Risiken eingeht. Die Bürgerinitiative Stuttgarter Wasserforum hat bis Mitte November bereits 9000 Unterschriften gegen CBL in der Landeshauptstadt gesammelt. "Öffentliches Eigentum gehört der Bürgerschaft. Es wurde der Stadtverwaltung anvertraut, um es treuhänderisch zu verwalten", heißt es in einem Flugblatt. Und weiter: ". . . die Cross-Border-Leasing-Geschäfte der Stadtverwaltung . . . sind unserer Meinung ein Missbrauch der übertragenen Macht. Die Gemeinderäte und der Oberbürgermeister wurden hierfür von der Mehrheit der Bürger nicht gewählt." Löffler erhält fast täglich Briefe und E-Mails besorgter Stuttgarter. "Die Bürgerinitiative hat die Bevölkerung stark emotionalisiert", gibt er zu. "Es ist erstaunlich, was man mit dem Argument ,Wir verkaufen Haus und Hof' erreichen kann."
Inzwischen will auch die SPD-Fraktion im Gemeinderat gegen ein weiteres CBL stimmen. Bei den bereits abgeschlossenen Transaktionen hatte sie noch zugestimmt. "Es gibt jetzt eine gesellschaftliche Debatte, die uns zwingt, die eigene Position zu überprüfen", erklärt der SPD-Fraktionsvorsitzende Manfred Kanzleiter. "Man kann nicht gegen die Mehrheit der Bürger Politik betreiben." Erst recht nicht, wenn im kommenden Jahr Wahlen anstehen.
Stuttgart ist kein Einzelfall. Berlin, Recklinghausen, Bochum, Köln, Essen, Kulmbach, Fürth - die Liste der Städte, in denen Cross-Border-Leasing ins Gerede gekommen ist, ist lang. Meist laufen die Verträge über 99 Jahre und bieten den Kommunen frühestens nach einem Drittel der Laufzeit die Möglichkeit auszusteigen. Aber selbst in den USA nehmen die kritischen Stimmen zu. Der zuständige Finanzrat im Senat hat sich mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, das Steuerprivileg für CBL abzuschaffen, was dem Geschäft die Existenzgrundlage entziehen würde. Ob der gesamte Senat der Empfehlung des Ausschusses folgen wird, ist offen. Zudem sind bestehende Verträge von einer möglichen Änderung der Rechtslage nicht betroffen.
Fest steht aber: Den Befürwortern des Cross-Border-Leasing fällt es zunehmend schwerer, Gehör zu finden. In Frankfurt zum Beispiel beschloss das Stadtparlament, in Zukunft ganz auf CBL zu verzichten. Attac und andere Initiativen hatten in einem Bürgerbegehren gegen das Ver- und Rückmieten des städtischen U-Bahn-Netzes rund 48 000 Unterschriften gesammelt. "Wenn es in Frankfurt mit seiner Vier-Parteien-Koalition und der starken Bankenlobby möglich ist, das Geschäft zu stoppen, dann ist es überall möglich", freute sich Michael Friedrich von Attac Frankfurt.
Das globalisierungskritische Netzwerk, das sich über viele lokale Gruppen gegen CBL engagiert, will ein bundesweites Verbot erzielen. Begründung: Die Transaktionen würden unüberschaubare Risiken bergen. Außerdem seien sie unmoralisch, da Steuerschlupflöcher im Ausland ausgenutzt würden. Attac-Sprecher Malte Kreutzfeldt glaubt, dass vor allem der Versuch, die Geschäfte hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, die Bürger skeptisch macht. "So ein gravierender Mangel an Transparenz und Demokratie muss Misstrauen erwecken."
"Der Markt ist gegenwärtig rückläufig", glaubt Hans-Jürgen Fricke, Experte für Cross-Border-Leasing bei der Deutschen Bank, die als Arrangeurin Kommunen und Investoren zusammenbringt. Mit zirka fünf abgeschlossenen Transaktionen pro Jahr ist die Bank eine der großen Anbieterinnen. Hauptgrund für die negative Entwicklung sind laut Fricke weniger die politischen Unwägbarkeiten, sondern eher strategische Überlegungen der Investoren, die in den letzten Jahren vorzugsweise in Deutschland aktiv waren. Um ihre Investitionen international zu streuen, wollen sie sich künftig auf andere Länder konzentrieren. "Etwa auf Belgien, Portugal oder Italien", sagt Fricke.
Dagegen steht CBL bei immer mehr Politikern auf der Abschussliste. So hat beispielsweise Sachsen gerade eine detaillierte Verwaltungsvorschrift zu CBL erlassen. Bayern plant sogar ein Gesetz. "Besteht nur der Hauch eines Risikos für die Kommune, müssen CBL-Geschäfte verboten werden", sagte Bayerns Innenminister Günther Beckstein.
Zurück nach Stuttgart: Reinhard Löffler glaubt weiter an CBL. "Kein Vertrag ist ohne Risiko", räumt er ein. "Aber jedes Projekt wird genau geprüft." Löffler ist zuversichtlich, mit den Stimmen von Grünen, Freien und FDP eine ihm genehme Entscheidung zustande zu bringen. Doch "der öffentliche Druck wird sicher steigen ", ahnt er und fügt hinzu: "Wir brauchen einfach das Geld. Ich kann nicht mehr länger zusehen, wie es in die Turnhallen regnet."
Rheinischer Merkur Nr. 50, 11.12.2003
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