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TELEPOLIS vom 04.12.2007
Reformen am Arbeitsmarkt bringen keine Arbeitsplätze
Wirtschaftsministerium verschweigt eigene Studie
von Rudolf Stumberger
Die Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos hat es in sich:
Deregulierungen am Arbeitsmarkt zeigen im internationalen Vergleich von
20 OECD-Ländern keinen Effekt hinsichtlich der Beschäftigung.
Ein hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad dagegen schon. Und eine
antizyklische Fiskalpolitik haben Großbritannien und den USA
geholfen, ihre Wirtschaftsprobleme zu meistern. Kurz: Diese Ergebnisse
der Studie widersprechen massiv der Wirtschaftspolitik der deutschen
Bundesregierungen in den vergangenen zehn Jahren. Vielleicht mit ein
Grund, warum das Bundeswirtschaftsministerium als Auftraggeber der
Studie diese bislang nicht an die Öffentlichkeit gebracht hat.
Dort heißt es, eine Veröffentlichung durch das Ministerium
hänge von der politischen Aktualität der Studie ab. Was aber
könnte aktueller sein, als Hinweise, dass Hartz IV und die Agenda
2010 beschäftigungspolitisch nur Humbug sind?
Makroökonomische Flankierung struktureller Reformen im Rahmen der
Lissabon-Strategie, lautet der Titel der Untersuchung, die von den
Forschungsinstituten Prognos, BAK Basel und IAW Tübingen im
Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums durchgeführt wurde. Ein
Ergebnis: Die Deregulierung der Gütermärkte - auf deutsch
also zum Beispiel die Privatisierung von Post und Bahn - zeigt nach
einigen Jahren positive Ergebnisse in Form von Wirtschaftswachstum. Ein
weiteres Ergebnis: Beim Arbeitsmarkt funktioniert das aber nicht.
"In der Regel sind mittelfristig weder positive noch negative
Beschäftigungseffekte einer Arbeitsmarktderegulierung zu
beobachten. Dieser überraschende Befund bestätigt sich auch
bei einer isolierten Betrachtung der verwendeten
Arbeitsmarktindikatoren", so das Fazit der Studie. Im Klartext: Zwar
seien im Zuge der Deregulierung in den untersuchten Ländern das
Arbeitslosengeld zusammengestrichen und die Zumutbarkeit von Arbeit
verschärft worden, womit sich die Position der auf
Lohnersatzleistungen Angewiesenen verschlechtert habe (wie durch Hartz
IV). Mehr Beschäftigung gebracht hat dies aber nicht.
Vielmehr, so Michael Schlesinger, Chefökonom von Prognos, sind
jene Studien, die einen Zusammenhang zwischen Daumenschrauben für
Arbeitslose und einem Zuwachs an Beschäftigung nachweisen wollen,
"bei weitem nicht so stabil und sicher", wie sie dargestellt werden.
Einige wenige kritische Blicke auf derartige Studien zeige, dass eine
Kluft zwischen deren Qualität und den politischen
Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden, besteht.
Auch in anderen Bereichen widerspricht die Prognos-Studie massiv dem
wirtschaftspolitischen "Mainstream". Wo neoliberale Ökonomen und
Politiker gerne die Gewerkschaften und den Flächentarifvertrag als
Teufelszeugs brandmarken, weist die Studie nach, dass ein "höherer
Koordinationsgrad der Tarifverhandlungen und die
Gewerkschaftsstärke positiv mit der
Beschäftigungsentwicklung" zusammenhängen. Mit anderen
Worten: Starke Gewerkschaften und zentrale Tarifverhandlungen sind gut
für Arbeitsplätze. Weil dadurch, so Chefökonom
Schlesinger, es zu nicht übermäßig hohen, aber auch
nicht zu niedrigen, sondern eben der wirtschaftlichen Situation
"angemessenen" Lohnabschlüssen kommt. Kleine Gewerkschaften und
betriebliche Vereinbarungen jenseits des Flächentarifsvertrages
aber, wie von einer neoliberalen Politik oft gefordert, tragen die
Gefahr überhöhter Lohnforderungen in sich, was die Inflation
anheize.
Und auch der Sparpolitik des ehemaligen Finanzminister Hans Eichel
(SPD), der mitten im wirtschaftlichen Abschwung den Haushalt sanieren
wollte, wird in der Studie quasi eine Ohrfeige versetzt. Denn
Großbritannien und die USA hätten gezeigt, wie man mit
keynesianischer antizyklischer Politik - in der Rezension buttert der
Staat in die Wirtschaft hinein, in Boomzeiten saniert er den Haushalt -
den wirtschaftlichen Abschwung abfedern kann. "Als Beispiele solch
einer (neu)keynesianischen orientierten Fiskalpolitik sind insbesondere
Schweden, Großbritannien und die USA hervorzuheben, denen es
gelang, expansive Maßnahmen in konjunkturellen Abschwüngen
mit einer Budgetkonsolidierung und der Erzielung von
Haushaltsüberschüssen in Boomphasen zu kombinieren", so die
Studie. Anders als in der Eurozone mit ihren Maastrich-Kriterien sei
die Fiskalpolitik in den USA und Großbritannien eher in der Lage,
mit der Konjunkturpolitik zu "atmen", sagt Schlesinger.
Fragt man den Prognos-Chefökonomen aber nun, was denn aus den
Ergebnissen der Studie für Deutschland ableitbar ist, zum Beispiel
hinsichtlich Hartz IV, dann gerät man rasch in eine Zone, in der
die Wirtschaftswissenschaft schnell ihren Glanz verliert. Obwohl man in
einem internationalen Ländervergleich den fehlenden Zusammenhang
zwischen Deregulierung am Arbeitsmarkt und Beschäftigungseffekten
nachgewiesen hat, sei dies nicht auf Hartz IV übertragbar, denn
dies habe man nicht untersucht. Manche Maßnahmen hätten eben
unterschiedliche Effekte in unterschiedlichen Ländern. Frankreich
weist zum Beispiel in den vergangenen Jahren ein ähnliches
Regulierungsniveau und eine ähnliche Zinspolitik wie Deutschland
auf, hat aber ein höheres Wirtschaftswachstum. "Ein Stück
weit", so Chefökonom Schlesinger, handelt es sich bei der
Beurteilung von ökonomischen Studien "leider um eine
Glaubensfrage".
Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26746/1.html