Zurueck zur Vorseite
Bei der Gewerbesteuer rückt große Koalition in Sicht

Teufel auf der Städtetag-Versammlung isoliert / Rau rügt Privatisierungsdruck / Neues Leitbild für lokale Wirtschaft

rb MANNHEIM. Im Streit über die Reform der Gemeindefinanzen sind die Würfel offenbar gefallen. Sowohl die Bundesregierung als auch eine Mehrheit im unionsbeherrschten Bundesrat favorisiert inzwischen das kommunale Modell einer modernisierten Gewerbesteuer. Das ergab eine Umfrage der FR unter Delegierten des Deutschen Städtetages. Auf dessen Hauptversammlung in Mannheim plädierte einzig Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel für das konkurrierende Modell der Industrie, das diese Abgabe abschaffen und durch einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommensteuer ersetzen will. Von den anderen unionsregierten Ländern dürften jedenfalls Hamburg, Niedersachsen, die ostdeutschen Länder und möglicherweise auch Hessen Teufel die Gefolgschaft verweigern.

Für die Bundesregierung stellte Verkehrsminister Manfred Stolpe in Mannheim klar, dass "die Gewerbesteuer in modifizierter Form bleiben wird". Die Regierung habe aber "ein Interesse an einem breit getragenen Ergebnis der Reformkommission", signalisiert Stolpe Kompromissbereitschaft in Details. Bleibe eine Einigung unter den Experten aus, soll die Reform dennoch Anfang 2004 starten. Der Minister bezeichnete das neue Gemeindeprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau als Erfolg. Die Nachfrage sei so groß, dass der 15-Milliarden-Topf bis zum Jahresende ausgeschöpft sein dürfte.

Prominentester Verfechter eines Erhalts der Gewerbesteuer unter den Rednern war Bundespräsident Johannes Rau. Die Städte sollten sich auch künftig "um die Ansiedlung von Gewerbetreibenden bemühen und nicht bloß um Wohngebiete für Besserverdienende", kritisierte Rau das Industrie-Modell, ohne es beim Namen zu nennen. "Der Wille dazu, sollte nicht durch steuerliche Fehlanreize geschwächt werden."

Der Bundespräsident ging vor den Delegierten der 5700 Mitgliedsstädte auch auf das Thema Privatisierung ein. Die EU setze die kommunale Daseinsvorsorge unter erheblichen Druck, möglichst viel Wettbewerb zuzulassen und Querfinanzierungen zu unterbinden. Es fehle in der Brüsseler Politik aber an marktkorrigierenden Elementen, rügte Rau. Die Kommunen hätten aber gemeinwohlorientiert und mit dem Blick aufs örtliche Ganze zu handeln. "Wo allein die Rationalität des Marktes herrscht, da gibt es keine Bürger mehr, sondern nur noch Kunden und Kosten."

Die amtierende Städtetags-Präsidentin Petra Roth berichtete, im laufenden Jahr spitze sich die Finanzlage der Kommunen weiter zu. Es drohe ein Defizit von zehn Milliarden Euro. Im ersten Quartal sei das Gewerbesteueraufkommen erneut um 4,5 Prozent geschrumpft. Sie widersprach ihrem CDU-Parteifreund Teufel, für den das Reform-Modell der Industrie "Bürgernähe, Transparenz und finanzielle Stetigkeit" bringe. Roth dagegen hält es für verteilungspolitisch falsch ("die Bürger zahlen die Zeche"), verwaltungstechnisch kompliziert und strukturell schädlich, weil es die Stadt-Umland-Probleme verschärfe.

Auch bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sind Teufel und Roth unterschiedlicher Meinung: Während der Stuttgarter Landesboss die Kommunen und Kreise für die Betreuung der Arbeitslosen zuständig machen will, sieht Roth die Städte damit völlig überfordert. Diese bieten jedoch an, "ihre bewährten Strukturen in der Beschäftigungsförderung auch im neuen System auf Rechnung des Bundes zu erbringen".

Heute will die Versammlung ein Grundsatzprogramm "Leitbild der Stadt der Zukunft" verabschieden. Eine von fünf "Strategien" strebt ein "neues Verhältnis zwischen Stadt und Wirtschaft" an. Darin werden sechs Kriterien für die Privatisierung kommunaler Dienste genannt - etwa "akzeptable Preise". In der Wirtschaftsförderung sollen "Serviceorientierung" und "kommunale Bündnisse" für Jobs sorgen.

[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2003
Dokument erstellt am 14.05.2003 um 19:36:26 Uhr
Erscheinungsdatum 15.05.2003