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SPD- Bundesparteitag 1997

Antrag I 156 (in der Fassung der Antragskommission)
Parteivorstand

Von der Utopie zur Wirklichkeit:

Aufbruch in die Informationsgesellschaft

1. Die Herausforderung der Informationsgesellschaft annehmen S.2
2. Integrierte Kommunikationspolitik für Arbeitsplätze und Innovation S.4
3. Chancengleichheit im Informationszeitalter sichern S.6
4. Arbeit und Sozialstaat in der Informationsgesellschaft S.7
5. Qualifikation, Bildung und Medienkompetenz stärken S.9
6. Forschung und Entwicklung in Deutschland wiederbeleben S.12
7. Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sichern S.14
8. Informations- und Kommunikationstechniken zur Entlastung der Umwelt S.15
9. Die Chancen der Informationsgesellschaft für mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung einsetzen S.16
 
 

1. Die Herausforderungen der Informationsgesellschaft annehmen

Deutschland befindet sich - wie alle hochentwickelten Industriegesellschaften - im Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft. Es handelt sich dabei um einen Vorgang, der in seinen Auswirkungen mit der industriellen Revolution zu vergleichen ist, die binnen weniger Jahrzehnte das gesellschaftliche Leben total veränderte. Jetzt kommt ein solcher Einschnitt wieder vor. Er wird schneller durchschlagen als die Industrialisierung und er wird tiefer in unseren Alltag eingreifen.

Globale Information und Kommunikation in Industrie, Handel und Dienstleistungen werden unser System der Wertschöpfung nachhaltig verändern. Unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen, Art und Umfang von Beschäftigung, die Produktion von Gütern und die Erbringung von Diensten, aber auch die Innovationsfähigkeit einzelner Unternehmen und der gesamten Volkswirtschaft werden immer mehr von der Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechniken abhängig. Die zunehmende Vernetzung von Arbeitsplätzen, Unternehmen und Privathaushalten sowie die Neuordnung der Telekommunikations- und Medienbranchen sind kennzeichnend für den Übergang in das digitale Zeitalter. Die "klassischen" Medien wie Hörfunk, Fernsehen und Telefon verschmelzen allmählich mit dem Computer. Märkte und Produkte der Telekommunikation, des Rundfunks, der Computerindustrie und der Medien- und Kommunikationswirtschaft bilden bereits heute eine maßgebliche Triebkraft bei der voranschreitenden Globalisierung der Wirtschaft.

Chancen und Potentiale der Informationsgesellschaft müssen für eine international wettbewerbsfähige Wirtschaft, für neue Erwerbsarbeit, für ökologische Nachhaltigkeit, für Wissenserweiterung und für die weltweite Erweiterung der Freiheitsräume der Menschen, also für den gesellschaftlichen Fortschritt und das Wohl aller konsequent ausgeschöpft und erschlossen werden.

Vor dem Hintergrund der Multimedia-Evolution ist es eine herausragende Aufgabe sozialdemokratischer Medien- und Telekommunikationspolitik, Märkte zu öffnen, die Marktkräfte in bestmöglicher Weise zu dynamisieren und die Innovationsgeschwindigkeit der Medien- und Telekommunikationswirtschaft zu erhöhen. Wir wollen die deutsche Medien- und Kommunikationswirtschaft stärken. Im Rahmen eines politischen Gesamtkonzepts wollen wir dafür sorgen, daß die Beseitigung von Modernisierungshemmnissen und die Freisetzung der Marktkräfte mit der sozialen, ökologischen, kulturellen und ethischen Gestaltung der Informationsgesellschaft Hand in Hand gehen. Die Schaffung optimaler Rahmenbedingungen für die Entfaltung von Marktwettbewerb und Produktinnovation und die gesellschaftliche Nutzbarmachung der informationstechnologischen Evolution bedingen einander. Damit in der Informationsgesellschaft neue Arbeitsplätze entstehen, werden wir durch die Schaffung innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen stärken. Die tiefgreifenden Umwälzungen bedürfen der politischen, kulturellen und sozialen Gestaltung. Wirtschaft, Gewerkschaften und Staat müssen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert die Vorbereitung Deutschlands auf die Informationsgesellschaft als eine gemeinsam zu lösende Aufgabe anpacken.

Wir wollen die immer noch ungleiche Verteilung der Chancen überwinden. Ohne zielgerichtete Politik besteht die Gefahr, daß eine weitere gesellschaftliche Spaltung entsteht, die die Menschen in "information rich" und "information poor" trennt. Um das zu verhindern, muß die gleichberechtigte Teilhabe an den Informations- und Kommunikationstechniken und der freie Zugang zu qualitativ hochwertigen Informationen gesichert werden. Wir werden die Entstehung eines "Informationsproletariats" zu verhindern wissen.

Moderne Medien- und Telekommunikationspolitik bedeutet nicht Inhaltsregulierung und schon gar nicht Bevormundung. Im Gegenteil sollen künftig alle die Möglichkeit haben, an der Verbreitung, Nutzung und Ausdeutung von Informationen teilzunehmen. Bleiben darüber hinaus Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt garantiert, können die Informations- und Kommunikationstechniken zur Emanzipation der Menschen im Sinne von Selbstbestimmung, Demokratie und Freiheit beitragen. Staatliche Regulierung soll erst dann einsetzen, wenn Eigenverantwortung und Einrichtungen der Selbstkontrolle zur Verringerung von Schadenspotentialen versagen. Zur Garantie von Freiheit und Selbstbestimmung gehören auch ein wirkungsvoller Verbraucher-, Persönlichkeits-, Jugend- und Datenschutz. Urheber- und Leistungsschutz-Rechte sind zu sichern. Außerdem muß ein Ausgleich zwischen der politischen Verantwortung zur Sicherung der Meinungsfreiheit und der Informationsvielfalt und der Stärkung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Medienwirtschaft im internationalen Wettbewerb geschaffen werden. Die SPD hält auch in Zukunft an einem wettbewerbsfähigen öffentlich-rechtlichen Angebot fest.

Die Sozialdemokratie hat sich in der Tradition der Aufklärung immer an Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität orientiert. Diese Grundwerte bilden beim Übergang in die Informationsgesellschaft die Grundlage für eine offensive, erneuerungsbereite Politik. Die demokratische, freie und gerechte Gesellschaft bleibt Ziel der SPD. Wir sind die politische Kraft, die die zukunftsweisenden Ideen hat und den erforderlichen Konsens zu stiften vermag.
 

2. Integrierte Kommunikationspolitik für Arbeitsplätze und Innovationen

Deutschland und Europa fallen im globalen Wettbewerb auf den Zukunftsfeldern der Medien- und Telekommunikationswirtschaft immer weiter zurück. Auf den entscheidenden Sektoren der informations- und kommunikationstechnischen Industrie, auf den Märkten für Software und Hardware und bei Mediendiensten und -inhalten, die weltweit vermarktet werden, verlieren europäische Unternehmen gegenüber ihren Wettbewerbern in den USA und in Asien an Boden.

Was not tut, ist eine mittel- und langfristige industriepolitische Strategie in Deutschland und in Europa, mit der wir die Position unserer Unternehmen auf den globalen Märkten der Medien- und Telekommunikationswirtschaft festigen und ausbauen. Wir müssen optimale Bedingungen dafür schaffen, daß die europäische IuK-Industrie verlorenen Boden zurückgewinnt und in der globalen Konkurrenz wieder Spitzenpositionen einnimmt. Unser Ziel ist es, möglichst viele attraktive, zukunftssichere Arbeitsplätze von morgen zu schaffen und die Informationsgesellschaft auch auf der Produktionsseite erfolgreich zu gestalten. Deshalb müssen wir die Voraussetzungen dafür verbessern, daß Europa im globalen Innovationswettlauf wieder Vorreiterpositionen besetzt.

Notwendig ist deshalb eine Gemeinschaftsanstrengung von Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften in Deutschland und Europa mit dem Ziel, die Anwendung und Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in Dienstleistungen und Unternehmen voranzubringen. Deshalb wollen wir

- unsere Forschungsanstrengungen konzentrieren ,
- eine Qualifizierungsoffensive starten,
- unsere industriellen Ressourcen bündeln
- und die nationalen Politiken harmonisieren.
 

Medien- und Telekommunikationspolitik muß heute von einem ganzheitlichen Ansatz aus erfolgen. Die Politik hat bis heute keine ausreichende Antwort auf den globalen Trend des technologischen Zusammenwachsens der Medien, der sog. Konvergenz, gefunden.

Unsere Antwort lautet:

Wir brauchen eine integrierte Kommunikationspolitik. Medien- und Telekommunikationspolitik muß als eine Querschnittsaufgabe der Wirtschafts-, Technologie-, Wissenschafts-, Bildungs-, Gesellschafts-, Kultur- und Ordnungspolitik begriffen und strukturiert werden. Das bedeutet auch: Überwindung von Ressortpartikularismus und Bündelung von Zuständigkeiten, Integration statt bloßer Addition von ressortspezifischen Politikansätzen, Konzertation von Politikansätzen in Europa auf regionaler, nationaler und EU-Ebene.

Die Länder und der Bund haben einen komplexen Ordnungsrahmen für die Medien- und Telekommunikationswirtschaft geschaffen. Wir benötigen dringend neue Strukturen, in denen zwischen den Ländern, dem Bund und der EU eine kontinuierliche Koordination und enge Abstimmung medien- und telekommunikationspolitischer Aktionen und Initiativen stattfinden kann. Es ist zumindest notwendig, daß Länder und Bund einen "Kommunikationsrat" etablieren, der sich mit allen Fragen befaßt, in denen eine Vernetzung zwischen Ländern und Bund, Landesmedienanstalten und Regulierungsbehörde sinnvoll und geboten ist. Dieser Kommunikationsrat muß mit festen Strukturen und nach geregelten Verfahren arbeiten. Seine Arbeit sollte nach Ablauf von drei Jahren evaluiert werden. Dieser "Kommunikationsrat" könnte zugleich die Aufgabe wahrnehmen, eine Vernetzung zwischen der Medien- und Telekommunikationspolitik in Deutschland und der EU sicherzustellen. Die erforderliche Koordination au EU-Ebene könnte ein "Kooperationsrat" übernehmen, der aus unabhängigen, sachkundigen Persönlichkeiten bestehen sollte, die von den Mitgliedsländern entsandt werden und vor allem für Transparenz sorgen sollen.

Integrierte Kommunikationspolitik - das muß aber auch bedeuten: ganzheitliche Zielperspektive. Es geht darum, verschiedene Ziele in einem einheitlichen und in sich schlüssigen Politikkonzept zu verzahnen. Integrierte Kommunikationspolitik muß

- die Marktdynamik entfachen, Marktwettbewerb stimulieren, Marktöffnung
fördern,

- die Verbreitung von Innovationen in der Wirtschaft beschleunigen, Kreativität und Qualitätswettbewerb anregen,

- die Bedingungen zur Aneignung von Medienkompetenz für alle Bevölke- rungsgruppen optimieren,

- eine möglichst große Vielfalt auch an nicht-kommerziellen Medienaktivitäten ermöglichen,

- die Anbindung ländlicher Räume, öffentlicher Institutionen und benachteiligter Bevölkerungsgruppen an die Möglichkeiten und Chancen der Multimedia-Evolution fördern,

- und einen breiten Dialog über die Zukunft der Informationsgesellschaft organisieren.

All diese Ziele können und müssen in einem stimmigen Politikansatz integriert und umgesetzt werden.

3. Chancengleichheit im Informationszeitalter sichern

Die aktive Teilhabe der Bürger an öffentlichen Belangen ist ein Leitbild der SPD für die Informationsgesellschaft und Verfassungsauftrag zugleich. Ob ein Mehr an Informationen auch ein Mehr an Nutzen für viele bedeutet, wird nicht allein über den Markt geregelt, sondern auch durch gestaltende Politik. Eine der wichtigsten Aufgaben vorausschauender Politik besteht darin, in den nächsten Jahren eine Informationsinfrastruktur zu schaffen, die offen für den Zugang aller Bürger ist und die Chancengleichheit verwirklicht.

Mit der weitgehenden Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes wurde die Voraussetzung dafür geschaffen, daß sich die Telekommunikationsinfrastruktur durch Wettbewerb weiterentwickeln kann, indem alle Anbieter einem permanenten Modernisierungsdruck unterworfen und einem produktiven Kosten- und Kreativitätsdruck ausgesetzt sind. Jetzt müssen die übrigen infrastrukturellen Voraussetzungen für die rasche Verbreitung moderner Informations- und Kommunikationstechniken geschaffen werden. Für die Zukunft muß die flächendeckende und bezahlbare Versorgung der Bevölkerung mit moderner Telekommunikationstechnik gesichert werden. Dazu bedarf es u.a. eines leistungsfähigen Universaldienstes.

Neben der Versorgung von Schulen, Hochschulen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung muß eine Vielzahl öffentlicher Zugangsstellen z.B. in Bibliotheken und Bürgerhäusern eingerichtet werden, damit alle Bürger die Möglichkeiten interaktiver Medien nutzen können. Hierzu gehört auch die Bereitstellung solcher Angebote, die über den sich entwickelnden kommerziellen Informationsmarkt nicht refinanziert werden können, aber von großer gesellschaftlicher Bedeutung sind (Archive, Dokumentationen, Verzeichnisse etc.). Besondere Bedeutung kommt künftig den Bibliotheken zu. Zusammen mit den Hochschulen muß es zu ihrer Aufgabe gehören, die "informationelle Kontinuität" in der Gesellschaft zu gewährleisten. Zur Erreichung dieser Ziele sollen freiwillige Vereinbarungen angestrebt werden. Erforderlich ist, zügig einen "Runden Tisch" einzurichten, an dem mit Vertretern aus Politik, Telekommunikationsunternehmen und Bildungseinrichtungen über solche Vereinbarungen ("Bildungstarif") gesprochen wird.

Um einen neuen öffentlichen Raum zu schaffen, in dem alle Informationen frei fließen, die für die aktive demokratische Teilhabe der Bürger wichtig sind, muß sich das Recht auf Grundversorgung mit Informationen zu einem "Grundrecht auf Information" wandeln, das sich auf die ganze Palette der informationellen Grundversorgung in der Informationsgesellschaft erstreckt.

4. Arbeit und Sozialstaat in der Informationsgesellschaft modern, wettbewerbsfähig und sicher gestalten

Informations- und Wissensarbeit werden nach und nach zur wichtigsten Erwerbsquelle. Bis Mitte des nächsten Jahrhunderts wird voraussichtlich auf vier von fünf Arbeitsplätzen Informationsarbeit stattfinden. Bereits heute erleben wir dramatische Veränderungen in der industriellen Organisation: Verkleinerung und Verschlankung von Unternehmen, Abbau von Hierarchien, verstärkte Gruppenarbeit, Konzentration auf Kernkompetenzen, Auslagerung von Funktionen und Aufbau von Netzwerken mit Zulieferbetrieben. In den Unternehmen selbst bilden sich kleinere, auf Dauer beschäftigte und hochqualifizierte Kernbelegschaften heraus, die in Größe und Zusammensetzung variieren. Personalbestand und Kosten werden in Zukunft flexibler an die schwankende Nachfrage angepaßt werden. Diese einschneidenden strukturellen Veränderungen und die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechniken werden das industriegesellschaftlich geprägte Beschäftigungssystem und damit auch die hierauf fußenden sozialen Sicherungssysteme in Deutschland nachhaltig beeinflussen und verändern. Wie in kaum einem anderen Bereich wächst die Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften, damit die kreativen und innovativen Potentiale der Informationsgesellschaft entfaltet und zugleich soziale Verwerfungen vermieden werden können.

Ob der Übergang in die Informationsgesellschaft gesamtwirtschaftlich mehr Arbeitsplätze bringen wird, vermag gegenwärtig niemand seriöserweise vorherzusagen. Gegenwärtig werden die Informationstechnologien vorwiegend zur Rationalisierung eingesetzt. Sie wirken als Prozeßinnovationen mit produktivitätssteigernden Resultaten und führen deshalb tendenziell zu einer Verringerung des nachgefragten Arbeitsvolumens. Um ihre kostensenkenden Effekte wirksam werden zu lassen, müssen wir die Rahmenbedingungen für die Informations- und Kommunikationstechnologien beschäftigungsfreundlicher gestalten, in dem wir neue Märkte schaffen, die Attraktivität informationstechnologischer Arbeit weiter steigern und insbesondere die informationstechnische Qualifikation und Kompetenz der Beschäftigten ständig verbessern. Dazu gehört auch die Förderung und Entwicklung neuer Berufsbilder.

Jede Industriegesellschaft, die die informationstechnologische Modernisierung versäumt oder behindert, wird nicht nur ihr derzeitiges Beschäftigungsniveau nicht halten können, sondern sie wird darüber hinaus enorme Arbeitsplatzverluste hinnehmen müssen. Das gilt für Volkswirtschaften ebenso wie für einzelne Unternehmen und Branchen. Denn die Behinderung informationstechnologisch gestützter Innovationen ist gleichbedeutend mit einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und einem Rückgang beschäftigungswirksamen Wachstums.

Erwerbsarbeit in der Informationsgesellschaft wird zu einem großen Teil selbständige Arbeit sein. Bis zum Jahr 2010 wird sich der Anteil der Selbständigen voraussichtlich verdoppeln. Sozialdemokraten wollen selbständige Arbeit als immer wichtiger werdende Erwerbsquelle fördern. Wir wollen dazu beitragen, ein gesellschaftliches Bewußtsein zu erzeugen, das in der beruflichen Selbständigkeit zuerst die Chance und nicht das Risiko erblickt. Unsere Gesellschaft braucht eine neue Aufgeschlossenheit für individuellen Mut zu individuellem Risiko. Deshalb unterstützen Sozialdemokraten die neue Selbständigkeit, die aus der Telearbeit erwächst. Dazu gehört auch die soziale Absicherung freier beruflicher Existenzen in Zeiten der Unterauslastung und Hilfen beim Start in die Selbständigkeit. Neue Selbständigkeit meint aber nicht die bloße Umwidmung klassischer Arbeitnehmertätigkeiten in weitgehend ungeschützte (schein-)selbständige Arbeitsverhältnisse. Diese verursachen bei den Sozialversicherungen jährliche Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe. Zu einer konsequenten Bekämpfung scheinselbständiger Beschäftigungsformen gehört auch die Neudefinition des Arbeitnehmer- und Unternehmensbegriffs, damit die Schutzwirkung des Arbeitsrechts nicht unterlaufen werden kann.

Der allmähliche Wandel vom klassischen Arbeitgeber-/Arbeitnehmerverhältnis zu einer Auftraggeber-/Auftragnehmerbeziehung und die absehbaren, immer wiederkehrenden Unterbrechungen der Erwerbsbiographien etwa durch Weiterbildungsphasen setzen die sozialen Sicherungssysteme unter Druck. Mit dem zunehmenden Gewicht "neuer Selbständiger" schwindet die Zahl der Beitragszahler. Arbeit und Wertschöpfung drohen sich immer mehr dem Zugriff unseres Steuer- und Abgabensystems zu entziehen. Notwendig ist daher eine Reform des Sozialstaats, die diese neuen Entwicklungen berücksichtigt.

Wir werden das Chancenpotential der Telearbeit und der Telekooperation nur dann optimal ausschöpfen können, wenn wir einen vielschichtigen politischen Gestaltungsansatz verfolgen.

Dabei gilt es,

- die Verbreitung neuer Multimedia-Techniken in Unternehmen zu fördern,

- zu den verschiedenen Typen der Telearbeit Pilotprojekte zu initiieren,

- Lösungen für arbeits- und tarifrechtliche Probleme und für Probleme des Arbeits- und Datenschutzes zu erarbeiten,

- Gesichtspunkte der Raumordnung, des Verhältnisses von Stadt und Land und der Verkehrspolitik einzubeziehen,

- Maßnahmen zur Qualifizierung von Telearbeitnehmern zu ergreifen und

- soziale Probleme der Telearbeit so weit wie möglich zu minimieren.

Das Problem in Deutschland ist nicht, daß wir zu viele Telearbeitsplätze hätten. Wir haben zuwenig. Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland auf diesem Zukunftsfeld weit hinten. Deshalb werden wir Sozialdemokraten Telearbeit fördern.

Die Bereitschaft der Arbeitnehmer darf dabei aber nicht durch Verschlechterungen ihres sozialen und rechtlichen Status und die Gefährdung ihrer gewerkschaftlichen und betrieblichen Vertretungsorgane aufs Spiel gesetzt werden. Das Ziel sozialdemokratischer Politik besteht darin, Telearbeitnehmer arbeits- und sozialrechtlich abzusichern. Die Ausweitung von Telearbeit darf auch nicht dazu führenm daß insbesondere Frauen der Zugang zu gewünschter außerhäußiger Erwerbstätigkeit erschwert wird. Durch alternierende Teleheimarbeit soll der Kontakt zu den Betrieben erhalten bleiben.

Es ist eine originäre Aufgabe sozialdemokratischer Politik, Modernisierungshemmnisse zu beseitigen und dabei darauf hinzuwirken, daß Arbeitnehmerrechte weiterentwickelt werden und die Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherung erhalten bleibt. Ohne die Formulierung sozialer und arbeitsrechtlicher Mindeststandards, die Anpassung bestehender, gesetzlicher und tarifvertraglicher Regelungen und eine anhaltende Abschätzung der sozialen und arbeitsmarktpolitischen Folgen werden die strukturellen Veränderungen der Arbeitswelt zu gravierenden Beeinträchtigungen in unserem Sozial- und Beschäftigungssystem führen. Die Rahmenbedingungen für Arbeit und Mitbestimmung in "virtuellen Unternehmen" müssen auch gesetzlich definiert werden. Wir brauchen einen Rechtsrahmen für Telearbeit. Mit der Erleichterung betrieblicher Arbeits- und Kommunikationsprozesse muß eine adäquate Anpassung der Mitbestimmungsrechte einhergehen.
 

5. Qualifikation, Bildung und Medienkompetenz stärken

Bildung ist das zentrale Zukunftsthema unserer Gesellschaft. Gerade angesichts anhaltender Massenarbeitslosigkeit und im Blick auf die Herausforderungen an unsere Volkswirtschaft durch die Globalisierung müssen die Bereiche Bildung, Aus- und Fortbildung, Wissenschaft und Forschung an der Spitze der vor uns stehenden drängenden Reformen stehen. Diese Reformen sind Voraussetzung für Innovationsfähigkeit und Innovationsgeschwindigkeit unserer Gesellschaft - beides Schlüsselfaktoren für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Kreativität, Wissen und die Qualifikation der Menschen werden zu entscheidenden Faktoren in der Arbeitswelt der zukünftigen Informationsgesellschaft.

Alle Bildungseinrichtungen sind von den neuen Entwicklungen unmittelbar betroffen. Die neuen Informations- und Kommunikationstechniken eröffnen Wissensangebote, die vielfältiger und aktueller sind als die herkömmlichen Bildungsangebote. Um diese Möglichkeiten auszuschöpfen, sind außerordentlich hohe Investitionen erforderlich, auf die bislang weder die Länder noch der Bund vorbereitet sind. Wir brauchen deshalb für die Modernisierung der Kommunikationsinfrastruktur unseres Bildungs- und Wissenschaftssystems auch Finanzierungsmodelle in "öffentlich-privater Partnerschaft". Eine gute und umfassende allgemeine Bildung wird besonders in der Informationsgesellschaft von grundlegender Bedeutung sein. Spezialwissen aber wird schneller veralten. Es entsteht ein Bedarf an kontinuierlicher Weiterbildung, an "lebenslangem Lernen". Phasen der Erwerbstätigkeit werden sich mit Phasen der Bildung und der Qualifikation abwechseln.

Im Mittelpunkt der erforderlichen Bildungs- und Qualifikationsoffensive steht die Medienkompetenz, d.h. der kompetente und kritische, kreative und verantwortungsvolle Umgang mit neuen Medien und elektronischen Informationen. So wie wir lesen, schreiben, Textinterpretation usw. in der Schule lernen, so muß auch der Umgang mit den audiovisuellen und interaktiven Medien gelernt werden. Medienkompetenz meint aber nicht nur den bewußten Gebrauch, sondern auch das Wissen über Hintergründe, Strukturen, Gestaltungsformen und mögliche Wirkungen der Medien. Medienpädagogik muß Fähigkeiten zur sinnvollen Nutzung und kreativen Gestaltung vermitteln als Voraussetzung dafür, daß mündige Bürgerinnen und Bürger durch einen verantwortlichen Mediengebrauch Qualitätsmaßstäbe beeinflussen und damit zur selbstbestimmten Gestaltung der Medienumwelt beitragen. Diese Kompetenz wird nicht nur entscheidend dafür sein, daß die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft erhalten bleibt, sondern auch, daß die Informationsgesellschaft der Zukunft eine demokratische und soziale Gesellschaft sein wird. Gerade Sozialdemokraten müssen dafür sorgen, daß in diesem Bereich Spielräume für die Selbstbestimmung und Teilhabe des Einzelnen mit den Grundsätzen von Gerechtigkeit, Solidarität und Chancengleichheit verbunden werden.

Vor allem die Beherrschung des Computers wird immer mehr zur Eintrittskarte in das Berufsleben. Im Jahr 2000 wird nur noch etwa ein Drittel aller Erwerbstätigen den Beruf ohne Computerkenntnisse ausüben können.

Bei der Versorgung der Schulen mit PCs hinkt Deutschland z.B. den USA deutlich hinterher. Hierzulande werden selbst grundlegende Computerkennisse heute weniger in der Schule als zu Hause, d.h. in privaten Haushalten, erworben. Diese neue Form der Privatisierung von Ausbildungskosten führt zu einem neuen Bildungsgefälle. Es besteht die Gefahr einer Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft. Wir Sozialdemokraten werden alles in unseren Kräften stehende tun, um eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern, in der einer Informationselite, die kompetent und aktiv alle neuen Medien - zum Beispiel interaktive und Abrufdienste, Spezialabonnements - nutzt, eine große Bevölkerungsgruppe gegenübersteht, die sich wegen qualifikatorischer oder finanzieller Barrieren auf passive Mediennutzung, vor allem den Konsum von Unterhaltungsprogrammen beschränkt.

Wenn das öffentliche Bildungssystem, wenn Schulen und Hochschulen ihrer Aufgabe auch künftig gerecht werden sollen, müssen ihre Einrichtungen mit der nötigen technischen Infrastruktur ausgestattet und in die Strukturen globaler Kommunikation eingebunden werden. Noch wichtiger aber ist es, den Lehrenden an allen Bildungseinrichtungen die entsprechenden fachlichen, didaktischen und medienpädagogischen Fähigkeiten zu vermitteln. Der verantwortungsvolle Umgang mit Medien ist in allen Bildungseinrichtungen vom Vorschulalter an zu integrieren. Projekte, die den kreativen Gebrauch von Medien mit Kindern und Jugendlichen trainieren sind zu fördern.

Medienkompetenz darf sich nicht im Erwerb technischer Kenntnisse erschöpfen. Medienkompetenz bedeutet auch

- die Fähigkeit zum Medien- und Wissensmanagement, zum zielgerichteten Umgang mit Informationen, um die Daten- und Informationsflut in den Griff zu bekommen;

- die Fähigkeit zur Kommunikation, zur Kooperation und zur Teamarbeit;

- die Fähigkeit, die Medienerlebnisse emotional und sozial verträglich verarbeiten zu können und die durch die neuen Technologien veränderten kommunikativen und sozialen Risiken (z.B. Gefahren der Vereinzelung) zu bewältigen;

- die Fähigkeit, mit den Medien kreativ umzugehen (d.h. Medienpädagogik muß die Fähigkeit zur sinnvollen und schöpferischen Gestaltung vermitteln);

- die Fähigkeit, Funktionen und Bedeutung der Medien in der Gesellschaft kritisch zu reflektieren und im Hinblick auf gesellschaftliche Folgen und demokratische Erfordernisse zu beurteilen. Das umfaßt auch das Wissen über Hintergründe, Strukturen, Gestaltungsformen und mögliche Wirkungen der Medien. Wir müssen lernen, den Wahrheitsgehalt von Informationen zu hinterfragen, insbesondere denjenigen bildlicher Eindrücke, denen wir bislang häufig einen Abbildcharakter der Realität unterstellen;

- schließlich die Fähigkeit, die Medien als Mittel der Artikulation und Durchsetzung politischer und kultureller Interessen zu verstehen und selbst oder als Mitglied einer Gemeinschaft zu nutzen.

Die SPD wird eine umfassende "Bildungspartnerschaft" von Bund, Ländern, Gemeinden, Netzbetreibern, Computerherstellern, Software-Anbietern u.a. ins Leben rufen, damit innerhalb von 5 Jahren die deutschen Bildungseinrichtungen mit der erforderlichen Infrastruktur ausgestattet sein werden. Vor allem Schulen, Hochschulen, berufliche Bildungs-, Ausbildungs- und Fortbildungsstätten, Volkshochschulen, Einrichtungen der politischen Bildung, der Jugendarbeit und Bibliotheken sind mit Netzanschlüssen, Computern und der notwendigen Software auszurüsten. Wir sind der Auffassung, daß z.B. die Betreiber von Telekommunikationsnetzen einen Teil ihrer Übertragungskapazitäten im Rahmen dieser Bildungspartnerschaft kostenlos zur Verfügung stellen sollen.

Die SPD wird eine Medienkompetenzoffensive starten, d.h.

- ein umfassendes Qualifizierungs- und Weiterbildungsprogramm für die Lehrenden an Universitäten, Hochschulen, Volkshochschulen, allgemeinbildenden Schulen und Berufsschulen, Vorschuleinrichtungen sowie an Ausbildungseinrichtungen in den Betrieben;

- Medienkunde, d.h. der Umgang mit elektronischen Diensten wie Internet, Online-Dienste und andere Multimedia-Angebote als integraler Bestandteil des Unterrichts in allen Bildungseinrichtungen, vom Kindergarten an bis zur Erwachsenenbildung;

- das Ausschöpfen aller Potentiale von computergestütztem Lernen und Lehren (Telelearning, Teleteaching);

- die Förderung von Projekten, die die bestehenden geschlechts- und generationsspezifischen Unterschiede in der Nutzung und Akzeptanz der neuen Informations- und Kommunikationstechniken zu überwinden helfen, und die Förderung von nutzerfreundlicher Hard- und Software.

Für diese Medienkompetenzoffensive sind die Begeisterung der jungen Generation und die hohen Qualifikationen zu nutzen, die sie vielfach im Umgang mit dem Computer außerhalb des Unterrichts entwickelt. Daraus können neue Motivationspotentiale des Lernens für alle Altersstufen entwickelt werden.

Auch Medienanbieter- und veranstalter selbst sind aufgefordert, ihre Nutzer zum kompetenten Umgang mit den Medien zu befähigen und sich an medienpädagogischen Projekten angemessen zu beteiligen. Die Förderung von Medienkompetenz ist ein Auftrag an alle gesellschaftlichen Kräfte.

Zur Sicherung der journalistischen Kompetenz und berufsethischer Standards fordert die SPD, dafür Sorge zu tragen, daß Professionalität und hohes Ausbildungsniveau der Mitarbeiter in Redaktionen, Technik, Programmplanung und Verwaltung gewährleistet werden. Darüber hinaus halten wir eine EU-weite Verständigung auf Grundwerte journalistischer Ethik für unverzichtbar, um grenzüberschreitend einen verantwortungsbewußten Umgang mit Bild, Ton und Wort zu gewährleisten.
 

6. Forschung und Entwicklung in Deutschland wiederbeleben

Der Ausbau einer hochleistungsfähigen Telekommunikationsinfrastruktur und die Entwicklung und Nutzung informationsgestützter Dienstleistungen sind von zentraler Bedeutung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und die Zukunft unseres Landes in der Informationsgesellschaft. Eine bestmögliche Bereitstellung und Nutzung des erarbeiteten Wissens steigert die Qualität von Forschung und Entwicklung, erleichtert die internationale Zusammenarbeit und verbessert den Transfer der Ergebnisse von Wissenschaft und Forschung für Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft. Wissenschaft und Forschung sind deshalb in besonderer Weise auf die Nutzung dieser Infrastruktur angewiesen. Deshalb muß das deutsche Forschungsnetz schnell weiter ausgebaut werden.

Wir dürfen in der Forschungspolitik die Fehler der 80er Jahre nicht wiederholen, als die deutsche informationstechnische Industrie auch wegen unzureichender staatlicher Unterstützung und fehlender gemeinsamer Strategie den Anschluß auf wichtigen Feldern verpaßte. Die Kürzung der Bundesmittel für Forschung und Entwicklung in den letzten Jahren hat auch die Fortentwicklung der Informations- und Kommunikationstechniken in Deutschland behindert. Mit der Orientierung der Forschungs- und Technologiepolitik auf eine dauerhaft zukunftsverträgliche Entwicklung, auf Ressourcenschonung und Verringerung der Belastungen für Mensch und Umwelt gewinnen Innovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien, intelligente Systemlösungen und informationsbasierte Dienstleistungen zusätzliche Bedeutung. Deshalb müssen sich Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in Deutschland und in der EU in Innovationsallianzen auf die Förderung strategischer Leitprojekte für die Weiterentwicklung der technologischen Basis und die Entwicklung neuer Dienstleistungen in der Informationsgesellschaft verständigen. Der staatlichen Forschungsförderung kommt dabei besondere Bedeutung für die Förderung langfristig angelegter Basisinnovationen (z.B. Quantenelektronik, Neuroinformatik, neue Materialien für die Informationstechnik) zu.
 

7. Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sichern

In Deutschland brauchen wir neben leistungsfähigen privaten Medienhäusern und Rundfunkanbietern einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk als ein gesellschaftlichen Interessen verpflichtetes Korrektiv.

Programmqualität und unverwechselbares Profil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der zukünftigen Informationsgesellschaft entscheiden darüber, ob er in der sich verschärfenden Konkurrenz mit global operierenden kommerziellen Medienkonzernen seine Position behaupten kann. Das wird auf Dauer nur gelingen, wenn er sich nicht in der Verteidigung seiner klassischen Formen und Inhalte erschöpft, sondern wenn er seinen Programmauftrag dynamisch auslegt in Richtung auf ein Angebot, das für neue Publikumsinteressen, für neue Inhalte, Formen und Techniken offen ist. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat bei dem Übergang vom dualen Rundfunksystem zu einer medienpolitisch geforderten dualen Informationsordnung eine wichtige Funktion. Daher ist seine Existenz und seine Fortentwicklung zu gewährleisten. Diese Bestands- und Entwicklungsgarantie ist auch auf der europäischen Ebene abzusichern.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat auch künftig im dualen System der elektronischen Kommunikation die unerläßliche mediale Grundversorgung der Bevölkerung zu garantieren. Diese Grundversorgung ist keine Mindestversorgung, die auf Information, Bildung und Kultur beschränkt ist. Sie ist vielmehr - so auch das Bundesverfassungsgericht - eine Vollversorgung mit einem umfassenden Angebot an Informationen, Beratung, Kultur, Bildung, Kunst und Wissenschaft, aber auch an Unterhaltung und Sport. Dieses Angebot ist den Interessen der Mehrheit verpflichtet, ohne aber relevante Minderheiteninteressen zu vernachlässigen.

Die angemessene Form für solche Programmangebote ist das klassische Vollprogramm, das der Integrationsfunktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks am besten entspricht. Gleichwohl ist er nicht auf Vollprogramme beschränkt. Vielmehr ist eine Differenzierung des Programmangebots nach unterschiedlichen Zielgruppen und Interessenschwerpunkten sinnvoll. Die Finanzierung der öffentlichen-rechtlichen Spartenprogramme muß auch für die Zukunft gewährleistet sein. Auch Ort, Bestand und Entwicklung der öffentlich-rechtlichen Kulturkanäle müssen gesichert sein. Außerdem umfaßt die Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Teilhabe am gesamten Multimedia-Bereich. Beim digitalen Rundfunk ist der chancengleiche, diskriminierungsfreie Zugang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu den Netzen, Decodersystemen und elektronischen Programmführern zu gewährleisten. Werden digitale Programmpakete zusammengestellt und verbreitet, müssen auch öffentlich-rechtliche Programme in dem Gesampaket enthalten sein, um dem Grundversorgungsprinzip zu entsprechen (must-carry-Lösung).

Damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk im nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen kann, soll er flexibel am Markt agieren, sich an privaten Unternehmen beteiligen oder mit ihnen kooperieren können. Auch soll er Formen des Privatrechts nutzen können, ohne daß das zu einer Verwischung der öffentlich-rechtlichen Programmverantwortung und -identität führen darf.

An der allgemeinen und einheitlichen Rundfunkgebühr ist festzuhalten. Regelmäßige Gebührenanpassungen sind von großer Bedeutung. Um die Gebührenfinanzierung zu versachlichen und zu verstetigen, sind indexgestützte Verfahren der Gebührenermittlung zu entwickeln.

Die zeitgleiche und ungekürzte Übertragung sportlicher und kultureller Großereignisse gehört zum spezifischen Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Daher dürfen solche Ereignisse nicht exklusiv im Bezahlfernsehen ausgestrahlt werden. Auch in Deutschland muß entsprechend der in der EU-Fernsehrichtlinie durchgesetzten Regelung eine nationale Liste für herausragende Ereignisse erstellt und durch Staatsvertrag abgesichert werden. Auch bei sonstigen Sportereignissen muß der öffentlich-rechtliche Rundfunk finanziell in die Lage versetzt werden, beim Erwerb der Übertragungsrechte als Wettbewerber auftreten zu können.
 

8. Informations- und Kommunikationstechniken zur Entlastung der Umwelt nutzen

In Deutschland sind wir bislang - anders als in den USA - noch nicht zu einer breiten Debatte über die ökologischen Dimensionen der Informationsgesellschaft gelangt. Wir stehen vor der großen Herausforderung, die vielfältigen und teilweise widersprüchlichen Beziehungen zur Ökologie bewußt wahrzunehmen und die Werkzeuge und Methoden der IuK-Techniken im Sinne einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung zu nutzen.

Mit fortschreitender Computerisierung unserer Gesellschaft ergeben sich neue Umweltprobleme: Abfälle aus der Chipproduktion, Computerschrott, schneller Hardware-Verschleiß. Diese Umweltprobleme sind in ihrer Dimension allerdings nicht vergleichbar mit jenen, die mit früheren Stufen der industriellen Produktion einhergehen, wie z.B. allein die Menge des Automobilschrotts aus der Massenmotorisierung zeigt.

Die IuK-Technologien stellen uns nicht vor globale Umweltprobleme. Sie spielen indessen schon heute eine entscheidende Rolle bei der ökologischen Optimierung von industriellen Produktionsprozessen. Durch die Entwicklung und Nutzung der neuen Technologien kann eine ökologische Ausrichtung der Industrie stattfinden, in dem beim Design neuer Produkte die natürlichen Ressourcen geschont werden, wenn Rohstoffe und Energie sparsamer eingesetzt werden können. Mit Hilfe IuK-gestützter Meß- und Analysesysteme wird eine bessere Umweltdiagnostik und eine effizientere Umweltpolitik erst möglich. Ohne die Informations- und Kommunikationstechnik gäbe es z.B. keine exakten Klimamodelle.

Das ökologische Potential der Telearbeit ist von besonderer Bedeutung. Wenn Telearbeit an Umweltgesichtspunkten ausgerichtet ist, liegt darin eine Chance zur Umweltentlastung, wenn Fahrten zum Arbeitsplatz entbehrlich oder nicht mehr an jedem Werktag nötig werden.

Und unter dem Aspekt, daß weltweiter Informationsaustausch in immer kürzeren Zeiten an Bedeutung gewinnt, daß Online-Arbeitsplätze nicht erst Realität von übermorgen sind, wird klar, daß die weltweite elektronische Kommunikation grundsätzlich die ökologisch verträglichste Form von Informationsaustausch ist.

Die IuK-Technologien führen weder im Selbstlauf zu geringerer Umweltbelastung, noch müssen sie zwangsläufig zu höheren Emissionen und rascherem Ressourcenverbrauch der wachstumsorientierten Wirtschaft führen. Damit die Entwicklung in eine wünschenswerte Richtung verläuft, müssen wir eine Öffentlichkeit herstellen, die sich umweltbewußt in die Diskussionen um die Gestaltung der Informationsgesellschaft einschaltet.
 

9. Die Chancen der Informationsgesellschaft für mehr Demokratie
und Bürgerbeteiligung einsetzen

Angesichts einer zunehmenden Globalisierung und Kommerzialisierung wächst die Bedeutung einer demokratischen Kommunikationskultur. Wir wollen die demokratische Teilhabe aller am politischen und gesellschaftlichen Leben unabhängig von Staat und Verwaltungszentralen einerseits und international arbeitenden, kommerziellen Medienkonzernen andererseits ermöglichen.

Künftige Förderprojekte elektronischer Bürgerinformation müssen sich auch auf den kommunalen Anwendungsbereich erstrecken. Formulare oder Vorschriften z.B. sollten zu Hause per Computer abgerufen werden können, um Bürger und Verwaltung gleichzeitig zu entlasten. Neue Formen der Bürgerbeteiligung sind auch in der kommunalen Planung, etwa bei Bebauungsplänen zu erproben. So eröffnen die neuen Medien die Chance, das Verhältnis zwischen Verwaltung, Ordnungsbehörden und Bürgern positiv zu gestalten und Vorurteile abzubauen.

Hierfür kommen sowohl neue Kommunikationsnetze, wie das Internet und Online-Dienste, als auch klassische Formen des Rundfunks in Betracht. Es geht darum, allen Bürgern auch in Zukunft die Chance zu geben, sich an der Bildung der öffentlichen Meinung zu beteiligen. Es geht darum, bei den neuen interaktiven Medien die klassische Trennung zwischen Anbietern und Nutzern aufzuheben. Um die Meinungsvielfalt zu sichern, wird die SPD offene, interaktive Netzstrukturen fördern. Diese ermöglichen allen Teilnehmern, Nachrichten, Informationen und Daten zu empfangen und zu senden. Wir wollen Modelle "elektronischer Demokratie" nutzen, neue Formen demokratischer Teilhabe fördern und erproben.

Wir treten für den Bürgerrundfunk als drittes, eigenständiges Element unserer elektronischen Medienordnung ein. Dieser Bürgerrundfunk - d.h. offene Kanäle und andere Formen zugangsoffenen, gemeinnützigen Radios und Fernsehens - ist wirtschaftlich und institutionell dauerhaft abzusichern.
 
 
 

Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Parteivorstand, Ollenhauerstraße 1, 53113 Bonn
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Herausgeber: Franz Müntefering, Redaktion: Michael Donnermeyer, Mechthild Reith
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