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Nächstes Jahr in Gütersloh
Thomas Barth
16.12.2007
Protestbewegung gegen Bertelsmann nimmt Fahrt auf
Der Lack blättert bei der PR-polierten Arbeit der Bertelsmann
Stiftung ab. Studentenverbände und Universitäten verweigern
das Hochschulranking. Die Gewerkschaft Verdi kündigt die
Zusammenarbeit. Der Bundestag befasst sich mit einer
Bertelsmann-Lobbyismus-Anfrage der Linkspartei. Die rotgrüne Basis
zweifelt an Hartz IV und der Hamburger SPD-Spitzenkandidat geht im
derzeit laufenden Wahlkampf gerichtlich gegen Behaupungen aus der
Linkspartei vor, er sei ein alter "Bertelsmann". Jetzt haben sogar taz
und Zeit über die Proteste berichtet.
Es kriselt im neoliberalen Lager. Eine zentrale Machtbasis des
Neoliberalismus gerät zunehmend in die Kritik: die im politischen
Hintergrund agierenden Think tanks. Von der Industrie finanziert,
als neutrale Forschungsinstitute, Stiftungen oder NGOs getarnt, nutzen
Think tanks Geld- und Medienmacht, um dafür empfängliche
Politiker und Öffentlichkeit auf Kurs zu bringen. Ihr
mächtigster Vertreter in Deutschland und Europa ist die
Bertelsmann Stiftung (Gütersloh), die Besitzerin des dort
ansässigen globalen Medienkonzerns, die ihrerseits unter Kontrolle
der traditionellen Besitzer des Konzerns steht: dem
Milliardärsclan Mohn ("Ohne Bertelsmann geht nichts mehr").
Das undurchsichtige
Bertelsmann-Konglomerat aus Stiftung,
Konzern und Mohn-Familie gerät seit vier Jahren zunehmend unter
Druck. Damals entdeckte der Historiker und Publizist Hersch Fischler in
Archiven Hinweise auf die Nazi-Vergangenheit des zuvor als
Widerstandsverlag belobigten Medienhauses. Fischler versuchte dies zu
publizieren – erzielte aber kaum Resonanz in den deutschen Medien (vgl.
"Apparat der Selbstverklärung"). Doch in den folgenden Jahren
geriet die Konzernstiftung immer mehr in die Kritik. Studenten
kritisierten sie als Drahtzieher hinter der Einführung von
Studiengebühren und unfairen Hochschul-Rankings.
Globalisierungskritiker sahen sie nun als Hauptakteur hinter
zahlreichen Privatisierungen. Bertelsmanns weitreichender Einfluss auf
die Politik der rotgrünen Ära Schröder/Fischer (z.B.
Plagiiert, beraten und verkauft?) wird heute nach und nach
aufgearbeitet, neue Beglückungen aus Gütersloh werden
zunehmend kritischer beäugt.
"Kommt das Böse aus
Gütersloh?"
In den vergangenen drei Jahren gab es zahlreiche öffentliche
Veranstaltungen, die Bertelsmann kritisch thematisierten, darunter zwei
Kongresse in Hamburg 2005 und 2006 und jüngst einen dritten in
Frankfurt/Main, der wie schon der vorjährige wieder über 200
Besucher anzog. Drei neue Bertelsmann kritische Bücher erzielten
teilweise überraschende Publikationserfolge. Die Mainstream-Medien
schwiegen dazu bislang, auch soweit sie nicht direkt Teil des
Medienimperiums der Mohns waren. Als Attac sich 2006 in der
Anti-Bertelsmann-Bewegung engagierte, reagierte der Stern sogar mit
einem giftigen Artikel ("Wie bei einer Sekte") gegen die zuvor eher
hofierten Globalisierungsgegner. Selbst im linksliberalen
Medienspektrum herrschte Ignoranz, mit Ausnahme des Freitag und der
Außenseiterin Junge Welt.
Doch jetzt haben immerhin die taz und Die Zeit ihr jahrelanges
Schweigen gebrochen und berichten erstmals über die
Anti-Bertelsmann-Protestbewegung – wenn auch nicht unbedingt
freundlich. Die Zeit ist den Mohns lange verbunden und pflegt unter
anderem über gemeinsame Hochschulrankings enge Beziehungen zur
Bertelsmann Stiftung. Die taz kuschelte mit der Bertelsmanntochter Ufa
Film, entdeckt jetzt aber immerhin den dritten der jährlichen
Anti-Bertelsmann-Kongresse und fragt ihre Leser ironisch: Kommt das
Böse aus Gütersloh?. Die ZEIT gibt sich besorgt-staatstragend
Wo geht es hier zur Zukunft?:
Einflussreich, erstarrt und angefeindet: Die Bertelsmann Stiftung
steckt in der Krise. Nach wochenlangem Schweigen ergreift Liz Mohn
jetzt öffentlich das Wort.
Im Altertum habe man Felsen gesprengt, indem man einen Pflock hinein
bohrte und diesen wässerte. So mache es heute die Bertelsmann
Stiftung:
Mit rund 60 Millionen Euro im Jahr erstellt sie Ranglisten, lobt Preise
aus, veröffentlicht Studien, organisiert Modellprojekte und
lädt zu Kongressen ein. Ihre Mitarbeiter bohren Löcher und
treiben Pflöcke in gewachsene Strukturen. Dann hoffen sie, dass
ein Strom der politischen Reformbereitschaft über ihren Pflock
fließt, der in den Strukturen steckt, bis er sie sprengt... und
so nahm die Stiftung immensen Einfluss. Lange war das auch
unumstritten. Die Stiftung fast unantastbar.
Studiengebühren, Hartz IV und der Umbau der Bundesagentur für Arbeit gingen auf das
Konto der Gütersloher, erfährt hier erstmals der staunende
Zeit-Leser und wird mit kritischen Fragen konfrontiert: "Ist man in
Gütersloh plump "neoliberal"? Und vermischt man, beinahe noch
schlimmer, die gemeinnützige Arbeit mit den Interessen des
Medienkonzerns?" Aber nein, natürlich nicht. Angeblich ließe
sich der Vorwurf nicht erhärten, die Stiftung arbeite dem Konzern
z.B. bei der "Reform" (gemeint ist Privatisierung) der kommunalen
Verwaltung direkt zu. Tatsache sei zwar, dass der Konzern (mit seiner
Tochter Arvato) Verwaltungsaufgaben für Städte und Gemeinden
übernimmt.
Aber das Geschäftsmodell von Arvato widerspricht den Ideen der
Stiftung grundlegend. Während dort empfohlen wird, Stadt und
Privatunternehmen sollten allenfalls gemeinsam eine
Outsourcing-Gesellschaft gründen (...), will Arvato das
Geschäft alleine betreiben, um freie Hand zu haben.
Aha. Die Bertelsmann Stiftung fordert, Kommunen sollten
Privatunternehmern den halben Kuchen herschenken, Bertelsmann-Arvato
fordert aber den ganzen Kuchen. Das ist schon ein grundlegender
Widerspruch. Trotzdem gäbe es immer mehr Kritik an Bertelsmann und
die infame Linkspartei stellte gar "...im Bundestag eine Anfrage, ob
die Stiftung unlauteren Einfluss auf die Regierung nehme. Das alles hat
den Ruf der Stiftung schleichend, aber sichtlich beschädigt." Es
gibt ja auch kaum Schleichenderes als eine Anfrage im deutschen
Bundestag. Doch wo die Gefahr schleicht, da findet die Zeit auch
Rettung:
Jetzt kontert Liz Mohn: "Eigentum verpflichtet, davon ist mein Mann
tief überzeugt. Er will der Gesellschaft mit der Stiftung etwas
zurückgeben. Und ich genauso." Es folgt ein ellenlanges Loblied
des Zeit-Journalisten auf die Mohnschen Stiftungsprojekte, die sich
anderen Themen widmen. Aber wenn die Mohns "der Gesellschaft etwas
zurückgeben" wollen – warum tun sie es dann nicht einfach?
Zum Beispiel, indem sie ihre Steuern zahlen, anstatt sie in einer
angeblich gemeinnützigen Stiftung verschwinden zu lassen, die
Lobbyarbeit für Privatisierungen und andere Kapitalinteressen
leistet. Und die nebenbei ja auch mit ihrem steuerbegünstigten
Stiftungsvermögen unter absoluter Kontrolle der Mohns steht. Wie
die Mohnsche Lobbyarbeit aussieht, erfährt der Zeit-Leser nicht.
Literatur zum Thema:
Werner Biermann/Arno Klönne: Agenda Bertelsmann – ein Konzern
stiftet Politik. Papyrossa-Verlag 2007.
Jens Wernicke, Torsten Bultmann (Hg.): Netzwerk der Macht –
Bertelsmann. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh.
BdWi-Verlag 2007.
Bertelsmann: Ein globales Medienimperium macht Politik. Hg. Von Thomas
Barth. Anders Verlag 2006.
Frank Böckelmann, Hersch Fischler: Bertelsmann. Hinter der Fassade
des Medienimperiums, Eichborn 2004.
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