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vorwärts HessenSüd 02/2005

In Mittelhessen wachsen die Sorgen!

Die Risiken der Klinik- Privatisierung für regionale Struktur, Beschäftigte und Patienten sind unabsehbar - Koch hat keine Antwort auf die wichtigen Fragen gegeben.

(GM) Mit einer Regierungserklärung am 14. Dezember 2004 hat der hessische Ministerpräsident Roland Koch entschieden, dass die Universitätskliniken in Gießen und Marburg zunächst fusioniert und anschließend privatisiert werden sollen. Damit wollte der Ministerpräsident einen Schlussstrich unter eine Debatte ziehen, die er selbst vor über eineinhalb Jahren im Rahmen der Pressekonferenz zur Operation „düstere Zukunft" angezettelt hat. Er verbindet mit dieser Entscheidung die Hoffnung, dass eine Lösung der Probleme, die insbesondere am Universitätsklinikum Gießen existieren, erreicht werden kann.

In dieser Einschätzung wird er von der überwiegenden Anzahl der Universitätsgremien unterstützt. Aber es regt sich auch Widerstand: Die Personalräte beider Kliniken, die Marburger Stadtverordnetenversammlung in einem einstimmigen Beschluss und die SPD in Gießen und Marburg lehnen diesen Weg als falsch ab. Stadtverordnetenversammlung und Kreistag in Gießen haben in einstimmigen Beschlüssen klare Forderungen im Hinblick auf die Umsetzung des Koch'schen Plans gestellt. Dieser hat auf keine der vielen Fragen bisher eine klare Antwort gegeben. Auch die Art, wie der Prozess gesteuert werden soll, lässt Zweifel aufkommen, ob die Interessen der Region und der Beschäftigten gewahrt werden können. Hauptsteuerer ist nunmehr der Wissenschaftsminister Corts, der bisher entweder gar nicht oder als einseiliger Lobby ist der Rhein-Main-Intcressen aufgetreten ist. Die Personalräte sollten zunächst gar nicht beteiligt werden, nach geharnischten Protesten wurde ihnen nun eine "Gast"rolle eingeräumt. Für die Transparenz des Prozesses, auf den es entscheidend ankommen wird, verheißt das nichts Gutes.

Der Einschätzung des Ministerpräsidenten, der wörtlich in seiner Regierungserklärung formulierte, wir sind sicher, dass wir damit ein weiteres hessisches Leuchtturmprojekt in der mittelhessischen Region schaffen, können die Kritiker nicht folgen. Zumal ein Leuchtturm ein Warnsignal für fahrende Schiffe vor einer gefährlichen Stelle ist. Wer aber will schon, dass alle um Gießen und Marburg einen weiten Bogen machen. Für Mittelhessen sind die beiden Kliniken der wichtigste Arbeitsplatzanbieter. Rund 10.000 Menschen arbeiten in beiden Kliniken. Es ist zu befürchten, dass es zu erheblichen Leistungseinschnitten für die Beschäftigten und zu einem massiven Personalabbau bei der Übernahme durch einen privaten Krankenhauskonzern kommt. Die Beschäftigungsgarantie - ein Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis zum Jahr 2010 - ist ein wichtiges, aber unzureichendes Signal. Fakt ist, dass diese Garantie bis heute weder vom Aufsichtsrat noch von der Landesregierung konkretisiert wurde und dass allen Beschwörungen zum Trotz ein Stellenabbau von bis zu 30 % zu erwarten ist. Er betrifft viele der heute Beschäftigten: z. B. haben alle Assistenzärzte befristete Verträge und müssen alle l 2 Jahre neu eingestellt werden. Hier gilt die Garantie nicht. Im Gegenteil: viele haben letztes Jahr Mitteilungen bekommen, dass ihre Verträge nicht verlängert werden. Das gleiche gilt für die Pflege: auch hier gibt es ziemlich viele befristete Verträge. Auch die sind von der Garantie nicht erfasst.

Das regionalpolitische Hauptärgernis ist, dass viele Landesregierungen - egal welcher Couleur - kein hinreichendes Augenmerk auf die Region Mittelhessen hatten. Die eklatante Ungleichbehandlung hat aber inzwischen neue Dimensionen erreicht. Alleine bei den Investitionen an den drei Standorten seit 1975 wird dies sehr deutlich: In Frankfurt 305 Mio. Euro, in Marburg 300 Mio. Euro und in Gießen 177 Mio. Euro. Blickt man auf die aktuellen Investitionen, wird das Bild noch härter: Frankfurt 330 Mio. Euro, Marburg 154 Mio. Euro und Gießen nur 10 Mio. Euro. Angesichts dieser Zahlen ist die Sorge in der Region mehr als berechtigt, dass sich die Landesregierung aus ihrer Verantwortung für Mittelhessen und die beiden Universitätskliniken insgesamt herauszieht. Insgesamt wird man den Verdacht nicht los, dass die Landesregierung am liebsten eine mittelhessische Klinik (und Universität???) los werden möchte.

In Mittelhessen wird daran erinnert, dass die Investitionsnotwendigkeiten noch vor zwei Jahren unumstritten waren. Ein bereits erteilter, konkreter Planungsauftrag wurde allerdings im Rahmen der "Operation düstere Zukunft" am 2. September 2003 aufgekündigt. Und es folgte der lapidare Satz, dass zwei Klinika in 28 km Entfernung eigentlich eins zu viel sei!

Allen Beteiligten in Mittelhessen ist die Notwendigkeit von Veränderungen und Umstrukturierungen bewusst, verschiedene Modelle wurden diskutiert, aber nie zu Ende geprüft. Die Landesregierung wollte all diesen Debatten ein Ende machen. Man wird sehen, ob sie damit durchkommt. Auch wenn der Zeitplan kurz ist: Politisch hat sie noch einen langen und steinigen Weg vor sich! Die Kritiker der Pläne formieren sich und stimmen ihre Positionen ab, um zu ei1 ner gemeinsamen Strategie für Marburg und Gießen zu kommen. Für Mittelhessen geht es um das Rückgrat der wirtschaftlichen und sozialen Stabilität. Politische Experimente verbieten sich dabei, klinische Versuche am lebenden Patienten auch!