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"Eine ehrliche Bilanz ist überfällig"

Mieterbund-Chef Rips kritisiert den Wohnungsausverkauf

Franz-Georg Rips (56) leitet seit zehn Jahren den Deutschen Mieterbund in Berlin. Der Westfale gilt als streitbarer Experte in Immobilienfragen. Als oberster Vertreter von 20 Millionen Mieterhaushalten findet der Jurist bei Politikern stets ein offenes Ohr. Thomas Wüpper sprach mit dem Immobilienexperten Rips über den drohenden Ausverkauf öffentlicher Wohnungsbestände.

Warum stürzen sich vor allem US-Fonds derzeit auf deutsche Wohnungsbestände?

Mit maximal 500 Euro pro Quadratmeter und im Schnitt 32 500 Euro pro Wohnung gibt es deutsche Immobilienpakete zum Schnäppchenpreis. In USA oder Großbritannien sind die Preise viel höher. Dort besteht schon wieder die Gefahr, dass die Blase platzt. Daher sollen bis zu 20 Milliarden Euro in den deutschen Markt gepumpt werden. Das würde zum Kauf von 615000 Wohnungen reichen.

Warum sehen Sie die Wohnungsverkäufe der öffentlichen Hand so kritisch?

Bisher gibt es in Deutschland den Konsens, dass Wohnungen Wirtschafts- und Sozialgut sind. Das heißt, man ist sich einig, dass Eigentümer eine soziale Verantwortung haben. Vor allem Käufer aus den USA sehen das anders, sie sind nur aufs schnelle Geld aus. Alles andere interessiert sie meist wenig.

Neoliberale Experten begrüßen den Kapitalstrom nach Deutschland und bezweifeln, dass Bund, Länder und Kommunen überhaupt Wohnungen besitzen sollten.

Da wird völlig ignoriert, dass ein sozialer Staat dafür verantwortlich ist, dass jeder ein Dach über dem Kopf hat. Gerade Einkommensschwache oder Großfamilien mit Kindern haben oft genug Probleme, Wohnraum zu finden.

Warum verkaufen die Politiker trotzdem?

Da regiert die reine Finanznot. Die Fiskal- und Haushaltspolitiker haben das Sagen. Dabei werden die schädlichen langfristigen Folgen des Ausverkaufs ignoriert.

Zum Beispiel?

Sozialreformen wie Hartz IV führen dazu, dass schon bald zehn Millionen Deutsche auf staatliche Hilfe angewiesen sein werden. Wenn wir so weitermachen, haben wir bald auch in deutschen Großstädten Slums und Gettos, in denen Arme und Bedürftige dahinvegetieren. Eine ehrliche Bilanz über alle Vor- und Nachteile der Wohnungsprivatisierungen ist überfällig.

Warum?

Die Verkäufe stopfen doch nur kurzfristig die ärgsten Haushaltslöcher. Wenn die privaten Käufer aber dann die Mieten erhöhen, zahlt der Staat doppelt. Zum einen wird dann mehr Wohngeld und Miete für Sozialfälle fällig. Zum anderen müssen die Kommunen teuer Belegrechte für Bedürftige kaufen, weil der Zugriff auf eigene Unterkünfte fehlt. In ganz Deutschland gibt es nur noch 1,7 Millionen Sozialwohnungen, jedes Jahr läuft für 100 000 Quartiere die Mietbindung aus. Das heißt, günstiger Wohnraum wird immer knapper.

Warum sollten die Mieten steigen?

Das kommt zwangsläufig. In den ersten fünf Jahren können die Investoren ihre hohen Renditen durch betriebswirtschaftliche Optimierung und den Weiterverkauf der besten Objekte erzielen. Nach diesem fragwürdigen Rosinenpicken bleiben nur Mieterhöhungen, um die Gewinne zu sichern. Nach zehn Jahren ist die Zitrone ausgesaugt, dann verlieren die Käufer die Lust. Die Restbestände werden an der Börse verscherbelt.

Franz-Georg Rips

(Aus der "Stuttgarter Zeitung" im August 2005)