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Krankenhäuser und anderes - direkte Demokratie und Privatisierung

Stefan Nagora, 20 Jahre, befragt zur Bundestagswahl als erstmaliger Wahlteilnehmer, sagte unter anderem: „Es müßte viel mehr Bürgerbeteiligung in der Politik geben" (ND 10/11.09.05) Diese Einzelmeinung wird durch eine Emnid-Umfrage vom 14/15.09.05 sinngemäß unterstrichen, in der die Forderung „daß die Politiker der Partei, die ich wähle, wieder mehr auf das Volk hören" von 89 % der 1000 Befragten unterstützt wird (ND 21.09.05).

Damit wird ein Kernproblem unserer heutigen Demokratie von erheblicher Tragweite angesprochen.

Unsere Demokratie ist nahezu 100-prozentig eine „Vertreter"-Demokratie. Bürger lassen sich über längere Zeiträume (4-5 Jahre) durch Parteien bzw. Abgeordnete vertreten. Nicht immer in einer Legislaturperiode stimmen deren Vorhaben mit der Bürgermeinung überein. Es gibt zweifelhafte Fälle, und nicht immer ist das Verhältnis vom Gewählten zum Wähler von Vertreterbewusstsein und Transparenz geprägt. Vollkommen außen vor bleiben die Stimmen der Nichtwähler. Mehrheiten sind fragwürdig.

Wie steht es konkret mit dem Zustand der direkten Demokratie?

Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit ergeben ein wenig erfreuliches Bild; direkte Demokratie ist eher verkümmert.

Nehmen wir die Verabschiedung der EU-Verfassung.

Laut Gesetzeslage war das in Deutschland eine Sache des Bundestages, also legal. Der Bürger ist dabei weitgehend ungefragt geblieben. Nicht einmal eine Diskussion in der Öffentlichkeit wurde von der Regierung oder den meisten Parteien initiiert. Wer weiß, was die Gründe dafür waren. Interessierte hatten Schwierigkeiten, sich überhaupt mit dem Inhalt des EU-Verfassungsentwurfes vertraut zu machen.

Also: Einerseits Berufung auf die Legalität - ein formales Argument. Legalität ist kein sakrosankter Dauerzustand; die Verfassung der BRD bietet Möglichkeiten zur Veränderung der Gesetzeslage an. Man müßte sie nur wollen.

Andererseits: Wenig und zu späte Transparenz. So haben die meisten Bürger den Vorgang nur oberflächlich oder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Dieser Verlauf dürfte die  beklagte Politikverdrossenheit der Bürger kaum gemindert haben. Und zur Förderung der politischen Bildung und Aktivität der Bürger hat diese Vorgehendweise auch nicht beigetragen. Anstelle Bürgerbeteiligung - Bürgerausgrenzung.

Daß es auch anders geht, zeigen die Bürgerbefragungen in Frankreich und anderen Ländern. Zum Teil gab es dazu konträre Positionen - gewünschte Zustimmung seitens der Regierung aber Ablehnung durch die Bürger (Frankreich, Niederlande).
Wichtig ist aber die inhaltliche Auseinandersetzung im Vorfeld der Abstimmungen. Der EU-Verfassungsentwurf wurde dabei weitgehend als das erkannt, was er ist: ein Produkt des neoliberalen Zeitgeistes!

Zweites Beispiel: Privatisierung der Krankenanstalten in Hamburg.

ND berichtete darüber am 16/17.07.05. Direkte Demokratie erbrachte eine Bürgerbefragung. Der CDU-dominierte Senat beabsichtigte die Privatisierung. Die Bürgerbefragung im Februar 2004 ergab eine Ablehnung mit ca. 77 %. So unterschiedlich waren die Positionen. Aber das Hamburger Verfassungsgericht befand, daß Bürgerentscheide durch Parlamentsbeschluss wieder aufhebbar sind. Und so wurden die Privatisierungsaktivitäten wieder aufgenommen - alles legal und zugleich absurd, die totale Negierung der Bürgermeinung. Dieses Beispiel zeigt drastisch, wie veränderungsbedürftig die gesetzlichen Regelungen zur gesamten Problematik direkter Demokratie sind.

Diese Beschädigung der direkten Demokratie hat noch als zweiten Effekt den Verlust der Einflussnahme der Bürger auf die Mitgestaltung der Entwicklung der Krankenanstalten, die ihnen als Eigentümer, als Bürger der Stadt Hamburg, zustand. Also doppelter Demokratieverlust!

Die Privatisierung ist ein Feld, wo offenbar Bürger- und Regierungsmeinung (vom Bund bis zur Kommune) weitgehend auseinander klaffen. Solche Beispiele wie Hamburg machen Schule: Zur Zeit findet auch eine Auseinandersetzung um die Privatisierung das Berliner Uniklinikums Charite` statt. Die „ JW „ vom 06.05.05: “Der Ausschluss von Privatisierungen sei für ver.di eine Vorbedingung für eine Tarifeinigung". So die Position der Gewerkschaft.

Ausführlich ist im ND vom 14.09.05 das Vorgehen der Rhön-Ag bei der Privatisierung des Klinikums in Hildesheim beschrieben. Nahezu allgemeingültig sind die Folgeerscheinungen dabei. Zitat: „Es wird abgebaut, bei den Gehältern, Zulagen und beim Personal. Im Labor, in der Physiotherapie und einzelnen Stationen werden 20-30 % der Arbeitsplätze gestrichen.“
Schließlich soll noch auf die derzeit betriebene Privatisierung des städtischen Krankenhauses in Wismar eingegangen werden.

Die direkte Demokratie kam hier vom Anbeginn an kaum zum Zuge. Eine öffentliche Diskussion fand praktisch nicht statt. Die Informationen im „ Stadtanzeiger zeigten lediglich an, dass „Interessenbekundungen" eingeholt werden sollten  und später, dass rückwirkend zum 01.01.005 eine GmbH gegründet worden ist. Sonst war in dem Publikationsorgan der Stadt zur Bürgerschaftssitzung nur zu lesen: „Nichtöffentliche Sitzung - Bericht der  Bürgermeisterin zum Krankenhaus". Und das war es dann.

Auf Schreiben der Attac-Gruppe Wismar an die Fraktionen der Bürgerschaft mit ausführlichen Argumentationen gegen die Privatisierung gibt es bis heute keine Antworten.

So steht es um Transparenz und Bürgernähe der Bürgervertretung.

Den Privatisierungsbestrebungen entgegen zu steuern versuchte nur die Attac-Gruppe Wismar. Immerhin bewirkten Attac-Lesermeinungen in der Presse, daß die Stadt erstmals öffentlich zu ihren Privatisierungsabsichten Stellung nahm (Ostseezeitung vom 26.07.05) und dass in verschiedenen Gremien das Problem kontrovers diskutiert wird. Eine Flugblattaktion von Attac Wismar trägt ebenfalls dazu bei.

Im Rückgriff auf den eingangs zitierten Wunsch von Stefan Nagora nach mehr Bürgerbeteiligung gilt es Schlussfolgerungen zu ziehen. Wie berechtigt dieses Anliegen ist, wird aus den Beispielen deutlich.

Was ist zu tun ?

Die Zivilgesellschaft (Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbände, Bürgerbewegungen, Attac u.a.)  sind gehalten, ihre Aktivitäten gegen Sozialabbau, Demokratiedemontage und neoliberale Auswüchse zu verstärken, enger zusammen zu rücken und sich gegenseitig zu unterstützen. Regionale Sozialforen sind dazu ein Anfang.

Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, um auf dem Wege der direkten Demokratie unmittelbar Einfluss auf das politische Geschehen zu erwirken, etwa durch Zugang zu den politisch-konstitutionellen Gremien (z.B. in der Kommune in den Ausschüssen der Bürgerschaft und dergleichen) mit Argumentationsmöglichkeiten und Vorschlagsrecht. Mehr Transparenz - Glasnost - im politischen Leben und auf dem Gebiet der Ökonomie ist notwendig. Das gilt für alle Ebenen: Bund, Länder und Kommunen.

Ein gemeinsames Anliegen der Mitglieder der Zivilgesellschaft sollte es sein oder werden, drauf zu drängen, die Hürden abzubauen, welche die Möglichkeiten der direkten Demokratie einschränken. Eine verfassungsmäßige Verpflichtung für alle parlamentarischen Institutionen sollte es werden, für bestimmte einschneidende gesellschaftliche Probleme auf Anregungen aus der Zivilgesellschaft hin Bürgerbefragungen zu organisieren, z.B. bei Privatisierungen, bei Abbau sozialer Rechte der Bürger oder bei voraussehbarer Umweltbeeinträchtigung bzw. -zerstörung.

Heinz Gliemann, Attac Wismar