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22.09.2006   17:17 Uhr  
 

"Wo sind Sie, Herr Mehdorn" -  Privat und billig - nein danke

Bei der Deutschen Bahn könnten in der kommenden Woche die Warnstreiks losgehen - viele Beschäftigte wollen den Börsengang in letzter Minute verhindern.

Von Michael Bauchmüller


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Mit Plakaten wie diesen protestieren die Beschäftigten gegen den Börsengang der Bahn.
Foto: dpa
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Es hätte die ganz große Koalition sein können, die große Koalition des Arbeitgebers Bahn und seiner 240 000 Beschäftigten. Jetzt aber steht Norbert Hansen, Chef der Bahngewerkschaft Transnet, auf dem Vorplatz des neuen Berliner Hauptbahnhofs, das Mikrofon fest in den Händen. Er ruft: "Wo sind Sie, Herr Mehdorn?"

Niemand aus dem Unternehmen steht auf dem Podium der "Betriebsversammlung im Freien", niemand hat sich aus dem nahen Bahntower hergewagt. Dabei hätte sich dort oben auf dem Podium die große Koalition der Bewahrer zeigen können. Zwischen Bahnchef Hartmut Mehdorn, der landauf, landab zu verhindern versucht, dass "seine" Bahn ohne ihr Schienennetz privatisiert wird. Und den Beschäftigten, die nun zu Hunderten aus Bahnwerken rund um Berlin in die Hauptstadt angereist sind - und die "ihre" Bahn so behalten wollen, wie sie ist: samt Zügen, Bahnhöfen, Gleisen. Und möglichst im Besitz des Staates.

Wie ein Glaubensstreit

In den kommenden Wochen könnte es bei der Bahn zum ersten Mal seit 14 Jahren wieder richtige Streiks geben. Kommenden Donnerstag, wenn Parlamentarier und Regierung wieder über die Privatisierung der Deutschen Bahn reden, endet die Friedenspflicht.

Vordergründig geht es den Beschäftigten um ein tarifpolitisches Werk mit dem monströsen Namen "Beschäftigungssicherungstarifvertrag", das mit dem Börsengang den Bach hinuntergehen könnte. Eigentlich aber geht es um den Börsengang als solchen.

Die Choreographie hätte perfekt sein können: Bahnchef Mehdorn kämpft für den Börsengang der "großen" Bahn, und hunderttausende Beschäftigte kämpfen mit - wie zufällig zur gleichen Zeit, zu der im politischen Berlin die Entscheidung fällt. Doch das Bild an der Basis, die in diesen Tagen überall in Deutschland zu "öffentlichen Betriebsversammlungen" zusammenkommt, sieht anders aus: Bahnchef Mehdorn will den Börsengang, tausende Beschäftigte wollen ihn nicht. "Börse ist sowieso immer schon mal schlecht", sagt ein namenloser Bahnmitarbeiter mit außerordentlich festem Händedruck. Sechs Namenlose um ihn herum nicken. Niemand könne absehen, wie privates Kapital das Unternehmen verändere. Das wollen viele nicht.

Im normalen Leben überprüfen sie Brandenburgs Eisenbahnbrücken auf Rost, Statik, Schwachstellen. "Es gibt einen öffentlichen Auftrag, den kann man nicht privatisieren", sagt einer der sieben.

Auch er will seinen Namen lieber nicht nennen: Es bringe einem nichts als Ärger, sich in solchen Fragen öffentlich zu äußern. Kritik am Börsengang ist bei der Bahn in diesen Tagen nicht opportun. Der Börsengang soll schließlich der krönende Abschluss für den Vorstandschef werden. Die Sache eilt.

Die Privatisierung ist ausgemachte Sache, seit der Bahnreform 1994 schon. In den vergangenen Monaten entstanden deshalb stapelweise Papier, Gutachter urteilten pro und kontra,kontra und pro, Anhörungen gingen bis tief in die Nacht.

Doch selbst innerhalb der Regierungskoalition hat die Debatte die Züge eines Glaubensstreits, der Weg zum Konsens ist lang wie das deutsche Streckennetz. Auf der Suche nach dem goldenen Mittelweg prüfen Regierung und Koalitionsfraktionen diverse Modelle, doch jedes von ihnen wird die Bahn verändern. Das Modell der Gewerkschaften - alles bleibt wie es ist - hat wohl nur in einem Fall eine Chance: Wenn es den Börsengang gar nicht erst gäbe.

Zu diesem Zweck steht Loly Ackermann Tag für Tag auf dem Berliner Wittenbergplatz. Frau Ackermann, Mitglied einer Berliner Attac-Gruppe, sammelt dort Unterschriften gegen den Börsengang. "Was da verschleudert wird, ist unser letztes Volksvermögen", sagt die Dame. "Das kann man doch nicht hinnehmen."

Stimmungsumschwung macht nervös

Die Börsengegner haben Flugblätter drucken lassen, die sehen im länglichen rot-weißen Design aus wie "Reisepläne", die Schaffner in die Sitztaschen ihrer Intercitys stecken. Auf diesem aber greift eine böse Heuschrecke nach einem D-Zug - internationale Finanzhaie verschlingen die gute alte Bahn. "Die Bahn ist öffentliches Gut", steht drunter. 600.000 Unterschriften will Frau Ackermann nun sammeln - zusammen mit anderen in der ganzen Republik.

Der Stimmungsumschwung macht zunehmend auch die Bahnspitze nervös.
Der Streik der Beschäftigten könnte eine Eigendynamik entwickeln, die eine vernünftige Einigung noch schwerer macht. Schon jetzt liegen SPD und Union weit auseinander. Die SPD, besorgt auch über die Stimmung an der Gewerkschaftsbasis, würde Mehdorn gerne weit entgegenkommen - einmal abgesehen von einigen Verkehrs- und Haushaltspolitikern.

Die Union dagegen wollte ursprünglich Zugverkehr und Schienen strikt trennen, nur der Bahnbetrieb sollte an die Börse. Der Konzern soll so gar nicht erst in Versuchung kommen, dereinst Wettbewerber von attraktiven Trassen fern zu halten. Irgendwo in der Mitte liegt eine Privatisierung, bei der zwar der Bund Eigentümer der Schienen bliebe, die Bahn aber auf lange Sicht damit betraut würde, das Netz zu bewirtschaften. Zu den diversen Modellen könnte sich nun eines gesellen, das Mehdorn so gar nicht passen kann: eine Verschiebung des Börsenprojekts.

Im Hintergrund biegt gerade der Interconnex aus Gera in den Berliner Hauptbahnhof ein, einer der wenigen ernsthaften Bahn-Wettbewerber Deutschlands, als Heinz-Gerd Kretschmer, Betriebsratschef des Bahnwerks Cottbus, den Katalog der Grausamkeiten enthüllt. "Interessierte Kreise aus der Industrie und die Konkurrenz wollen uns am Boden sehen", ruft er der Versammlung zu. "Eine Zerschlagung hätte schreckliche Konsequenzen." Tausende Arbeitsplätze bei Bahntöchtern seien bedroht. Der Bund könnte auf die Idee verfallen, Teilnetze der Bahn an die Bundesländer zu verkaufen. Jahrzehntealte Privilegien der Bahnbeschäftigten könnten verloren gehen.

Herbert Pesch hat es nicht weit gehabt zur Demonstration, er arbeitet bei der Bahn gleich in Berlin. Das Unternehmen ist größter Arbeitgeber in der Hauptstadt, unterhält hier die Konzernzentrale, lässt die S-Bahn verkehren, beschäftigt Leute wie Pesch - im Gleisbau. "Im Grunde", sagt er, "könnte das auch eine Baufirma machen". Deswegen hat er sich die Plastikfolie über die Brust gezogen, auf die hat die Bahner-Gewerkschaft Transnet drucken lassen: "Schütze deine Bahn". Ehrlicherweise hätte dort auch stehen können: Schütze deinen Job. Denn sollte die Bahn ihr Netz verlieren, da ist Pesch sicher, "dann können die auch irgendwelche Firmen anheuern, die dann unsere Arbeit machen".

Die Ängste der Beschäftigten sind handfest: Längst gibt es nicht mehr "den Bahner". Da sind Servicekräfte, Reinigungsfachleute, Mechaniker, Bauarbeiter wie Herbert Pesch. Ihr innerer Zusammenhalt ist bislang das Unternehmen Deutsche Bahn. Nur unter dem gemeinsamen Tarifdach werden sie bislang besser entlohnt als andere Reinigungskräfte, Mechaniker, Bauarbeiter. Doch die Bahner von morgen könnten billiger sein, angestellt nicht mehr bei der Bahn, sondern bei Subunternehmen. "Die Tarifverträge werden in diesen Sphären, in denen sie heute sind, nicht mehr sein", wird später die Betriebsratschefin eines Cottbusser Ablegers in entwaffnender Offenheit ins Mikrofon diktieren. "Das können wir uns nicht gefallen lassen."

Kritiker werden nicht müde, den drohenden Arbeitskampf als verkappten politischen Streik zu geißeln. Sie haben nicht Unrecht: Um den Tarifvertrag geht es allenfalls Gewerkschaftsfunktionären mit Sinn für Paragrafen. Aber auch um Politik geht es nur mittelbar: Die hier streiken wollen, haben schlicht Angst - Angst vor Veränderung zu ihren Lasten.

(SZ vom 23.09.2006)