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Bericht aus HLZ Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 61.Jahr Heft 10 Oktober 2008
Zu denen, die immer wieder den
Finger in die Wunde des Sozialstaats legen, gehört der Deutsche
Kinderschutzbund (DKSB). Präsident Heinz Hilgers: „Alle Kinder haben ein
Recht auf gleiche Bildungschancen. Daher fordert der Deutsche Kinderschutzbund
endlich Chancengcrechtigkeit in der Bildung für alle Kinder. Dies heißt
kostenlose Bildung von der Krippe bis zur Ausbildung und kostenlose Betreuung
in Ganztagsschulen. Verpflegung in Ganztagsschulen muss für alle Eltern
bezahlbar sein, und es muss eine vollständige Lernmittelfreiheit geben!"
Hilgers prangert weiter die bundesweite Aushöhlung der Lernmittelfreiheit an,
die hohen Kosten schon bei der Einschulung und die unzureichende finanzielle
Ausstattung der Hartz-TV-Familien. Aber selbst wenn hier Abhilfe geschaffen und
eine kostenfreie Grundversorgung gewährleistet würde, bliebe doch der Skandal,
dass „bessere Bildung", Bildung „mit Sahnehäubchen", den
Kindern von einkommensstarken Eltern vorbehalten bleibt.
Privatschulen mit exklusiven oder im Vergleich zu den unzureichend
ausgestatteten Öffentlichen Schulen besseren Lernbedingungen,
Nachhilfeeinrichtungen und exklusive Zusatzangebote boomen. Jedes Jahr werden
in Deutschland 80 bis 100 neue allgemeinbildende Schulen in privater
Trägerschaft gegründet. 20 % aller Eltern würden ihre Kinder gern auf eine
Privatschule schicken. In Ostdeutschland besuchen in manchen Regionen
inzwischen über 20 % der Kinder eine Privatschule. Freie Träger übernehmen
durch den Schülerrückgang leer stehende Schulgebäude. Privatschulen brauchen
keine Klassenrichtwerte oder Mindestzügigkeit nachzuweisen. Seit 1992 stieg die
Zahl der Schülerinnen und Schüler an Privatschulen um mehr als 50 % auf jetzt
fast eine Million. Mit einem Anteil von 6,5 % (5,5 % in Hessen, 10,0 % in
Bayern) liegt der Anteil der Schüler, die 2005 eine Privatschule besuchten, im
internationalen Vergleich am unteren Ende. Die höchsten Anteile verzeichnen die
Niederlande (76,4%), Belgien (56,3 %) und Großbritannien (41,5%).
Entscheidung für soziale Segregation
Auffällig ist der Wandel der Privatschullandschaft. Immer stärker nehmen die
Privatschulen auch ein einkommensstarkes rot-grün-bürgerliches Elternklientel
ins Visier, Eltern, die sowohl der Mängelverwaltung der öffentlichen Schulen
und starken sozialen Durchmischung entgehen wollen als auch dem Leistungsdruck
und dem pädagogischen Traditionalismus. Auch Traditionsschulen werben zunehmend
mit einer reformpädagogischen Ausrichtung bis hin zum Alternativschulkonzept
der Neuen Schule in Hamburg, einer Schule ohne Lernzwang und Stundenplan, die
vor allem durch ihre Initiatorin, die Rocksängerin Nena {„99
Luftballons"), bekannt wurde.
An der neuen privaten Gesamtschule in Wiesbadcn-Klarenthal auf dem Gelände der
ehemaligen Garten- und Landschaftsakademie gibt es natürlich einen Wochenplan
und einen offenen Anfang, „kompetenzstufenorientiertes" Lernen,
Blockstunden für individuelles Lernen und „überschaubare Lerngruppen mit
zwei Lehrkräften in jeder Klasse" (FAZ, 6. 8. 2008). Initiatoren sind die
publicity-wirksame frühere Leiterin der Wiesbadener Helene-Länge-Schule Enja
Riegel, der Mitbegründer der Wiesbadener Montessori-Gmndschule Rainer Völkel
und der Evangelische Verein für Innere Mission, der das Grundstucksgeschäft
tätigte. Das Schulgeld beträgt zwischen 200 und 850 Euro, das Mittagessen
kostet 95 Euro im Monat. Enja Riegel versteht die Gründung der Privatschule als
Teil des Protests gegen die hessische Schulpolitik und die frühe Trennung der
Kinder nach der gemeinsamen Grundschulzeit. Warum sich daran etwas ändern soll,
„wenn immer mehr engagierte Eltern Privatschulen bevorzugen" (FR,
12. 1. 2008), wissen die Götter. Oder nicht einmal diese, bedenkt man nämlich,
dass die Entscheidung für eine Privatschule neben anderen ehrenwerten und
nachvollziehbaren Motiven immer auch eine Entscheidung für soziale Segregation
ist. Daran ändern auch mantramäßig vorgetragene Behauptungen nichts, dass das
Schulgeld „sozial gestaffelt ist" und dank Firmenspenden „auch
ein Kind aus einer Hartz-IV-Familie" aufgenommen wurde. Peter Ferres
(Metropolitan School Frankfurt) beteuert, er mache es - mit 550 Euro für die
Halbtagsgrundschule und 770 Euro für den Ganztagsplatz - „so günstig wie
es geht, aber vor allem qualitativ so gut wie es sein muss" (FR, 24. 8.
2007).
Schulen im Wellness-Format
Die reformpädagogische Orientierung ist vor allem auch ein Merkmal neuer
überregional und transnational agierender Träger (Phorms-Schulen,
Erasmus-Schulen und andere). Die Werbung der Phorms-Schule [Schulgeld 220 bis
670 Euro pro Monat) liest sich wie eine Wellness-Broschüre:
„Die Grundlage des schulischen Alltags ist Optimismus. Wir sagen
uneingeschränkt Ja zu unserer Persönlichkeit, unseren Möglichkeiten und dem
Miteinander aller. (...) Die Kinder brauchen das Gefühl, harmonisch und ohne
Reibungsverluste die Schule zu durchlaufen. Wir vermitteln ihnen dabei unsere
Werte und sie erfahren Freude am Erfolg. (...) Unsere Lehrkräße vermitteln eine
globale Perspektive, internationale Aufgeschlossenheit und kulturelle
Verständigung durch gegenseitigen Respekt. Bei alldem sind wir in der lokalen
Kultur verwurzelt und bieten Kontinuität. Dazu gehört auch eine soziale
Ausgewogenheit in der Schülerschaft. Ein gesunder sozialer Mix spiegelt die
Realität in der Gesellschaft wider und pflegt eine Kultur, in der Kinder
gegenseitigen Respekt und Toleranz leben."
Und bei der Vorstellung des Phorms-Schulkozepts läuft dann zur Einstimmung -
wie kürzlich in Rüsselsheim - auch schon mal das Video „The Wall"
von Fink Floyd: Auf Fließbändern werden Schüler durch den Fleischwolf gedreht,
schließlich begehren sie auf und verbrennen alles: „We don't need no
education". Die Phorms AG gehört zu den neuen, eindeutig
gewinnorientierten Anbietern, die das klassische Privatschulmonopol der Kirchen
mit über 2.000 Privatschulen in Deutschland oder der Waldorfschulen mit 208
Schulen ankratzen. Wirtschaftsmanager Peter Ferres gründete die Metropolitan
Schule in Frankfurt, die im Sommer 2007 mit zwei Kindergartengruppen und zwei
Grundschulklassen startete. Medienwirksam setzte Ferres auch seine schöne
Schwester Veronika Ferres ein, an deren Karrierestart als Sekretärin Kufalt in
der Schulserie „Unser Lehrer Doktor Specht" sich vielleicht nur noch
wenige erinnern können.
Während der Migrantenanteil an öffentlichen Schulen als Stigma betrachtet wird,
werben gerade Privatschulen immer stärker auch mit ihrer Internationalität.
Klar, dass sie gerade an einem internationalen Wirtschaftsstandort wie
Frankfurt auf ein anderes Segment der „Internationalität" setzen,
auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausländischer Banken und Konzerne, die
Angestelltenaristokratie der Global Player. Eva Dude, Hauptgeschäftsführerin
der Industrie- und Handelskammer Offenbach, spricht sich im Interesse des
„Wirtschaftsstandorts" für die Einrichtung einer „mehrsprachigen
Ganztagsschule plus Kindergarten" aus. Zur Sanierung des avisierten
ehemaligen Gesundheitsamtes soll die Stadt mehr als eine Million Euro
hinblättern, die dann über die wiederum öffentlich subventionierte Miete wieder
„abzustottern" wäre (Frankfurter Rundschau vom 4. 8. 2008). Der
GEW-Kreisverband Offenbach nimmt den Träger der Schulgründung, die Frankfurter
Lehrerkooperative, zwar ausdrücklich von dem Vorwurf aus, es gehe solchen
Trägem „nicht in erster Linie um die Menschen und ihre Bildung, sondern
eben um ihren Profit", warnt aber vor „Schulen für
Gutsituierte". Vielmehr müssten „auch Kinder aus Familien, die sich
ein Schulgeld nicht leisten können, aufgenommen werden". Auch für die
öffentlichen Schulen müssten die pädagogischen Spielräume erweitert werden,
„die in den letzten Jahren mit starren Lehrplänen und zentralen Prüfungen
immer weiter eingeengt wurden".
National - bilingual - international
Die Diskussion um die Einrichtung von Privatschulen mit einem nationalen
Schwerpunkt kochte vor allem im Kontext des Besuchs des türkischen
Ministerpräsidenten Tayip Erdogan im Februar 2008 in Deutschland hoch. Ismaü
Özkan, Steuerberater und SPD-Stadtverordneter in Friedrichsdorf im Taunus,
gehört zu den Befürwortern einer türkischen Schule in Frankfurt. Im ersten
Schritt soll eine Grundschule eingerichtet werden, „die sich an Türken
richtet, aber für alle offen ist" (FR, 27. 2. 2008). Türkische
Privatschulen gibt es bisher in sechs deutschen Städten, alle außerhalb
Hessens. Gleichzeitig wird der herkunftssprachlichc Unterricht in öffentlichen
Schule immer weiter ausgedünnt. Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer für
ausländische Kinder im hessischen Schuldienst werden durch Konsulatslehrer
ersetzt mit der Folge einer schleichenden Auslagerung aus der Zuständigkeit und
Aufsicht der hessischen Schulbehörden. Nationalstaatlich orientierte Schulen
gibt es in Frankfurt unter anderem für Japaner, Koreaner und Griechen. Sie
richten sich vor allen an „Wirtschaftsnomaden, die sich für zwei oder
drei Jahre in Deutschland aufhalten" (ebenda). Mit dem Markenzeichen der
Internationalität werben am Bankenstandort Frankfurt auch die Internationale
Montessorischule, die Europäische Schule und die Internationale Schule im
Stadtteil Sindlingcn. Nicht zu übersehen ist der sprachliche Hegemonismus: Englisch,
Französisch, Spanisch und Japanisch sprechen zu können, gilt als
Karrieresprungbrett und Ausdruck von Bildung und Weitläufigkeit, Bilingualität
mit perfekten Türkisch- oder Arabisch-Kenntnissen als Zeichen von Zerrissenheit
und Rückständigkeit. Viola Georgi, Migrationsexpertin an der FU Berlin, nennt
das „einen Elite-Bilingualismus".
Öffentliche Schulen stärken
Der Prozess der sozialen Segregation beginnt inzwischen auch in den
Grundschulen, wo - bei aller Trennung der Kinder durch Wohnviertel und
Gestattungen zum Besuch einer Grundschule außerhalb der Schulbezirksgrenzen
-immer noch ein höheres Maß an gesellschaftlicher Integration und Durchmischung
unterschiedlicher sozialer und ethnischer Milieus stattfindet. In Frankfurt
eröffneten 2007 und 2008 vier neue private Grundschulen ihre Pforten. In
Heidelberg gibt es neben 17 öffentlichen Grundschulen inzwischen fünf in
privater Trägerschaft, drei weitere stehen kurz vor der Genehmigung. Hildegard
Klenk von der GEW Baden-Württemberg setzt die Forderungen der
Bildungsgewerkschaft dagegen: „Es muss im Interesse des Staates liegen,
Öffentliche Schulen so zu fördern, dass es uninteressant wird, sein Kind auf
eine private Schule zu schicken" (bäw Juni 2008).
Harald Freiling, HLZ-Redakteur