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12. 05.2007
SPIEGEL-ONLINE
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,482033,00.html
PRIVATE VERWALTUNG
Von Anselm Waldermann
Kapitalismus in Ämtern und Behörden: Der Bertelsmann-Konzern krempelt die
Verwaltung der Stadt Würzburg radikal um. In Zukunft gelten hier die Gesetze
der Privatwirtschaft, aus Bürgern sollen Kunden werden.
Würzburg - Noch ist Würzburg eine ganz normale Stadt. Wie überall in
Deutschland gibt es hier ein Amt für das Einwohner- und Meldewesen, eines für
die Zulassung von Kraftfahrzeugen, eines für Bewohnerparkausweise und eines für
die Hundesteuer. Außerdem gibt es dann noch das Fundbüro, die Abteilung für
Führungszeugnisse und das Amt für Gewerbeangelegenheiten. Eben der ganz normale
Bürokartieirrsinn einer ganz normalen Stadt.
Doch im nächsten Jahr soll sich das ändern. Würzburg ist eine Partnerschaft mit
dem Unternehmen Arvato eingegangen, einer Tochter des Bertelsmann-Konzerns.
Ziel der Vereinbarung: der radikale Umbau der Verwaltung nach den Gesetzen der
Privatwirtschaft. Die Arbeitsabläufe werden gestrafft, statt Akten gibt es
moderne Computer - und der Bürger wird zum Kunden. "Das Projekt ist
einzigartig in Deutschland", schwärmt Oberbürgermeisterin Pia Beckmann.
Erfahrung mit öffentlicher Verwaltung bringt Arvato reichlich mit. Im Bezirk
East Riding im englischen Yorkshire hat das Unternehmen fast sämtliche
kommunale Aufgaben übernommen. Arvato betreibt dort die Bürgerbüros, kassiert
die Steuern und zahlt das Wohngeld an Bedürftige. Das Prinzip heißt Public
Private Partnership (PPP): Öffentliche Institutionen gehen Bündnisse mit
privaten Firmen ein, die dann dem Staat einen Teil seiner Arbeit abnehmen.
In East Riding ist Arvato für 325.000 Einwohner zuständig. Doch von Anfang an
war klar, dass das Projekt nur Pilotcharakter haben sollte. Denn dem
Mutterkonzern Bertelsmann schwebt Größeres vor. Im Visier habe man
"Zentraleuropa und vor allem Deutschland".
Den Anfang macht hierzulande Würzburg. Unter dem Motto "schneller, besser,
effizienter" will Arvato die Geschäfte der Stadt umkrempeln.
CSU-Bürgermeisterin Beckmann hat schon einmal den Wortschatz der privaten
Wirtschaft übernommen: "Kundenorientierung", "attraktives
Arbeitsumfeld" und "Standortwettbewerb" gehören zu ihren
Lieblingsvokabeln.
Bisher müssen die Würzburger für Behördengänge weite Wege einplanen. Wie in
jeder deutschen Stadt gibt es für fast jedes Anliegen ein eigenes Amt.
"Wer etwas von uns will, muss durchs ganze Rathaus wandern", erzählt
die Bürgermeisterin. Auf Anraten von Arvato wird das nun anders.
Je nach Lebenslage hat man in Zukunft nur noch mit einem Ansprechpartner zu tun
- für Familien, Studenten oder Unternehmer. Wer zum Beispiel umzieht, muss das
nur noch einer einzigen Stelle mitteilen. Die kümmert sich dann um das
Kfz-Kennzeichen, den Personalausweis und die neue Mülltonne. Im Behördendeutsch
heißt das "fallorientierte Leistungserbringung" statt der bisherigen
"funktionsorientierten". Frei nach dem Motto: Der Bürger ist König.
Ein ganzer Flügel des Rathauses wird derzeit für das neue Bürgerbüro umgebaut,
ab 2008 soll der Betrieb beginnen. "Der Bürger hat dann nur noch einen
Weg", verspricht die Bürgermeisterin. Auf Personalversammlungen warb sie
für das Vorhaben: "Die Mitarbeiter sollen Spaß am Umgang mit Kunden
haben."
Die Idee zu dem Projekt hatte die Bürgermeisterin selbst. "Es war immer
mein Ziel, die Verwaltung effizienter und bürgerfreundlicher zu machen."
Nur mit der Umsetzung war die Stadt überfordert. "Das können wir nicht
alleine stemmen. Schon rein technisch nicht." Deshalb schrieb Beckmann das
Projekt aus. Mehrere Firmen bewarben sich, das Rennen machte schließlich
Arvato. "Die Stadt definiert das Ziel", sagt Christoph Baron, der
verantwortliche Manager des Unternehmens. "Und wir beschreiben den Weg
dorthin."
Minutiös haben beide Seiten geregelt, wer bei der Kooperation was tun darf. Im
Vertragswerk gibt es ein eigenes Kapitel für den Fall, dass sich Stadt und
Unternehmen einmal nicht einig werden. "Das letzte Wort hat weder Arvato
noch die Stadt", erklärt Kommunalreferent Wolfgang Kleiner. "Im
Streitfall muss ein neutraler Schiedsrichter entscheiden."
2. Teil: Internet statt Rathaus
Die Vorarbeit für das Projekt haben Betriebswirte der Uni Würzburg geleistet.
Im Auftrag der Stadt untersuchten sie die Arbeitsabläufe der verschiedenen
Behörden und Ämter. Das erschreckende Ergebnis: Fast die Hälfte der Prozesse in
der Verwaltung werden für die Verwaltung selbst erbracht - sei es im
Personalwesen, bei der Beschaffung oder im Zahlungsverkehr.
Noch schlimmer ist es, sobald Verwaltungsfremde mit ins Spiel kommen: 70
Prozent der Anträge von Bürgern sind fehlerhaft oder unvollständig, vor allem
wegen schlechter Beratung oder schwer verständlicher Formulare. Für die
Mitarbeiter in den Ämtern bedeutet das einen enormen Mehraufwand, der vermieden
werden könnte.
Die Ergebnisse ließen sich getrost auf andere deutsche Städte übertragen, sagen
die Wissenschaftler. In einer durchschnittlichen deutschen Kommune kommen 150
verschiedene IT-Verfahren zum Einsatz. Jede Abteilung hat ihr eigenes
Computersystem, bei jedem Prozess müssen die Mitarbeiter viele unnötige Daten
eingeben: jedes Mal den Namen, jedes Mal das Geburtsdatum, jedes Mal den
Familienstand.
Arvato will noch deutlich mehr
Genau hier setzt das Konzept von Arvato an. Fehlerhafte Anträge sollen bald der
Vergangenheit angehören - weil der Computer schon bei der Eingabe darauf
hinweist. In Würzburg werden die Daten künftig über eine einzige
Benutzerplattform verwaltet. Das Kfz-Kennzeichen eines Bürgers lässt sich dann
gleichzeitig mit der Steuernummer seines Hundes eingeben - in einem einzigen
Vorgang.
In ein paar Jahren können die Bürger ihre Amtsgeschäfte sogar selbst in die
Hand nehmen. Über das Internet soll man die Geburt eines Kindes oder den Kauf
eines neuen Autos anmelden können - von zu Hause aus, auch sonntags oder
nachts. Ins Rathaus muss man dann nur noch, wenn eine Unterschrift nötig ist.
"Das ist schon 'ne tolle Sache", lobt die Bürgermeisterin.
Bedenken wegen des Datenschutzes hat sie nicht. "Die Daten kommen nicht in
den Einflussbereich von Arvato." Bei dem Unternehmen selbst sieht man das
ähnlich. Ein Missbrauch sei ausgeschlossen, verspricht Manager Baron. "Das
wäre auch hochgradig geschäftsschädigend."
Ginge es nach Arvato, dann wäre die Kooperation sogar noch enger geworden. Ein
Modell wie im englischen East Riding - einschließlich der Verwaltung des
kommunalen Haushalts - sei in Deutschland "generell auch denkbar",
sagt Baron. "Rechtlich wäre das überhaupt kein Problem."
27 Millionen Euro lassen sich einsparen
Entsprechende Gespräche führt Arvato nach eigenen Angaben schon mit mehreren
Kommunen. Der wichtigste Verbündete des Unternehmens ist dabei die chronische
Geldnot der Städte und Gemeinden. "Gerade die Haushaltslage vieler
Kommunen macht das lohnend", sagt Baron.
Ganz so weit wie in England will man in Würzburg allerdings nicht gehen:
"Das ist ganz anders als bei uns", beeilt sich die Bürgermeisterin zu
sagen. "Wir werden nicht privatisiert. Wir verkaufen keine Mitarbeiter an
die Privatwirtschaft."
Vorerst ist das Projekt auf zehn Jahre angelegt. Während der Laufzeit hofft die
Stadt, knapp 75 Stellen einzusparen, vor allem durch Effizienzgewinne bei den
Prozessabläufen. In Geldeinheiten würde das rund 27 Millionen Euro entsprechen.
Von dieser Summe muss die Stadt, wenn alles gut läuft, knapp zehn Millionen
Euro an Arvato zahlen, sozusagen als Beratungshonorar. In diesem Fall ist das
Projekt für beide Seiten ein Plusgeschäft. Läuft aber etwas schief, dann geht
das Unternehmen leer aus. "Wir werden Arvato keinen Cent zahlen, wenn es
keine Einsparung gibt", droht die Bürgermeisterin. Der Vertrag sei in
dieser Frage eindeutig.
Für die Bürger allerdings wird der Gang zum Rathaus auch in Zukunft nicht
billiger: Die Gebühren muss er nach wie vor bezahlen, sagt Beckmann.
"Amtshandlungen finden ja trotzdem statt."