GASTBEITRAG bei der Frankfurter Rundschau :vom 02.01.2002
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Konsolidierung ist kein Selbstzweck - Eichel steckt in der Klemme
Von Jan Priewe
Deutschland, so viel steht fest, steht am Rande einer Rezession. Trotzdem hat Bundesfinanzminister Hans Eichel beteuert, das Ziel des ausgeglichenen Haushalts von Bund, Ländern und Gemeinden bis 2004 werde unbeirrt beibehalten, obwohl das Defizit zuletzt deutlich höher ausgefallen ist als geplant. Eichels Sorgen gelten also vor allem der Staatsverschuldung, nicht aber der steigenden Arbeitslosigkeit.
Doch inzwischen ist aus "Hans im Glück" ein "Hans im Pech" geworden: Deutschland ist mittlerweile zusammen mit Italien Schlusslicht bei der Defizitquote und zugleich Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum.
Dabei wurde doch in Deutschland wahrlich "gespart": 1996 bis 2001 gingen die öffentlichen Ausgaben preisbereinigt um etwa neun Prozent zurück; die öffentlichen Bruttoinvestitionen sanken 1992 bis 2001 um real 30 Prozent, das öffentliche Personal wurde in Westdeutschland zwischen 1991 und 1999 um knapp 20 Prozent abgebaut, im Osten um 44 Prozent.
Der Ertrag des Konsolidierungskurses von Waigel und Eichel seit etwa Mitte der 90er Jahre besteht jedoch lediglich darin, dass die Zinslast der öffentlichen Haushalte (in Prozent des Bruttoinlandsprodukts, kurz BIP) von 3,7 auf 3,2 Prozent gesunken ist. Entsprechend sind die Zinsausgaben im Verhältnis zu den Steuereinnahmen von 16,3 Prozent auf dem Höhepunkt 1995 auf 13,9 Prozent 2001 zurückgegangen.
Der schwache Konsolidierungsertrag hat zwei Ursachen: Erstens wurden zugleich die Steuern gesenkt und dabei dem "angebotspolitischen" Dogma vertraut, niedrigere Steuern führten zu mehr Wachstum; und zweitens haben die permanenten Konsolidierungsversuche wie eine Nachfragebremse gewirkt und das Wachstum in den 90er Jahren auf durchschnittlich gerade einmal 1,5 Prozent gedrückt. "Hans im Pech" erscheint wie ein tragischer Held: Er hat's ehrlich und hartnäckig versucht, aber die Ökonomie hat ihm ein Schnippchen geschlagen.
Oder liegt das Problem derzeit nur an der aus den Vereinigten Staaten "importierten" vorübergehenden Wachstumsdelle, die unabwendbar war? Keineswegs. Wer zunächst eine Defizitquote von drei Prozent anstrebt (Maastricht-Kriterium) und dann ein ausgeglichenes oder überschüssiges Budget (Stabilitäts- und Wachstumspakt), setzt über Jahre hinweg auf restriktive Fiskalpolitik, die die Binnennachfrage schwächt.
Längst ist Konsolidierung in Europa zum Selbstzweck geworden. Wozu wird sie betrieben? Es gibt keine rationale ökonomische Begründung für ein ausgeglichenes Budget des Staates.
Für Inflationsbekämpfung, wie immer wieder angeführt wird, ist die Konsolidierung kein geeignetes Instrument. Beispielsweise leiden die Niederlande in diesem Jahr unter einer Inflationsrate von 5,2 Prozent, aber ihr Budget weist einen kleinen Überschuss auf. Auch Irland hat eine beträchtliche Inflation, aber einen Überschuss von drei Prozent des BIP.
Oder brauchen wir einen ausgeglichenen Haushalt für "Nachhaltigkeit" ? Versteht man darunter, dass die Zinslast im öffentlichen Haushalt nicht steigen soll, dann ist dieses Ziel erreicht, wenn (vereinfacht gesagt) die Schuldenquote (Schuldenstand in Prozent des Bruttoinlandsprodukts) nicht steigt. In Deutschland und im Euro-Raum sinkt sie seit einigen Jahren.
Konsolidierung, um zukünftige Generationen nicht zu belasten? Es ist eine Mär, dass Staatsverschuldung zu einer Lastenverschiebung von dieser auf die nächste Generation führe. Hingegen findet innerhalb jeder Periode ein Zahlungsstrom von den Steuerzahlern zu den Gläubigern des Staates statt. Die Verteilungswirkungen von Kredit- im Verhältnis zu Steuerfinanzierung sind höchst komplex und für politische Schlicht-Rhetorik nicht geeignet. Erfolgreiche Konsolidierung - im Sinne der Rückführung der Schuldenstandsquote - dient letztlich nur einem Ziel: Senkung der Steuerquote. Politisch mag man dies anstreben, aber alle ökonomischen Begründungen entpuppen sich meist als pure Ideologie (zum Beispiel "mehr Wachstum durch weniger Staat").
Jetzt, bei drohender Rezession, kommt die Nagelprobe für den Konsolidierungskurs. Immerhin tritt Eichel nicht in die Fußstapfen von Reichskanzler Heinrich Brüning anno 1931: Konjunkturelle Defizite sollen als automatische Konjunkturstabilisatoren zwar hingenommen werden. Das mag für Bund und Länder halbwegs gelten. Für die Kommunen trifft das keineswegs zu. Sie werden ihre Ausgaben im kommenden Jahr stark beschneiden. Dies müsste dringend vermieden werden. Ferner dürfen "strukturelle" Defizite in der Rezession nicht abgebaut werden.
Indessen rechnen die Forschungsinstitute aber mit einer leicht restriktiven Wirkung der Fiskalpolitik in Deutschland und Europa. Das heißt, ganz im Gegensatz zu den USA, wo der Staat gegen die Rezession ein Ausgabenprogramm setzt, wird in Europa der Abwärtstrend verstärkt.
Kommt es in diesem Jahr zu einer kräftigen Rezession und nicht zu einem Wachstum von 1,25 Prozent, wie das Bundesfinanzministerium hofft, wird vermutlich die magische Drei-Prozent-Marge überschritten. Deutschland fiele in eine selbst gestellte Falle. Keine Frage, was das für die Reputation des deutschen Finanzministers hieße.
Was wäre die Alternative ? Die Regierung muss präventiv handeln und nicht warten, bis eine schwere Rezession eintritt, wie etwa der Sachverständigenrat meint. Lassen wir also die automatischen Stabilisatoren voll laufen, verzichten wir auf die Konsolidierung "struktureller" Defizite in einer rezessiven Situation und initiieren ein mittelfristiges öffentliches Investitionsprogramm in Europa, zumindest durch eine Initiative von Frankreich und Deutschland.
Der Stabilitätspakt könnte so modifiziert werden, dass investitionsorientierte Kreditaufnahme zugelassen wird. Die Geldpolitik könnte auch noch weitaus stärker antizyklisch umgepolt werden.
Der größte anzunehmende Unfall wäre, gar nichts zu tun, außer vor Aktionismus zu warnen, und die Rezession auszusitzen. Es wäre ein Rückfall ins Laissez-faire-Dogma, das bis zur Weltwirtschaftskrise 1929 vorherrschte. Mit den bekannten Folgen.
Jan Priewe ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.
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Dokument erstellt am 01.01.2002 um 21:25:00 Uhr
Erscheinungsdatum 02.01.2002