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Preisschock auf dem Energiemarkt

Von Professor Renate Köcher

FAZ vom 19. Dezember 2007

Der Anstieg der Energiepreise alarmiert die Bevölkerung zunehmend. Seit dem Frühsommer dieses Jahres hat sich der Anteil der Bürger, den die Entwicklung der Preise für Strom, Gas und Öl sehr beschäftigt, von 41 auf 57 Prozent erhöht. Es gibt wenig anderes, was zurzeit auch nur annähernd so viel Beunruhigung hervorruft. Die Höhe der Steuern und Sozialabgaben, die Sicherheit der staatlichen Renten, die Folgen der demographischen Entwicklung, der Klimawandel, die Stabilität des Aufschwungs – alle diese Themen berühren die Bevölkerung weniger als die bange Frage, ob sich der Anstieg der Energiepreise weiter fortsetzt.

Nur 12 Prozent machen sich zurzeit große Sorgen, dass die Konjunktur schwächeln könnte, nur 17 Prozent beunruhigt die demographische Entwicklung; der Klimawandel stimmt trotz der ständigen Alarmrufe aus der Politik nur 25 Prozent der Bevölkerung sehr besorgt, die Höhe der Steuern und Sozialabgaben 35 Prozent. Dagegen ist zurzeit die Hälfte der gesamten Bevölkerung durch die Entwicklung der Energiepreise alarmiert, und zwar unabhängig davon, ob es sich um die Preisentwicklung bei Benzin, Öl, Gas oder Strom handelt.

Vor allem untere Einkommensschichten stark belastet

Obwohl der schwache Dollar die Auswirkungen des Preisanstiegs auf den Weltenergiemärkten für die Euro-Länder mildert, fühlt sich die überwältigende Mehrheit von den bisherigen Preissteigerungen persönlich stark oder sogar sehr stark betroffen. Das gilt insbesondere für die Kraftstoffpreise. 69 Prozent der Bevölkerung ziehen die Bilanz, dass sie von den höheren Benzin- und Dieselpreisen stark belastet werden; 39 Prozent stellen sogar eine „sehr starke Belastung“ fest. Von den Preisentwicklungen bei Öl und Gas sehen sich insgesamt 67 Prozent betroffen, 26 Prozent sehr stark betroffen, von den höheren Strompreisen 65 Prozent (siehe Grafik).

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Das Steigen der Strompreise trifft überdurchschnittlich die unteren Einkommensschichten, die Entwicklung der Kraftstoffpreise dagegen überproportional die mittleren und höheren Einkommensschichten. 57 Prozent der Personen aus Haushalten mit überdurchschnittlichen Einkommen fühlen sich durch die Strompreiserhöhungen persönlich stark betroffen, dagegen 72 Prozent der unteren Einkommensschichten.

Menschen reduzieren das Autofahren

Die überwältigende Mehrheit nimmt an, dass die Energiepreise künftig weiter steigen werden. Gleichzeitig sehen die meisten für sich nur wenig Möglichkeiten, die Preiserhöhungen durch Sparen wettzumachen. Zwar hat die übergroße Mehrheit bereits Sparmaßnahmen ergriffen – vor allem bei der Beleuchtung, der Beheizung der Wohnräume, der Auswahl energiesparender Haushaltsgeräte, zunehmend auch bei Autofahrten. 87 Prozent bemühen sich zumindest zum Teil um Einsparungen bei der Beleuchtung der Wohnung, 62 Prozent bei der Beheizung der Wohnräume; 57 Prozent haben bewusst energiesparende Haushaltsgeräte gekauft, 35 Prozent die Wärmedämmung ihrer Wohnung oder ihres Hauses verbessert.

Der Anteil der Bevölkerung, der sich um eine Reduzierung seiner Autofahrten bemüht, ist in den letzten vier Jahren von 24 auf 37 Prozent angestiegen. Auf dem heutigen Stand sehen 87 Prozent der Bevölkerung nur noch wenige Möglichkeiten, kurzfristig nennenswert mehr Energie zu sparen. Generell sieht die Bevölkerung für sich selbst nur wenig Handlungsmöglichkeiten, sei es bei den Sparmaßnahmen, sei es bei Einwirkungen auf die Preispolitik. 47 Prozent nehmen an, dass sich die Energiepreise in Deutschland kaum beeinflussen lassen; 45 Prozent glauben an Einflussmöglichkeiten und ordnen sie in erster Linie der Politik zu, in zweiter den Energiekonzernen.

Preisabsprachen der Konzerne werfen schlechtes Licht auf die Branche

Beide, die Politik wie die Energiewirtschaft, werden jedoch eher als Auslöser oder zumindest Profiteure der Preisentwicklung gesehen. Daher wird weder der Politik noch den Energieversorgern ein großes Interesse an Preissenkungen zugetraut. Obwohl die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung weder die staatlichen Steuern und Abgaben auf Energie noch die Gewinnanteile der Energiewirtschaft auch nur annähernd kennt, hat sie festgefügte Vorstellungen über die Ursachen der Preisentwicklung. Sie führt die Höhe der Benzinpreise vor allem auf drei Ursachen zurück: die hohen Steuern und Abgaben (81 Prozent), die Vermutung von Preisabsprachen zwischen den Mineralölkonzernen (70 Prozent) und die weltweit steigende Nachfrage nach Erdöl (65 Prozent). 52 Prozent machen darüber hinaus Preiserhöhungen der ölfördernden Länder verantwortlich, 50 Prozent einen unzureichenden Wettbewerb zwischen den Ölkonzernen, 37 Prozent die Kontingentierung der Fördermengen.

Obwohl der Staat als einer der Hauptverursacher der hohen Energiepreise gesehen wird und die weltweit wachsende Energienachfrage bekannt ist, richten sich die Vorbehalte vor allem gegen die Energiewirtschaft. Keine Branche ist zurzeit unpopulärer als sie und besonders die Mineralölindustrie. Während eine große Zahl von Branchen auf die Sympathie der Mehrheit zählen kann – dies gilt vor allem für die Discounter, die Elektroindustrie, den Maschinenbau, die Automobilindustrie und den Einzelhandel –, trifft die Energiewirtschaft auf nahezu einhellige Kritik. 86 Prozent der Bevölkerung sehen die Mineralölunternehmen kritisch, 80 Prozent die Energiewirtschaft.

Politik soll Wettbewerb beleben

Das Bild der Bevölkerung über die Energieversorger wird von hohen Gewinnen, überhöhten Preisen, Mangel an Transparenz und unzureichendem Wettbewerb beherrscht. 92 Prozent schreiben den Unternehmen zu, sie verlangten überhöhte Preise, 85 Prozent halten sie für schwer kontrollierbar, 74 Prozent sehen sie kaum einer nennenswerten Konkurrenz ausgesetzt. 93 Prozent unterstellen ihnen hohe Gewinne, aber nur 25 Prozent gestehen ihnen hohe Gewinne zu, um die Investitionen in das Versorgungsnetz bezahlen zu können. Der technische Standard der Unternehmen gilt als hoch, sie werden auch als modern eingestuft, aber kaum als kundenorientiert; nur 14 Prozent halten sie für kundenorientiert.

Die Mehrheit sieht einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Wettbewerbsstruktur und der Preisentwicklung. 57 Prozent der Bürger erhoffen sich von einer Belebung des Wettbewerbs niedrigere Energiepreise. Je größer das Interesse an den Energiepreisen ist, desto größer ist auch die Hoffnung auf eine Stärkung des Wettbewerbs. Daher gehört die Förderung des Wettbewerbs zu den Maßnahmen, von denen sich die Leute am meisten versprechen. 66 Prozent halten es für wünschenswert, dass die Politik mehr Wettbewerb durchsetzt; 71 Prozent sprechen sich für eine stärkere Kontrolle der Preisgestaltung aus.

Anhänger der Linken wollen Energieversorgung verstaatlichen

Wie sehr in einer solchen Lage die Bereitschaft wächst, unmittelbare staatliche Eingriffe gutzuheißen, zeigt die breite Unterstützung für solche Interventionen. 61 Prozent der Bevölkerung unterstützen zurzeit eine politische Einflussnahme auf die Preispolitik. Umgekehrt ist der überwältigenden Mehrheit bewusst, dass der Staat als Eigentümer alles andere als ein Garant einer guten und preiswerten Energieversorgung wäre. Lediglich 16 Prozent der Bevölkerung reden einer Verstaatlichung der Energieversorgungsunternehmen das Wort, weit überdurchschnittlich die Anhänger der Linken.

Neben politischen Maßnahmen, die auf mehr Wettbewerb und stärkere Kontrollen bis hin zu direkten Eingriffen in die Preisgestaltung zielen, setzt die Bevölkerung vor allem auf die Förderung erneuerbarer Energien (Tabelle). Die Kosten der staatlichen Subventionierung regenerativer Energien sind der übergroßen Mehrheit nicht bekannt. Die meisten Leute nehmen an, dass regenerative Energien nicht nur dazu beitragen, die Abhängigkeit von anderen Energiequellen zu vermindern, sondern halten sie auch für besonders preiswerte Energieträger.

Bürger setzen auf regenerative Energien

Seit vielen Jahren ist die öffentliche Meinung von einer geradezu romantischen Zuneigung zu regenerativen Energien gekennzeichnet. Die vernünftige und von der großen Mehrheit unterstützte Strategie, die Energieversorgung auf möglichst viele Säulen zu stellen, wird durch die einseitige Bevorzugung von Sonne, Wind und Wasser wieder in Frage gestellt. Ginge es nach dem Wunsch der Bevölkerung, würde die Energieversorgung der nächsten Jahrzehnte vor allem von Sonne und Wind, begrenzt auch durch Wasser und Biomasse gesichert.

Selbst wenn nicht nach den Idealvorstellungen, sondern den Erwartungen gefragt wird, welche Energien in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten den größten Beitrag zur Versorgung leisten werden, nennen die Bürger die Sonnenenergie mit Abstand am häufigsten (63 Prozent), gefolgt von der Windenergie (50 Prozent), und dann erst mit einigem Abstand die Kernenergie (39 Prozent), Erdgas (35 Prozent) und Wasserkraft (33 Prozent). Nur 23 Prozent der Bevölkerung gehen davon aus, dass Erdöl in den nächsten Jahrzehnten wesentlich zur deutschen Energieversorgung beitragen wird. In Bezug auf die Kohle können sich nur 12 Prozent vorstellen, dass sie künftig beträchtlich zur Versorgung beisteuert.

Baldiger Ausstieg aus Kernenergie unrealistisch

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien in energiepolitischen Fragen und die Neigung, sich vor allem auf dem Feld der populären regenerativen Energien zu profilieren, erschweren einen gesellschaftlichen Konsens über ein langfristig tragfähiges Energiekonzept. Bei aller Zuneigung zu regenerativen Energien nimmt die Mehrheit jedoch stabil an, dass der Ausstieg aus der Kernenergie zum vorgesehenen Zeitpunkt unrealistisch ist.

Die Mehrheit ist heute keineswegs mehr sicher, dass die Energieversorgung jederzeit garantiert ist. Vor vier Jahren waren davon noch drei Viertel der Bevölkerung überzeugt, heute nur noch 46 Prozent. Die weltweit steigende Nachfrage nach Energie, die ungleiche Verteilung der Energiereserven, die Preisentwicklungen und die Klimaschutzziele machen die Energieversorgung zu einer der größten Aufgaben der nächsten Jahrzehnte. Die energiepolitischen Diskussionen lassen zweifeln, dass dies in ausreichendem Maße bewusst ist.

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: F.A.Z.