„Politik
für die arbeitenden Menschen“
Die
letzte
"Sozialismus-Diskussion" in der SPD auf ihrem 1984-er Parteitag.
1.
Einleitung : Ausgangspunkt der Diskussion
Die letzte
"Sozialismus-Diskussion" in der SPD, die immerhin im wörtlichen
Parteitags- Protokoll 10 Seiten umfasste, fand meines Wissens auf dem
SPD-
Bundesparteitag 1984 in Essen statt.
Ausgangspunkt war
ein im
Januar 1984 von den SPD- Arbeitnehmern auf ihrer AfA
(Arbeitsgemeinschaft für
Arbeitnehmerfragen)- Konferenz in Karlsruhe gefasster Beschluss
zur Verstaatlichung der Stahlindustrie. Aus meinem kurze
Zeit späteren Papier "Überführung
in Gemeineigentum darf in der SPD kein Tabu sein.", das ich damals
verfasste, weil der AfA- Bundesvorstand im Willensbildungsprozess der
Partei
diesen Beschluss nicht (offensiv)
vertrat, ist der gesamte Ablauf dieses Geschehens aus meiner damaligen
Sicht
und den damals vorliegenden Dokumenten zu ersehen.
Da ein von unserem
SPD-Bezirk
Ostwestfalen beabsichtigter Initiativantrag auf dem SPD-Parteitag von
1984 in
Essen mit dem Beschluss-Text der AfA-
Konferenz (Antragsteller war hier der AfA-Bezirk Braunschweig gewesen)
durch
eine kurzfristige Verkürzung der Antragsfrist vereitelt wurde, hatten
wir als
Diskussionsgrundlage den Antrag 29 des Ortvereins WEST NEUMÜNSTER,
(LANDESVERBAND SCHLESWIG-HOLSTEIN) mit dem Titel "Politik für die
arbeitenden Menschen" gewählt. Zu der vom AfA-Bundesvorstand gegenüber
der
AfA-Bundeskonferenz abgeänderten Fassung fand eine besondere Diskussion
statt.
2. Der
Wortlaut des diskutierten Antrags
ANTRAG
29
.
ORTSVEREIN
WEST (NEUMÜNSTER)
(LANDESVERBAND
SCHLESWIG-HOLSTEIN)
Politik
für die arbeitenden Menschen
Der Bundesparteitag
möge
beschließen:
„An Stelle der
Privatindustrie, an Stelle der wilden, unorganisierten Produktionsweise
soll
eine sozialistische, das heißt gesellschaftlich organisierte
Produktionsweise
treten, wo einer für alle und alle für einen einstehen." (August Bebel)
Die kapitalistische Produktion orientiert sich allein an der
Rentabilität des
eingesetzten Kapitals, Die rein betriebswirtschaftliche Kalkulation im
Dienste
der Profite geht zu Lasten der Menschen innerhalb und außerhalb der
Produktionsstätten. Denn dies sind die Folgen dieser Wirtschaftsweise:
- Während ein
rapides
Wachstum der Produktivitätsrate zu verzeichnen ist, werden immer mehr
Menschen
arbeitslos. Der Kapitalismus ist unfähig, die vorhandene Arbeit
gleichmäßig auf
alle Menschen zu verteilen.
- In den
Produktionsstätten
werden die Arbeitsbedingungen immer inhumaner. Der große technologische
Fortschritt steht in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht im
Dienste
der Menschen, sondern richtet sich gegen die Arbeitenden.
- Rohstoffe werden
ohne
langfristige Planung geplündert. Unsere Umwelt wird zunehmend zerstört
und vernichtet.
Eine kapitalistische Wirtschaftsweise treibt mit der Natur Raubbau,
weil sie
nur die kurz- und mittelfristige Sicherung ihrer Profite im Auge hat
Hieraus ersieht
man: Die ökonomische ,Logik' einer
kapitalistischen Produktionsweise
widerspricht in vielfacher Hinsicht den Interessen der arbeitenden
Menschen und
des Gemeinwohls. Dieser Widerspruch ist innerhalb einer
kapitalistischen
Wirtschaftsordnung durch Reformpolitik zwar teilweise abzuschwächen,
doch
niemals ganz aufhebbar.
Es gilt aber, die
Wirtschaft
in den Dienst der arbeitenden Menschen und zur Sicherung einer
gemeinsamen
Zukunft zu stellen. Daher muss es ein mittelfristiges Ziel
sozialdemokratischer
Politik sein, eine direkte Investitionslenkung im Rahmen einer
gesamtgesellschaftlichen Planung einzuführen, die die gesellschaftsschädigende,
allein auf den Profit für wenige zielende kapitalistische
Wirtschaftsweise
überwinden. Unsere Ziele sind: . __
.__.
- Veränderung der
wirtschaftlichen Machtverhältnisse zugunsten der arbeitenden Menschen
- Eine
grundsätzliche
Demokratisierung der Wirtschaft
- Eine
Gesamtwirtschaft zum
Wohle des einzelnen und der Gesellschaft
- Eine
Produktionsweise, die
sich vordringlich dem Wohle des arbeitenden Menschen verpflichtet sieht
und
schädliche Umweltbelastung grundsätzlich vermeidet
- Das Recht auf
Arbeit.
Voraussetzungen hierfür sind:
- Verstaatlichung
des
gesamten Bankenbereichs, um eine planmäßige Steuerung des Kreditwesens
zu
erreichen
-
Vergesellschaftung der
Schlüsselindustrien
- Insgesamt eine
progressive
Mitbestimmungspraxis, deren Ziel eine reale Demokratie innerhalb der
Betriebe,
also eine Selbstbestimmung, ist
- Verhinderung von
Kapitalflucht durch strenge Gesetze."
3. Die
„Sozialismus- Diskussion“
An der Diskussion
auf dem
Parteitag beteiligten sich u. a. fast alle führenden Sozialdemokraten,
zum
Schluss dann sogar Willy Brandt, der damalige Parteivorsitzende.
Das wörtliche Protokoll der Seiten 198 bis 208 vom 2. Tag des SPD- Parteitages 1984 in Essen dokumentiert den Ablauf dieser Diskussion: (Der Text ist gescannt)
Jürgen
Heinrich, Ostwestfalen-Lippe:
Das Salz in der Suppe dieses Tages, des Parteitages,
Genossinnen und Genossen, das ist der Antrag 29.
(Beifall)
Woraus schmeckt man
das, und woran
erkennt man das? Es gibt einen ganz einfachen Indikator. 140 Anträge
liegen zu
dem Kapitel Beschäftigungspolitik vor. Ganze 2 sollen abgelehnt werden.
Den
einen haben wir schon abgelehnt. Da ging es um eine Terminfrage. Das
heißt,
dieser Antrag 29 ist der einzige Antrag, den dieser Parteitag ablehnen
soll. Da
lohnt es sich schon, einmal nachzuspüren, was denn das Ketzerische an
diesem
Antrag ist, was denn den Bannstrahl der Antragkommission auf diesen
Antrag
gezogen hat. Da der Antrag nicht lang ist, könnten wir das gemeinsam
schnell
einmal versuchen.
Es beginnt damit,
dass August
Bebe! mit der Aussage zitiert wird, dass an Stelle der Privatindustrie,
an
Stelle der wilden, unorganisierten Produktionsweise eine sozialistische
Produktionsweise treten soll, wo einer für alle und alle für einen
einstehen.
(Beifall)
Das
ist sicherlich kein Grund für die Ablehnung dieses Antrags.
Der nächste
Gedanke,
Genossinnen und Genossen, sagt, dass der Kapitalismus unfähig ist, die
vorhandene Arbeit gleichmäßig auf alle Menschen zu verteilen. Dieser
Gedanke
ist natürlich auch nicht falsch, wie wir Tag für Tag erleben. Holger Börner hat heute im Laufe der Debatte diesen
Gedanken
anders ausgedrückt. Er hat gesagt, dass der Markt die
Beschäftigungsprobleme
nicht lösen wird, Dieser Gedanke ist also auch nicht falsch.
Den nächsten
Gedanken lese
ich einmal vor:
"Der große
technologische Fortschritt steht in einem kapitalistischen
Wirtschaftssystem
nicht im Dienste der Menschen, sondern richtet sich gegen die
Arbeitenden."
Wer will denn das
bezweifeln
nach dem, was uns Herta Däubler-Gmelin heute morgen
über die Anwendung der neuen Techniken in den Warenhäusern erzählt hat?
Wer
will das bezweifeln nach dem, was der Texaco-
Betriebsrat heute über die Einführung der Informationssysteme in der
Erdölindustrie erzählt hat?
(Beifall)
Nächste Aussage in
dem
Antrag:
"Die ökonomische
Logik
einer kapitalistischen Produktionsweise widerspricht in vielfacher
Hinsicht den
Interessen der arbeitenden Menschen."
Ist denn das
falsch, nach
dem, was sehr kühl und nüchtern Uli Klose hier analysiert hat? Sehr
nüchtern
stellte er schließlich fest, dass die Eigentumsfrage zu stellen ist.
Friedhelm Farthmann hat es in einem
anderen Beitrag auch auf den
Punkt gebracht, indem er ausgeführt hat, dass es einerseits Leute gibt,
die
Wohnungen brauchen, und andererseits Bauarbeiter, die sie bauen
könnten, und
Betriebe, die nicht ausgelastet sind, und dass alles nicht
zusammengebracht
werden kann. Dieser Satz in unserem Antrag ist also auch nicht falsch.
Bliebe also als
letztes, was
die Ablehnung rechtfertigen könnte, dass dann da hinten steht nach den
ganz
klaren Oberzielen, die auch keiner bezweifelt: Voraussetzung hierfür
sind zwei
Dinge, einmal die Verstaatlichung des gesamten Bankenbereichs.
Ich finde, nach
dem, was uns
Peter von Oertzen heute über die
Notwendigkeit der
Umlenkung von Geldsummen in Produktivermögen
erzählt
hat, muss man diesen Gedanken auch für die weitere Debatte jedenfalls
einmal
auf der Pfanne halten, und das ist es doch, was wir heute tun.
Letztlich:
„Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien". Na ja, nach dem, was Rudi
Dressler hier ausgeführt hat, indem er noch einmal an den AfA-Beschluss
erinnert hat, brauche ich das nun überhaupt nicht weiter auszubreiten.
(Beifall)
Genossinnen und
Genossen, ich
bitte euch also. den Antrag natürlich nicht abzulehnen, sondern
anzunehmen und
- wie die anderen 139 Anträge auch - zu überweisen. - Herzlichen Dank.
(Beifall)
Vorsitzende
Antje Huber: Dazu noch der Genosse Klaus Rave,
Schleswig-Holstein.
Klaus Rave, Parteirat: Liebe Genossinnen! Liebe Genossen! Ich
glaube auch,
dass es ein direkter Widerspruch zur bisherigen Debatte wäre, wenn hier
ein
Antrag für erledigt erklärt oder zur Ablehnung empfohlen würde, der im
Gegenteil die Diskussion, die heute morgen
ihren
Anfang genommen hat, noch befruchten kann.
Da mag der eine
oder der
andere hier in einer gewissen elitären Arroganz darüber schmunzeln,
dass sich
ein Ortsverein hingesetzt hat, eine wirtschaftspolitische
Grundsatzdebatte geführt
hat und dann in kurzer und knapper Form sein Theorie- und
Wirtschaftsverständnis zu Papier gebracht hat. Genossiqnen
und Genossen, das mögt ihr nicht alle leiden, aber es ist doch etwas
von einer
gewissen Selbstherrlichkeit zu spüren, wenn so ein Antrag dann schnell
abgelehnt wird, weil er von einem Ortsverein kommt und nicht die großen
Truppen
dahinter stehen. Das kann kein Grund dafür sein, ihn nicht so
angemessen zu
behandeln, wie es sich gehört.
Ich
bitte um Überweisung an die Programmkommission.
(Beifall)
Vorsitzende
Antje Huber: Danke schön. - Bitte, Wolfgang Roth.
(Zurufe)
Wolfgang
Roth, Antragskommission: Die
heitere Stimmung, die in den Zwischenrufen zum
Ausdruck kommt, muB ich doch fUr
einen Moment unterbrechen. Genossinnen und Genossen, ich glaube nicht,
dass aus
dieser Stimmung heraus ein Beschluß gefaßt werden sollte, der den
wirtschaftspolitischen Dialog
jedenfalls mit breiten Schichten unserer Bevölkerung auf Jahre
blockiert. Und
das würde stattfinden!
Warum haben die
Genossinnen
und Genossen der AfA heute in der Weise Stellung genommen, wie sie es
getan
haben? War der Grund der, dass sie ihre eigene Willensbildung nicht
ernst
genommen haben, oder war das deshalb so, weil sie ihre Partei beim
Finden neuer
wirtschaftspolitischer Schritte ernst genommen haben? Ich würde das
Letztere
annehmen. Die Genossinnen und Genossen der AfA wussten ganz genau: Wenn
dieser
Beschluss auf diesem Parteitag so rüber gegangen wäre, wäre manches an
Zustimmung aus den Betrieben und in anderer Richtung blockiert worden.
Wir haben aus
vielen Gründen
diese Debatte heute nicht detailliert geführt. Vielleicht hätte man es
tun
müssen. Wenn man sie detailliert geführt hätte, hätte jedenfalls das
Votum der Antragskommission
gelautet, dass dieser Beschluss, quer durch alle Bereiche des
Kreditsektors zu
verstaatlichen oder quer durch die Schlüsselindustrien - was ist das
heute
eigentlich? - alles zu verstaatlichen, dazu führt, dass auf Jahre die
Mehrheitsfähigkeit der Sozialdemokratie in der Bundesrepublik
Deutschland
blockiert würde. Das weiß eigentlich jeder. Das weiß auch der, der aus
Heiterkeit im Ortsverein und jetzt auch hier dem Antrag vielleicht
zustimmen
mag. Ich weiß, dass jeder das weiß, denn es zeigt sich sehr oft in
Vier-Augen-Gesprächen, dass man es weiß.
Deshalb,
Genossinnen und
Genossen, bitte ich an dieser Stelle im Auftrag der Antragskommission -
wir
haben ja den Antrag debattiert, und zwar sorgfältig, nicht in der
Hektik dieses
Bundesparteitages, bei dem die Antragskommission zwischendurch auch
immer
wieder tagen muß - darum, diesen Antrag bewußt abzulehnen, um wirklich einen Dialog auch
aus der
Partei heraus mit allen sozialen Gruppen über eine neue
sozialdemokratische
Wirtschaftskonzeption aus der Programmkommission heraus zu ermöglichen.
Ich
bitte euch, das sehr ernst zu nehmen - trotz der zu Recht heiteren
Zwischenrufe. - Vielen Dank.
(Beifall)
Vorsitzende
Antje Hubcr: Das Wort zum selben Punkt hat
jetzt Hans
Wiesen.
Hans
Wiesen, Schleswig-Holstein:
Liebe Genossinnen und Genossen! Ich kann nicht gut
verstehen, dass Wolfgang Roth diesen Antrag als einen Antrag
beschreibt, der
inhaltlich so angelegt wäre, dass er die Diskussion über
Wirtschaftsinstrumente
erschwerte oder gar abbräche.
(Beifall)
Nein,
er leistet dazu Beiträge oder versucht das zumindest.
Nun hat ja die AfA,
wie man
weiß, auf ihrer Konferenz eine Beschlusslage herbeigeführt, die
zumindest in
diese Richtung geht. Auf diesem Parteitag haben wir uns nun mit Antrag
13,
Ziffer 4, auf eine umfassende Diskussion über diese Fragen verständigt,
weil
wir die Diskussion um den Abbau der Arbeitslosigkeit und um eine
wirtschaftliche Zukunft für diejenigen, die zur Zeit keine sehen, nicht
etwa an
dem Punkt abbrechen können, an dem wir an bestehende Organisationen von
Unternehmen und an Hierarchien stoßen. Dies war doch die Beschlusslage
beim
Antrag 13, Ziffer 4!
Ich beantrage, dass
wir bei
Antrag 29 zunächst über die Zustimmung abstimmen. Wer dem Antrag nicht
zustimmen will oder kann, der sollte dann aber in einer zweiten
Abstimmungsrunde auf jeden Fall diesen Antrag als Material zu dem
Antrag 13,
Ziffer 4, hinzugeben, weil er die Diskussion ergänzt und belebt,
(Beifall)
Vorsitzende
Antje Huber: Jetzt spricht Gerhard Benner.
Gerhard
Benner, Westliches Westfalen;
Ja, ihr macht es uns nicht leicht, und wir machen es
uns auch nicht leicht; wir haben es uns an keiner Stelle leicht
gemacht. Ich
bitte für einen Moment um Aufmerksamkeit. Ich bin textlich nicht
vorbereitet,
aber ich meine, ich habe meinen Kopf, um gemeinsam mit euch zu denken.
Ich meine euch erst
einmal
drei Dinge dazu sagen zu müssen, wie wir seit Karlsruhe verfahren sind.
Ich
erspare euch, wie wir zu Karlsruhe gekommen sind, weil das
schlaglichtartig
aufgezeigt hätte, wie wir verlernt haben, Politik zu organisieren, weil
es
gezeigt hätte, wie wir Beschlüsse fassen und damit umgehen. Das ist
eine ganz
eigene Geschichte; die kann man gelegentlich einmal erzählen.
Zwei Dinge wollten
wir mit
dem Karlsruher Beschluss der AfA nicht. Erstens wollten wir nicht so
tun, als
hätten wir jetzt das Gelbe vom Ei beschlossen, nämlich den wahren
Sozialismus,
was 120 Jahre Sozialdemokratie nicht geschafft haben. Wir wollten nicht
so tun,
als würden wir das jetzt vor uns hertragen und sonst nichts tun.
Zweitens wollten
wir nicht
das tun, was in dieser Partei, in anderen Arbeitsgemeinschaften und
sicherlich
auch in unserer eigenen eingerissen war, nämlich dass das Wichtige der
Beschluss auf einem Kongress oder einem Parteitag ist, während alles Übrige unwichtig ist. Oft ist es ja leider
bei einem
Beschluss nur wichtig, dass man ihn irgendwo vorlegt oder wieder
beschließt,
wobei sich aber in der Sache nichts verändert. Das wollten wir nicht.
Drittens haben wir
unseren Ansatz
darin gesehen, dass es nichts nützt, wenn wir Schlagworte, Parolen,
Tabu- und
Reizworte beschließen, aber inhaltlich nichts verändern. Wir wollten
auch nicht
die Diskussion haben, die andere mit uns darüber führen, ob wir die
Beamten im
Arbeitsministerium in Bonn-Duisdorf oder
die im
Finanzministerium oder sonstwo in
verstaatlichten
Betrieben haben wollen.
Wir wollten, dass
wir
gemeinsam darüber nachdenken, wie denn mit öffentlichem Geld von
Steuerzahlern
in den Betrieben Einfluss im Interesse der Arbeitnehmer genommen werden
kann
und wie öffentliches Geld abgesichert werden kann. Es gibt ja kein
Bankgeld,
ohne ins Grundbuch zu gehen. Das haben wir
in der
Vergangenheit alles getan!
Wir wollten, dass
die
Diskussion in der Partei beginnt, nicht aufhört. Es ging uns nicht um
eine
Beschlussfassung über Parolen, noch dazu in ironischer Zusammenfassung
wie in
diesem Antrag 29, der eben mal 100 Jahre Sozialdemokratie in ein paar
Parolen
und Schlagworten zusammenfasst. Ich bitte euch wirklich, euch das in
allen
Einzelheiten anzusehen.
Ich
weiß, dass ich möglicherweise nicht gut genug dafür bin, euch davon zu
überzeugen.
Ich sage noch
einmal: Wir
sind in der Verantwortung derer, die Karlsruhe gewollt haben, weil sie,
wie
Holger Börner sagt, die Menschen sind, die
draußen
unmittelbar mit diesem Problem zu tun hatten. Wir werden uns denen
gegenüber zu
verantworten haben, und zwar für das, was wir aus diesen Beschlüssen
gemacht
haben, und dafür, ob die Partei anfängt, über den Einfluss mit
öffentlichen
Geldern zugunsten von Arbeitnehmern zu diskutieren, ob sie anfängt,
dies in die
Programmdiskussion der nächsten Jahre mit einzubeziehen.
Die Verstaatlichung
des
gesamten Bankenbereiches ist eine jener Forderungen, über die wir lange
hin und
hergeredet haben und auch Beschlüsse gefaßt
haben.
Wir haben es aber in der ganzen Zeit nicht geschafft, Machtfaktoren bei
der
Organisation im Bankgewerbe zu verändern, weil wir uns inhaltlich nicht
an das
Thema herangetraut haben. Dies aber wollten wir mit unserem Antrag
erreichen.
Deswegen sage ich hier das, was ich vorhin hatte sagen wollen: Wir
warnen vor
dem Missverständnis, dass wir mit der vorhin erfolgten - Gott sei Dank:
einstimmigen - Annahme des Antrags 13 mit unserer Passage die Sache
beerdigen
wollen. Dies ist für uns vielmehr ein Auftrag, anzufangen. Dazu ist die
gesamte
Partei aufgefordert. Wir sind - nicht leichtfertig und nicht mit
Parolen -
aufgefordert, und zwar jeder vor Ort, mit viel Arbeit, im Gespräch auch
mit
Sozialdemokraten, die in Führungspositionen -auch
in
den Unternehmen - sind, mit jenen, die an uns hängen,
Unternehmensformen zu
finden, die Gemeinwirtschaft neu zu beleben, den
Genossenschaftsgedanken neu
anzupacken. Das sind Dinge, die wir in den 13 Jahren vergessen haben,
ein
bisschen zu bewegen. Wir müssen auch mit uns selbst und mit den
Gewerkschaften
ins Reine kommen und überlegen, was wir falsch gemacht haben. Wir
müssen
überlegen, wie wir neue Glaubwürdigkeit gewinnen können, wie wir etwas
vorleben, bevor wir es von anderen fordern.
Damit haben wir
eine Aufgabe
vor uns, die man nicht mit Parolen oder mit Satire beschließt. Ich
denke, sonst
würde die Würde des Parteitages verletzt. Ich hoffe, ich habe euch dies
klarmachen können, und plädiere deshalb dafür, das, was hier steht,
nicht
anzunehmen, weil ich das für unmöglich halte. Es würde auch unserem
gesamten
Bemühen nicht entsprechen, und es würde uns unseren Weg für die Zukunft
verbauen und nicht eröffnen. - Ich danke für eure Geduld.
(Beifall)
Vorsitzende Antje
Huber:
Jetzt hat Jochen Vogel das Wort. Ihm folgt der Genösse Naumann. Darüber
hinaus
liegen noch zwei Wortmeldungen vor. Nach der Abstimmung Über diesen
Punkt
unterbrechen wir die Beratungen für heute.
Hans-Jochen
Vogel, Parteivorstand: Genossinnen
und Genossen! Dies ist eine Sache darin
stimme ich den Vorrednern zu -, die tatsächlich eine erhebliche
Tragweite hat.
Deswegen sollten wir dies alles trotz der fortgeschrittenen Stunde noch
einmal
sorgfältig überlegen und unserer Verantwortung dann voll gerecht werden.
Wenn ich den Antrag
richtig
verstehe, zerfällt er in zwei Teile. Der erste Teil ist eine Analyse.
Im
zweiten Teil - er ist im Antragsheft auf Seite 93 oben zu finden -
folgt dann
eine Aufzählung von Zielen mit Programmcharakter. Genossinnen und
Genossen, es
kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir diese Programmziele, die ja in
wichtigen Punkten eine Ersetzung des Godesberger Programms zu einem
Zeitpunkt
bedeuten würden, zu dem wir die Programmdiskussion der
Programmkommission erst
übertragen, nun bereits beschließen. Das wäre doch ein logischer Bruch.
(Beifall)
Dann brauchte ja
Erhard
Eppler mit der Kommission, mit der er gearbeitet hat und die jetzt nach
dem
Antrag, der euch vorliegt, in eine Kommission übergehen soll, die - auf
den
Grundentscheidungen von Godesberg aufbauend - an ein neues
Grundsatzprogramm
herangeht, in wesentlichen Teilen gar nicht tätig zu werden.
Deswegen
unterstütze ich
diejenigen, die sagen: Wir können dies nur eindeutig ablehnen, und zwar
wegen
der Vorwegnahme, weil dies jetzt einfach nicht in den
Diskussionsprozess passt.
Wenn dies durch Ablehnung klargestellt ist, habe ich gar keine Bedenken
dagegen
- ich glaube, dass auch die Antragskommission keine Bedenken dagegen
hat, wenn
dies klargestellt ist -, dass der analytische Teil des Antrags von der
neuen
Programmkommission mit auf den Tisch genommen und in die Erörterungen
einbezogen wird. Die Ablehnung bedeutet nicht, dass für die
Programmdiskussion
Tabus geschaffen werden. Sie bedeutet aber, dass wir die eigene
Programmarbeit
nicht zur Farce machen, indem wir bereits Entscheidungen treffen, bevor
die
Programmarbeit überhaupt begonnen hat.
Meine Empfehlung
ist deshalb:
klare Ablehnung des zweiten Teils des Antrags. Der analytische Teil
kann sodann
von der Programmkommission genauso zur Kenntnis genommen werden wie die
anderen
Texte auch.
(Beifall)
Vorsitzende Antje
Huber:
Vielen Dank, Jochen Vogel. Es folgt der Genosse Naumann. Danach hat
Bruno
Friedrich das Wort.
Hans-Günter
Naumann, Sudbayern: Genossinnen
und Genossen! Ich finde, es ist a)
angesichts der Schwere der Weltwirtschaftskrise und b) angesichts der
Tradition
der Sozialdemokratischen Partei weiß Gott keine Schande, über diesen
Antrag
oder ähnliche Gedanken zu diskutieren und zu befinden.
(Zustimmung)
Das war vor 20
Jahren so, und
das wird mit Sicherheit in den nächsten 20 Jahren auch noch so sein.
Was mich an diesem
Antrag
stört und weshalb ich diesem Antrag nicht zustimmen kann, ist einfach
die
Tatsache, dass es weder dem Antragsteller noch wirtschaftspolitischen
Autoritäten, die in diesem Lande irn
Moment
derartiges vertreten, nicht gelungen ist, einmal plausibel
nachzuweisen, wie
durch eine Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien oder durch eine
radikale
Veränderung unseres Bankensystems unsere wirtschaftspolitischen Ziele
besser
oder leichter erreicht werden können. Das ist der entscheidende Punkt.
(Zustimmung)
Es fehlt also
gewissermaßen
die Brücke zwischen der Behauptung und unseren Zielen. Es ist nicht
nachgewiesen - weder durch einen internationalen Vergleich noch durch
Hinweise
auf Beispiele in anderen Ländern oder durch eine analytische
Betrachtungsweise,
dass durch eine Vergesellschaftung Vollbeschäftigung, ein höheres Maß
an
sozialer Sicherheit oder was auch immer erreicht werden können.
Genossinnen und
Genossen,
wenn es gelingt, dies plausibel zu machen, dies nachzuweisen, hätte
eine solche
Forderung selbstverständlich ein viel größeres Gewicht und würde auch
draußen
in der Öffentlichkeit und unter unseren Arbeitnehmern nicht mehr auf
ein so
hohes Maß an Skepsis und Bedenken stoßen, wie das im Moment der Fall
ist. Das
ist doch der entscheidende Punkt.
Das bedeutet nicht,
dass wir
bei einer Ablehnung jetzt ein für allemal ein radikales Nein dazu
sagen. Wir
sagen damit nur: Im Moment schaffen wir es nicht, plausibel zu machen,
wie das
eine durch das andere bewirkt werden soll.
Ich kann hier an
dieser
Stelle noch folgendes als Beleg anführen. Es gibt in der Bundesrepublik
Gott
sei Dank Ökonomen, die gewissermaßen ein bisschen links von uns denken.
Sie
würden an dem, was wir heute mehr oder weniger einstimmig beschlossen
haben,
sicherlich das eine oder andere auszusetzen haben. Draußen liegen sehr
viele
Bücher von diesen Autoren. Dort könnt ihr Entsprechendes nachlesen.
Wenn ihr
aber deren Programmatik lest, wenn ihr lest, was sie uns im Moment
empfehlen,
so werdet ihr feststellen, dass dies mehr oder weniger streng auf keynesianischer oder auf reformpolitischer Linie
liegt. Es
liegt nicht auf der Linie dieses Antrages. Das hängt auch damit
zusammen, dass
diese Ökonomen einsehen, dass bei dem Einstellungsstand unserer
Bevölkerung
das, was hier gefordert wird, im Moment nicht durchsetzbar ist, dass es
in der
Tat nicht die breite Zustimmung findet, die man benötigt.
Ich will
gewissermaßen aus
geschichtlicher Sicht dies noch hinzufügen. Wenn wir uns heute zu einem
Ja
nicht durchringen können, so bedeutet das nicht, dass wir dieses Thema
ein für
allemal aus unserem Themenkatalog streichen. Es bedeutet nur, dass wir
jetzt in
diesen Jahren noch nicht ein ausreichendes Maß an Nutzen erreichen
würden,
welches bei einem solchen Beschluss notwendigerweise zu verlangen ist.
(Beifall)
Vorsitzende Antje
Huber:
Jetzt hat Bruno Friedrich das Wort, Ihm folgt Hans-Joachim Hoffmann,
Saar.
Bruno
Friedrich, Parteivorstand: Liebe
Genossinnen! Liebe Genossen! Es ehrt sicher
jeden Parteitag, wenn er über Bebei
diskutiert. Es
geht doch aber um einen Satz - und jeder, der dann die Hand aufhebt, muß dazu Stellung nehmen -, nämlich um die
Verstaatlichung
des gesamten Bankenbereichs, um eine planmäßige Steuerung des
Kreditwesens zu
erreichen. Das heißt, es soll der Staat die Steuerung des gesamten
Kreditwesens
übernehmen. Und wie so die Logik der Sprache ist, kann man sich auch
nicht mit
Überweisung helfen. Die Partei muß heute
hier
entscheiden angesichts all dessen, was in den letzten zwei Jahren in
Europa um
diese Frage - z.B. in Frankreich - gelaufen ist. Es wäre in Erinnerung
an das
Aufstehen gestern bei der Rede von Helmut Schmidt gut gewesen, in der
Frage „
Keynes oder Schumpeter? " darauf hin zu
weisen,
ob dies vielleicht in der Frage der Innovation eine Annäherung an Schumpeter ist. Denn wer hier das mit der
geplanten
Gesamtsteuerung des Kreditwesens behauptet, der behauptet: Er weiß, wie
das Problem
der Innovation unserer Industrie total zu lösen ist. Das ist das eine.
Das zweite: Die
Missverständnisse. Habt ihr vergessen, wie die Diskussion der
Quellensteuer im
Bundestagswahlkampf 1983 war, was für die österreichischen Genossen die
Diskussion über die Quellensteuer im Ergebnis bedeutet hat? Und die
französischen Sozialisten und die französischen Kommunisten waren in
der Frage
der Bankenverstaatlichung und auch in der Frage einer gewissen
Kontrolle der
Kapitalflucht nicht schüchtern.
Wer also hierher
tritt, muss
sagen: Ich bitte euch, unter Berücksichtigung der Erfahrung der
französischen
Genossen hier so zu entscheiden.
Im übrigen:
Ich bin ja ziemlich höhnisch - oder wie man es auch nennt - behandelt
worden,
als ich die Fortschreibung des Godesberger Programms forderte. Aber ich
gehe
davon aus, dass es niemand in der SPD gibt, der behauptet, ohne ein
gemischtes
Wirtschaftssystem hätten wir eine Chance zur Reform der Wirtschaft, Mit
diesem
Satz, der hier so apodiktisch über die Banken gesagt wird, gibt es kein
gemischtes demokratisches Wirtschaftssystem.
Deshalb muss der
Parteitag
hier Flagge zeigen. Und deshalb bin ich für die Empfehlung der
Antragskommission.
(Beifall)
Vorsitzende
Antje Huber: Vielen Dank. Es folgt Hajo Hoffmann.
Hans-Joachim
Hoffmann, SPD-Bundestagsfraktion: Liebe Genossinnen und Genossen! Ich habe
eine Frage
an die männlichen Teilnehmer. Ich bitte rhetorisch darum, dass ihr mit
Ja oder
Nein antwortet, ob ihr aufgehört habt, eure Frauen zu schlagen. So
ungefähr
wäre die Fragestellung, wenn wir hier jetzt aus der Hand entscheiden
wollten:
Wollen wir nun Verstaatlichung oder wollen wir keine? Wer diese Frage
sinnvoll
diskutieren und beantworten will, wird es sich nicht so einfach machen
können,
zu diesem Antrag entweder ja oder nein zu sagen.
Deshalb sage ich
euch: Wenn
wir eine solche Diskussion wirklich ernst nehmen, ist es zwingend, dass
wir
einen solchen Antrag überweisen.
(Beifall)
Das
will ich euch an zwei Beispielen zeigen.
Beispiel Nummer
eins. Ich
finde gute Gründe, diesen Antrag abzulehnen, und zwar etwa wegen der
letzten
Zeile, weil dort eine theoretische Forderung aufgestellt ist, die der
praktischen Erfahrung schlichtweg zuwiderläuft. Ihr könnt es nicht. Es
gibt
kein Gesetz und auch nicht eine Reihe von Gesetzen, wodurch
beispielsweise die
Kapitalflucht unterbunden werden könnte. Das können wir nachexerzieren
und
vorexerzieren. Wir haben die Diskussion darüber in der
Bundestagsfraktion
beispielsweise an Hand der Quellensteuer geführt, die vorhin erwähnt
worden ist.
Wir hätten rechnerisch, wenn wir die ganzen Sparguthaben herauslassen,
den
Vorteil gehabt, durch Erfassung dieser Gelder 5 Milliarden DM mehr
Steuern
einzunehmen. Tolle Sache!
Das Dumme ist nur:
Wenn wir
das vollzogen hätten - und dazu hätten wir noch nicht einmal ein neues
Gesetz
gebraucht, denn die Gesetze reichen dazu aus - wären uns etwa 20
Milliarden DM
als Kapitalflucht herausgeflogen und hätten wir genau das Gegenteil von
dem
erreicht, was wir wollten; und das nicht deshalb, weil wir keine
Gesetze machen
können, sondern weil dummerweise der Kapitalismus ein bisschen mehr als
etwas
durch bloße Gesetze Formierbares ist.
(Beifall)
Und da können doch
auch eine
sozialdemokratische Partei und ein sozialdemokratischer Parteitag nicht
so tun,
als interessiere sie diese Dimension der praktischen Politik nicht.
Also:
Man kann diesem Antrag nicht zustimmen.
Man kann diesen
Antrag aus
einem anderen Grund auch nicht ablehnen. Wenn man diesen Antrag nämlich
ablehnt, wird das für viele und in der Öffentlichkeit das Signal dafür
sein,
die Sozialdemokraten hätten in dieser Grundsatzfrage „Wie kommen wir an
die
gesellschaftliche Macht heran?" bereits aufgegeben, indem sie nicht
mehr
darüber diskutieren, dass Industrie natürlich Macht bedeutet.
(Beifall)
Und deshalb muss es
doch
deutlich sein, dass wir weder durch Ja noch durch Nein, weder durch
„Geschlagen" noch durch „Nicht geschlagen" diese Debatte
unterbrechen. Sondern sie muss weitergeführt werden, und zwar so
sorgfaltig und
so tief, dass wir uns verantwortlich dazu stellen können.
Und
dazu hat die Kommission einen Auftrag. Also überweisen wir!
(Beifall)
Vorsitzende
Antje Huber: Dieter Spöri, Baden-Württemberg.
Dieter
Spöri, Baden-Württemberg:
Genossinnen und Genossen! Es ist auch grundgesetzlich
verankert - das wissen wir alle, dass Verstaatlichung in bestimmten
Fällen bei
Pervertierung wirtschaftlicher Macht ein legitimes Mittel der
Wirtschaftspolitik sein kann. Aber es reicht nicht aus, wenn wir heute
sagen:
Wir wollen einen derartigen Antrag deshalb nicht unterstützen, weil wir
noch
eine längere Programmdebatte zu führen haben.
(Beifall)
Ich bin inhaltlich
gegenwärtig nicht in der Lage, etwas Positives darin zusehen, wenn wir
eine
globale Gespensterdebatte Über die Frage „Verstaatlichung -ja
oder nein?" führen.
(Beifall)
Erhard Eppler hat
in seinem
Bericht, der hier ja mehrmals gelobt worden ist, etwas gesagt, was nach
meiner
Ansicht für die Frage „Verstaatlichung - ja oder nein?" ganz
entscheidend
ist. Er hat gesagt: Jede wirtschaftspolitische Forderung, die
Sozialdemokraten
formulieren, muss durch den Zweck, durch den Effekt legitimiert sein,
den diese
Forderung oder diese Maßnahme erreicht.
Deswegen halte ich
es für
falsch, Thesen zu formulieren und zu unterstützen, die global z.B.
darauf
hinauslaufen, zu sagen: Wir ziehen Vergesellschaftung, Verstaatlichung
der
Schlüsselindustrien ernsthaft in Erwägung.
Ich bin dagegen.
Schaut doch
mal die Strukturprobleme an, wo's kracht, wo die Montanregionen sind,
wo die
Krisenregionen in Norddeutschland sind: Es wird in norddeutschen
Krisenregionen
kein einziger Tanker zusätzlich bestellt werden, wenn wir hier nur eine
Eigentumsdebatte „Verstaatlichung - ja oder nein?" führen.
(Beifall)
Das ist die
Wahrheit, Ihr gebt
den Arbeitnehmern keine glaubhafte konkrete Weise, wenn ihr nur eine
fetischisierte Eigentumsdebatte führt. Ich bin jederzeit, jeden Tag
dafür, dass
wir hier beschließen; In dem und dem Sektor machen wir eine
Verstaatlichung.
Aber jemand, der so
etwas
fordert, muß eine Zweck-Mittel-Relation
herstellen.
Er muss den Erfolg zeigen, wo das etwas bewirkt.
Und, Genossinnen
und
Genossen, ich sehe beim gegenwärtigen Diskussionsstand noch keine
Möglichkeit,
z.B. zu sagen: Das würde der Stahlindustrie helfen; das würde den
Menschen in
dieser Region konkrete Hoffnung geben können.
Was wir als
Sozialdemokraten
für das Saarland und für das Ruhrgebiet beantworten müssen, ist doch
dies: Wir
müssen Antworten geben, welche Alternativproduktionen in diesen
Regionen aufgebaut
werden müssen, welche konkreten strukturpolitischen Alternativen wir
haben. Und
wenn das mit privaten Lösungen eventuell nicht geht, dann muß
man auch Über alternative Eigentumsformen nachdenken. Da gibt's kein
Tabu.
Aber gegenwärtig
Globalformulierungen zu unterstützen, dazu bin ich nicht in der Lage.
Und ich
sehe darin überhaupt nichts Progressives oder Fortschrittliches. -
Danke schön.
(Beifall)
Vorsitzende
Antje Huber: Es spricht jetzt Peter von Oertzen.
Peter
von Oertzen,
Parteivorstand: Liebe
Genossinnen und
Genossen! Diejenigen, die auf mehr als einem Parteitag die Diskussionen
verfolgt oder an ihnen teilgenommen haben, wissen, dass vor allem gegen
Ende
der Beratungen über kurz oder lang der Augenblick kommt, in dem sich
bei den
Delegierten das Gefühl ausbreitet: „Jetzt müssen wir es denen da oben
in einer
klaren und knackigen Abstimmung mal zeigen, dass es nicht immer so
geht, wie
die das wollen, sondern wie wir das wollen." Es könnte sein - ich will
da
niemandem zu nahe treten -, dass sich eine gewisse Stimmung
ausgebreitet hat,
das jetzt an diesem Antrag einmal vorzuexerzieren. Genossen, erstens
habe ich
für diese Reaktion Verständnis. Ich habe schon manches Mal selbst in
diesem
Sinne und in diesem Geiste gestimmt und diskutiert.
(Heiterkeit)
Zweitens ist das
Thema
wichtig genug, um es darüber zu einer Kontroverse kommen zu lassen. Ich
glaube
aber, dass dieser Antrag bei allem Respekt vor den Absichten der
Antragsteller
und der sicherlich intensiven Diskussionsarbeit, die in diesem Antrag
steckt,
wirklich nicht geeignet ist, Gegenstand einer solchen
Auseinandersetzung zu
sein.
Was den
analytischen, den
beschreibenden und erklärenden Teil des Antrages betrifft, so hat
Jochen Vogel
vorgeschlagen, ihn als einen Beitrag zur Diskussion an die
Grundsatzkommission
zu überweisen. Der zweite Teil ist aber seinem Inhalt und seinem
Anspruch nach
gewissermaßen die Vorwegnahme denkbarer Formulierungen im
Grundsatzprogramm. Es
ist - das hat Dieter Spöri mit Recht gesagt - keinem der Punkte eine
angemessene
Diskussion über die Gewichtigkeit und Richtigkeit dieser dort
parolenartig
vorgetragenen Forderung einer solchen Beschlussfassung vorweg gegangen,
Dies
wäre ein Stück Programmbeschluss. Genossen, etwas, das dem Inhalt nach
der
Formulierung von programmatischen Zielen unserer Partei entsprechen
müsste,
wenn es ernst gemeint wäre, das kann nicht nach einer aus dem Stegreif
von
einem halben Dutzend Rednern begonnenen Diskussion hier beschlossen
werden.
(Beifall)
Das ist einfach dem
Ansprach
nicht angemessen, den der Parteitag an sich stellen muß,
und es ist dem Gewicht, das programmatische Beschlüsse haben sollten,
nicht
angemessen.
Wenn es nicht ernst
gemeint
sein sollte, sondern nur der Versuch ist, einmal zu zeigen, was eine
Harke ist,
dann wäre das auch der Sache nicht angemessen. Dazu sind die Absichten
der
Antragsteller zu ernst gemeint. Deswegen halte ich es für vertretbar,
diese
Passage kritisch zu beurteilen. Ich will das an einigen Punkten noch
verdeutlichen.
Was heißt
„grundsätzliche
Demokratisierung der Wirtschaft"? Wir alle wissen, dass
„grundsätzlich" einer der zweideutigsten
Begriffe unserer Resolutionssprach« ist,
den wir
kennen. „Grundsätzlich" kann heißen „im Grundsatz" und kann heißen
„eigentlich nicht, nur im Prinzip", so wie bei Radio Eriwan.
Was heißt
„Gesamtwirtschaft
zum Wohle des einzelnen und der Gesellschaft"? Gemeint ist vermutlich
eine
„Gemeinwirtschaft". Es ist sehr fraglich, wie das zu verstehen ist
Das „Recht auf
Arbeit".
Soll hiermit die Möglichkeit der Arbeit für jeden gefordert werden oder
die
Verankerung eines neuen Grundrechts in der Verfassung, des Rechts auf
Arbeit?
Das ist eine alte Diskussion, und das ist aus vielerlei Gründen heftig
umstritten und keineswegs nur eine Kontroverse zwischen Sozialisten und
Nichtsozialisten. Es ist die Frage, ob man ökonomische Tatbestände
dadurch
verändert, dass man Rechte in die Verfassung schreibt. Darüber kann man
ernsthaft streiten.
„Verstaatlichung
des gesamten
Bankenbereichs": Ich will hier nicht eine grundsätzliche
Verstaatlichungsdebatte führen. Dass ich nicht ein dogmatischer Gegner
der
Verstaatlichung bin, werden mir die einen
oder anderen
ja glauben. Heißt das aber auch Verstaatlichung der
Genossenschaftsbanken,
heißt das Verstaatlichung der kommunalen Spar- und Darlehenskassen?
(Zurufe: BfG! -
Heiterkeit)
- Von der BfG
wollen wir
lieber in diesem Zusammenhang gar nicht reden.
Es ist einfach,
selbst wenn
man den Inhalt der Absichten billigt, in der Formulierung
schlechterdings nicht
annehmbar.
Zum Schluss wird
eine
„progressive Mitbestimmungspraxis" gefordert. Ich habe das erst beim
dritten Lesen begriffen. Wenn ein Ausbau der Mitbestimmungsgesetzgebung
gefordert würde, ja, aber kann man denn eine Praxis durch
Programmbeschluss
fordern? Wir können an uns selbst appellieren, die gegebenen
Mitbestimmungsrechte besser wahrzunehmen, aber das ist offenbar nicht
gemeint.
In aller Kürze:
Genossinnen
und Genossen, bei aller redlichen Absicht und bei meinen erklärtermaßen
Sympathien für die Grundtendenz des Antrags, diese Formulierungen
können
eigentlich verantwortlicher weise nicht angenommen, sie können nur
abgelehnt
werden. Die Grundabsichten des Antrags sind im analytischen Teil, im
ersten
Teil enthalten, und dieser ist ein ernsthafter Beitrag zur Diskussion
und soll
überwiesen werden an die Programmkommission.
Ich plädiere also
für den
Vorschlag von Jochen Vogel, den ersten Teil Überweisen und den zweiten
Teil mit
Bedauern, wie ich zugebe, aber verantwortlicher weise ablehnen.
(Heiterkeit und
Beifall)
Vorsitzende Antje Huber: Das Wort hat Willy
Brandt.
Willy
Brandt, Vorsitzender der SPD:
Liebe Genossinnen und Genossen! Es wäre falsch, wenn
ich nicht meine Meinung sagte. Ich werde das nicht zu vielen Punkten
auf diesem
Parteitag tun. Jeder, der mich kennt, weiß, ich bin immer bemüht
gewesen, die
Partei zusammenzuhalten. Dazu ist ein Parteivorsitzender Übrigens da,
mit dazu
ist er da. Ich bin für lebendige Diskussion, es gibt Punkte, an denen
man keine
Kompromisse, zumal keine faulen Kompromisse machen darf. Dies ist ein
Punkt, wo
durch Vertuschung nichts gewonnen ist.
(Beifall)
Hier muss vielmehr
entschieden werden. Ich sage euch für Johannes Rau mit - Jochen Vogel
hat sich
ohnehin geäußert -, ich sage euch für Erhard Eppler mit, auf dessen
Bericht der
Grundwertekommission Bezug genommen worden ist: Der Bericht der
Grundwertekommission, dem ihr liberal in der Organisation zugestimmt
habt,
sagt, wir wollen Godesberg nach vorne weiterentwickeln. Wir wollen
nicht hinter
Godesberg zurück!
(Beifall)
Nehmt mir jetzt die
Bemerkung
nicht übel - wir wollen alle nach Mühlheim, müssen da auch hin -,
dieser Punkt
ist nicht geeignet, es denen im Vorstand und denen in der
Antragskommission
einmal zu zeigen. Dies ist nicht der geeignete Punkt, sondern dies ist
ein Punkt,
zu dem der Parteivorsitzende nicht nur appellieren muss, sondern den
Parteitag
beschwören muss, dem zu folgen, was Jochen Vogel vorgeschlagen hat: Nichtannahme von Teil 2, Überweisung von Teil
1.
(Beifall)
Vorsitzende
Antje Huber: Der Vorsitzende
der Antragskommission, Jochen Vogel,
hat den Vorschlag gemacht, den Willy Brandt gerade noch einmal
wiederholt hat.
Ich glaube, es ist das beste, wenn wir so
abstimmen.
Wir stimmen über
Teil l und
Teil 2 getrennt ab. Teil l wird empfohlen zur Überweisung an die
Programmkommission. Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das
Kartenzeichen.
Teil 2 wird zur
Ablehnung
empfohlen. Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Votum. – Danke schön. Die Gegenprobe. - Gegen etliche
Stimmen. Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen.
Damit
ist der Antrag so beschieden........ "