Zurueck zur Homepage

„Politik für die arbeitenden Menschen“

 

Die letzte "Sozialismus-Diskussion" in der SPD auf ihrem 1984-er Parteitag.

 

1. Einleitung : Ausgangspunkt der Diskussion 

 

Die letzte "Sozialismus-Diskussion" in der SPD, die immerhin im wörtlichen Parteitags- Protokoll 10 Seiten umfasste, fand meines Wissens auf dem SPD- Bundesparteitag 1984 in Essen statt.

 

Ausgangspunkt war ein im Januar 1984 von den SPD- Arbeitnehmern auf ihrer AfA (Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen)- Konferenz in Karlsruhe gefasster Beschluss zur Verstaatlichung der Stahlindustrie. Aus meinem kurze Zeit späteren Papier "Überführung in Gemeineigentum darf in der SPD kein Tabu sein.", das ich damals verfasste, weil der AfA- Bundesvorstand im Willensbildungsprozess der Partei diesen Beschluss  nicht (offensiv) vertrat, ist der gesamte Ablauf dieses Geschehens aus meiner damaligen Sicht und den damals vorliegenden Dokumenten zu ersehen. 

 

Da ein von unserem SPD-Bezirk Ostwestfalen beabsichtigter Initiativantrag auf dem SPD-Parteitag von 1984 in Essen  mit dem Beschluss-Text der AfA- Konferenz (Antragsteller war hier der AfA-Bezirk Braunschweig gewesen) durch eine kurzfristige Verkürzung der Antragsfrist vereitelt wurde, hatten wir als Diskussionsgrundlage den Antrag 29 des Ortvereins WEST NEUMÜNSTER, (LANDESVERBAND SCHLESWIG-HOLSTEIN) mit dem Titel "Politik für die arbeitenden Menschen" gewählt. Zu der vom AfA-Bundesvorstand gegenüber der AfA-Bundeskonferenz abgeänderten Fassung fand eine besondere Diskussion statt.

 

 

2. Der Wortlaut des diskutierten Antrags

 

ANTRAG 29

                   .

ORTSVEREIN WEST (NEUMÜNSTER)

(LANDESVERBAND SCHLESWIG-HOLSTEIN)

 

Politik für die arbeitenden Menschen

 

Der Bundesparteitag möge beschließen:

 

„An Stelle der Privatindustrie, an Stelle der wilden, unorganisierten Produktionsweise soll eine sozialistische, das heißt gesellschaftlich organisierte Produktionsweise treten, wo einer für alle und alle für einen einstehen." (August Bebel) Die kapitalistische Produktion orientiert sich allein an der Rentabilität des eingesetzten Kapitals, Die rein betriebswirtschaftliche Kalkulation im Dienste der Profite geht zu Lasten der Menschen innerhalb und außerhalb der Produktionsstätten. Denn dies sind die Folgen dieser Wirtschaftsweise:

 

- Während ein rapides Wachstum der Produktivitätsrate zu verzeichnen ist, werden immer mehr Menschen arbeitslos. Der Kapitalismus ist unfähig, die vorhandene Arbeit gleichmäßig auf alle Menschen zu verteilen.

 

- In den Produktionsstätten werden die Arbeitsbedingungen immer inhumaner. Der große technologische Fortschritt steht in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht im Dienste der Menschen, sondern richtet sich gegen die Arbeitenden.

 

- Rohstoffe werden ohne langfristige Planung geplündert. Unsere Umwelt wird zunehmend zerstört und vernichtet. Eine kapitalistische Wirtschaftsweise treibt mit der Natur Raubbau, weil sie nur die kurz- und mittelfristige Sicherung ihrer Profite im Auge hat

Hieraus ersieht man: Die ökonomische ,Logik' einer kapitalistischen Produktionsweise widerspricht in vielfacher Hinsicht den Interessen der arbeitenden Menschen und des Gemeinwohls. Dieser Widerspruch ist innerhalb einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung durch Reformpolitik zwar teilweise abzuschwächen, doch niemals ganz aufhebbar.

Es gilt aber, die Wirtschaft in den Dienst der arbeitenden Menschen und zur Sicherung einer gemeinsamen Zukunft zu stellen. Daher muss es ein mittelfristiges Ziel sozialdemokratischer Politik sein, eine direkte Investitionslenkung im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Planung einzuführen, die die gesellschaftsschädigende, allein auf den Profit für wenige zielende kapitalistische Wirtschaftsweise überwinden. Unsere Ziele sind: .         __ .__.

 

- Veränderung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse zugunsten der arbeitenden Menschen

 

- Eine grundsätzliche Demokratisierung der Wirtschaft

 

- Eine Gesamtwirtschaft zum Wohle des einzelnen und der Gesellschaft

 

- Eine Produktionsweise, die sich vordringlich dem Wohle des arbeitenden Menschen verpflichtet sieht und schädliche Umweltbelastung grundsätzlich vermeidet

 

- Das Recht auf Arbeit. Voraussetzungen hierfür sind:

 

- Verstaatlichung des gesamten Bankenbereichs, um eine planmäßige Steuerung des Kreditwesens zu erreichen

 

- Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien

 

- Insgesamt eine progressive Mitbestimmungspraxis, deren Ziel eine reale Demokratie innerhalb der Betriebe, also eine Selbstbestimmung, ist

 

- Verhinderung von Kapitalflucht durch strenge Gesetze."

 

 

3. Die „Sozialismus- Diskussion“

 

An der Diskussion auf dem Parteitag beteiligten sich u. a. fast alle führenden Sozialdemokraten, zum Schluss dann sogar Willy Brandt, der damalige Parteivorsitzende.

 

Das wörtliche Protokoll der Seiten 198 bis 208 vom 2. Tag des SPD- Parteitages 1984 in Essen dokumentiert den Ablauf dieser Diskussion: (Der Text ist gescannt)

 

Jürgen Heinrich, Ostwestfalen-Lippe: Das Salz in der Suppe dieses Tages, des Parteitages, Genossinnen und Genossen, das ist der Antrag 29.

 

(Beifall)

 

Woraus schmeckt man das, und woran erkennt man das? Es gibt einen ganz einfachen Indikator. 140 Anträge liegen zu dem Kapitel Beschäftigungspolitik vor. Ganze 2 sollen abgelehnt werden. Den einen haben wir schon abgelehnt. Da ging es um eine Terminfrage. Das heißt, dieser Antrag 29 ist der einzige Antrag, den dieser Parteitag ablehnen soll. Da lohnt es sich schon, einmal nachzuspüren, was denn das Ketzerische an diesem Antrag ist, was denn den Bannstrahl der Antragkommission auf diesen Antrag gezogen hat. Da der Antrag nicht lang ist, könnten wir das gemeinsam schnell einmal versuchen.

 

Es beginnt damit, dass August Bebe! mit der Aussage zitiert wird, dass an Stelle der Privatindustrie, an Stelle der wilden, unorganisierten Produktionsweise eine sozialistische Produktionsweise treten soll, wo einer für alle und alle für einen einstehen.

 

(Beifall)

 

Das ist sicherlich kein Grund für die Ablehnung dieses Antrags.

 

Der nächste Gedanke, Genossinnen und Genossen, sagt,  dass der Kapitalismus unfähig ist, die vorhandene Arbeit gleichmäßig auf alle Menschen zu verteilen. Dieser Gedanke ist natürlich auch nicht falsch, wie wir Tag für Tag erleben. Holger Börner hat heute im Laufe der Debatte diesen Gedanken anders ausgedrückt. Er hat gesagt, dass der Markt die Beschäftigungsprobleme nicht lösen wird, Dieser Gedanke ist also auch nicht falsch.

 

Den nächsten Gedanken lese ich einmal vor:

 

"Der große technologische Fortschritt steht in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht im Dienste der Menschen, sondern richtet sich gegen die Arbeitenden."

 

Wer will denn das bezweifeln nach dem, was uns Herta Däubler-Gmelin heute morgen über die Anwendung der neuen Techniken in den Warenhäusern erzählt hat? Wer will das bezweifeln nach dem, was der Texaco- Betriebsrat heute über die Einführung der Informationssysteme in der Erdölindustrie erzählt hat?

 

(Beifall)

 

Nächste Aussage in dem Antrag:

 

"Die ökonomische Logik einer kapitalistischen Produktionsweise widerspricht in vielfacher Hinsicht den Interessen der arbeitenden Menschen."

 

Ist denn das falsch, nach dem, was sehr kühl und nüchtern Uli Klose hier analysiert hat? Sehr nüchtern stellte er schließlich fest, dass die Eigentumsfrage zu stellen ist. Friedhelm Farthmann hat es in einem anderen Beitrag auch auf den Punkt gebracht, indem er ausgeführt hat, dass es einerseits Leute gibt, die Wohnungen brauchen, und andererseits Bauarbeiter, die sie bauen könnten, und Betriebe, die nicht ausgelastet sind, und dass alles nicht zusammengebracht werden kann. Dieser Satz in unserem Antrag ist also auch nicht falsch.

 

Bliebe also als letztes, was die Ablehnung rechtfertigen könnte, dass dann da hinten steht nach den ganz klaren Oberzielen, die auch keiner bezweifelt: Voraussetzung hierfür sind zwei Dinge, einmal die Verstaatlichung des gesamten Bankenbereichs.

 

Ich finde, nach dem, was uns Peter von Oertzen heute über die Notwendigkeit der Umlenkung von Geldsummen in Produktivermögen erzählt hat, muss man diesen Gedanken auch für die weitere Debatte jedenfalls einmal auf der Pfanne halten, und das ist es doch, was wir heute tun.

 

Letztlich: „Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien". Na ja, nach dem, was Rudi Dressler hier ausgeführt hat, indem er noch einmal an den AfA-Beschluss erinnert hat, brauche ich das nun überhaupt nicht weiter auszubreiten.

 

(Beifall)

 

Genossinnen und Genossen, ich bitte euch also. den Antrag natürlich nicht abzulehnen, sondern anzunehmen und - wie die anderen 139 Anträge auch - zu überweisen. - Herzlichen Dank.

 

(Beifall)

 

Vorsitzende Antje Huber: Dazu noch der Genosse Klaus Rave, Schleswig-Holstein.

 

Klaus Rave, Parteirat: Liebe Genossinnen! Liebe Genossen! Ich glaube auch, dass es ein direkter Widerspruch zur bisherigen Debatte wäre, wenn hier ein Antrag für erledigt erklärt oder zur Ablehnung empfohlen würde, der im Gegenteil die Diskussion, die heute morgen ihren Anfang genommen hat, noch befruchten kann.

 

Da mag der eine oder der andere hier in einer gewissen elitären Arroganz darüber schmunzeln, dass sich ein Ortsverein hingesetzt hat, eine wirtschaftspolitische Grundsatzdebatte geführt hat und dann in kurzer und knapper Form sein Theorie- und Wirtschaftsverständnis zu Papier gebracht hat. Genossiqnen und Genossen, das mögt ihr nicht alle leiden, aber es ist doch etwas von einer gewissen Selbstherrlichkeit zu spüren, wenn so ein Antrag dann schnell abgelehnt wird, weil er von einem Ortsverein kommt und nicht die großen Truppen dahinter stehen. Das kann kein Grund dafür sein, ihn nicht so angemessen zu behandeln, wie es sich gehört.

 

Ich bitte um Überweisung an die Programmkommission.

 

(Beifall)

 

Vorsitzende Antje Huber: Danke schön. - Bitte, Wolfgang Roth.

 

(Zurufe)

 

Wolfgang Roth, Antragskommission: Die heitere Stimmung, die in den Zwischenrufen zum Ausdruck kommt, muB ich doch fUr einen Moment unterbrechen. Genossinnen und Genossen, ich glaube nicht, dass aus dieser Stimmung heraus ein Beschluß gefaßt werden sollte, der den wirtschaftspolitischen Dialog jedenfalls mit breiten Schichten unserer Bevölkerung auf Jahre blockiert. Und das würde stattfinden!

 

Warum haben die Genossinnen und Genossen der AfA heute in der Weise Stellung genommen, wie sie es getan haben? War der Grund der, dass sie ihre eigene Willensbildung nicht ernst genommen haben, oder war das deshalb so, weil sie ihre Partei beim Finden neuer wirtschaftspolitischer Schritte ernst genommen haben? Ich würde das Letztere annehmen. Die Genossinnen und Genossen der AfA wussten ganz genau: Wenn dieser Beschluss auf diesem Parteitag so rüber gegangen wäre, wäre manches an Zustimmung aus den Betrieben und in anderer Richtung blockiert worden.

 

Wir haben aus vielen Gründen diese Debatte heute nicht detailliert geführt. Vielleicht hätte man es tun müssen. Wenn man sie detailliert geführt hätte, hätte jedenfalls das Votum der Antragskommission gelautet, dass dieser Beschluss, quer durch alle Bereiche des Kreditsektors zu verstaatlichen oder quer durch die Schlüsselindustrien - was ist das heute eigentlich? - alles zu verstaatlichen, dazu führt, dass auf Jahre die Mehrheitsfähigkeit der Sozialdemokratie in der Bundesrepublik Deutschland blockiert würde. Das weiß eigentlich jeder. Das weiß auch der, der aus Heiterkeit im Ortsverein und jetzt auch hier dem Antrag vielleicht zustimmen mag. Ich weiß, dass jeder das weiß, denn es zeigt sich sehr oft in Vier-Augen-Gesprächen, dass man es weiß.

 

Deshalb, Genossinnen und Genossen, bitte ich an dieser Stelle im Auftrag der Antragskommission - wir haben ja den Antrag debattiert, und zwar sorgfältig, nicht in der Hektik dieses Bundesparteitages, bei dem die Antragskommission zwischendurch auch immer wieder tagen muß - darum, diesen Antrag bewußt abzulehnen, um wirklich einen Dialog auch aus der Partei heraus mit allen sozialen Gruppen über eine neue sozialdemokratische Wirtschaftskonzeption aus der Programmkommission heraus zu ermöglichen. Ich bitte euch, das sehr ernst zu nehmen - trotz der zu Recht heiteren Zwischenrufe. - Vielen Dank.

 

(Beifall)

 

Vorsitzende Antje Hubcr: Das Wort zum selben Punkt hat jetzt Hans Wiesen.

 

Hans Wiesen, Schleswig-Holstein: Liebe Genossinnen und Genossen! Ich kann nicht gut verstehen, dass Wolfgang Roth diesen Antrag als einen Antrag beschreibt, der inhaltlich so angelegt wäre, dass er die Diskussion über Wirtschaftsinstrumente erschwerte oder gar abbräche.

 

(Beifall)

 

Nein, er leistet dazu Beiträge oder versucht das zumindest.

 

Nun hat ja die AfA, wie man weiß, auf ihrer Konferenz eine Beschlusslage herbeigeführt, die zumindest in diese Richtung geht. Auf diesem Parteitag haben wir uns nun mit Antrag 13, Ziffer 4, auf eine umfassende Diskussion über diese Fragen verständigt, weil wir die Diskussion um den Abbau der Arbeitslosigkeit und um eine wirtschaftliche Zukunft für diejenigen, die zur Zeit keine sehen, nicht etwa an dem Punkt abbrechen können, an dem wir an bestehende Organisationen von Unternehmen und an Hierarchien stoßen. Dies war doch die Beschlusslage beim Antrag 13, Ziffer 4!

 

Ich beantrage, dass wir bei Antrag 29 zunächst über die Zustimmung abstimmen. Wer dem Antrag nicht zustimmen will oder kann, der sollte dann aber in einer zweiten Abstimmungsrunde auf jeden Fall diesen Antrag als Material zu dem Antrag 13, Ziffer 4, hinzugeben, weil er die Diskussion ergänzt und belebt,

 

(Beifall)

 

Vorsitzende Antje Huber: Jetzt spricht Gerhard Benner.

 

Gerhard Benner, Westliches Westfalen; Ja, ihr macht es uns nicht leicht, und wir machen es uns auch nicht leicht; wir haben es uns an keiner Stelle leicht gemacht. Ich bitte für einen Moment um Aufmerksamkeit. Ich bin textlich nicht vorbereitet, aber ich meine, ich habe meinen Kopf, um gemeinsam mit euch zu denken.

 

Ich meine euch erst einmal drei Dinge dazu sagen zu müssen, wie wir seit Karlsruhe verfahren sind. Ich erspare euch, wie wir zu Karlsruhe gekommen sind, weil das schlaglichtartig aufgezeigt hätte, wie wir verlernt haben, Politik zu organisieren, weil es gezeigt hätte, wie wir Beschlüsse fassen und damit umgehen. Das ist eine ganz eigene Geschichte; die kann man gelegentlich einmal erzählen.

 

Zwei Dinge wollten wir mit dem Karlsruher Beschluss der AfA nicht. Erstens wollten wir nicht so tun, als hätten wir jetzt das Gelbe vom Ei beschlossen, nämlich den wahren Sozialismus, was 120 Jahre Sozialdemokratie nicht geschafft haben. Wir wollten nicht so tun, als würden wir das jetzt vor uns hertragen und sonst nichts tun.

 

Zweitens wollten wir nicht das tun, was in dieser Partei, in anderen Arbeitsgemeinschaften und sicherlich auch in unserer eigenen eingerissen war, nämlich dass das Wichtige der Beschluss auf einem Kongress oder einem Parteitag ist, während alles Übrige unwichtig ist. Oft ist es ja leider bei einem Beschluss nur wichtig, dass man ihn irgendwo vorlegt oder wieder beschließt, wobei sich aber in der Sache nichts verändert. Das wollten wir nicht.

 

Drittens haben wir unseren Ansatz darin gesehen, dass es nichts nützt, wenn wir Schlagworte, Parolen, Tabu- und Reizworte beschließen, aber inhaltlich nichts verändern. Wir wollten auch nicht die Diskussion haben, die andere mit uns darüber führen, ob wir die Beamten im Arbeitsministerium in Bonn-Duisdorf oder die im Finanzministerium oder sonstwo in verstaatlichten Betrieben haben wollen.

 

Wir wollten, dass wir gemeinsam darüber nachdenken, wie denn mit öffentlichem Geld von Steuerzahlern in den Betrieben Einfluss im Interesse der Arbeitnehmer genommen werden kann und wie öffentliches Geld abgesichert werden kann. Es gibt ja kein Bankgeld, ohne ins Grundbuch zu gehen. Das haben wir in der Vergangenheit alles getan!

 

Wir wollten, dass die Diskussion in der Partei beginnt, nicht aufhört. Es ging uns nicht um eine Beschlussfassung über Parolen, noch dazu in ironischer Zusammenfassung wie in diesem Antrag 29, der eben mal 100 Jahre Sozialdemokratie in ein paar Parolen und Schlagworten zusammenfasst. Ich bitte euch wirklich, euch das in allen Einzelheiten anzusehen.

 

Ich weiß, dass ich möglicherweise nicht gut genug dafür bin, euch davon zu überzeugen.

 

Ich sage noch einmal: Wir sind in der Verantwortung derer, die Karlsruhe gewollt haben, weil sie, wie Holger Börner sagt, die Menschen sind, die draußen unmittelbar mit diesem Problem zu tun hatten. Wir werden uns denen gegenüber zu verantworten haben, und zwar für das, was wir aus diesen Beschlüssen gemacht haben, und dafür, ob die Partei anfängt, über den Einfluss mit öffentlichen Geldern zugunsten von Arbeitnehmern zu diskutieren, ob sie anfängt, dies in die Programmdiskussion der nächsten Jahre mit einzubeziehen.

 

Die Verstaatlichung des gesamten Bankenbereiches ist eine jener Forderungen, über die wir lange hin und hergeredet haben und auch Beschlüsse gefaßt haben. Wir haben es aber in der ganzen Zeit nicht geschafft, Machtfaktoren bei der Organisation im Bankgewerbe zu verändern, weil wir uns inhaltlich nicht an das Thema herangetraut haben. Dies aber wollten wir mit unserem Antrag erreichen. Deswegen sage ich hier das, was ich vorhin hatte sagen wollen: Wir warnen vor dem Missverständnis, dass wir mit der vorhin erfolgten - Gott sei Dank: einstimmigen - Annahme des Antrags 13 mit unserer Passage die Sache beerdigen wollen. Dies ist für uns vielmehr ein Auftrag, anzufangen. Dazu ist die gesamte Partei aufgefordert. Wir sind - nicht leichtfertig und nicht mit Parolen - aufgefordert, und zwar jeder vor Ort, mit viel Arbeit, im Gespräch auch mit Sozialdemokraten, die in Führungspositionen -auch in den Unternehmen - sind, mit jenen, die an uns hängen, Unternehmensformen zu finden, die Gemeinwirtschaft neu zu beleben, den Genossenschaftsgedanken neu anzupacken. Das sind Dinge, die wir in den 13 Jahren vergessen haben, ein bisschen zu bewegen. Wir müssen auch mit uns selbst und mit den Gewerkschaften ins Reine kommen und überlegen, was wir falsch gemacht haben. Wir müssen überlegen, wie wir neue Glaubwürdigkeit gewinnen können, wie wir etwas vorleben, bevor wir es von anderen fordern.

 

Damit haben wir eine Aufgabe vor uns, die man nicht mit Parolen oder mit Satire beschließt. Ich denke, sonst würde die Würde des Parteitages verletzt. Ich hoffe, ich habe euch dies klarmachen können, und plädiere deshalb dafür, das, was hier steht, nicht anzunehmen, weil ich das für unmöglich halte. Es würde auch unserem gesamten Bemühen nicht entsprechen, und es würde uns unseren Weg für die Zukunft verbauen und nicht eröffnen. - Ich danke für eure Geduld.

 

(Beifall)

 

Vorsitzende Antje Huber: Jetzt hat Jochen Vogel das Wort. Ihm folgt der Genösse Naumann. Darüber hinaus liegen noch zwei Wortmeldungen vor. Nach der Abstimmung Über diesen Punkt unterbrechen wir die Beratungen für heute.

 

Hans-Jochen Vogel, Parteivorstand: Genossinnen und Genossen! Dies ist eine Sache darin stimme ich den Vorrednern zu -, die tatsächlich eine erhebliche Tragweite hat. Deswegen sollten wir dies alles trotz der fortgeschrittenen Stunde noch einmal sorgfältig überlegen und unserer Verantwortung dann voll gerecht werden.

 

Wenn ich den Antrag richtig verstehe, zerfällt er in zwei Teile. Der erste Teil ist eine Analyse. Im zweiten Teil - er ist im Antragsheft auf Seite 93 oben zu finden - folgt dann eine Aufzählung von Zielen mit Programmcharakter. Genossinnen und Genossen, es kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir diese Programmziele, die ja in wichtigen Punkten eine Ersetzung des Godesberger Programms zu einem Zeitpunkt bedeuten würden, zu dem wir die Programmdiskussion der Programmkommission erst übertragen, nun bereits beschließen. Das wäre doch ein logischer Bruch.

 

(Beifall)

 

Dann brauchte ja Erhard Eppler mit der Kommission, mit der er gearbeitet hat und die jetzt nach dem Antrag, der euch vorliegt, in eine Kommission übergehen soll, die - auf den Grundentscheidungen von Godesberg aufbauend - an ein neues Grundsatzprogramm herangeht, in wesentlichen Teilen gar nicht tätig zu werden.

 

Deswegen unterstütze ich diejenigen, die sagen: Wir können dies nur eindeutig ablehnen, und zwar wegen der Vorwegnahme, weil dies jetzt einfach nicht in den Diskussionsprozess passt. Wenn dies durch Ablehnung klargestellt ist, habe ich gar keine Bedenken dagegen - ich glaube, dass auch die Antragskommission keine Bedenken dagegen hat, wenn dies klargestellt ist -, dass der analytische Teil des Antrags von der neuen Programmkommission mit auf den Tisch genommen und in die Erörterungen einbezogen wird. Die Ablehnung bedeutet nicht, dass für die Programmdiskussion Tabus geschaffen werden. Sie bedeutet aber, dass wir die eigene Programmarbeit nicht zur Farce machen, indem wir bereits Entscheidungen treffen, bevor die Programmarbeit überhaupt begonnen hat.

 

Meine Empfehlung ist deshalb: klare Ablehnung des zweiten Teils des Antrags. Der analytische Teil kann sodann von der Programmkommission genauso zur Kenntnis genommen werden wie die anderen Texte auch.

 

(Beifall)

 

Vorsitzende Antje Huber: Vielen Dank, Jochen Vogel. Es folgt der Genosse Naumann. Danach hat Bruno Friedrich das Wort.

 

Hans-Günter Naumann, Sudbayern: Genossinnen und Genossen! Ich finde, es ist a) angesichts der Schwere der Weltwirtschaftskrise und b) angesichts der Tradition der Sozialdemokratischen Partei weiß Gott keine Schande, über diesen Antrag oder ähnliche Gedanken zu diskutieren und zu befinden.

 

(Zustimmung)

 

Das war vor 20 Jahren so, und das wird mit Sicherheit in den nächsten 20 Jahren auch noch so sein.

 

Was mich an diesem Antrag stört und weshalb ich diesem Antrag nicht zustimmen kann, ist einfach die Tatsache, dass es weder dem Antragsteller noch wirtschaftspolitischen Autoritäten, die in diesem Lande irn Moment derartiges vertreten, nicht gelungen ist, einmal plausibel nachzuweisen, wie durch eine Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien oder durch eine radikale Veränderung unseres Bankensystems unsere wirtschaftspolitischen Ziele besser oder leichter erreicht werden können. Das ist der entscheidende Punkt.

 

(Zustimmung)

 

Es fehlt also gewissermaßen die Brücke zwischen der Behauptung und unseren Zielen. Es ist nicht nachgewiesen - weder durch einen internationalen Vergleich noch durch Hinweise auf Beispiele in anderen Ländern oder durch eine analytische Betrachtungsweise, dass durch eine Vergesellschaftung Vollbeschäftigung, ein höheres Maß an sozialer Sicherheit oder was auch immer erreicht werden können.

 

Genossinnen und Genossen, wenn es gelingt, dies plausibel zu machen, dies nachzuweisen, hätte eine solche Forderung selbstverständlich ein viel größeres Gewicht und würde auch draußen in der Öffentlichkeit und unter unseren Arbeitnehmern nicht mehr auf ein so hohes Maß an Skepsis und Bedenken stoßen, wie das im Moment der Fall ist. Das ist doch der entscheidende Punkt.

 

Das bedeutet nicht, dass wir bei einer Ablehnung jetzt ein für allemal ein radikales Nein dazu sagen. Wir sagen damit nur: Im Moment schaffen wir es nicht, plausibel zu machen, wie das eine durch das andere bewirkt werden soll.

 

Ich kann hier an dieser Stelle noch folgendes als Beleg anführen. Es gibt in der Bundesrepublik Gott sei Dank Ökonomen, die gewissermaßen ein bisschen links von uns denken. Sie würden an dem, was wir heute mehr oder weniger einstimmig beschlossen haben, sicherlich das eine oder andere auszusetzen haben. Draußen liegen sehr viele Bücher von diesen Autoren. Dort könnt ihr Entsprechendes nachlesen. Wenn ihr aber deren Programmatik lest, wenn ihr lest, was sie uns im Moment empfehlen, so werdet ihr feststellen, dass dies mehr oder weniger streng auf keynesianischer oder auf reformpolitischer Linie liegt. Es liegt nicht auf der Linie dieses Antrages. Das hängt auch damit zusammen, dass diese Ökonomen einsehen, dass bei dem Einstellungsstand unserer Bevölkerung das, was hier gefordert wird, im Moment nicht durchsetzbar ist, dass es in der Tat nicht die breite Zustimmung findet, die man benötigt.

 

Ich will gewissermaßen aus geschichtlicher Sicht dies noch hinzufügen. Wenn wir uns heute zu einem Ja nicht durchringen können, so bedeutet das nicht, dass wir dieses Thema ein für allemal aus unserem Themenkatalog streichen. Es bedeutet nur, dass wir jetzt in diesen Jahren noch nicht ein ausreichendes Maß an Nutzen erreichen würden, welches bei einem solchen Beschluss notwendigerweise zu verlangen ist.

 

(Beifall)

 

Vorsitzende Antje Huber: Jetzt hat Bruno Friedrich das Wort, Ihm folgt Hans-Joachim Hoffmann, Saar.

 

Bruno Friedrich, Parteivorstand: Liebe Genossinnen! Liebe Genossen! Es ehrt sicher jeden Parteitag, wenn er über Bebei diskutiert. Es geht doch aber um einen Satz - und jeder, der dann die Hand aufhebt, muß dazu Stellung nehmen -, nämlich um die Verstaatlichung des gesamten Bankenbereichs, um eine planmäßige Steuerung des Kreditwesens zu erreichen. Das heißt, es soll der Staat die Steuerung des gesamten Kreditwesens übernehmen. Und wie so die Logik der Sprache ist, kann man sich auch nicht mit Überweisung helfen. Die Partei muß heute hier entscheiden angesichts all dessen, was in den letzten zwei Jahren in Europa um diese Frage - z.B. in Frankreich - gelaufen ist. Es wäre in Erinnerung an das Aufstehen gestern bei der Rede von Helmut Schmidt gut gewesen, in der Frage „ Keynes oder Schumpeter? " darauf hin zu weisen, ob dies vielleicht in der Frage der Innovation eine Annäherung an Schumpeter ist. Denn wer hier das mit der geplanten Gesamtsteuerung des Kreditwesens behauptet, der behauptet: Er weiß, wie das Problem der Innovation unserer Industrie total zu lösen ist. Das ist das eine.

 

Das zweite: Die Missverständnisse. Habt ihr vergessen, wie die Diskussion der Quellensteuer im Bundestagswahlkampf 1983 war, was für die österreichischen Genossen die Diskussion über die Quellensteuer im Ergebnis bedeutet hat? Und die französischen Sozialisten und die französischen Kommunisten waren in der Frage der Bankenverstaatlichung und auch in der Frage einer gewissen Kontrolle der Kapitalflucht nicht schüchtern.

 

Wer also hierher tritt, muss sagen: Ich bitte euch, unter Berücksichtigung der Erfahrung der französischen Genossen hier so zu entscheiden.

 

Im übrigen: Ich bin ja ziemlich höhnisch - oder wie man es auch nennt - behandelt worden, als ich die Fortschreibung des Godesberger Programms forderte. Aber ich gehe davon aus, dass es niemand in der SPD gibt, der behauptet, ohne ein gemischtes Wirtschaftssystem hätten wir eine Chance zur Reform der Wirtschaft, Mit diesem Satz, der hier so apodiktisch über die Banken gesagt wird, gibt es kein gemischtes demokratisches Wirtschaftssystem.

 

Deshalb muss der Parteitag hier Flagge zeigen. Und deshalb bin ich für die Empfehlung der Antragskommission.

 

(Beifall)

 

Vorsitzende Antje Huber: Vielen Dank. Es folgt Hajo Hoffmann.

 

Hans-Joachim Hoffmann, SPD-Bundestagsfraktion: Liebe Genossinnen und Genossen! Ich habe eine Frage an die männlichen Teilnehmer. Ich bitte rhetorisch darum, dass ihr mit Ja oder Nein antwortet, ob ihr aufgehört habt, eure Frauen zu schlagen. So ungefähr wäre die Fragestellung, wenn wir hier jetzt aus der Hand entscheiden wollten: Wollen wir nun Verstaatlichung oder wollen wir keine? Wer diese Frage sinnvoll diskutieren und beantworten will, wird es sich nicht so einfach machen können, zu diesem Antrag entweder ja oder nein zu sagen.

 

Deshalb sage ich euch: Wenn wir eine solche Diskussion wirklich ernst nehmen, ist es zwingend, dass wir einen solchen Antrag überweisen.

 

(Beifall)

 

Das will ich euch an zwei Beispielen zeigen.

 

Beispiel Nummer eins. Ich finde gute Gründe, diesen Antrag abzulehnen, und zwar etwa wegen der letzten Zeile, weil dort eine theoretische Forderung aufgestellt ist, die der praktischen Erfahrung schlichtweg zuwiderläuft. Ihr könnt es nicht. Es gibt kein Gesetz und auch nicht eine Reihe von Gesetzen, wodurch beispielsweise die Kapitalflucht unterbunden werden könnte. Das können wir nachexerzieren und vorexerzieren. Wir haben die Diskussion darüber in der Bundestagsfraktion beispielsweise an Hand der Quellensteuer geführt, die vorhin erwähnt worden ist. Wir hätten rechnerisch, wenn wir die ganzen Sparguthaben herauslassen, den Vorteil gehabt, durch Erfassung dieser Gelder 5 Milliarden DM mehr Steuern einzunehmen. Tolle Sache!

 

Das Dumme ist nur: Wenn wir das vollzogen hätten - und dazu hätten wir noch nicht einmal ein neues Gesetz gebraucht, denn die Gesetze reichen dazu aus - wären uns etwa 20 Milliarden DM als Kapitalflucht herausgeflogen und hätten wir genau das Gegenteil von dem erreicht, was wir wollten; und das nicht deshalb, weil wir keine Gesetze machen können, sondern weil dummerweise der Kapitalismus ein bisschen mehr als etwas durch bloße Gesetze Formierbares ist.

 

(Beifall)

 

Und da können doch auch eine sozialdemokratische Partei und ein sozialdemokratischer Parteitag nicht so tun, als interessiere sie diese Dimension der praktischen Politik nicht.

 

Also: Man kann diesem Antrag nicht zustimmen.

 

Man kann diesen Antrag aus einem anderen Grund auch nicht ablehnen. Wenn man diesen Antrag nämlich ablehnt, wird das für viele und in der Öffentlichkeit das Signal dafür sein, die Sozialdemokraten hätten in dieser Grundsatzfrage „Wie kommen wir an die gesellschaftliche Macht heran?" bereits aufgegeben, indem sie nicht mehr darüber diskutieren, dass Industrie natürlich Macht bedeutet.

 

(Beifall)

 

Und deshalb muss es doch deutlich sein, dass wir weder durch Ja noch durch Nein, weder durch „Geschlagen" noch durch „Nicht geschlagen" diese Debatte unterbrechen. Sondern sie muss weitergeführt werden, und zwar so sorgfaltig und so tief, dass wir uns verantwortlich dazu stellen können.

 

Und dazu hat die Kommission einen Auftrag. Also überweisen wir!

 

(Beifall)

 

Vorsitzende Antje Huber: Dieter Spöri, Baden-Württemberg.

 

Dieter Spöri, Baden-Württemberg: Genossinnen und Genossen! Es ist auch grundgesetzlich verankert - das wissen wir alle, dass Verstaatlichung in bestimmten Fällen bei Pervertierung wirtschaftlicher Macht ein legitimes Mittel der Wirtschaftspolitik sein kann. Aber es reicht nicht aus, wenn wir heute sagen: Wir wollen einen derartigen Antrag deshalb nicht unterstützen, weil wir noch eine längere Programmdebatte zu führen haben.

 

(Beifall)

 

Ich bin inhaltlich gegenwärtig nicht in der Lage, etwas Positives darin zusehen, wenn wir eine globale Gespensterdebatte Über die Frage „Verstaatlichung -ja oder nein?" führen.

 

(Beifall)

 

Erhard Eppler hat in seinem Bericht, der hier ja mehrmals gelobt worden ist, etwas gesagt, was nach meiner Ansicht für die Frage „Verstaatlichung - ja oder nein?" ganz entscheidend ist. Er hat gesagt: Jede wirtschaftspolitische Forderung, die Sozialdemokraten formulieren, muss durch den Zweck, durch den Effekt legitimiert sein, den diese Forderung oder diese Maßnahme erreicht.

 

Deswegen halte ich es für falsch, Thesen zu formulieren und zu unterstützen, die global z.B. darauf hinauslaufen, zu sagen: Wir ziehen Vergesellschaftung, Verstaatlichung der Schlüsselindustrien ernsthaft in Erwägung.

 

Ich bin dagegen. Schaut doch mal die Strukturprobleme an, wo's kracht, wo die Montanregionen sind, wo die Krisenregionen in Norddeutschland sind: Es wird in norddeutschen Krisenregionen kein einziger Tanker zusätzlich bestellt werden, wenn wir hier nur eine Eigentumsdebatte „Verstaatlichung - ja oder nein?" führen.

 

(Beifall)

 

Das ist die Wahrheit, Ihr gebt den Arbeitnehmern keine glaubhafte konkrete Weise, wenn ihr nur eine fetischisierte Eigentumsdebatte führt. Ich bin jederzeit, jeden Tag dafür, dass wir hier beschließen; In dem und dem Sektor machen wir eine Verstaatlichung.

 

Aber jemand, der so etwas fordert, muß eine Zweck-Mittel-Relation herstellen. Er muss den Erfolg zeigen, wo das etwas bewirkt.

 

Und, Genossinnen und Genossen, ich sehe beim gegenwärtigen Diskussionsstand noch keine Möglichkeit, z.B. zu sagen: Das würde der Stahlindustrie helfen; das würde den Menschen in dieser Region konkrete Hoffnung geben können.

 

Was wir als Sozialdemokraten für das Saarland und für das Ruhrgebiet beantworten müssen, ist doch dies: Wir müssen Antworten geben, welche Alternativproduktionen in diesen Regionen aufgebaut werden müssen, welche konkreten strukturpolitischen Alternativen wir haben. Und wenn das mit privaten Lösungen eventuell nicht geht, dann muß man auch Über alternative Eigentumsformen nachdenken. Da gibt's kein Tabu.

 

Aber gegenwärtig Globalformulierungen zu unterstützen, dazu bin ich nicht in der Lage. Und ich sehe darin überhaupt nichts Progressives oder Fortschrittliches. - Danke schön.

 

(Beifall)

 

Vorsitzende Antje Huber: Es spricht jetzt Peter von Oertzen.

 

Peter von Oertzen, Parteivorstand: Liebe Genossinnen und Genossen! Diejenigen, die auf mehr als einem Parteitag die Diskussionen verfolgt oder an ihnen teilgenommen haben, wissen, dass vor allem gegen Ende der Beratungen über kurz oder lang der Augenblick kommt, in dem sich bei den Delegierten das Gefühl ausbreitet: „Jetzt müssen wir es denen da oben in einer klaren und knackigen Abstimmung mal zeigen, dass es nicht immer so geht, wie die das wollen, sondern wie wir das wollen." Es könnte sein - ich will da niemandem zu nahe treten -, dass sich eine gewisse Stimmung ausgebreitet hat, das jetzt an diesem Antrag einmal vorzuexerzieren. Genossen, erstens habe ich für diese Reaktion Verständnis. Ich habe schon manches Mal selbst in diesem Sinne und in diesem Geiste gestimmt und diskutiert.

 

(Heiterkeit)

 

Zweitens ist das Thema wichtig genug, um es darüber zu einer Kontroverse kommen zu lassen. Ich glaube aber, dass dieser Antrag bei allem Respekt vor den Absichten der Antragsteller und der sicherlich intensiven Diskussionsarbeit, die in diesem Antrag steckt, wirklich nicht geeignet ist, Gegenstand einer solchen Auseinandersetzung zu sein.

 

Was den analytischen, den beschreibenden und erklärenden Teil des Antrages betrifft, so hat Jochen Vogel vorgeschlagen, ihn als einen Beitrag zur Diskussion an die Grundsatzkommission zu überweisen. Der zweite Teil ist aber seinem Inhalt und seinem Anspruch nach gewissermaßen die Vorwegnahme denkbarer Formulierungen im Grundsatzprogramm. Es ist - das hat Dieter Spöri mit Recht gesagt - keinem der Punkte eine angemessene Diskussion über die Gewichtigkeit und Richtigkeit dieser dort parolenartig vorgetragenen Forderung einer solchen Beschlussfassung vorweg gegangen, Dies wäre ein Stück Programmbeschluss. Genossen, etwas, das dem Inhalt nach der Formulierung von programmatischen Zielen unserer Partei entsprechen müsste, wenn es ernst gemeint wäre, das kann nicht nach einer aus dem Stegreif von einem halben Dutzend Rednern begonnenen Diskussion hier beschlossen werden.

 

(Beifall)

 

Das ist einfach dem Ansprach nicht angemessen, den der Parteitag an sich stellen muß, und es ist dem Gewicht, das programmatische Beschlüsse haben sollten, nicht angemessen.

 

Wenn es nicht ernst gemeint sein sollte, sondern nur der Versuch ist, einmal zu zeigen, was eine Harke ist, dann wäre das auch der Sache nicht angemessen. Dazu sind die Absichten der Antragsteller zu ernst gemeint. Deswegen halte ich es für vertretbar, diese Passage kritisch zu beurteilen. Ich will das an einigen Punkten noch verdeutlichen.

 

Was heißt „grundsätzliche Demokratisierung der Wirtschaft"? Wir alle wissen, dass „grundsätzlich" einer der zweideutigsten Begriffe unserer Resolutionssprach« ist, den wir kennen. „Grundsätzlich" kann heißen „im Grundsatz" und kann heißen „eigentlich nicht, nur im Prinzip", so wie bei Radio Eriwan.

 

Was heißt „Gesamtwirtschaft zum Wohle des einzelnen und der Gesellschaft"? Gemeint ist vermutlich eine „Gemeinwirtschaft". Es ist sehr fraglich, wie das zu verstehen ist

 

Das „Recht auf Arbeit". Soll hiermit die Möglichkeit der Arbeit für jeden gefordert werden oder die Verankerung eines neuen Grundrechts in der Verfassung, des Rechts auf Arbeit? Das ist eine alte Diskussion, und das ist aus vielerlei Gründen heftig umstritten und keineswegs nur eine Kontroverse zwischen Sozialisten und Nichtsozialisten. Es ist die Frage, ob man ökonomische Tatbestände dadurch verändert, dass man Rechte in die Verfassung schreibt. Darüber kann man ernsthaft streiten.

 

„Verstaatlichung des gesamten Bankenbereichs": Ich will hier nicht eine grundsätzliche Verstaatlichungsdebatte führen. Dass ich nicht ein dogmatischer Gegner der Verstaatlichung bin, werden mir die einen oder anderen ja glauben. Heißt das aber auch Verstaatlichung der Genossenschaftsbanken, heißt das Verstaatlichung der kommunalen Spar- und Darlehenskassen?

 

(Zurufe: BfG! - Heiterkeit)

 

- Von der BfG wollen wir lieber in diesem Zusammenhang gar nicht reden.

 

Es ist einfach, selbst wenn man den Inhalt der Absichten billigt, in der Formulierung schlechterdings nicht annehmbar.

 

Zum Schluss wird eine „progressive Mitbestimmungspraxis" gefordert. Ich habe das erst beim dritten Lesen begriffen. Wenn ein Ausbau der Mitbestimmungsgesetzgebung gefordert würde, ja, aber kann man denn eine Praxis durch Programmbeschluss fordern? Wir können an uns selbst appellieren, die gegebenen Mitbestimmungsrechte besser wahrzunehmen, aber das ist offenbar nicht gemeint.

 

In aller Kürze: Genossinnen und Genossen, bei aller redlichen Absicht und bei meinen erklärtermaßen Sympathien für die Grundtendenz des Antrags, diese Formulierungen können eigentlich verantwortlicher weise nicht angenommen, sie können nur abgelehnt werden. Die Grundabsichten des Antrags sind im analytischen Teil, im ersten Teil enthalten, und dieser ist ein ernsthafter Beitrag zur Diskussion und soll überwiesen werden an die Programmkommission.

 

Ich plädiere also für den Vorschlag von Jochen Vogel, den ersten Teil Überweisen und den zweiten Teil mit Bedauern, wie ich zugebe, aber verantwortlicher weise ablehnen.

 

(Heiterkeit und Beifall)

 

 Vorsitzende Antje Huber: Das Wort hat Willy Brandt.

 

Willy Brandt, Vorsitzender der SPD: Liebe Genossinnen und Genossen! Es wäre falsch, wenn ich nicht meine Meinung sagte. Ich werde das nicht zu vielen Punkten auf diesem Parteitag tun. Jeder, der mich kennt, weiß, ich bin immer bemüht gewesen, die Partei zusammenzuhalten. Dazu ist ein Parteivorsitzender Übrigens da, mit dazu ist er da. Ich bin für lebendige Diskussion, es gibt Punkte, an denen man keine Kompromisse, zumal keine faulen Kompromisse machen darf. Dies ist ein Punkt, wo durch Vertuschung nichts gewonnen ist.

 

(Beifall)

 

Hier muss vielmehr entschieden werden. Ich sage euch für Johannes Rau mit - Jochen Vogel hat sich ohnehin geäußert -, ich sage euch für Erhard Eppler mit, auf dessen Bericht der Grundwertekommission Bezug genommen worden ist: Der Bericht der Grundwertekommission, dem ihr liberal in der Organisation zugestimmt habt, sagt, wir wollen Godesberg nach vorne weiterentwickeln. Wir wollen nicht hinter Godesberg zurück!

 

(Beifall)

 

Nehmt mir jetzt die Bemerkung nicht übel - wir wollen alle nach Mühlheim, müssen da auch hin -, dieser Punkt ist nicht geeignet, es denen im Vorstand und denen in der Antragskommission einmal zu zeigen. Dies ist nicht der geeignete Punkt, sondern dies ist ein Punkt, zu dem der Parteivorsitzende nicht nur appellieren muss, sondern den Parteitag beschwören muss, dem zu folgen, was Jochen Vogel vorgeschlagen hat:  Nichtannahme von Teil 2, Überweisung von Teil 1.

 

(Beifall)

           

Vorsitzende Antje Huber: Der Vorsitzende der Antragskommission, Jochen Vogel, hat den Vorschlag gemacht, den Willy Brandt gerade noch einmal wiederholt hat. Ich glaube, es ist das beste, wenn wir so abstimmen.

 

Wir stimmen über Teil l und Teil 2 getrennt ab. Teil l wird empfohlen zur Überweisung an die Programmkommission. Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen.

 

Teil 2 wird zur Ablehnung empfohlen. Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Votum. – Danke  schön. Die Gegenprobe. - Gegen etliche Stimmen. Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen.

 

Damit ist der Antrag so beschieden........ "