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SPD Ostwestfalen-Lippe 

Überraschendes Nein zu den Notstandsgesetzen

Der 3. Februar wird sicherlich als einer der außergewöhnlichen, zumindest ungewöhnlichen Parteitage in die Geschichte der SPD in Ostwestfalen-Lippe eingehen. Nicht, weil man ein neues Bezirksstatut verabschiedete, sondern weil dieser Parteitag ein wesentliches Mehr an politischer Aussprache und Diskussion brachte, weil erstmals die junge Generation in die Diskussion eingriff und akzeptiert wurde. Kein Wunder, dass die Beschlüsse auch deutlich das Signum dieses "politisierten" Parteitages trugen. Es soll aber auch nichts überbewertet werden. Die jungen Kräfte in der Partei griffen in die Diskussion ein, sie wurden auch angehört und konnten einen gewissen Einfluß auf die Beschlußfassung ausüben,doch noch sind sie nicht stark genug, um entscheidende politische Umwälzungen zu erzwingen. Es bliebe außerdem zu klären; wie weit wollen die Jungsozialisten in Ost-Westfalen überhaupt gehen?

Bestimmt wurde das Geschehen von drei Antrügen. Der Bezirksvorstand forderte ein neues Statut, und als Streitpunkte gab es die Fragen Notstandsgesetzgebung und Mehrhellswahlrecht. Am leichtesten wurde noch das neue Statut abgewickelt. Es gab zwar eine Diskussion, die aber immer mehr in juristische Fragen ahglitt. Einziges Politikum des neuen Status: Der Bezirksparteitag soll in Zukunft von heule ca. 45o Delegierten auf 250 Delegierte verkleinert werden. Außerdem sollen, entgegen der bisherigen Gepflogenheit, keine Gastdelegierten mehr zugelassen werden. Trotz einiger Bedenken wurde das neue Statut mit unwesentlichen Änderungen verabschiedet.

Eine klare Absage erteilte der Parteitag dem Mehrheitswahlrecht. Einige wenige Diskussionsredner versuchten, die Mehrheit des Parteitages umzustimmen, indem sie mit der Gefahr von rechte drohten. Doch das Gros der Delegierten ließ sich dadurch nicht schocken und zeigte eine deutliche Ablehnung gegen dieses Wahlrecht, das einen Eingriff in die demokratische Willensbildung und -bekundung des Wahlvolkes darstellt. Außerdem war deutlich die Befürchtung einer Zementierung der derzeitigen politischen Verhältnisse innerhalb der einzelnen Kreise zu verspüren. Es erschien einigen Delegierten unerträglich zu wissen, daß ein einziger Häuserblock über die politische Vertretung eines ganzen Wahlkreises entscheiden kann, denn auch solche extreme Möglichkeiten werden durch das Mehrheitswahlrecht eröffnet.

Die leidenschaftlichste Diskussion erhob sich bei der Notstandsfrage. Deutlich hoben sich die Fronten ab. Der Parteitag hatte drei prinzipielle Anträge vorliegen und teilte sich in zwei Lager und Meinungen. Die einen votierten prinzipiell für eine Notstandsgesetzgebung, die anderen dagegen. Von den Befürwortern plädierte allerdings der größte Teil für eine Notstandsgesetzgebung, wie sie die loo Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion vorschlagen. Es gab jedoch auch eine starke Gruppe, die für das Notstandspapier der großen Koalition plädierte.

Die Gruppe der Befürworter wußte den gesamten Bezirksvorstand auf ihrer Seite. Bezirksvorsitzer Heinrich Junker beteuerte mehr als einmal, er gehöre nicht zu den Befürwortern einer Notstandsgesetzgebung, doch man brauche sie als Vorsorge für den Bürger in Krisenzeiten und daher trete er für das Papier der Fraktion ein.

Die Diskussion der Notstandsfrage behandelte die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte, wie auch den Sinn einer Notstandsgesetzgebung überhaupt angesichts der Annahme, daß der Angreifer nach vier Tagen am Rhein stehen werde, und schließlich die Vereinbarkeit von Notstandsgesetzgebung und Entspannungspolitik.

Zwischenzeitlich war bereits einmal ein Antrag auf Schluß der Debatte abgelehnt worden, ein zweiter Antrag, jetzt den Schluß der Rednerliste fordernd, hatte mehr Erfolg und wurde angenommen. So wollte es der Zufall, daß als vorletzter Diskussionsredner ein Jungsozialist zu Wort kam, der die Notstandsgesetze in aller Entschiedenheit ablehnt.

Er lies sich davon leiten, daß es in der bundesdeutschen Gesellschaft eine Schicht Manipulatoren und eine Schicht Manipulierter gibt. Letztere decke sich im Prinzip mit der Schicht der Arbeitnehmer. Die Notstandsgesetze würden nun den Manipulatoren ein zusätzliches Hilfsmittel in die Hand geben, das evtl. gegen die Masse der Arbeitnehmer eingesetzt werden könne. Er wies außerdem auf die Gefahr einer Regierungsübernahme durch die NPD hin und malte aus, welche Folgen ein Notstandsgesetz in der Hand solcher Leute hätte. Nach Ende dieses Beitrags war der überwiegende Teil der Parteitagsdelegierten ins Lager der Notstandsgegner übergegangen, daran änderte auch die abschließende Rede des Dr. Ebert (MdL) nichts mehr. Ergebnis: 2o8:187 - Ablehnung und Solidarität mit Hessen-Süd und Schleswig-Holstein.

Gegen Ende des Parteitags wirbelte dann ein Initiativantrag mit dem Ziel der Anerkennung der DDR noch einmal etwas Staub auf. Die Diskussion war trotz der Aktualität des Themas kurz und zum Teil müde. Die Jungsozialisten versuchten auch hier einen Durchbruch, doch er scheiterte an der geschlossenen Phalanx der Gegner. Das offene Plädoyer eines Jusos für die Akzeptierung zweier deutscher Staaten auf deutschem Boden wurde mit "Aufhören" und "Kommunist" in recht demokratischer Weise kommentiert.

Bleibt zum Schluß die Hoffnung, daß sich die jüngeren Kräfte auch in Ostwestfalen-Lippe weiter stärken und somit auch durchsetzen können, ohne daß es zu einem offenen Bruch innerhalb der Partei kommt. Allerdings gab es in Bünde für die Befürchtung eines Bruches keinen Anlaß.

Jens Olafson

Aus "express international", März 1968