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FR vom 17.11.2004, Nr.269, Seite 24 : PLUS POLITIK (gescannt, da nicht in der Internetausgabe gefunden)

Seit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen nennen die Anhänger der WASG den Kanzler einen "Neoliberalen".

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Auf dem Weg zu einer Partei: Die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit will den Enttäuschten Perspektiven bieten

VON KRISTIAN FRIGELJ

Es gab einmal eine Zeit, da riskierte Klaus Ernst sogar eine Straftat für die SPD und für Willy Brandt. Die Münchener Polizei notierte im Protokoll den 18. November 1972, einen Tag vor der Bundestagswahl. Klaus Ernst, damals angehender Elektromechaniker, und ein befreundeter Werkzeugmacher wurden um 2.15 Uhr dabei erwischt, wie sie Plakate von CSU-Chef Franz Josef Strauß mit der SPD-Parole "Willy wählen" beklebten. Ernst drohte Jugendarrest wegen Sachbeschädigung. Der 17-Jährige legte Einspruch vor Gericht ein und kam mit einer Verwarnung davon.

Fast 32 Jahre später hat Ernst, mittlerweile zum IG-Metall-Funktionär im bayerischen Schweinfurt avanciert, wieder einen Regelbruch begangen, zumindest nach Interpretation der sozialdemokratischen Parteisatzung. Die interne Schiedskommission lastete ihm "parteischädigendes Verhalten" an, weil er zu den Mitgründern des politischen Vereins "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" gehört, kurz WASG oder ASG genannt. Die SPD schloss den inzwischen 50-Jährigen im Mai aus. Soweit ist es also gekommen mit Klaus Ernst und der Sozialdemokratie. "Die SPD hat ihre eigenen Grundsätze aufgegeben", wettert Ernst, der sein Parteibuch aber aufbewahrt.

Dies ist die Geschichte eines Menschen, dem die Partei abhanden gekommen ist. Nicht ihm allein. Deshalb wird am Wochenende in Nürnberg über die Gründung einer neuen Partei entschieden. 250 Delegierte der WASG werden den Bundesvorstand wählen und über die programmatische Richtung beraten. Zum Jahresende hin ist eine Urabstimmung geplant. Erwartet wird ein überwältigendes Votum für die Gründung einer eigenen Partei.

Der Beginn der Entfremdung lässt sich nicht ganz genau datieren.Auf jeden Fall begann es wenige Monate nach der Bundestagswahl 1998, mit der die Ära Helmut Kohl zu Ende ging und die Zeit Gerhard Schröders aufzog. Die Politik der rot-grünen Bundesregierung bestürzte das SPD-Mitglied Klaus Ernst. Noch ärger kam es aus seiner Sicht nach der knappen Wiederwahl des Kanzlers im Jahr 2002: Schröder hob die Agenda 2010 mitsamt den Hartz-Gesetzen aus der Taufe. Seither bezeichnen Klaus und die Anhänger der WASG den Kanzler als einen "Neoliberalen".

Ursprünglich sei es "darum gegangen, die SPD auf den linken Weg zurückzuführen", sagt Ernst. Nur deshalb habe er im März dieses Jahres mit anderen Mitstreitern die "Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (ASG) ins Leben gerufen. Doch bewirken konnten sie nichts.

Sektierer sollen draußen bleiben

Dass sich die süddeutsche "Initiative ASG" und die norddeutsche und Berliner "Wahlalternative" im Juli zur WASG zusammenschlössen, schien ein logischer Schritt. Die ASG war stärker gewerkschaftlich geprägt, während bei der Wahlalternative das Spektrum weiter gefasst war. In den inhaltlichen Forderungen sieht man sich nicht weit voneinander entfernt. Eine Programmkommission hat bereits mit einem Entwurf begonnen. Eine endgültige Fassung könnte beim ersten ordentlichen Parteitag Anfang nächsten Jahres verabschiedet werden.

Die außerparlamentarische Opposition soll zur relevanten politischen Kraft heranwachsen. Ein Wählerpotenzial von elf Prozent habe Emnid der WASG jüngst bescheinigt, sagt Ernst. Mehr als 6000 Personen sind der Organisation bundesweit beigetreten, davon rund ein Fünftel in Nordrhein-Westfalen. Jeden Tag würden sich 30 bis 40 neue Mitglieder einschreiben, sagt Thomas Händel vom Bundesvorstand. Inzwischen haben sich Landesverbände in allen 16 Bundesländern gegründet. Vor allem enttäuschte Gewerkschafter und Sozialdemokraten sind unter ihnen, Mitglieder des Sozialforums, PDS-Sympathisanten, aber auch frühere Grüne, Abtrünnige des CDU-Arbeitnehmerflügels und Attac-Mitglieder.

Sie alle eint die Ablehnung der rot-grünen Regierungspolitik und der Hartz-Gesetze. Dass einige Kommunisten und Marxisten im Verein umherstreifen, sieht Ernst nicht als Problem; die würden schnell wieder verschwinden. In Berlin kam es zu lauten Konflikten, weil einige Aktivisten ein Volksbegehren zur Abwahl des rot-roten Senats unterstützten, was der Bundesvorstand aber ablehnte. Die Lage hat sich beruhigt, auch wenn einige intern noch über die straffe gewerkschaftliche Leitung grollen.

Keine linke Splitterpartei" werden

Die WASG solle eine "Sozialstaatspartei" werden und keine linke Splitterpartei", betont Ernst, um den Sektierern im Verein is Wasser abzugraben. Man wolle "keine Revolution ausrufen, sondern den Sozialstaat erhalten". Es gehe "nicht um Enteignung und Vergesellschaftung".

Die WASG glaubt, dass viele Menschen auf eine neue Bewegung warten. Denn sich zwischen den etablierten Parteien zu entscheiden, heiße, "zwischen Pest und Cholera zu wählen", sagt Ernst. Die Wahlalternative solle sich "nicht am Rand des linken Spektrums, sondern in der Mitte des linken Spektrums" positionieren. Sie hofft auf alle Schichten, insbesondere auf enttäuschte SPD-Wähler und Arbeitnehmer. Allein in NRW sollen rund zwei Millionen ins Lager der Nichtwähler abgewandert sein oder, wie ie SPD sagt, in der "Wartehalle" sitzen.

Im Kontrast zur rot-grünen Regierung und der schwarz-gelben Opposition will die ASG nicht weniger Staat, sondern mehr. "Die Risiken unseres Wirtschaftssystems haben eher zugenommen als abgenommen", sagt Ernst. Der Staat müsse daher tärker umverteilen zugunsten der Schwachen. "Je enthemmter der Kapitalismus wird, desto mehr Regeln braucht er", meint Ernst. Er ist die bekannteste Stimme der ASG, nicht nur weil er im kommissarischen geschäftsführenden Bundesvorstand sitzt, sondern auch, weil er - wie er selbst vermutet - "ein freches Maul" hat. Ernst redet schnell, druckvoll und bayerisch. Er sagt "Angaschma" und meint Engagement. Ernst ist Bevollmächtigter der IG-Metall in Schweinfurt und leitet eine Verwaltungsstelle mit 20000 Mitgliedern. Er sieht sich als "klassischen Gewerkschafter". Einer, der auf dem zweiten Bildungsweg Volkswirtschaft und Sozioökonomie studierte und die Lehre vom Klassenkampf "unten gegen oben" verinnerlichte.

Ernst überzeugt mit Authentizität. Was ihm fehlt, ist eine Aura, ein medialer Glorienschein, den ein Oskar Lafontaine ausstrahlt. Oder vielleicht auch ein Ottmar Schreiner. "Da haben wir noch ein Defizit", sagt Ernst. Er stehe seit etwa einem Jahr mit Lafontaine in Kontakt. Der einstige SPD-Chef sei "absolut kooperativ, zuverlässig und integer". Wie dringend sie eine Galionsfigur gebrauchen könnten, zeigte sich bei der Gründung des NRW-Landesverbandes im Oktober. Damals kamen nur vier Pressevertreter nach Duisburg. Man räumte selbstkritisch ein, dass die Öffentlichkeitsarbeit verbessert werden müsse.

Das erste politische Ziel der WASG ist die Bundestagswahl 2006. Inzwischen mehren sich die Stimmen, bereits bei der Landtagswahl in Düsseldorf im Mai 2005 anzutreten. Ernst ist skeptisch, weil die Zeit knapp ist und der Aufwand beträchtlich wäre. Doch er spürt die Begeisterung, und vielleicht denkt er bisweilen an seine eigene politische Erweckung 1972. Als es für ihn eine politische Hoffnung gab, die SPD hieß.

Die Wahlalternative soll eine "Sozialstaatspartei" werden und "keine linke Splitterpartei", betont Klaus Ernst.