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Aus dem Wirtschaftsteil der FAZ :
Pforzheim wird zum Exempel
für den Nahverkehr
Ein Bürgerentscheid über
die Privatisierung des kommunalen Busbetriebs / Veolia in Wartestellung
enn. BERLIN, 10. Juli. Die Stadt Pforzheim wird zum Exempel für
die Zukunft des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in
Deutschland. Die Stadtväter haben für einen Wechsel vom
städtischen zum privaten Busbetrieb votiert. Nach ihrem
Beschluß vom April sollte das bisher rein kommunale
Nahverkehrsunternehmen SVP vom 1. Juli an mehrheitlich an die
Gesellschaft Veolia Verkehr (früher Connex) gehen,
Tochtergesellschaft des französischen Mischkonzerns Veolia
(früher Vivendi). Die rund 60000 Pforzheimer, die werktäglich
mit dem Bus fahren, sollten davon nur Vorteile haben. Doch die
Übergabefeier zur Jahresmitte mußte ausfallen. Denn die
Stadtväter und Veolia müssen sich des hartnäckigen
Widerstands von Privatisierungsgegnern erwehren. Bürgerinitiativen
wettern gegen das Handeln der Stadtväter aus Sorge vor einer
Ausdünnung des Angebots im Nahverkehr. Sie finden teilweise
Unterstützung bei Mittelständlern, die sich über den
Ausgang des Vergabeverfahrens beschwerten.
Als erste größere Stadt in Deutschland hatte Pforzheim
Anfang April beschlossen, einen ehrheitsanteil von 51 Prozent des
verlustreichen städtischen Busverkehrs an ein Privatunternehmen zu
veräußern. Damit sollte die Privatisierung defizitärer
kommunaler Verkehrsbetriebe eine neue Dimension erreichen. Zuvor hatten
sich nur kleinere Städte von Nahverkehrsbeteiligungen getrennt und
diese Privaten überlassen. So betreibt beispielsweise der
deutschfranzösische Konzern RhenusKeolis seit
längerem Busse in IdarOberstein, Zweibrücken und Bad
Kreuznach.
Zuletzt hatte sich die Stadt Pforzheim ihren Busverkehr rund 5,8
Millionen Euro im Jahr kosten lassen. Dabei wird mit 250 Mitarbeitern
ein Verkehr mit 80 Bussen betrieben. Wegen der hohen kommunalen
Verschuldung suchte die Stadt seit Jahren einen Ausweg aus dem Dilemma.
Beworben hatten sich in dem europäischen Ausschreibungswettbewerb
insgesamt zehn Verkehrsunternehmen, darunter auch die DB Stadtverkehr,
eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn. Den Zuschlag erhielt
Veolia. Deren Beteiligung soll nun 1,76 Millionen Euro im Jahr sparen
helfen. Die Infrastruktur mit Betriebshöfen und Haltestellen
bleibt im städtischen Eigentum. Auch beim gewohnten kommunalen
Querverbund soll es bleiben: Mit den Gewinnen aus dem
Versorgungsgeschäft soll weiterhin der ÖPNV subventioniert
werden. Der Vertrag mit der Stadt sichert Veolia den Betrieb bis 2016.
Der erste Bürgermeister Andreas Schütze (CDU) verweist
darauf, daß durch den Verkehrsvertrag für die nächsten
zehn Jahre der Einfluß der Kommune auf das private
Nahverkehrsangebot gesichert sei.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi äußerte sich in den
vergangenen Monaten skeptisch, obwohl der Besitzstand für die 250
Mitarbeiter des Nahverkehrsbetriebs auf lange Sicht gesichert ist. Ein
Haustarifvertrag und ein Beschäftigungsbündnis schreiben den
derzeitigen Zustand bis 2013 fest auch in der neu zu
gründenden GmbH & Co. KG unter der Regie von Veolia. Den
Privatisierungsgegnern reichen diese Zusicherungen nicht. Mitte Mai
initiierten sie ein Bürgerbegehren gegen die vom Gemeinderat
beschlossene Umstrukturierung der Verkehrsbetriebe. Von dem
nachfolgenden Bürgerentscheid wird es nun abhängen, ob der
Wechsel von staatlicher zu privater Regie gelingt. Am 23. Juli haben
die Pforzheimer Bürger das entscheidende Wort. Bisher sind dem
Vernehmen nach rund 10000 Unterschriften gegen die Privatisierung
zusammengekommen. Für eine Ablehnung reicht dies noch nicht,
dafür muß ein Viertel der Wahlberechtigten der
115000EinwohnerStadt gegen Veolia stimmen. Die
Stadtväter und Veolia sind derzeit zuversichtlich, daß das
Privatisierungsgeschäft doch noch über die Bühne gehen
kann. Bei einem negativen Ausgang des Bürgerentscheids könnte
Veolia zum 1. August oder zum 1. September die Verantwortung für
die Pforzheimer Busse übernehmen. Es wäre eine Art
Musterprojekt für das ganze Land.