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Auszug aus Newsletter- Rundbrief der Attac EU-AG Nr.8 (März 2005), Seite 34

Privatisierung gestoppt

Attac EU-AG-Newsletter-Redaktion gratuliert Attac Mühlheim und seinen BündnispartnerInnen

Signal gegen Filz

von Werner Rügemer

Am Sonntag stimmten 27 400 Mülheimer Bürger gegen weitere Privatisierungen in ihrer Stadt. Damit kamen mehr als die erforderlichen 20 Prozent der Wählerstimmen zusammen. Das Votum bindet somit Rat und Verwaltung zumindest für zwei Jahre. Es ist der erste Bürgerentscheid, der sich nicht gegen eine einzelne Privatisierung richtet.

»Soll die Stadt Mülheim es in Zukunft unterlassen, bei der Gründung bzw. Änderung bestehender Gesellschaften im Bereich der Daseinsvorsorge Gesellschaftsanteile an Private zu übertragen?« So lautete der etwas komplizierte Abstimmungstext.

Die lediglich 5 000 Gegenstimmen kamen somit nicht nur von den Privatisierungsfreunden aus CDU, SPD und FDP, sondern teilweise wohl auch daher, daß manche Bürger, die gegen Privatisierung sind, mit »Nein« statt mit »Ja« gestimmt haben.
Der Bürgerentscheid wurde von der Initiative »unser mülheim« organisiert, unterstützt von ATTAC, ver.di, und der Zwei-Mann-Ratsfraktion »Wir aus Mülheim«. Die Unterstützung der Grünen war wenig sichtbar. Eine entscheidende Rolle spielten dagegen die Mülheimer Bürger-Initiativen (MBI), die seit letzten September mit fünf Mitgliedern im Rat vertreten sind.

SPD, CDU und FDP, die sich grundsätzlich und verbissen gegen den Entscheid wehrten, haben in der Vergangenheit wesentliche Teile der Abfallentsorgung, der Energie- und Wasserversorgung an die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke
(RWE) verkauft. Müllgebühren, Gas- und Wasserpreise sind seitdem schneller gestiegen als je zuvor. Da das versprochene Ziel der Haushaltssanierung trotzdem nicht erreicht wurde, wollen die Unbelehrbaren jetzt noch Krankenhäuser verkaufen und Schulen von privaten Bauunternehmen betreiben lassen. Da haben sich die Mehrheitsparteien jetzt wohl verschätzt.

Mülheim an der Ruhr ist ein besonders verfilztes Pflaster, das den berühmten »Kölner Klüngel« vermutlich noch übertrifft. Aus dieser traditionellen SPD-Hochburg kommen führende Sozialdemokraten wie Bodo Hombach, ehemals Wahlkampfleiter des
nordrhein-westfälischen Exministerpräsidenten Johannes Rau und jetzt Geschäftsführer des WAZ-Konzerns, Wilfried Schartau, SPD-Vorsitzender von NRW und Arbeitsminister sowie Werner Müller, Schröders erster Wirtschaftsminister, jetzt Chef des Ruhrkohle-Konzerns.

Als 2002 die CDU, damals mit Unterstützung der Grünen und der SPD, die Wasserwerke an RWE verkaufte, stellte sich heraus, daß die »Privatisierungsberaterin « der Stadt, Rechtsanwältin Dr. Ute Jasper gegen hohes Honorar auch den aufinteressenten RWE beriet. Die Beraterin setzte deshalb den Kaufpreis zuungunsten der Stadt wesentlich zu tief an. Eine öffentliche Ausschreibung unterblieb.

Doch außer der MBI protestierte niemand. Während RWE wegen der Zahlungen an den CDULandtagsabgeordneten Hermann-Josef Arentz und an CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer vor einigen Monaten spektakulär zurückstecken mußte, kann RWE sich in Mülheim weiter Politiker kaufen. Mit Hilfe der WAZ-Medien hält sich die Aufregung sehr in Grenzen. Im Januar 2005 bekam SPD-Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld einen Posten im Aufsichtsrat von RWE, versüßt mit 99000 Euro pro Jahr. Als die MBI das aufdeckte, suchte Mühlenfeld sich damit herauszureden, sie sei nicht als OB berufen worden, sondern privat.

Durch den Bürgerentscheid wird der Mülheimer Filz ein wenig aufgebrochen, hoffen die Initiatioren. »Die Prioritätenliste des Nothaushalts muß jetzt neu diskutiert werden«, kommentiert Lothar Reinhard, Sprecher der MBI. Schulen sollen nach
MBI-Vorschlag nun aus eigenen Mitteln saniert werden, unsinnige Prestigeprojekte wie die »Ruhrbania «, ein Wellness-Center mitten in der Stadt, sollen gestrichen werden. »Wir hoffen auch, daß die Abstimmung ein Signal für andere Städte ist«, so
Reinhard.
 

Werner Rügemer ist Publizist und Philosoph und veröffentlicht unter anderem in der Jungen Welt. Dort erschien auch dieser Artikel erstmalig am 1.3.05, den wir hier dokumentieren.