Privatisierung gestoppt
Attac EU-AG-Newsletter-Redaktion gratuliert Attac Mühlheim und seinen BündnispartnerInnen
Signal gegen Filz
von Werner Rügemer
Am Sonntag stimmten 27 400 Mülheimer Bürger gegen weitere Privatisierungen in ihrer Stadt. Damit kamen mehr als die erforderlichen 20 Prozent der Wählerstimmen zusammen. Das Votum bindet somit Rat und Verwaltung zumindest für zwei Jahre. Es ist der erste Bürgerentscheid, der sich nicht gegen eine einzelne Privatisierung richtet.
»Soll die Stadt Mülheim es in Zukunft unterlassen, bei der Gründung bzw. Änderung bestehender Gesellschaften im Bereich der Daseinsvorsorge Gesellschaftsanteile an Private zu übertragen?« So lautete der etwas komplizierte Abstimmungstext.
Die lediglich 5 000 Gegenstimmen kamen somit nicht nur von den Privatisierungsfreunden
aus CDU, SPD und FDP, sondern teilweise wohl auch daher, daß manche
Bürger, die gegen Privatisierung sind, mit »Nein« statt
mit »Ja« gestimmt haben.
Der Bürgerentscheid wurde von der Initiative »unser mülheim«
organisiert, unterstützt von ATTAC, ver.di, und der Zwei-Mann-Ratsfraktion
»Wir aus Mülheim«. Die Unterstützung der Grünen
war wenig sichtbar. Eine entscheidende Rolle spielten dagegen die Mülheimer
Bürger-Initiativen (MBI), die seit letzten September mit fünf
Mitgliedern im Rat vertreten sind.
SPD, CDU und FDP, die sich grundsätzlich und verbissen gegen den
Entscheid wehrten, haben in der Vergangenheit wesentliche Teile der Abfallentsorgung,
der Energie- und Wasserversorgung an die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke
(RWE) verkauft. Müllgebühren, Gas- und Wasserpreise sind
seitdem schneller gestiegen als je zuvor. Da das versprochene Ziel der
Haushaltssanierung trotzdem nicht erreicht wurde, wollen die Unbelehrbaren
jetzt noch Krankenhäuser verkaufen und Schulen von privaten Bauunternehmen
betreiben lassen. Da haben sich die Mehrheitsparteien jetzt wohl verschätzt.
Mülheim an der Ruhr ist ein besonders verfilztes Pflaster, das
den berühmten »Kölner Klüngel« vermutlich noch
übertrifft. Aus dieser traditionellen SPD-Hochburg kommen führende
Sozialdemokraten wie Bodo Hombach, ehemals Wahlkampfleiter des
nordrhein-westfälischen Exministerpräsidenten Johannes Rau
und jetzt Geschäftsführer des WAZ-Konzerns, Wilfried Schartau,
SPD-Vorsitzender von NRW und Arbeitsminister sowie Werner Müller,
Schröders erster Wirtschaftsminister, jetzt Chef des Ruhrkohle-Konzerns.
Als 2002 die CDU, damals mit Unterstützung der Grünen und der SPD, die Wasserwerke an RWE verkaufte, stellte sich heraus, daß die »Privatisierungsberaterin « der Stadt, Rechtsanwältin Dr. Ute Jasper gegen hohes Honorar auch den aufinteressenten RWE beriet. Die Beraterin setzte deshalb den Kaufpreis zuungunsten der Stadt wesentlich zu tief an. Eine öffentliche Ausschreibung unterblieb.
Doch außer der MBI protestierte niemand. Während RWE wegen der Zahlungen an den CDULandtagsabgeordneten Hermann-Josef Arentz und an CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer vor einigen Monaten spektakulär zurückstecken mußte, kann RWE sich in Mülheim weiter Politiker kaufen. Mit Hilfe der WAZ-Medien hält sich die Aufregung sehr in Grenzen. Im Januar 2005 bekam SPD-Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld einen Posten im Aufsichtsrat von RWE, versüßt mit 99000 Euro pro Jahr. Als die MBI das aufdeckte, suchte Mühlenfeld sich damit herauszureden, sie sei nicht als OB berufen worden, sondern privat.
Durch den Bürgerentscheid wird der Mülheimer Filz ein wenig
aufgebrochen, hoffen die Initiatioren. »Die Prioritätenliste
des Nothaushalts muß jetzt neu diskutiert werden«, kommentiert
Lothar Reinhard, Sprecher der MBI. Schulen sollen nach
MBI-Vorschlag nun aus eigenen Mitteln saniert werden, unsinnige Prestigeprojekte
wie die »Ruhrbania «, ein Wellness-Center mitten in der Stadt,
sollen gestrichen werden. »Wir hoffen auch, daß die Abstimmung
ein Signal für andere Städte ist«, so
Reinhard.
Werner Rügemer ist Publizist und Philosoph und veröffentlicht
unter anderem in der Jungen Welt. Dort erschien auch dieser Artikel erstmalig
am 1.3.05, den wir hier dokumentieren.