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FR vom 17.12.2005

Bürgerbegehren soll Modell stehen -

Mühlheimer Initiative will nach Entscheid gegen Stadtwerke-Verkauf mit Dokumentation andere ermutigen

Aufbruchstimmung in Mühlheim: Beim Bürgerbegehren am Sonntag hatten knapp 97 Prozent gegen den Verkauf der Stadtwerke-Anteile gestimmt. Die Initiatoren wollen jetzt ein Buch herausgeben, das andere ermuntern soll, sich ebenfalls einzumischen.

Mühlheim · Der Einsatz hat sich gelohnt. "Wir hatten die höchste Wahlbeteiligung überhaupt in Hessen", sagt Siegmund Drexler, Sprecher des Bürgerbegehrens gegen den Verkauf städtischer Anteile an den Stadtwerken Mühlheim. 42 Prozent der Wahlberechtigten der Stadt im Kreis Offenbach hatten am Sonntag ihr Votum abgegeben. Mehr als bei der jüngsten Europawahl und der Landratswahl. 97 Prozent votierten gegen den Verkauf. Ein Ergebnis, das keiner der vergangenen 77 hessischen Bürgerentscheide toppen kann, sagt Drexler. "Der Zuspruch war über alle Maßen gut." Erklärbar sei das mit der guten Öffentlichkeitsarbeit der Initiative. Und damit, dass just zur rechten Zeit RWE ins Gerede gekommen sei. Nach dem tagelangen Stromausfall im Münsterland sei das Misstrauen gegen den Energiekonzern gewachsen, der als Interessent an den 49,9 Prozent der Stadtwerke gehandelt wurde, die der Magistrat verkaufen wollte.

Das Ergebnis des Bürgerentscheids hat den Politikern im Rathaus einen Strich durch die Rechnung gemacht - und für Aufbruchstimmung gesorgt. Drexler: "Das bürgerliche Selbstbewusstsein ist gewachsen." Viele hätten erkannt, dass sie sich nicht alles gefallen lassen müssen. "Die Leute werden mutiger durch den Erfolg." Politikverdrossenheit sei vielleicht auf Bundesebene berechtigt, wo der Einfluss des einzelnen Wählers nicht erkennbar sei. Entscheidungen vor Ort hingegen könnten erfolgreich durch Bürgerentscheide manipuliert werden.

Im Januar soll ein Buch erscheinen, das die Arbeit der Initiative dokumentiert, die im April begann und mit dem Erfolg am Sonntag gekrönt wurde. Mit dem Verkauf des Druckwerks wollen Drexler und seine Mitstreiter zumindest einen Teil der entstandenen Kosten hereinholen. Denn Widerstand lässt sich oft nicht zum Nulltarif organisieren. Mehrere tausend Euro hat der Feldzug gegen den Stadtwerke-Anteil-Verkauf gekostet. Es gibt eine professionell gemachte Website, Informationsmaterial und Postwurfsendungen für alle Bürger mussten gedruckt werden. Dabei kam der Initiative zupass, dass Mühlheim mit seinen 26 000 Einwohnern überschaubar ist. Siegmund Drexler: "Je größer eine Stadt ist, desto komplizierter wird es."

Das bestätigt die Statistik des hessischen Innenministeriums. Demnach wurde das Quorum, das bei mindestens 25 Prozent liegen muss, in kleineren Orten eher erreicht. Doch auch in größeren Städten ist ein Bürgerentscheid nicht zum Scheitern verurteilt, wie die Wiesbadener bewiesen. Vor elf Jahren wurde dort der Parlamentsbeschluss für eine Bebauung des Dernsch'schen Geländes gekippt. Die Wahlbeteiligung lag bei 36 Prozent, dreiviertel der Stimmen votierten mit "Ja". Gut in Innerung ist dem Zuständigen im hessischen Innenministerium auch das Anstrengen eines Bürgerentscheids in Frankfurt gegen Cross-Boarder-Leasing des U-Bahn-Netzes. Die Politiker hätten auch deshalb Abstand von den Plänen genommen. Oft entstünde ein Dialog zwischen Betroffenen und Gemeindverwaltung, und nicht selten eine Initiative, die sie sich über den Urnengang hinaus engagiere.

Kommunalpolitiker fällt es nicht immer leicht, mit dem Plebiszit umzugehen. So hatte der Mühlheimer Magistrat in einem Rundschreiben die Bürger aufgefordert, den Wahllokalen fern zu bleiben. "Ein Fehler", wie Bürgermeister Bernd Müller (CDU) einräumt. "Das war Betriebsblindheit." Der große Zuspruch auf den Urnengang am Sonntag hat den Rathauschef beeindruckt. Müller: "Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es am Sonntag um eine sehr emotionales Thema ging." Jutta Rippegather

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BÜRGERENTSCHEID

Ziel: Bürger sollen flexibel auf aktuelle Probleme und kommunale Bedürfnisse reagieren können.

• Themen: Angelegenheiten, die dem Gemeindevorstand, Magistrat oder dem Bürgermeister vorbehalten sind, bleiben ausgeschlossen. Gleiches gilt für Entscheidungen über gemeindliche Tarife und Gebühren sowie den Haushalt.

• Erste Stufe: Voraussetzung für den Bürgerentscheid ist das Bürgerbegehren, das mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten mit ihrer Unterschrift unterstützen müssen, Es begründet die zu entscheidende Frage und schlägt vor, wie etwaige Kosten gedeckt werden können.

• Zweite Stufe: Der Bürgerentscheid ist erfolgreich, wenn die Stimmenmehrheit mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten repräsentiert (Quorum). Dann hat er die Qualität eines Beschlusses der Gemeindevertretung, der frühestens nach drei Jahren abgeändert werden kann.

• Gesetzliche Grundlage: Paragraf 8b der Hessischen Gemeindeordnung, der am 1. April 1993 in Kraft trat.
JUR

www.wählen.hessen.de,
www.buergerbegehren.de,
www.forschungsstelle-direkte-demokratie.de .
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