Dies ist eine HTM- Datei, die ich aus einer RTF-Datei erstellt habe. Sie kann unter der Internetadresse http://germanwatch.org/tw/mb-enq02.rtf direkt aufgerufen werden.
Der gesamte Schlussbericht der Enquete-Kommission :" Globalisierung
der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten ( Drucksache 14/9200
Deutscher Bundestag , 12. 06. 2002 14. Wahlperiode ) kann auch geladen
werden ( ca. 17 MB ) von der Seite http://germanwatch.org/tw/mb-enq02.htm
Dr. Michael Baumann
Der Abschlußbericht der Enquete Kommission Globalisierung
Wer schützt die globalen öffentlichen Güter?
Als erstes Parlament der Welt hat der Bundestag eine Enquete Kommission 2 1/2 Jahre lang "Gründe, die zur Globalisierung geführt haben, ihre Auswirkungen in wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Bereichen sowie Handlungsoptionen zur Einwirkung auf die weitere Entwicklung" einschließlich solcher "zur Beseitigung wesentlicher nachteiliger Effekte der Globalisierung" untersuchen lassen. Weitverbreitete Besorgnisse und Ängste über gegenwärtige Formen und Auswirkungen der Globalisierung wurden fraktionsübergreifend anerkannt. Ziel der 200 Empfehlungen der Kommission ist es, mit der Globalisierung national und international verbundene Chancen als konkrete Optionen für das Parlament zu formulieren. Über das Ergebnis (Drs. 14/9200) von 34 Sitzungen, darunter 13 öffentlichen Anhörungen der Kommission ist noch vor Abschluß dieser Legislaturperiode eine Debatte im Bundestag vorgesehen.
Primär ist der Endbericht - wie die Berichte vorangegangener Enqueten - ein umfassendes aktuelles Vademecum über den Diskussionsstand und die Positionen zentraler politischer Akteure zu einer Vielzahl mit der Globalisierung verbundener Fragen. Die Diskussionsergebnisse bis Sommer 2001 wurden im Zwischenbericht Drs. 14/6910 vom 13.9.01 zusammengefasst. Alle wichtigen Teile wurden in den Endbericht übernommen. Einige Themen des Mandats wie kulturelle Fragen und Auswirkungen der Globalisierung auf die Einkommens- und Vermögensverteilung sowie eine Anzahl im Verlauf der Beratungen neu aufgetretener Fragen - wie die Thematik menschlicher Sicherheit nach dem 11.9.2001 - konnten bis zum Abschluß dieses Berichts noch nicht behandelt werden. Das gilt ebenso für eine Vielzahl globalisierungsrelevanter Aspekte sämtlicher AGs. Klimafragen wurden z.B. nur hinsichtlich der Emissionen des Luft- und Schiffsverkehrs und mit einer einhelligen Empfehlung ihrer Einbeziehung in die Kioto-Mechanismen behandelt. Den in die Empfehlungen übernommenen WBGU-Vorschlag der Einführung von Entgelten für die Nutzung globaler Gemeinschaftsgüter tragen Union und FDP allerdings nicht mit. Die wichtigsten offenen Fragen werden am Ende eines jeden Kapitels der 6 AGs aufgeführt. Eine eventuelle Fortsetzung der Arbeit und die Art der Umsetzung der vorliegenden Empfehlungen ist Sache des nächsten Bundestags.
Bis zur Sommerpause 2001 waren 6 Arbeitsgruppen (Finanz-, Güter- und Dienstleistungs-, Arbeitsmärkte, Ressourcen, Global Governance und Wissensgesellschaft) eingerichtet worden.. Sie haben insgesamt etwa 100 mal getagt und jeweils ein Kapitel zum Endbericht beigetragen. Zusätzlich wurden im Frühjahr 2002 Stellungnahmen zur Geschlechtergerechtigkeit (unter Berücksichtigung einer eintägigen öffentlichen Anhörung), zur Nachhaltigkeit und zur Bevölkerungsentwicklung erarbeitet. Schon aus Zeitgründen konnten sie nicht sorgfältig diskutiert und in eine auf Kohärenz zielende Auseinandersetzung mit den übrigen Arbeitsergebnissen gebracht werden. Damit bleibt aus meiner Sicht die seit Rio weltweit thematisierte und auch schon in vorangegangenen Enqueten der 12. und 13. Legislaturperiode formulierte Frage des "Wie" einer Umstellung unserer Wirtschafts- und Lebensweise auf eine nachfossile, nachhaltige Form auch in diesem Bericht in zentralen Aspekten weiterhin offen. Als nächster Schritt steht die konzeptionelle Synthese der Empfehlungen dieses Berichts mit der Arbeit insbesondere von UNEP (GEO 3), WBGU, SRU, Nachhaltigkeitsrat und dem Bericht der parallelen Enquete "Nachhaltige Energieversorgung" an.
Quasi als ihre Vorlage für eine solche Diskussion hat die Globalisierungs-Enquete 200 z.T. detaillierte Empfehlungen an den Bundestag erarbeitet. Im Zentrum stehen für mich dabei solche, die
- generell auf Veränderung von Rahmenregeln global wirksamer Institutionen zielen
wie Demokratisierung der Bretton Woods Institutionen (Einführung paritätischer Nord-Süd Stimmrechte, Stärkung ihrer internen und externen Transparenz) Stärkung der Stabilität und Transparenz internationaler Finanzmärkte (Bekämpfung von Geldwäsche und Korruption, Kontrolle von Offshore-Zentren und Hedgefonds, Einführung einer Tobin Steuer, Förderung nachhaltigen Investments), Stärkung der Umwelt-Governance, Vorrang multilateraler Menschenrechts-, Sozial und Umweltstandards vor Handelsstandards.
Zu einer Reihe dieser 20 Einzelempfehlungen haben Union und FDP z.T. grundsätzliche, zum Teil graduelle Vorbehalte formuliert, die nach meinem Eindruck auf einen status quo gegenwärtiger - spätestens seit dem 11.9. nicht mehr stabiler - Machtverhältnisse ("failing states") hinauslaufen. FDP und auch Union betonen dabei den "wohltuend" disziplinierenden Charakter der Globalisierung gegenüber "Fehlverhalten" von Regierungen im Süden und auch im Norden. Speziell hinsichtlich einer Stärkung der UNEP vermisst die Union allerdings zu recht mehr Engagement der Bundesregierung. Die PDS geht in ihrem Votum grundsätzlicher auf Ursachen von Machtblockaden ein.
- speziell mehr Chancengleichheit für Entwicklungsländer anstreben
Aufstockung der ODA, Fortsetzung von HIPC, Entwicklung einer internationalen Insolvenzordnung, fairer Marktzugang für Entwicklungsländer, Stärkung ihrer Chancen in der WTO, Ausbau der Instrumente für eigene Entwicklungswege (Recht auf angemessene Nahrung, development-box, Unterstützung demokratischer Agrar- und Bodenreformen, bessere Chancen bei TRIPS, bei Patenten und im Rahmen der Artenvielfaltskonvention ..).
Auch hier handelt es sich um etwa 20 Einzelempfehlungen in den verschieden Kapiteln. Vorbehalte von Union und FDP sind - abgesehen von den finanzrelevanten Fragen - überwiegend nicht grundsätzlicher Art.
- Kriterien für global wirksame Umwelt-, Sozial- und Verbraucherstandards definieren
Hier wird im Bericht der internationale Diskussionsstand zur Sicherstellung von Umwelt-, Sozial- und Verbraucherstandards aufgearbeitet und in deutlichen Empfehlungen an den Bundestag umgesetzt:
- Integration von Umweltthemen in die neue Welthandelsrunde
- zur Verankerung des Vorsorgeprinzips
- zur Internalisierung externer Kosten
- zu Ökolabels
sowie
- zur Stärkung der Rolle der ILO hinsichtlich einer Durchsetzung
von Kernarbeitsnormen
- Erstellung von Länderlisten
- Einführung eines multilateralen Sanktionsmechanismus in der
WTO
- Im Zusammenhang mit dieser Diskussion sind auch die Empfehlungen
zu den GATS-Verhandlungen zu sehen: Beibehaltung gegenwärtiger Flexibilitäten
(Sicherung der Ausschlußmöglichkeiten von Bildung und weiteren
Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge).
- s. hierzu auch die bereits angesprochene Empfehlung zu einer Nachrangigkeit
WTO-relevanter Gesichtspunkte im Konflikt mit Menschenrechts-, Sozial-
und Umweltstandards
Bei den 15 Empfehlungen hierzu zielen die Minderheitenvoten von Union und FDP auf den konkreten Einzelfall. Eine Verknüpfung von Sozialnormen und Handelssanktionen lehnen sie - auch in dieser im Unterschied zur protektionistischen Tendenz im o.g. Zwischenbericht (S. 65 ff.) deutlich zurückgenommenen und mE der heutigen Rechtslage (Art. 33 ILO Satzung) entsprechenden Form - ab.
- Verhaltenskodizes von/für Unternehmen betreffen
Als ergänzendes Instrument werden Verhaltenskodizes von/für Unternehmen gewürdigt. Ihr Monitoring durch Gewerkschaften und NGOs soll gefördert werden - auch mittels der vom EP geforderten europäischen Monitoring Agentur für Verhaltenskodizes europäischer transnationaler Unternehmen. Von Evaluierungserfahrungen soll nach den 8 Empfehlungen abhängig gemacht werden, inwieweit derartige Kodizes verbindlicheren (gesetzlich verpflichtenden) Charakter bekommen sollen.
Union und FDP wenden sich hier gegen verbindliche Regelungen.
In ähnlicher Weise wie die vorstehend im wesentlichen aus den Kapiteln Finanz- sowie Güter- und Dienstleistungsmärkte, Global Governance und auch Ressourcen herausgezogenen über 60 Empfehlungen sind knapp 140 weitere Empfehlungen u.a. zu Arbeitsmärkten (30), Wissensgesellschaft (44), Ressourcen (34) oder Geschlechtergerechtigkeit (9) erarbeitet worden. Viele beziehen sich entsprechend dem Mandat der Kommission auf primär innenpolitische Aspekte.
Rolle der Zivilgesellschaft
Die Rolle der Zivilgesellschaft wird in jedem Kapitel angesprochen. In etwa 40 Empfehlungen wird sie thematisiert. Die seit der Rio-Konferenz von 1992 national und international gewachsene Bedeutung von Zivilgesellschaft generell und NGOs als "global opposition" speziell wird damit in dem Bericht vielfältig anerkannt. Eine mit traditionellen Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften nahezu gleichberechtigte Einbeziehung in nationale und internationale Beratungsprozesse (Runde Tische zu Standardisierung von Umwelt- und Sozialnormen, UN Standards entsprechender Beobachterstatus bei Bretton Woods Einrichtungen, Mitwirkung in vielfältigen soft-law Mechanismen etc.) wird empfohlen. "Dem Staat kommt bei der Aktivierung der Zivilgesellschaft für die Ziele der Demokratie und für den Schutz der Öffentlichen Güter eine neuartige Rolle zu." schreibt der Vorsitzende Ernst Ulrich von Weizsäcker MdB in seiner Einleitung. Vorschläge zu einer institutionalisierten besseren Kooperation des Parlaments mit NGOs - wie in den USA üblich - fanden keine Mehrheit. Dies gilt deutlicher noch für - auch in NGOs umstrittene - Vorschläge, das ILO Modell (2 staatliche, je 1 Arbeitgeber- und 1 Gewerkschaftssitz) auf hierfür geeignete UN Einrichtungen (Vorschlag Simonis UNEP/GEO) zu übertragen und etwa Umweltverbänden einen Sitz neben zwei staatlichen und einem der Wirtschaft zuzubilligen.
Auch die von der Bundesregierung in ihrer PR-Arbeit hervorgehobenen Partizipationsstandards etwa hinsichtlich einer Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Nachhaltigkeitsstrategie bleiben in Bezug auf Kontinuität und nachweisbaren Einfluß hinter den Vorgaben von Weltbank und BMZ an Süd-Regierungen für deren Umgang mit NGOs zurück . Ebenso besteht in Deutschland gemessen an internationalen Transparenzstandards ("Freedom of Information Act" der USA, Aarhus-Konvention) noch Nachholbedarf.
Fazit
Ich sehe in dem Bericht - mit den Empfehlungen der Mehrheit zu grundlegenden Änderungen nicht nachhaltiger Machtverhältnisse und fraktionsübergreifenden klaren Kriterien für soziale und umweltbezogene Leitplanken für die Globalisierung - eine Chance zur Erarbeitung eines neuen "Globalen Deal". Erstmals war ein solcher Vorschlag 1980 von der von Willy Brandt geleiteten Nord-Süd Kommission vorgelegt worden. In Rio wurde er 1992 unter Vorsitz des damaligen Bundesumweltministers Töpfer und unter Mitwirkung des damaligen Bundeskanzlers Kohl und über 150 anderen Staatschefs in Erwartung der "Friedensdividende" nach dem Kalten Krieg vereinbart. Er scheiterte aber nicht zuletzt an Machtblockaden in Nord und Süd sowie den unerwarteten Herausforderungen der Globalisierung der 90er Jahre. Nur ein Bruchteil der seinerzeit zur Umsetzung der Agenda 21 (als zusätzlich benötigt) geschätzten Mittel wurden tatsächlich in Süd und Nord aufgebracht. Eine radikale Öffnung nördlicher Märkte (mit einem geschätzten Einnahmepotential von bis zu € 700 Mrd im Jahr) und eine Umsetzung der von der Mehrheit im Bericht empfohlenen Reform von Rahmenregeln könnten ein solches Ziel realistisch machen. Monterrey war erst ein kleiner Schritt dorthin.
Am Ergebnis von Johannesburg wird eine mögliche Fortführung der Kommissionsarbeit anknüpfen müssen. Damit könnte der Bundestag für Deutschland das umsetzen, was die Bundesregierung in Johannesburg vorschlagen wird: eine Weltkommission für Globalisierung und Nachhaltigkeit.
Der Verfasser war Mitglied der Enquete-Kommission :" Globalisierung
der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten ( Drucksache 14/9200