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Lukrative Geschäfte mit dem "blauen Gold"

Die Versorgung der explodierenden Weltbevölkerung mit Trinkwasser wird zu einer sprudelnden Gewinnquelle / Kritiker lehnen die Privatisierung eines öffentlichen Gutes ab

Von Lucian Haas

Rund 1,2 Milliarden Menschen weltweit haben keinen gesicherten Zugang zu sauberem Trinkwasser. Bis 2025 könnte die Zahl laut UN-Prognosen auf drei Milliarden anschwellen. Jeweils doppelt so viele müssen ohne geregelte Entsorgung ihrer Abwässer auskommen. Da der Ausbau entsprechender Netze riesige Investitionen erfordert und den meisten betroffenen Ländern das nötige Geld fehlt, sollen verstärkt private Kapitalgeber einspringen. Unternehmen wie der Essener Energieriese RWE wittern das große Geschäft. Denn aus der lebensnotwendigen Ressource lassen sich erhebliche Gewinne schlagen. Auch mit diesem höchst umstrittenen Thema beschäftigt sich die am Montag beginnende Internationale Süßwasserkonferenz in Bonn.

Zum Jahrtausendwechsel verkündeten die Vereinten Nationen ein ehrgeiziges Ziel: Bis 2015, so heißt es in der Millenniums-Erklärung der UN, soll der Anteil der Weltbevölkerung, der keinen Zugang zu sauberem Wasser hat, halbiert werden.

Leichter gesagt als getan. Denn um dieses Programm umzusetzen, müssten bis dahin rund 1,6 Milliarden Menschen an die Versorgung angeschlossen werden. Dabei ist Trinkwasser schon heute in vielen Regionen der Welt knapp. Ausgetrocknete Brunnen, verschmutzte Quellen, sinkende Grundwasserspiegel, marode Leitungen und ineffiziente Bewässerungssysteme in der Landwirtschaft sind Ausdruck eines allzu sorglosen Umgangs mit der lebenswichtigen Ressource.

Zu den technischen Schwierigkeiten gesellen sich finanzielle. 600 Milliarden Dollar müssten in den nächsten zehn Jahren investiert werden, um die Wasserversorgung und -entsorgung allein in den Entwicklungsländern sicherzustellen, schätzt die Weltbank. Doch "viele Staaten haben nicht das Geld", weiß Uschi Eid, Staatssekretärin im Bonner Entwicklungsministerium.

Die Lösung dieses Problems sehen viele in der Privatisierung. Schon heute hat eine Reihe von Metropolen ihre Wasserversorgung gewinnorientierten Unternehmen überlassen; darunter Millionenstädte wie Manila, Shanghai, Karachi, Singapur, Santiago de Chile und Buenos Aires. Solche Beispiele machen Schule. Jeden Monat veröffentlicht die britische Fachzeitschrift Global Water Intelligence die neuesten Angebote und zeigt auf, wo auf der Welt die Trink- und Abwasserversorgung an Privatfirmen verkauft oder für Jahrzehnte abgetreten wird.

Hinter solchen Offerten winkt ein riesiges Geschäft. Branchenexperten schätzen, dass sich der Umsatz privater Wasserkonzerne bis 2010 weltweit auf über 430 Milliarden Euro mehr als vervierfachen wird. Drei große Unternehmen dominieren den Markt. An der Spitze stehen die französische Suez mit der Tochter Ondeo (früher: Lyonnaise de Eaux) und Vivendi Environnement. Beide zählen weltweit jeweils mehr als 100 Millionen Menschen zu ihren Kunden.

Dahinter folgt schon der Essener RWE-Konzern. Vor einem Jahr schwang sich der Energieriese durch die Übernahme von Thames Water für 14 Milliarden Mark mit einem Schlag zum Schwergewicht in der Branche auf. Die britische Tochter versorgt mehr als 43 Millionen Menschen in Ländern wie Großbritannien, USA, Chile, Türkei, Australien, Ägypten, Thailand und Singapur. Jüngst unterstrich RWE mit der Ankündigung, die US-Gesellschaft American Water Works für knapp zehn Milliarden Mark übernehmen zu wollen, seine Expansionspläne.

Schon heute ist Wasser die profitabelste Sparte von RWE. Nach den jüngst vorgelegten Quartalszahlen trug sie zwar nur vier Prozent zum Umsatz bei, aus ihr floss aber ein Viertel des gesamten Gewinns. Auch andere deutsche Unternehmen versuchen erfolgreich, ins Geschäft mit dem kostbaren Nass zu kommen. Gelsenwasser, eine Tochter von Eon, ist seit einem Jahr in Ungarn und neuerdings in Kosovo engagiert. Im Augenblick verdichten sich die Spekulationen, dass der Düsseldorfer Multi nach der französischen Gruppe Saur greift.

Einen Blitzstart legte auch die Firma Aquamundo hin: Erst im vergangenen Jahr von den Mannheimer Versorgungs- und Verkehrsbetrieben (MVV), dem Technologiekonzern ABB und dem Bau-Unternehmen Bilfinger + Berger gegründet, betreibt sie bereits Trink- und Abwasseranlagen in Peru, Bolivien, Mazedonien und Montenegro. Derzeit bewirbt sich Aquamundo um eine Konzession für zwei Regionen mit zusammen eine Million Einwohner in Chile. "Unser Investitions- und Beratungsangebot können wir auf einen schier unerschöpflichen Markt ausrichten", sagt Michaela Gerdes, die für internationale Wasserprojekte der MVV zuständig ist.

Schier unerschöpflich erscheinen vor allem die Gewinnquellen. Denn die Wasserversorgung ist ein natürliches Monopol. Pro Stadt oder Region kommt nur ein Versorger in Frage, mehrere Leitungsnetze machen ökologisch und ökonomisch keinen Sinn. Die Abwesenheit von Konkurrenz steigert aber die Profite.

Chancen bieten sich den Unternehmen besonders dann, wenn sie in vorhandene Systeme einsteigen und kostengünstig etwa so modernisieren können, dass die Rohre weniger Wasser verlieren. "Unsere Einnahmen hängen in vielen Fällen nicht direkt vom Verbrauch ab. Uns geht es mehr um Produktivitätsgewinne, um ökonomische und technologische Optimierung", sagt Cyril Roger-Lacan, Europachef des Giganten Vivendi.

Das große Geschäft mit dem "blauen Gold" fasziniert auch die Finanzmärkte. So lancierte die Schweizer Privatbank Pictet Anfang vergangenen Jahres den weltweit ersten Branchenfonds. Er investiert das Geld seiner Anleger in mehr als 40 Wasserfirmen. Mittlerweile zogen der US-Anbieter Avalon Trust und die Schweizer Vermögensverwaltungsgesellschaft SAM Sustainable Asset Management zusammen mit dem eidgenössischen Finanzinstitut Julius Bär nach.

Der Erfolg erscheint angesichts des weltweit steigenden Bedarfes garantiert, die Verlustgefahr gering. "Unser Hauptrisiko besteht darin, dass die Politik die Privatisierung nicht unterstützt", heißt es in einem Prospekt von Pictet.

Diese Sorge ist begründet. Denn an der Frage, ob die Ressource von einigen wenigen Kapitalgebern als Profitpool genutzt werden darf oder nicht vielmehr als öffentliches Gut allen Menschen gehört, entzündet sich weltweit eine heftige Kontroverse. "Das fundamentale Recht auf den Zugang zu Wasser darf nicht von Privatfirmen wahrgenommen werden, die einzig ökonomische Interessen verfolgen", sagt der italienische Wirtschaftsprofessor Riccardo Petrella, Autor des Manifestes "Wasser für alle". Viele Kritiker der Globalisierung melden sich in ähnlicher Weise zu Wort und fordern, Wasser als Menschenrecht und nicht als Handelsware zu betrachten.

Welche Konflikte entstehen können, wenn private Firmen das Sagen haben, zeigt das Beispiel der bolivianischen Stadt Cochabamba. Dort hatte die Regierung dem internationalen Konsortium Aguas del Tunari den Ausbau der Versorgung anvertraut. Dieser war allerdings mit einer Preiserhöhung um 20 Prozent verbunden. Weil das Wasser damit für viele Einwohner von Cochabamba nicht mehr erschwinglich war, gab es im April vergangenen Jahres heftige Demonstrationen, bei denen sechs Menschen getötet wurden. Schließlich verzichtete das Konsortium auf den Auftrag. Die Preiserhöhung wurde hinfällig, der Ausbau der Wasserversorgung ebenso.

Wie die Armen in den Entwicklungsländern zu erträglichen Kosten mit Wasser versorgt werden können, ist eines der schwierigsten entwicklungspolitischen Themen. Auch bei der Internationalen Süßwasserkonferenz (siehe: Zur Sache) werden sie die Debatten prägen. Was darf das Wasser kosten, damit die Menschen es sich leisten können? Was muss es wiederum kosten, damit sich Geldgeber finden, die in die Infrastruktur investieren? Auf derartige Fragen müssen dringend Antworten gefunden werden. Denn jährlich sterben fünf Millionen Menschen, die Mehrzahl davon Kinder, als Folge mangelhafter Versorgung. 80 Prozent der Krankheitsfälle in den Entwicklungsländern werden auf verseuchtes Wasser zurückgeführt.

Vor allem, wenn es gilt, ein Versorgungssystem völlig neu aufzubauen, schrecken auch private Unternehmen vor den immensen Kosten zurück. Die wuchernden Slums von Megastädten in den Entwicklungsländern an das öffentliche Wassernetz anzuschließen, gleicht einer Sisyphusaufgabe. Neue Finanzierungsmodelle sind gefragt, bei denen Staat, internationale Organisationen wie die Weltbank und private Firmen ihre Fähigkeiten zusammenlegen. Public-Private-Partnership (PPP) heißt das Zauberwort.

Kritiker sehen darin vor allem eine Subventionierung der Privatwirtschaft, weil der Bau der Versorgungsanlagen mit Entwicklungshilfegeldern öffentlich finanziert, die anschließend beim Betrieb möglichen Gewinne hingegen privat kassiert werden. Dem halten die Befürworter entgegen, dass sich nur auf diese Weise derartige Projekte zum Wohle der dürstenden Menschen realisieren lassen. "Wir haben keine Alternative dazu, eine Anschubfinanzierung so auszulegen, dass ein Projekt für private Unternehmen gerade finanzierbar wird", sagt Marion Kneesch von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Frankfurt. Die staatliche Entwicklungsbank unterstützt beispielsweise in elf Städten Albaniens solche PPP-Modelle mit 175 Millionen Mark.

Kneesch sieht in der Förderung des privatwirtschaftlichen Engagements eine Hilfe gerade für die arme Bevölkerung: "Ohne öffentliche Versorgung zahlen Arme häufig viel höhere Preise, weil sie das dringend benötigte Wasser von privaten Händlern in Flaschen kaufen müssen."

Auch davon können übrigens große Konzerne profitieren, wie das Beispiel Nestlé zeigt. 1997 erkannten die Strategen des Schweizer Lebensmittel-Multis Trinkwasser als lukrativen Zukunftsmarkt. Sie beauftragten die Tochtergesellschaft Perrier Vittel, eine Produktlinie zu entwickeln, die überall auf der Welt Quellen mit annehmbarer Qualität ausbeutet, indem sie das Nass reinigt, Mineralsalze zusetzt und es dann in preisgünstigen Gebinden anbietet. 1998 führte Nestlé ein auf diese Weise aufbereitetes Wasser unter der Marke Pure Life in Pakistan ein und zählte ein Jahr später bereits 15 000 Verkaufsstellen. Mittlerweile gibt es das Nestlé-Trinkwasser auf den Märkten vieler Entwicklungs- und Schwellenländer zu kaufen.

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Dokument erstellt am 30.11.2001 um 21:34:11 Uhr
Erscheinungsdatum 01.12.2001