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http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,502940,00.html
Von Jochen Leffers
Gestern hü, heute hott: Das Werbeverbot an Hamburgs Schulen gilt weiter. Die
Stadt hat den Plan, die Türen für Unternehmen weit zu öffnen, zurückgezogen.
Anderswo kuscheln Firmen längst mit Schulen - sie dürfen Jugendliche nach allen
Regeln der Reklamekunst umgarnen.
Pünktlich zum Beginn des neuen Schuljahres sind in der Hamburger
Bildungsbehörde Chaostage ausgebrochen: Diese Woche verschickte Schulsenatorin
Alexandra Dinges-Dierig einen neuen Entwurf der Sponsoring- und Werberichtlinie
für die Schulen der Hansestadt. Vom 1. Oktober an sollten Unternehmen die
Möglichkeit erhalten, ihre Produkte auch dort zu bewerben - und die Schulen
sollten so ihre Ausstattung verbessern können, etwa durch Extra-Euros für
Klassenfahrten, Sportgeräte oder Veranstaltungen.
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DPA
Werbeplakat an einer Grundschule: Kuscheln mit der Wirtschaft
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Doch dann brach ein Proteststurm los, und prompt kassierte Dinges-Dierig die
Pläne heute wieder ein: "Es gibt viele Stimmen - gerade unter Eltern -,
die befürchten, dass der Bildungs- und Erziehungsauftrag unserer Schulen unter
größeren Werbemöglichkeiten leiden könnte. Diesen Bedenken wollen wir Rechnung
tragen und deshalb den neuen Richtlinien-Entwurf nicht weiterverfolgen",
teilte sie etwas kleinlaut mit.
Mit dem massiven öffentlichen Echo hatte die Senatorin offenbar nicht gerechnet
und falsch eingeschätzt, wie sensibel Lehrer und Eltern auf den Einbruch der
Reklame in eine der letzten weitgehend werbefreien Zonen reagieren. Von
"Werbe-Terror" schrieb die "Hamburger Morgenpost" und
schilderte, wie es kommen könnte: "Eine Vodafone-Fahne weht über dem
Schuleingang" und "Schüler in Nike-Uniformen kicken mit
Coca-Cola-Bällen". Die "Bild"-Zeitung spottete: "Wird der
Schulgong jetzt durch die Klingelton-Charts ersetzt?"
Vergeblich hatte Senatorin Dinges-Dierig auch die Sozial-Karte gespielt: Mit
erweiterten Werbemöglichkeiten wolle man gerade Schulen in sozial schwächeren
Stadtteilen zusätzliche Einnahmequellen erschließen. Kritiker kauften ihr das
nicht ab und argumentierten, gerade Schulen in Vierteln mit gut situierten
Eltern könnte neue Werbemöglichkeiten viel intensiver nutzen und so den Abstand
zu anderen Schulen vergrößern - in Wahrheit gehe es dem Senat nur um
Einsparungen. Die Pläne für "Coca-Cola-Schulen" sind für die SPD
"abenteuerlich", für die Grünen "unanständig" und für die
Bildungsgewerkschaft GEW ein "unverzeihlicher Tabubruch". Am Ende
pfiff offenbar Bürgermeister Ole von Beust die Senatorin zurück - und wollte
diese Debatte ein halbes Jahr vor der Bürgerschaftswahl schnell wieder
ersticken.
Reklame als Kassenfüller
Nun bleibt in Hamburg alles, wie es ist. Geregelt hat der Senat die
"wirtschaftlichen Aktivitäten in staatlichen Schulen" mit einer
Richtlinie von 1998. Spenden ohne Gegenleistung der Schule sind darin erlaubt,
beim Sponsoring gibt es deutliche Einschränkungen: Eine Schule, Schulklasse
oder eine bestimmte Veranstaltung dürfe durch "Sachmittel,
Dienstleistungen oder Geld gefördert" werden, solange ein Unternehmen
keinen Einfluss auf Inhalte des Unterrichts nehme, keine schulischen
Entscheidungen beeinträchtige und weder eine Abhängigkeit noch ein gravierendes
"Gefälle zwischen den Schulen" entstehe. Weltanschauliche, religiöse
oder politische Werbung ist komplett verboten.
Hamburg wollte die Schultüren für Kommerz viel weiter aufstoßen. Wie weit
Schulen Firmen entgegenkommen, sollte nach den Senatsplänen den Schulleitern
und Schulkonferenzen überlassen bleiben - ein Frage des Fingerspitzengefühls
oder auch der finanziellen Not. In der plumperen Variante könnte zum Beispiel
ein weltbekannter Klopsbrater seinen knatschbunten Werbeclown auf den Schulhof
schicken, ein Mobilfunkanbieter pinke Riesenbanner über den Schulhof spannen,
der örtliche Baumarkt das Abitur in "Obitur" umtaufen oder ein
Filmverleih Schüler ein Videospiel zu einem neuen Zeichentrickfilm spielen
lassen.
Natürlich geht es auch subtiler, etwa so: Eine große Bank veranstaltet ein
Bewerbungs-Trainingscamp für den Abi-Jahrgang; die örtliche Eisdiele pappt ihr
Logo auf von ihr bezahlte Fußballtrikots; ein Kosmetikfabrikant lädt alle
Neuntklässlerinnen zum Styling-Workshop ein. Oder ein Freizeitpark verzichtet
auf den Eintritt für zwei Klassen und darf im Gegenzug an der Schule Plakate
aufhängen.
"Mit Werbung zugeschüttet"
Abwegig sind solche Szenarien keineswegs - manches davon existiert schon, im
Falle des Freizeitparks gar in einer besonders bizarren Variante: (mehr...) Die
Bottroper "Movie World" schenkte Hunderten von Lehrern Freikarten für
sich und ihre Familien - und die Pädagogen mussten sich prompt wegen
Vorteilsannahme verantworten. 150 Bußgelder in Höhe von je 300 Euro wurden
fällig.
Was wünschenswert, akzeptabel oder unzulässig ist, entscheiden die
Bundesländer. Manche steuern einen strikten Anti-Werbungs-Kurs, andere wie
Berlin und Bremen kuscheln längst mit der Wirtschaft, viele lassen den Schulen
weitgehend freie Hand bei der Entscheidung.
Ganz gängig sind zum Beispiel kostenlose Schreibblöcke mit Werbeaufdruck oder
Schultüten mit Einladung zur Kontoeröffnung bei der Bank um die Ecke. Die
Präsenz von Unternehmen an Schulen sei deutlich gewachsen, immer mehr
unsittliche Angebote müsse man abwehren, singt der vielstimmige Chor entnervter
Rektoren und werbe-empfindlicher Lehrer. Inzwischen würden die Schulen mit
Unterrichtsmaterialien und Werbezusendungen aus der Wirtschaft
"richtiggehend zugeschüttet", sagte Heinz-Peter Meidinger vom
Deutschen Philologenverband.
Einige Agenturen haben sich auf das Umgarnen von Schülern spezialisiert. So
vereinbarten die beiden Hamburger Anbieter "Ambient Media" und
"Boomerang Medien" im vergangenen Herbst eine Zusammenarbeit beim
Schulmarketing. Gemeinsames Ziel: Werbeflächen für Plakate, Postkarten und
Flyer an bundesweit 1000 Schulen.
Her mit dem Taschengeld
Was die Unternehmen auf jeden Fall wollen: Das Taschengeld der Schüler - nach
Expertenschätzungen haben alle Kinder und Jugendlichen zwischen 6 und 19 Jahren
zusammen rund 20 Milliarden Euro jährlich in der Tasche. Und natürlich
beeinflussen sie auch viele Kaufentscheidungen ihrer Eltern, etwa bei
Computern, Handys oder Lebensmittel. Was die Unternehmen auf keinen Fall
wollen: Werbeverbote. Verbraucherschützer dagegen fordern, die Schule als eine
der letzten beinahe werbefreien Zonen zu erhalten. Die Verbraucherzentrale
warnen auch davor, dass unzählige im Umgang mit Geld ungeübte Minderjährige
bereits hoch verschuldet seien, (mehr...) etwa durch teure Handys und
Markenkleidung.
Mehrfach kam es schon zum juristischen Showdown. So führte die Aktion
"Sammeln für die Klassenfahrt" (mehr...) von Bahlsen zu jahrelangen
Prozessen. Schülern sollten Punkte auf verschiedenen Produkten des
Keksfabrikanten sammeln und konnten dann gemeinsam auf eine bezuschusste
Drei-Tages-Reise gehen. Ganz ähnlich auch der Fall Kellogg's: Die
Verbraucherzentrale Bundesverband klagte in einem Musterfall gegen die Aktion
"Kellogg's für den Schulsport". Schüler konnten "Tony
Taler" auf Verpackungen des Unternehmens gegen Sportartikel eintauschen.
So gab es für 50 Punkte ein Badmintonset; dafür musste man allerdings
Frühstücksflocken im Wert von 140 Euro gekauft haben. Für 300 Punkte bekam die
Schule eine Beachvolleyball-Anlage.
Dazu fällte der Bundesgerichtshof im Juli ein glasklares Grundsatzurteil:
Schluss mit den "Talern", die Firma verursache eine Art Gruppenzwang
und nutze die "geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen
aus" (Aktenzeichen I ZR 82/05).
© SPIEGEL ONLINE vom 30.08.2007