Zurueck zur Homepage
Kürzungen
Weniger Geld für Verbraucherschutz
Immer öfter benötigen Verbraucher Rat und Rechtshilfe nach
einem Einkauf im EU-Ausland. Doch die finanziellen Mittel für die
Beratung werden drastisch gekürzt - einer von drei Standorten des
Europäischen Verbraucherzentrums in Deutschland muss jetzt sogar
schließen.
Frankfurt a. M. - Probleme beim Gebrauchtwagenkauf, dem Online-Shopping
oder der Reisebuchung im Ausland? Nur wenige Verbraucher wissen, dass
es bei Streitfällen mit EU-Unternehmen in jedem Mitgliedstaat eine
spezielle Beratungsstelle gibt: Die Europäischen
Verbraucherzentren (EVZ) helfen Kunden, die bei
grenzüberschreitenden Geschäften Ärger mit Händlern
und Dienstleistern haben.
Die Zentren klären Verbraucher über ihre Rechte im
EU-Binnenmarkt auf, übernehmen in schwierigen Fällen ihre
rechtliche Vertretung oder organisieren eine außergerichtliche
Schlichtung von Streitigkeiten. Als Teile eines europäischen
Netzwerks stehen sie untereinander in Kontakt - rasch sollen Fälle
an das Land weitergeleitet werden, in dem ein betrügerisches
Unternehmen seinen Sitz hat.
Zahl der Anfragen wächst
Die Zahl der Anfragen von Verbrauchern steigt: Von 7200 im Jahr 2004
auf 8400 im Jahr 2005. Im ersten Halbjahr 2006 gab es bereits 5800
Kontakte. Trotzdem werden die Mittel für das deutsche EVZ mit den
Standorten Gronau (Nordrhein-Westfalen), Kehl (Baden-Württemberg)
und Kiel (Schleswig-Holstein) stark gekürzt. Bereits im vorigen
Jahr mussten die Verbraucherschützer mit einem Drittel weniger
EU-Geld auskommen. In diesem Jahr wird die Förderung noch einmal
um knapp 20 Prozent gesenkt.
EU-Verbraucherschutz
Das Netzwerk der Europäischen Verbraucherzentren - im
EU-Sprachgebrauch ECC-Net für "European Consumer Centres Network"
- vereint seit 2005 zwei EU-Initiativen. Die "Euroguichets"
gründete die EU-Kommission in den 90er Jahren. Sie informierten
Verbraucher bei Problemen auf dem Binnenmarkt, berieten sie und
übernahmen ihre Rechtsvertretung. Die "Clearingstellen" kamen 2001
hinzu. Sie sollten Verbrauchern helfen, Rechtsstreitigkeiten mit
Unternehmen im EU-Ausland durch Schlichtung beizulegen. Die Standorte
Kiel und Gronau gehörten zu den Euroguichets, Kehl war eine
Clearingstelle. kar
Der Standort Gronau wurde jetzt angesichts der drastischen
Kürzungen zum Jahresende geschlossen - nach 15-jährigem
Bestehen. "Nicht allein die sinkende finanzielle Förderung hat uns
Probleme gemacht, gleichzeitig sind auch die bürokratischen
Auflagen aus Brüssel gestiegen", sagt Theo Wolsing von der
Verbraucherzentrale NRW. Wolsing hatte das Projekt "EVZ-Gronau"
für die Verbraucherzentrale geleitet. Die Kommission habe
beispielsweise verlangt, dass er den Entwurf für seine
Visitenkarten zur Abnahme in Brüssel vorlegt, sagt er.
Ob die verbleibenden Standorte die Anfragen der Bürger auffangen
können, ist unklar. Zu befürchten ist, dass die Beratung
unter der Mittelknappheit leidet: In Zukunft werde das EVZ viele
Fälle nicht mehr individuell bearbeiten können, sondern nur
noch Musterbriefe herausgeben, sagt Jutta Gurkmann, Leiterin des EVZ
Deutschland. Verbraucher müssen dann erst einmal alleine
versuchen, zu ihrem Recht zu kommen.
Philip Tod vom EU-Verbraucherschutz-Kommissariat verteidigt die
Mittelkürzungen. In der Vergangenheit habe das EVZ Deutschland
wesentlich mehr Geld bekommen als die Kollegen in anderen Ländern.
"Wir konnten nicht damit weiter machen, Deutschland bevorzugt zu
behandeln", sagt er. Die Kommission lege nun bei allen Mitgliedstaaten
die gleichen Kriterien an. Sie gehe davon aus, dass es pro Land einen
EVZ-Standort mit vier Beschäftigten gibt. Je nachdem, wie hoch im
jeweiligen Land die Durchschnittsgehälter und die Lohnnebenkosten
sind, wird mehr oder weniger Geld gezahlt.
Nicht berücksichtigt wird von der Kommission, wie viele Menschen
in einem Land leben und wie viele EU-Anrainerländer es gibt. Die
kleinen Staaten Österreich und Luxemburg mit ihren relativ hohen
Gehaltsstrukturen bekommen so in den nächsten beiden Jahren mehr
Geld aus Brüssel für ihre EVZ als Deutschland. "Die
Kommission zeigt eine unerfreuliche Tendenz, die Länder
gleichzuschalten", kommentiert Bernd Krieger vom EVZ-Kiel.
Die Union ist allerdings nicht alleine für die Finanzierung der
EVZ verantwortlich. Mindestens die gleiche Summe wie die Kommission
müssen die Träger der EVZ-Standorte zahlen, also einzelne
Bundesländer und zum Teil auch der Bund. Doch sie zeigen keine
Bereitschaft, die sinkende EU-Förderung auszugleichen.
Katharina Schneider
[ document info ]
Copyright © FR online 2007
Dokument erstellt am 01.01.2007 um 17:32:02 Uhr
Letzte Änderung am 01.01.2007 um 19:23:57 Uhr
Erscheinungsdatum 02.01.2007
Kommentar
Vergebene Chance
VON WERNER BALSEN
Die Europäische Union (EU) ist eine wirtschaftliche
Erfolgsveranstaltung - wer wollte daran zweifeln. Aber sie ist keine
Herzensangelegenheit ihrer Bürger. Denn obwohl die einfachen
Ausfuhrmöglichkeiten der Unternehmen in die anderen Staaten der
Union vor allem im Exportland Bundesrepublik viele Arbeitsplätze
sichern, ist das Projekt Europa den Deutschen fremd geblieben. Sie sind
rational für die Union, klar - aber der europäische Gedanke
spricht ihre Gefühle kaum an. In den meisten der jetzt 26 anderen
EU-Mitgliedsländern geht das den Bürgern ähnlich.
Europa - das sind vor allem die da oben in Brüssel, die in ihrer
bürokratisch aufgeblähten Kommission Verordnungen ersinnen,
die oft genug das Leben der Betroffenen nicht einfacher, sondern
schwieriger machen - selbst wenn sie vorgeben, das Gegenteil zu
beabsichtigen.
Nur wenige der knapp 500 Millionen Bürger der Union nehmen wahr,
dass Europa ihnen - im wahrsten Sinne des Wortes - den Horizont
erweitert. Dass ihre Einkaufsmöglichkeiten nicht an der Grenze
enden, dass sie Arbeits- und Studienmöglichkeiten auch im Ausland
haben - kurz, dass der Blick in die Nachbarländer nicht nur bei
der Suche nach attraktiven Urlaubszielen angesagt ist.
Um die Zahl derer zu erhöhen, die in diesem Sinne europäisch
denken, müsste die Union auf mehr Service und Beratung setzen.
Bedauerlicherweise macht sie das Gegenteil. Sie streicht Mittel
für die Europäischen Verbraucherzentren, anstatt mehr Geld
für die Information in die Hand zu nehmen. Sie trifft damit die
Institutionen, die genau jenen Bürgern mit Rat und Tat zur Seite
stehen, die die Chancen des riesigen Binnenmarktes vom Schwarzen Meer
bis zum Nordatlantik nicht allein den großen Konzernen mit ihren
versierten Rechtsabteilungen überlassen wollen.
[ document info ]
Copyright © FR online 2007
Dokument erstellt am 01.01.2007 um 17:32:02 Uhr
Erscheinungsdatum 02.01.2007