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19.05.2009 auf neue Rekommunalisierungen hin :
Kommunen sichern Grundversorgung selbst
Zurück in Staates Hand
VON SEBASTIAN
AMARAL ANDERS
In einem Meer von
Solarzellen ein Haus. (Bild: dpa)
Die Stadt Hamburg ist zurück auf dem Strommarkt. Mit der
Gründung des öffentlichen Energieversorgers Hamburg Energie
vollziehen die Hanseaten eine Kehrtwende.
Noch 2002 hatte Bürgermeister Ole von Beust (CDU) die letzten
städtischen Anteile der altehrwürdigen Hamburgischen
Electricitäts-Werke (HEW) an Vattenfall verkauft. Jetzt steigt die
Stadt wieder in das Geschäft mit dem Strom ein und liegt damit im
Trend: Immer mehr Städte und Kommunen nehmen ihre Grundversorgung
wieder selbst in die Hand.
Schon vor knapp zwei Jahren hatte von Beust den HEW-Verkauf, mit dessen
Milliarden-Erlösen der marode Hamburger Haushalt gestützt
wurde, als Fehler bezeichnet. Vattenfall hatte in Hamburg quasi das
Monopol der HEW übernommen und die Stadtregierung war zum Zusehen
verdammt, als die Schweden mit Strompreiserhöhungen für Unmut
sorgten.
Einfluss zurückgewinnen
Mit der Gründung von Hamburg Energie, das die Stadt und umliegende
Gemeinden ab Herbst mit atomkraft- und kohlefreiem Strom versorgen
wird, will der Senat seinen Einfluss zurückgewinnen. Dazu muss es
dem neuen Unternehmen aber zuerst gelingen, Vattenfall die Kunden
abzujagen.
Die Zeiten dafür scheinen gut zu sein. "Es gibt eine gewisse
Tendenz in der Bevölkerung, Privatisierungen und Marktsteuerung
abzulehnen", sagt Professor Dietrich Budäus, Gründer des
Fachbereichs Public Management an der Universität Hamburg. "Vor
allem in den Bereichen Energie oder Wasser geht der Trend in Richtung
Kommunalisierung", sagt Budäus. Nach einer Studie der
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young planten 2007
zehn Prozent der befragten Kommunen, Privatisierungen wieder
rückgängig zu machen.
Beispiele für die Rückkehr der Kommunen in Bereiche der so
genannten Daseinsvorsorge gibt es inzwischen zuhauf. Die konkreten
Umstände des Wiedereinstiegs sind zwar von Fall zu Fall
unterschiedlich, die Kommunen eint aber meist der Wunsch, wieder
öffentliche Kontrolle über sensible Versorgungszweige zu
gewinnen, sei es nun aus politischen, ökologischen oder
ökonomischen Gründen. Dass im Energiesektor derzeit eine
relativ große Zahl an Konzessionen ausläuft, spielt vielen
Kommunen in die Hände.
EnBW guckte in die Röhre
So war es auch Ende letzten Jahres, als sich die Bürgermeister von
sieben Kleinstädten im Bodensee-Hinterland zusammensetzten, um die
Zukunft der Energieversorgung ihrer Kommunen zu diskutieren. Statt die
Verträge mit EnBW zu verlängern, gründeten sie das
Regionalwerk Bodensee. "Was wir erwirtschaften, soll auch in der Region
bleiben", sagt Geschäftsführer Heinz-Leo Geurtsen, der
überzeugt ist, den Strom günstiger als EnBW anbieten und
dennoch Gewinne ausschütten zu können.
Für Dietrich Budäus steht außer Frage, dass Kommunen
unter Wettbewerbsbedingungen die sogenannte Daseinsvorsorge leisten
können. "Falls sie alleine dazu nicht in der Lage sind, werden sie
künftig eher Kooperationen untereinander eingehen, als sich in die
Hände privater Versorger zu begeben", glaubt der Wissenschaftler.
Jetzt bröckelt das Oligopol der großen vier privaten
Anbieter - Eon, RWE, EnBW und Vattenfall - auf dem deutschen
Energiemarkt.
Bei der Energieerzeugung stehen die Zeichen ohnehin auf
Dezentralisierung. Hamburg Energie will noch in diesem Jahr mit dem Bau
einer eigenen Windkraftanlage beginnen, weitere Projekte zur Erzeugung
von Ökostrom sind in Planung. Auch am Bodensee setzt man
künftig verstärkt auf Eigenproduktion mittels
Blockheizkraftwerken, Wasserkraft und Photovoltaik.
Doch "kommunal" ist nicht zwingend gleichzusetzen mit
"verbraucherfreundlich". Das zeigt das Beispiel der Wasserpreise in
Hessen. Zahlreiche Kommunen setzten hier überhöhte Preise
fest - was für die Landes -Kartellbehörde auf den Missbrauch
der Monopolstellung hindeutet. Den Frankfurter Versorger Mainova etwa
zwangen die Wettbewerbshüter, die Preise um 37 Prozent zu
reduzieren. "Eine allgemeine Aussage, ob nun Kommunen oder Private
billiger sind, kann man nicht treffen", sagt Budäus. "Der
Wettbewerb muss funktionieren."
Sollten die Kommunen auch noch regionale Stromnetze kaufen, wie es etwa
die Bodensee-Bürgermeister planen, sieht der 66-jährige
Wissenschaftler den Wettbewerb in Gefahr.
Gelsenwasser
Jürgen Rüttgers wetterte 2003 noch von der Oppositionsbank im
nordrhein-westfälischen Landtag gegen den Verkauf der Eon-Tochter
Gelsenwasser an die Stadtwerke Bochum und Dortmund: "Verstaatlichung"
sei ein "falsches Signal", monierte der CDU-Politiker. Vergebens. In
einem spektakulären Bieterverfahren schnappten die Stadtwerke die
Gelsenwasser AG ihren Konkurrenten, darunter der französische
Wasserversorger Veolia, vor der Nase weg. 835 Millionen
(kreditfinanzierte) Euro ließen sich die beiden
Ruhrgebietsstädte den 80,5-Prozent-Anteil kosten - und entfachten
einen Glaubensstreit im Landesparlament. Die einen sahen in dem Coup
den Auswuchs einer "ordnungspolitischen Seuche", für andere war
die Rekommunalisierung ein kleines Gegenstück zur Globalisierung.
Bedenken, der Konzern wäre in öffentlicher Hand nicht
profitabel, entkräften die Geschäftszahlen - 2008 betrug das
Ergebnis gut 80 Millionen Euro. ral
Stadtwerke Leipzig
Eine Diskussion über Rekommunalisierung wird es in Leipzig erst
einmal nicht geben. Die Leipziger Bürger haben vorsorglich Ende
Januar 2008 per Bürgerentscheid dem Teilverkauf der Stadtwerke
einen Riegel vorgeschoben. SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung
wollte knapp die Hälfte der Anteile des rentablen Strom-, Gas- und
Wärmelieferanten für 520 Millionen Euro an an den
französischen Versorger Gaz de France verkaufen, rechnete aber
nicht mit dem Widerstand der Privatisierungsgegner. Die witterten den
Ausverkauf ihrer Stadt, prompt stimmten 41 Prozent der Wahlberechtigten
gegen den Verkauf - 25 Prozent hätten gereicht. Bei dem
Bürgerentscheid ging es nicht nur um die Stadtwerke, sondern um
alle kommunalen Unternehmen der sogenannten Daseinsvorsorge. Die Stadt
ist für drei Jahre an das Votum gebunden. ral
KVG Kiel
Das EU-Wettbewerbsrecht sorgte in den vergangenen Monaten für
Hektik im Kieler Stadtrat: Vor sechs Jahren hatte man 49 Prozent der
Kieler Verkehrsgesellschaft (KVG) an die Norddeutsche
Bus-Beteiligungsgesellschaft (NBB) verkauft. Erst Jahre später,
beinahe zu spät, wurde den Stadträten der Haken ihres
Privatisierungs-Deals bewusst: Weil die KVG nun nicht mehr zu 100
Prozent in öffentlicher Hand war, hätte der Kieler Busverkehr
nach EU-Regeln zum 1. Januar 2011 europaweit ausgeschrieben werden
müssen. Chancen auf den Zuschlag hätte die KVG kaum gehabt.
Die Lösung: Rekommunalisierung. Denn wenn die Stadt die KVG wieder
komplett übernimmt, kann sie den Busverkehr ohne Ausschreibung
direkt vergeben. Mit heißer Nadel strickte man am Rückkauf,
die EU im Nacken. Ende Januar 2009 war das Geschäft für 1,5
Millionen Euro unter Dach und Fach. Die etwa 550 Mitarbeiter nahmen
Gehaltseinbußen hin, um die KVG auch ohne Europa-Ausschreibung
wettbewerbsfähig und profitabel zu machen. ral