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Frankfurter Rundschau vom 21.02.2007, Seite 34, gescannter Bericht  


Alle Macht geht längst nicht mehr vom Volke aus. EU, UN oder der jeweils Mächtigste mischen sich kräftig ein

Kein Land entscheidet allein über sich

Den Staaten ist ihre Souveranität wichtig. Doch alle stehen sie unter ständigem Einfluss von außen

VON MATTHIAS LOHRE

Für Ludwig XIV. war die Sache ganz einfach. Auf die Frage, wer Frankreich beherrscht, konnte der König den versammelten Ständevertretern selbstbewusst zurufen: „Der Staat bin ich!" Das Wort des Pracht liebenden Monarchen war Gesetz, er verkörperte die höchste Staatsgewalt - die „souveraine-te". Fast 350 Jahre später fällt die Antwort auf die Frage nach der Herrschaft im Staat weit komplizierter aus.

Auf den ersten Blick scheint es immer noch recht simpel. In Artikel 20 des deutschen Grundgesetzes heißt so kurz wie bündig: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Das Volk ist also der Souverän der Bundesrepublik Deutschland, ihre wahlberechtigten Einwohner herrschen selbst über ihr Gemeinwesen. Das ist die so genannte „innere Souveränität" eines Staates. Aber schon der nächste Satz deutet an, dass es so einfach nicht ist: Diese Staatsgewalt „wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt". Die Wähler entsenden Vertreter in die Parlamente, die die Gesetze machen und eine Regierung wählen. Aber nicht nur an dieser Stelle wird die Sache mit der Souveränität schon schwieriger.

Moderne Staaten haben untereinander vielerlei unsichtbare Netze gespannt. In Verträgen verpflichten sie sich zur Zusammenarbeit und Rücksichtnahme aufeinander. Im Alleingang können selbst starke Industriestaaten wie die Bundesrepublik kaum etwas durchsetzen. Eines der für Deutschland wichtigsten Netze bildet der Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1991. Darin einigten sich die damals zwölf Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft auf etwas Unglaubliches: Freiwillig und in Friedenszeiten gaben diese Länder große Teile ihrer Souveränität ab. Die Europäische Union (EU) war geboren; heute hat sie 27 Mitglieder.

„Seit Maastricht sind die Kompetenzen der EU-Institutionen gewaltig gewachsen", sagt der Staatsrechtler Claus Offe von der Hertie School of Governance in Berlin. Die Mitgliedsländer arbeiten seither bei so wichtigen Themen wie Innen- und Außenpolitik und der Rechtsprechung eng zusammen, seit 1999 bindet die gemeinsame Währung Büro einige der Staaten noch stärker aneinander.

„Die Einzelstaaten haben heute nicht mehr das ausschließliche Recht zu entscheiden, was in ihrem Innern vor sich geht", bilanziert Offe. . In den 1970er Jahren verfügten der Bundestag und Bundeskanzler Helmut Schmidt also über weit mehr Macht als ihre Nachfolger heute. Jeder Bürger kann das heute in seinem Alltag spüren. Wenn er morgens seinen Kaffee aufsetzt, tut er das mit Wasser, das nach EU-Richtlinien gefiltert ist. Allein beim Verbraucherschutz ist in neun von zehn Fällen Brüssel für die Gesetzgebung zuständig, nicht Berlin. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Mit ihren Institutionen -Rat, Parlament und Gerichtshof- ähnelt die EU zwar den Gewalten eines Staates. Doch müssen die Einzelstaaten zunächst jeweils der Übertragung von Rechten an die EU zustimmen.

Verträge, Bündnisse und Druck

Neben der inneren gibt es die äußere Souveränität eines Staates. Hier dreht sich alles um die Frage: Wie eigenständig kann ein Land über seine Angelegenheiten bestimmen? Auch hier fällt die Antwort nicht so klar aus, wie sie auf dem Papier steht. Zwar besagt die Charta der Vereinten Nationen (UN), dass alle Völker und Nationen ihren politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Status frei wählen dürfen. Kein Land darf sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes ohne Genehmigung einmischen. Alle 191 UN-Mitgliedsstaaten haben dieser Charta zugestimmt. Doch stehen Zwergstaaten wie das kleine Pazifikinselreich Tuvalu tatsächlich auf Augenhöhe mit Riesen wie den USA?

Natürlich nicht. „Staaten und Staatenbündnisse mischen sich ständig in innere Angelegenheiten anderer Länder ein", sagt Claus Offe. Das geschieht zum Beispiel ganz offiziell durch UN-Beschlüsse, aber auch durch militärischen oder wirtschaftlichen Druck.

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Selbst der Mann am russischen Gasventil kann die Souveränität eines Landes bedrohen. Energie wird dann zum politischen Druckmittel. (Bild)
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So hat etwa Russland seinem Nachbarn Ukraine Ende 2006 gedroht, seine Gaslieferungen zu stoppen, falls die ukrainische Regierung ihren europafreundlichen Kurs beibehält. Unter derartigem Druck fallen souveräne Entscheidungen schwer.

In einem Punkt sind sich alle Staaten gleich. Jedes Land ist beeinflussbar. Der entscheidende Unterschied ist für Staatsrechtler Offe: „Die Souveränitätsverluste sind bei mächtigen Staaten geringer als bei weniger mächtigen." Die derzeit einzige wirtschaftliche und militärische Weltmacht USA hat freiere Hand als Deutschland, Peru oder Südafrika. Besonders abgebrüht brachte dies der US-Botschafter bei den UN, John Negro-ponte, kurz vor Beginn des Irak-Kriegs im März 2003 auf den Punkt. Die Vetomacht Frankreich stemmte sich damals gegen jede UN-Resolution, die den USA den Angriff auf den Irak genehmigen sollte. Negroponte brüskierte die Weltgemeinschaft damals mit den Worten, leider mache diese Vetodrohung „jede Abstimmung zu einem zweitran-gigen Gesichtspunkt." Übersetzt hieß das: Wenn der UN-Sicherheitsrat nicht so entscheidet, wie wir wollen, übergehen wir ihn einfach. Doch mittlerweile schwächt die de-saströse Lage im Irak selbst die Allmachtgefühle der US-Regierung. Zwar weigern sich die USA bis heute, entscheidende Souveränitätsrechte abzugeben. Beispielsweise erkennen sie den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag nicht an, der über Kriegsverbrechen verhandelt. Amerikanischen Soldaten darf daher dort nicht der Prozess gemacht werden. Dennoch vertraut Offe auf den wachsenden Druck durch die UN.