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FR vom 09.12.2005

"Die Stadt hätte fast nichts mehr zu sagen"

In Mühlheim will eine Initiative verhindern, dass die Kommune einen Teil ihrer Stadtwerke verkauft / Bürgerentscheid am Sonntag

Frankfurter Rundschau: Herr Drexler, Sie wollen mit dem Bürgerentscheid am Sonntag verhindern, dass die Stadt Mühlheim 49,9 Prozent ihrer Stadtwerke verkauft. Was treibt Sie an?

Siegmund Drexler: Im Fall eines Verkaufs befürchten wir die Erhöhung der Tarife von Strom, Gas und Wasser. Posten, die auf den ersten Blick unrentabel sind, wie Stadtbus, Hallenbad oder Freibad, würden gestrichen. Denn ein Unternehmen orientiert sich rein am Gewinn.

Sie sprechen davon, dass ein Verkauf einer Enteignung der Bürger gleichkäme.

Ja. Das sind unsere Stadtwerke. Wir bezahlen voll kostendeckend jeden Hausanschluss. Wie kann da ein Verkauf sinnvoll sein? Der Mühlheimer Magistrat sollte lieber die Kostenstruktur seines eigenen Apparates überprüfen, statt florierende Unternehmen zu verkaufen. Die Stadtwerke gehören zu 100 Prozent der Stadt und haben dem Wohl der Bürger zu dienen.

Wie man hört, ist der RWE-Konzern daran interessiert, die Stadtwerke über seine Tochter Rhenag zu übernehmen.

Die RWE will zwölf Prozent Rendite machen. Das ist das offizielle Unternehmensziel. Mit den Tarifen, die wir in Mühlheim zurzeit haben, ist das nicht zu schaffen. Der Magistrat sagt, er kann vertraglich regeln, dass die Bäder und der Stadtbus bleiben. Doch ein solcher Vertrag würde gegen das Handelsrecht und Aktienrecht verstoßen. Ich kann nicht die Stadtwerke an jemanden verkaufen und gleichzeitig Samariterdienste vom Käufer verlangen. Das wäre sittenwidrig für eine Aktiengesellschaft.

Aber wenn die Stadt 50,1 Prozent der Stadtwerke behält, hat Sie doch die Mehrheit und damit den entsprechenden Einfluss.

Das ist wahr. Doch bei diesem Argument werden zwei Dinge unterschätzt. Erstens: Die Laien des Magistrats würden im Aufsichtsrat und in der Geschäftsführung der RWE-Tochter einem Profistamm von Juristen gegenübersitzen, die sie argumentativ beiseite drücken. Zweitens zwingt das neue Energiewirtschaftsgesetz Firmen mit einer größeren Zahl von Kunden zu einer Gesamtbehandlung. Die RWE-Töchter werden nicht als Kleinstfirmen betrachtet, sondern als Teil des Unternehmens. Und dann hätte Mühlheim keinen Anteil von 50,1 Prozent mehr, sondern - gemessen an der Gesamtkundenzahl der RWE - nur noch einen Vertretungsanspruch von ein oder zwei Prozent. Und damit so gut wie nichts zu sagen.

Was könnte die Folge sein?

In Hamburg zu Beispiel hat RWE die Elektrizitätwerke übernommen und den Standort geschlossen. So verschwinden Arbeitsplätze und Ausbildungplätze vor Ort. Zu glauben, dass eine kleine Gemeinde wie Mühlheim das besser hinkriegt, wäre absurd.

Die Stadtwerke sind ein florierendes Unternehmen, das schwarze Zahlen schreibt. Warum will der Magistrat sie abstoßen?

Er hat sich in den Kopf gesetzt, bei der bevorstehenden Kommunalwahl als derjenige aufzutreten, der die Stadt entschuldet hat. Der Magistrat sagt, er will Zinsen sparen. Doch das ist eine Milchmädchenrechnung. Der Mühlheimer Haushalt hat ein jährliches Minus von 4,8 Millionen Euro. Der Schuldenstand ist, gemessen an den umliegenden Gemeinden, relativ gering. Wir zahlen etwa 650 000 Euro Zinsen pro Jahr. Die Stadtwerke bringen 1,7 Millionen Euro Gewinn. Das heißt, der Verzicht auf die Hälfte ist bereits größer als die Zinsbelastung.

Warum werden die Tarife steigen?

Wenn wir eine Tochter von RWE oder eines anderen Multis werden, werden die darauf bestehen, dass die Energie nicht auf dem freien Markt, sondern bei der Mutter bezogen wird. Die Erfahrung zeigt, dass die zu überhöhten Preisen an die Töchter Energie verkaufen. Das hat auch die Folge, dass das Gewerbesteueraufkommen Mühlheims um 400 000 Euro sinkt. Denn die Tochter bilanziert ins Minus und weist keine Gewinne mehr aus. Außerdem gehen Aufträge für das örtliche Handwerk verloren. Denn Erdarbeiten oder ähnliches werden von konzerneigenen Kolonnen erledigt.

Wie geht es weiter, wenn der Bürgerentscheid am Sonntag in Ihrem Sinne ausgehen wird?

Laut Hessischer Gemeindeordnung hat er drei Jahre Rechtskraft und gilt wie ein Gemeinderatsbeschluss.

Sind Sie generell ein Gegner von Privatisierungen?

Eigenbetriebe oder Outsourcing können durchaus sinnvoll sein. Doch das gilt nicht für Dinge, die der Einzelne nicht regeln kann, wie die Regulierung der Wasserqualität oder des Gasdrucks in den Leitungen.

Wie reagiert der Magistrat auf Ihren Protest?

Er stellt uns für den Bürgerentscheid alle möglichen Hürden in den Weg. Er hätte ja von den Verkaufsabsichten zurücktreten können. Stattdessen hat er die Zahl der Wahllokale um ein Drittel reduziert und die Adressen von rund einem Drittel der Lokale verändert. Auf der Wahlberechtigungskarte steht nichts davon, dass es beim Bürgerentscheid um die Stadtwerke geht. Vor einer Woche erhielten alle Haushalte einen Brief, in dem die Bürger aufgefordert werden, nicht zur Wahl zu gehen oder mit Nein zu stimmen. Ein klarer Fall von Wahlbehinderung.

Interview: Jutta Rippegather