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Interview
"Staatseigentum wird verschleudert"
Juso-Chef Björn Böhning will die Privatisierung der Bahn
verhindern.
Herr Böhning, ausgerechnet am
Tag vor dem Kabinettsbeschluss äußern Sie Vorbehalte gegen
die Privatisierung der Bahn. Sind Sie nicht ein bisschen spät dran?
Nein, die Parteilinke der SPD hat sich stets kritisch zu den
Plänen der Bahn geäußert. Der Kabinettsbeschluss ist
ein formaler Akt. Partei- und Fraktionsführung haben zugesagt,
dass der Beschluss keine Vorentscheidung ist.
Was spricht aus Ihrer Sicht denn
gegen den Börsengang?
Aus sozialen und ökonomischen Gründen ist das Projekt nicht
zukunftsfähig. Die großen Privatisierungswellen der
neunziger Jahre haben auf kommunaler Ebene gezeigt, dass man politische
und demokratische Entscheidungsspielräume abgibt, ohne
zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten durch mehr Geld in den
Haushalten zu erhalten. Damit muss Schluss sein. Die SPD muss ihre
Privatisierungspolitik überdenken.
Nun treibt ausgerechnet der
sozialdemokratische Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee dieses
"nicht-zukunftsfähige" Projekt voran?
Die Bahn-Privatisierung ist keine Frage von Personen, sie ist und
bleibt eine politische Entscheidung. Ich habe noch kein
überzeugendes Argument für den Verkauf der Bahn gehört -
nicht vom Verkehrsminister und auch nicht von Bahnchef Hartmut Mehdorn.
Die Bahn sagt, ohne Privatisierung
fließe nicht genug Geld in die Schienen-Infrastruktur.
Natürlich hat der Staat in den vergangenen Jahren nicht
genügend Geld in die Bahn gesteckt, aber er trägt nach
Mehdorns Plänen doch auch in Zukunft die Verantwortung. Insofern
trägt dieses Argument in meinen Augen nicht.
Im Koalitionsvertrag 2005 haben sich
Union und SPD aber auf die Privatisierung verständigt?
Der Koalitionsvertrag ist eine politische Absichtserklärung. Die
Bedingungen dafür haben sich in den vergangenen beiden Jahren
geändert, deshalb sollten wir diese Frage heute neu bewerten.
Wie wollen Sie denn sonst dem Wunsch
der Bahn nach mehr Investitionen ins Netz begegnen?
Um das Netz der Bahn auf Vordermann zu bringen, muss natürlich
mehr Geld in die Bahn fließen als die 2,5 bis drei Milliarden
Euro, die der Bund schon heute jedes Jahr in die Infrastruktur steckt.
Woher soll das Geld stammen?
Wir haben deutliche Mehreinnahmen im Haushalt zu verzeichnen, die
dafür aufgewendet werden könnten. Und wir sollten
darüber nachdenken, Teile der Ökosteuer in den Bereich der
Verkehrsinfrastruktur umzuleiten, der am umweltfreundlichsten ist.
Wollen sie für die Bahn auch die
Steuern erhöhen?
Diese Frage stellt sich im Augenblick nicht. Ich halte aber eine
grundsätzliche Vereinbarung für sinnvoll, dass wir mehr
Investitionen in die Bahn-Infrastruktur benötigen. Das
wünscht sich im Übrigen auch die Bahn.
Noch mehr wünscht sich
Bahnvorstandschef Mehdorn aber einen Börsengang. Spielt das
für Sie gar keine Rolle?
Der Bahnvorstand sollte sich stärker an den Interessen seines
Arbeitgebers orientieren, der Bundesrepublik. Eine solche
Privatisierung darf nicht allein nach den Wünschen eines
Vorstandschefs entschieden werden, sondern muss von sozialen,
politischen und ökonomischen Gesichtspunkten getragen werden. Auch
im europäischen Vergleich spricht viel für eine
öffentliche Verantwortung bei der Bahn.
Wie wollen Sie die Privatisierung
denn nun stoppen?
Drei Landesparteitage der SPD haben bereits dazu aufgerufen, auf die
Bahn-Privatisierung zu verzichten. Die Parlamentarische Linke wird nun
in den Gremien einen entsprechenden Vorstoß starten. Ich bin mir
sicher, dass es auf dem SPD-Bundesparteitag im Oktober in Hamburg keine
Mehrheit für eine Privatisierung geben wird.
Unionsgeführte Bundesländer
kritisieren nun Tiefensees Pläne, weil sie keine wirkliche
Trennung zwischen Bahnbetrieb und Netz vorsehen. Könnten Sie sich
ein gemeinsames Vorgehen mit diesen Ländern vorstellen?
Nein, denn für uns ist es unerlässlich, dass das Bahnnetz in
öffentlicher Hand bleibt. Das Netz ist über Jahrzehnte mit
Steuergeld aufgebaut worden und heute milliardenschweres Eigentum des
Bundes. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen einen
Einstieg privaten Kapitals in die Deutsche Bahn. Doch der Staat muss
mindestens zwei Drittel der Anteile behalten. Denn nur die
öffentliche Hand kann die nötigen Investitionen in die
Infrastruktur garantieren. Investoren würden sich die
Sahnestücke aus dem Netzplan herauspicken, und alles andere
würde verkommen. Die Privatisierung des Netzes wäre die
größte Verschleuderung von Staatseigentum in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland.
Interview: Steffen
Hebestreit
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Dokument erstellt am 23.07.2007 um 17:32:02 Uhr
Letzte Änderung am 23.07.2007 um 18:42:44 Uhr
Erscheinungsdatum 24.07.2007