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Auszug aus der
Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung , Bildung, Forschung
(HLZ).
61.Jahr Heft
10 Oktober 2008 , Seite 14/15 (gescannt)
TITELTHEMA
Im Gewande der Gemeinnützigkeit
Stiftungen in der jüngeren Hochschulgeschichte
Die Rechtsform der Stiftung bedeutet bezogen auf Bildungs- und
Wissenschaftseinrichtungen zunächst die Kooperation etwa von
Hochschulen mit nicht-staatlich verfassten gesellschaftlichen
Interessen zum Zwecke der Bildungs- und Wissenschaftsförderung. In
dieser allgemeinen Betrachtungsperspektivc spricht nichts dagegen. Es
müssen auch nicht zwangsläufig privatwirtschaftlichc
Interessen sein, es kann sich dabei ebenso um Gewerkschaften, Kirchen,
gemeinnützige Organisationen im weitesten Sinn des Wortes handeln.
Allerdings kann man auf dieser - vermutlich unstrittigen -
Betrachtungsebene nicht stehen bleiben. Die Frage muss immer auch die
nach den strukturwirksamen Effekten dieser Rechtsform mit Blick auf das
gesamte Hochschulsystem sein.
Pleiten privater
Hochschulgründungen
Der gegenwärtige Stiftungsboom im öffentlichen
Hochschulsystem muss auch vor dem Hintergrund beurteilt werden, dass es
in jüngster Zeit mehrere spektakuläre Pleiten privater
Hochschulgründungen von etwa Mitte der 90er Jahre gegeben hat,
welche damals von ihren Initiatoren als zukunftsfähiges Modell
ausgelobt wurden (Müller 2007, S. 282-284). Als Ursache dieser
Pleiten wird in der öffentlichen Debatte unisono das Ausbleiben
privater Fördergeldcr vor allem aus der Industrie, von der man
sich ursprünglich wesentlich mehr erhofft hatte, angegeben.
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Im Überblick:
Die Privatisierungsreports der GEW
1. Vom Rückzug des Staates aus
der Bildung. Februar 2006
2. Vom Durchmarsch der Stiftungen und
Konzerne. Oktober 2006
3. Unternehmen Schule: Von
Billig-Lehrem, Schülerfirmen, und Public Private Partnership,
Februar 2007
4. Globaler Freihandel: Wie das
weltweite Geschäft mit der Bildung angekurbelt wird. Mai 2007
5. Bildung als Privatsache:
Privatschulcn und Nachhilfeanbieter auf dem Vormarsch. Oktober 2007
6 .Schöne neue Hochschulwelt,
April 2008
7. Kindertagesstätten. Juni 2008
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Privatisierung
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Die Frage nach den Ursachen dieser Zurückhaltung Ist leicht zu
beantworten. Für die Wissenschaftsförderung derprivaten
Wirtschaft ist es sowohl effektiver als auch billiger, die staatliche,
öffentlich finanzierte Infrastruktur als „Gratisproduktivkraft"
mit zu nutzen, um so den Ertrag der unmittelbaren privat erbrachten
Investitionssumme zu vermehren. In der neudeutschen Sprache des New
Public Management heißt dies Private Public Partnership (PPP).
Die Rechtsform Stiftung ist per definitionem ein PPP-Verhältnis
(Ruehl/ Klönne 2007, S. 371-394}, wird aber gerne umschrieben als
gemeinnütziges „bürgerschaftliches Engagement". Dabei
fällt unter den Tisch, dass nur ein kleiner Kreis von
„Bürgern" dazu in der Lage ist und dass es sich im Regelfall um
interessengeleitete Investitionen privater Sponsoren handelt.
Die Form „Stiftungshochschule" hatte in der jüngeren Vergangenheit
eher marginale Bedeutung, vor allem in Form konfessioneller
Fachhochschulen mit überwiegend sozialpädagogischem
Schwerpunkt. Die Hauptform des Stiftens im deutschen Hochschulsystem
war bisher der Stiftungslehrstuhl. Dies funktionierte in der Regel so,
dass private Sponsoren die Finanzierung einer Professur im staatlichen
System für fünf Jahre übernehmen. Als Kehrseite des
Deals bestimmen sie das Berufungsgebiet sowie den Namen der oft nach
der Firma benannten Professur und entsenden eine Person mit beratender
Stimme in die Berufungskommission. Nach der Fünfjahresfrist wurde
die Finanzierung „etatisiert", das heißt aus zusätzlichen
Landesmitteln fortgesetzt. In den letzten Jahren wich man von dieser
Regel aufgrund knapper Haushaltsmittel zunehmend ab. Die Stelle wurde
entweder befristet besetzt oder durch "kostcnneutrale" Umverteilung im
Hochschulhaushalt weiter geführt.
Von Stiftungsprofessuren zur
Stiftungsuni
Im Jahre 1985 gab es rund 30 Stiftungsprofessuren. Das dominante
Fachgebiet war die Theologie, deren Stiftungsprofessuren von
Bistümern und Landeskirchen finanziert wurden. Aktuell gibt es
nach Angaben des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft
rund 500 Stiftungsprofessuren, wovon zwei Drittel auf Natur- und
Technikwissenschaft und Medizin entfallen. Die Universität
Frankfurt verfügt allein über 30. Vermutlich soll die
Umwandlung der ganzen Uni in eine Stiftung das Sahnehäubchen
dieser Entwicklung sein. Innerhalb von 20 Jahren haben sich
Stiftungsprofessuren also versechzehnfacht - im Rahmen allgemeiner
Stagnation bei der staatlichen Grundfinanzierung der Hochschulen. Die
Zahl 500 mag allerdings bei 30.000 Professorenstellen als zu
vernachlässigende Größe erscheinen. Ein solcher Einwand
verkennt jedoch, dass sich Stiftungsprofessuren an den Hochschulen
konzentrieren, die in allen Forschungsrankings und bei der
Drittmitteleinwerbung insgesamt ganz vorne rangieren. Die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFGJ spricht selbst von einem „korrelativen
Zusammenhang" (DFG 2003, S. 127) ihrer Förderpraxis: Knapp 60 o/o
aller DFG-Mittel konzentrieren sich auf lediglich 20 Hochschulen (DFG
2006, S. 16). Und je höher der Anteil aus DFG-Mitteln, die
bekanntlich öffentlicher Herkunft sind, umso großer auch der
Umfang der zusätzlich eingeworbenen Mittel aus privaten Quellen,
umso größer die Zahl der Stiftungsprofessuren etc.
Stiftungsprofessoren selbst werben wiederum überdurchschnittlich
viele Drittmittel ein, die logischerweise aus dem Interessenfeld der
jeweiligen Stifter entstammen.
So gesehen ist die Stiftungsform ein Katalysator, um die Hochschulen
über eine selektive Forschungsförderung und über die
Erschließung industriepolitisch interessanter Wissensgebiete
umzubauen. Damit entfaltet sie auch eine Wirkung auf die staatliche
Grundfinanzierung. Diese Wissenschaftsförderpraxis begünstigt
eine Art Konzentrations- und Klebeeffekt auch bei den öffentlichen
Finanzen, d.h. bei den Grundmitteln. Sie werden - in der Tendenz
zumindest - weniger bewertet als Mittel, um einen gesellschaftlichen
Bildungs- und Wissenschaftsauftrag zu erfüllen, sondern als
Infrastruktur für ein „forschungsfreundliches Umfeld", das
heißt für die Einwerbung von Drittmitteln und auch von
Stiftungsprofessuren. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es
finanzielle Zuwächse der Hochschulhaushalte nur noch über
eine selektive Forschungsförderung gibt. Auf diese Weise dehnt
sich privater Einfluss auch auf die allgemein staatliche Finanzierung
aus. So antwortete die brandenburgische Landesregierung auf eine
Anfrage der PDS, die auf die Fortführung auslaufender
Stiftungsprofessuren durch zusätzliche Landesmittel zielte,
Folgendes: „Globalhaushalte geben den Hochschulen die notwendige
Flexibilität zur Übernahme der Stiftungsprofessuren. Die
Bereitstellung zusätzlicher Mittel für diesen Zweck ist
seitens der Landesregierung nicht vorgesehen." Auf diese Weise
üben Stifter auch nach Wegfall ihrer eigenen Gelder einen ganz
direkten Einfluss auf die Umverteilung staatlicher Mittel aus - und sei
es dadurch, dass sie die Liquidierung „unprofitabler"
Wissenschaftsgebiete als Voraussetzung einer solchen Umverteilung
fördern.
Der Frankfurter Uni-Präsident Rudolf Steinberg weist die Kritik an
solchen Privatisicrungstendenzen mit dem Hinweis zurück, dass
jemand, der „Gefälligkeitsforschung" betreibe, in der Wissenschaft
„rasch unten durch" sei (Süddeutsche Zeitung vom 4. 8. 2008) Das
ist jedoch die falsche Fragestellung. Niemand hat je bestritten, dass
private Sponsoren an exakter Wissenschaft zur Realisierung ihrer - in
der Regel: geschäftlichen - Ziele interessiert sind und nicht etwa
an politischen Statements und Ideologie. Das Problem ist vor allen
Dingen die Vereinseitigung, die ökonomisch orientierte Selektion
von wissenschaftlichen Themen und Fragestellungen, die als „relevant"
gelten, und die umgekehrt proportionale Ausgrenzung anderer
gesellschaftlicher Wissenschaftsanforderungen aus dem Hochschulbetrieb.
Die Ende der 90er Jahre in Berlin, Niedersachsen, kurzzeitig auch in
Nordrhein-Westfalen losgetretenen Debatten, ganze
Landeshochschulsysteme auf Stiftungsbasis zu reorganisieren, hatte
einen erkennbaren Zweck. Es ging um die Außerkraftsetzung
gesetzlicher und tariflicher Regelungen, die für die staatlichen
Hochschulen galten. Für Hochschulen als öffentliche
Körperschaften ist etwa eine Form von Selbstverwaltung zwingend
vorgesehen, für Stiftungen hingegen nicht. Die Stiftungsrechtsform
erzwingt eine starke Hochschulleitung, die kein Organ der Hochschule
ist, sondern von einem externen Stiftungsrat installiert wird (zur
Kritik vgl. u.a. Ipsen 2000, S. 580-582). Man hoffte über die
Stiftungsform einer wettbewerblichen untemehmensähnlichen
Hochschulverfassung, kurz; dem Hochschulratsmodell, schneller
näher zu kommen als über „reguläre" gesetzliche
Änderungen staatlicher Hochschulverfassungen. Dies gelingt
mittlerweile auch so, wofür exemplarisch das
„Hochschulfreiheitsgesetz" in Nordrhein-Westfalen steht.
Diese Feststellung ändert allerdings nichts daran, dass die
Umwandlung einzelner Hochschulen in Stiftungen einen Privatisimmgsschub
in einem konkreten Einzelfall auch befördern kann; zumal wenn es
sich um solche handelt, die auf eine überdurchschnittliche private
Sponsorentradition, ein hohes Drittmittelaufkommen und zudem über
hochwertige handelbare Immobilien verfugen. Für die Uni Frankfurt
trifft dies zweifelsfrei zu.
Es gilt vor allem kritisch auf die demokratietheoretischen Konsequenzen
solcher Trends hinzuweisen: Über die Rechtsform der Stiftung nimmt
der Einfluss öffentlicher, politisch verfasster Interessen auf das
Hochschulsystem ab; umgekehrt proportional nimmt der Einfluss privater
Interessen im Gewände der Gemeinnützigkeit zu - und dies im
Rahmen einer auch weiterhin überwiegend staatlichen
steueraufkommensbasierten Finanzierung, auf die der politische
Souverän immer weniger Einfluss hat.
Torsten Bultmann
Dieser
ursprünglich für die GEW-Wissenschaftskonferenz 2007 „Vom
Studentenberg zum Schuldenberg" verfasste Beitrag wurde für die
HLZ überarbeitet und aktualisiert.
Literatur
Müller. Vera
(2007): Chronik des Scheiterns, in: Forschung 8t Lehre 5, S. 282-284.
Ruehl,
Wilhelm/Klönnc, Amo (2007): Bertelsmann und
Private-Public-Partnership; in: Wemicke, Jens/Bultmann, Torsten (Hg.),
Netzwerk der Macht - Bertelsmann. Marburg, S. 371-394.
Deutsche
Forschungsgemeinschaft (2003): Förderranking 2003. Bonn. Deutsche
Forschungsgemeinschaft (2006): Förderranking 2006 -
Zusammenfassung. Bonn.
Ipsen, Jöra
(2000): Hochschulen als Stiftungen öffentlichen Rechts? Ein
skeptischer Blick nach Nicdcrsachsen; in: Forschung Ft Lehre 11, S.
580-582.