INTERVIEW
"Entfesselte Märkte"
Weltweit wird immer mehr mit Devisen spekuliert. Als Gegenmittel empfiehlt Jörg Huffschmid Kapitalverkehrskontrollen - wie früher.
Frankfurter Rundschau: Gibt es heute mehr Spekulation als früher?
Jörg Huffschmid: Ja, in den vergangenen zehn Jahren wurde spekuliert wie noch nie zuvor, mehr als vor der Weltwirtschaftskrise 1930. Möglich machte das eine Politik der entfesselten Finanzmärkte. Mit der Liberalisierung fielen die Grenzen für Devisen und Aktien, mit der Deregulierung zerstörte man die festen Wechselkurse. Plötzlich war alles möglich und alles ist erlaubt.
Was treibt die Spekulations-Spirale heute schneller an als früher?
Die Technik erlaubt zeitgleiche Geschäfte über den ganzen Globus, und die Transaktionskosten gehen gegen null. Entscheidend für die Spekulationsneigung ist, dass die reale Investitionsrendite relativ gering ausfällt. Die ausdauernd schwache innennachfrage in den Industriestaaten bei gleichzeitiger Umverteilung von unten nach oben führt zur Anhäufung von Geld bei Unternehmen und Reichen, das nicht wieder produktiv investiert wird. Stattdessen legen Vermögende und Unternehmen es auf den Finanzmärkten an.
Spekulation genießt keinen guten Ruf. Was ist so schlimm an zukunftsorientierten Finanzgeschäften?
Wettspekulationen können schnell destabilisierend wirken. Die neuere Finanzmarktforschung (Behavioral Finance) zeigt das irrationale Verhalten der Märkte. Immer mehr Menschen stapfen einem abweichenden Trend hinterher, es regiert der Herdentrieb. Verstärkt wird die Wucht der Herde in der Euphorie mit großzügigen Krediten der Banken - aus 1000 Dollar Eigenkapital werden 10 000 Dollar. So grasen übrigens die Heuschrecken. Und auch diesen Hebel können sie noch verstärken, indem sie auf einen Kurs in drei Monaten wetten. Solche Termingeschäfte - Stichwort: Hedge-Fonds - blasen die Sache weiter auf. Letztlich spekuliert die 1000-Dollar-Herde mit 100 000 Dollar. Wenn diese Finanzblase platzt, wir reden in Wirklichkeit von hohen Milliardenbeträgen, haben die Anleger ein Problem - und die kreditgebenden Banken auch, besonders wenn sie ihrerseits auf eigene Rechnung spekuliert haben.
Spekulation ist also eine Gefahr für die Weltwirtschaft. Was tun?
Zunächst, Zentralbanken müssen glaubwürdig versichern, dass es nie eine Bargeldknappheit geben wird. Das ist der amerikanischen Fed während der gewaltigen Asienkrise 1996 /97 gelungen, ohne ihre letzten Ziele aus der wohl überlegten Dunkelheit heraus zu reißen, die notwendig ist, um die Spekulation nicht anzuheizen. Bei der EZB bestehen jedoch Zweifel, ob sie notfalls als Lender of Last Resort, als letzter Rettungsanker, eingreifen könnte und würde.
Das klingt ein wenig zu brav für einen Berater von Attac.
Geduld. Eine funktionierende EZB und eine von der Bundesregierung gestärkte Finanzaufsicht reichen nicht aus. Sinnvoll wäre eine interne Börsenumsatzsteuer, die ökonomisch wertlose, kurzfristige Aktienspekulationen nahezu nutzlos machen würde, weil sie schnelle Kursgewinne abschöpft. Eine Tobinsteuer auf Währungsgeschäfte würde ebenfalls schnelle Devisenspekulationen bremsen.
Als Fesseln reichen Steuern doch wohl nicht aus?
Wir würden gut daran tun, bald Kapitalverkehrskontrollen erneut einzuführen, ja, wir werden auf Dauer daran nicht vorbei kommen. Bis in die 80er Jahre waren staatliche Kontrollen des Kapitalverkehrs mit dem Ausland üblich. Die Finanzwelt war damals wesentlich stabiler, weil Wettspekulationen schwierig waren. Eine solche Kapitalverkehrskontrolle erlaubt sogar der ansonsten eher neoliberale EU-Vertrag, in Artikel 59. Europa sollte davon Gebrauch machen.
Interview: Hermannus Pfeiffer
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Der Alternative - Jörg Huffschmid (65) zählt zu den alternativen
Wirtschaftswissenschaftlern und Vätern des alljährlich vorgelegten
Wirtschaftsgutachtens "Memorandum". Der Experte für internationale
Kapitalmärkte lehrte in New York und Bremen und ist Mitglied im Beirat
von Attac. 1995 gründete er mit anderen die grenzüberschreitende
Arbeitsgruppe
"Alternative Economic Policy in Europe".hp
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