Aus
der HLZ Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung,
Bildung, Forschung 61.Jahr Heft 10 Oktober 2008 Seite 13
(gescannt)
Appetit
auf Schule?
Private
Essensversorgung
Ab Herbst 2008
sollen
insgesamt: 593 allgemeinbildende Schulen
in Hessen
Ganztagsangebote für rund 160.000 Schülerinnen und Schüler anbieten.
Kultusminister
Jürgen Banzer verspricht
,.dass
wir bis 2015 allen Schulen die Möglichkeit eines freiwilligen
Ganztagsangebots
eröffnen können". Stefan Appel,
Bundesvorsitzender des Ganztagsschulverbandes und Leiter der Hegelsbergschule in Kassel, warnt vor
Schmalspurkonzepten:
„Ganztagsschule ist nicht verlängerte Halbtagsschule mit Suppenküche".
Gleichzeitig weiß Appel, dass Schülerinnen und Schüler ohne
Essensversorgung
nicht in der Schule zu halten sind. Im „Handbuch Ganztagsschule" zählt
er
Ausgabensysteme, Spülmaschinen, Warmhalte- und Kühleinheiten, flexible
Tischsysteme und Tisch-Sitz-Kombinationen zu den Voraussetzungen für
eine
Schulkantine (1).
Für die
Bewirtschaftung der
Schulkantinen wird in dem Handbuch lediglich auf die Caterer
verwiesen. Die Personalausstattung bei der Vor- und Zubereitung des
Mittagessens, für Bestellung, Ausgabe, Buchführung und vieles mehr ist
für
viele Schulen ein wunder Punkt. In einem Gemsheimer
Gymnasium wird der Personalbedarf durch Schülerinnen und Schüler der 5.
Klassen
gedeckt, die sich in der Cafeteria beim Spüldienst „ehrenamtlich"
betätigen. Etwas teurer kommt dort allerdings die Arbeit einer
Lehrerin, die
beim Mittagessen „einen Nachschlag von Nudeln" ausgibt (2). Nichts
gegen
eine Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern, doch Ökonomische Not
sollte
nicht mit „pädagogischen Prinzipien" verbrämt werden.
Einige Schulen
versuchen mit
Rücksicht auf die vielen Kinder und Jugendlichen, die sich kein warmes
Mittagessen für drei Euro leisten können, aber auch keine Hartz
IV- Empfänger sind und deshalb auch keinen Zuschuss erhalten, selbst
das
Mittagessen vorzubereiten, auszugeben, Geld einzusammeln und die
Aufsicht beim
Mittagessen zu fuhren. So wird an einer Schule im sozialen Brennpunkt
eine
Kollegin für fünf Unterrichtsstunden pro Woche freigestellt, um sich im
Gegenzug für rund drei Stunden pro Tag um das Mittagessen zu kümmern.
Während
allenthalben über den Mangel an Mathe-Lehrerinnen und -Lehrern geklagt
wird,
betreiben Mathe-Lehrer den Betrieb eines Schulkiosks oder werden für
den
Verkauf von Essens-Bons freigestellt.
Zur Ergänzung wird
Personal
zum Teil unter skandalösen Bedingungen beschäftigt: unbezahlte Schüler
und
Eltern, die sich „ehrenamtlich" für eine „AG Cafeteria" melden,
400-Euro-Jobber, Honorarkräfte ohne jegliche soziale Absicherung, die
von
Fördervereinen mitfinanziert werden: „Dass Eltern, Großeltern, aber
auch viele
Lehrerinnen und Lehrer in Fördervereinen unbezahlte Extraarbeit
leisten, findet
großen Beifall auf der politischen Bühne. Bundespräsident Horst Köhler
sieht
durch die Fördervereine die .Sicherstellung schulischer Infrastruktur'
gewährleistet" (3). Wo aber bleiben die Schulen, die keine gut
betuchten
Sponsoren und reichen Eltern haben?
Benachbarte
Restaurants und
zahlreiche Caterer werben im Internet, mit
Prospekten
und Probe-Essen um Kunden, von denen sie sich Verträge mit langer
Laufzeit
versprechen. Zu denen, die sich am Essen in Schulen und
Kindertagesstätten eine
goldene Nase verdienen, gehört der Global Player
Sodexho. Der Konzern, der privatisierte
Gefängnisse
betreibt und die US-Truppen im Irak beliefert, versorgt seit der
Auflösung der
städtischen Küchenbetriebe in Frankfurt die städtischen
Kindertagesstätten
täglich aus einem rund 350 km entfernten Standort an der tschechischen
Grenze.
Nachdem eine Elterninitiative unter dem Motto „Sodexho
schmeckt uns nicht" wiederholt die Qualität kritisiert hatte und die
GEW
den Multikonzern öffentlich aufs Korn nahm, ließen sich nur wenige
Frankfurter
Schulen von dessen Werbung im vom Stadtschulamt Frankfurt
herausgegebenen
„Schulwegweiser für Frankfurt" beeindrucken. Die Werner-von-Siemens-Schule,
eine der größten Berufsschulen in Frankfurt, stieg mittlerweile aus dem
Vertrag
mit Sodexho aus (4).
Schulessen soll die
Empfehlungen von Ernährungswissenschaftlern berücksichtigen, sich an
der
„Bremer Checkliste" orientieren (E>) und zugleich kostengünstig
sein.
Selbst ein Bio-Caterer aus der Region mit
altruistischem Anspruch wird jedoch diese Quadratur des Kreises nur
sehr
bedingt leisten, wenn er einen ausreichenden Profit einkalkuliert. Eine
Alternative wären dezentrale kommunale Großküchen, die für Schulen,
Kindertagesstätten oder Altenheime das Essen zubereiten und an die
jeweilige
Einrichtung liefern. Dort müsste Personal im Öffentlichen Dienst, also
in
regulären tariflichen Beschäftigungsverhältnissen, die Bewirtschaftung
der
Kantinen sichern. Fazit: Ein notwendiger Politikwechsel geht auch durch
den
Magen!
Angelika Wahl,
Stadtverbindungslehrerin in Frankfurt
[1) S. Appel, G. Ritz
„Handbuch Ganztagsschule" Wochenschau-Verlag 2005, www.hegelsbergschule.de/index.htm
(2) Groß-Gerauer Echo, 13. November 2003, (3) Privatisierungsreport der
GEW
„Vorn Rückzug des Staates aus der Bildung", S. 55 (4) www.attac-ffm.de
> AG Privatisierung (6)
http://www.fitkid-aktion.de/fitkid+aktion/vollwertige-fakten/bremer-checkliste