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Hintergrund
Gemeinsam gegen Atomwaffen
Der Vertrag über die
Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) soll Staaten wie den Iran und
Nordkorea von der Entwicklung von Atomwaffen fernhalten. Jedoch
müssen auch die "alten" Besitzer von Nuklearwaffen ihrer
Verpflichtung zur Abrüstung nachkommen.
VON FRANK-WALTER STEINMEIER UND JONAS GAHR-STøRE
In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Sicherheitslage in Europa
durchgreifend verändert. Die Bedrohung durch die nukleare
Vernichtung, die das strategische Denken während des gesamten
Kalten Krieges beherrschte, ist zum Glück in den Hintergrund
getreten. Leider hat damit auch das Bemühen um
Rüstungskontrolle und Abrüstung an Dynamik verloren. Das
System der internationalen Nichtverbreitung und Abrüstung steht
heute anderen - komplexeren und weniger berechenbaren -
Herausforderungen gegenüber.
Der jüngst von Nordkorea durchgeführte Nuklearversuch ist
zweifellos eine der drängendsten Herausforderungen. Die auf
höchstes Risiko setzende Politik Nordkoreas, die nun auch mit
einer konkreten nuklearen Drohung verbunden ist und die eigene
Bevölkerung wie auch die gesamte Region als Geisel nimmt, kann
nicht hingenommen werden. Es ist ermutigend, wie geschlossen die
internationale Reaktion hierauf ausfiel. Der nordkoreanische
Nuklearversuch sollte uns aber aufrütteln und dazu bewegen, unsere
Politik im Hinblick auf die Herausforderungen durch die Proliferation
und die Sicherheitsrisiken unserer Zeit insgesamt zu
überprüfen.
Der Nuklearversuch hat erneut deutlich gemacht, dass das Ende des
Kalten Krieges nicht das Ende der Geschichte bedeutete. Stattdessen
sehen wir uns heute mit einer anderen und in mancher Hinsicht
vielschichtigeren und weniger vorhersehbaren Sicherheitslage
konfrontiert: Auf regionaler Ebene hat sich das Konfliktpotenzial
drastisch erhöht, nicht zuletzt durch das Aufkommen ethnischer,
religiöser und nationaler Spannungen und Streitigkeiten, die
früher auf Grund der vorherrschenden Ost-West-Konfrontation nicht
zu bewaffneten Konflikten eskalieren konnten. Ein Problem, dem unsere
besondere Aufmerksamkeit gilt und das gewiss beispielhaft für die
instabilere Sicherheitslage ist, in der wir heute leben, ist die
fortdauernde Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer
Trägersysteme. Nicht nur klare Fälle wie der des
nordkoreanischen Kernwaffenversuchs, sondern auch das ambitionierte
Nuklearprogramm im Iran geben Anlass zu wachsender Sorge. Und
schließlich haben uns auch die heimtückischen und
grauenvollen Anschläge vom 11. September 2001 die neue Dimension
der Bedrohung deutlich gemacht: das Risiko, dass nichtstaatliche
Akteure Zugang zu Massenvernichtungswaffen, dazugehörigen
Materialien und Trägersystemen erlangen könnten.
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Die Autoren
Frank Walter Steinmeier (Jahrgang
1956) ist Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. Der
Sozialdemokrat und promovierte Jurist ist seit 1991 in der Politik.
Jonas Gahr-Støre (Jahrgang
1960) ist Außenminister von Norwegen. Der Politologe gehört
der dortigen Labour-Party an. Bevor er in die Politik ging war er als
Wissenschaftler und Lehrer an verschiedenen internationalen Instituten
tätig. Unter Leitung von Gro Harlem Brundtland arbeitete er
für die Weltgesundheitsorganisation. Von 2003 bis 2005 war er
Generalsekretär des norwegischen Roten Kreuzes. aud
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Angesichts dieser Bedrohungen erfüllt uns der derzeitige Zustand
des nuklearen Nichtverbreitungsregimes mit großer Sorge. Noch
immer sind spezifische proliferationsbezogene Probleme ungelöst.
Bis heute konnten wir die Verhandlungen über ein Verbot der
Produktion von nuklearem Spaltmaterial für Waffenzwecke nicht auf
den Weg bringen. Derzeit gibt es wenig Hoffnung, dass der Vertrag
über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen bald in Kraft
tritt, obwohl dies - wie der Nuklearversuch Nordkoreas gezeigt hat -
dringend erforderlich wäre. Jüngste Gipfeltreffen von Staats-
und Regierungschefs haben keinen Konsens darüber erkennen lassen,
wie es nun weitergehen soll.
Unsere Fähigkeit, das Nichtverbreitungsregime - auf der Grundlage
gemeinsamer Normen und der Herrschaft des Rechts - neu zu beleben, wird
für unsere Sicherheit und die internationale Zusammenarbeit in
Zukunft von entscheidender Bedeutung sein.
Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) ist die
unverzichtbare Grundlage für die Bekämpfung der aus nuklearer
Proliferation erwachsenden Gefahren. Mit dem NVV hat die internationale
Gemeinschaft eine wichtige gegenseitige Vereinbarung geschlossen:
Staaten ohne Kernwaffen haben darauf verzichtet, Kernwaffen zu erwerben
bzw. darüber zu verfügen; im Gegenzug dazu haben sich die
Kernwaffenstaaten zur nuklearen Abrüstung verpflichtet. Diese
Verpflichtung ist eindeutig. Der Nichtverbreitungsvertrag findet zudem
großen Zuspruch: Er hat mehr Unterzeichner als jeder andere
völkerrechtliche Vertrag mit Ausnahme der VN-Charta. Wir
dürfen nicht zulassen, dass diese grundlegende Übereinkunft
ausgehöhlt wird. Nichtverbreitung und Abrüstung sind nicht
verschiedene, sondern einander ergänzende Zielsetzungen.
Norwegen und Deutschland wissen um den Wert eines auf vertraglicher
Grundlage ruhenden transparenten und überprüfbaren Systems
der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung. Unsere
Regierungen treten für einen doppelten Ansatz ein: Wir wollen die
Einhaltung der Nichtverbreitungsverpflichtungen stärken und
gleichzeitig der nuklearen Abrüstung neue Impulse geben.
Dieser Doppelansatz bedeutet die Verfolgung einer internationalen
Agenda, die beide Stränge gleichzeitig verfolgt, ohne
künstliche Verknüpfungen zwischen ihnen herzustellen. So
setzen sich Norwegen und Deutschland nachdrücklich für
diplomatische Antworten auf drängende regionale
Proliferationsrisiken - insbesondere in den Fällen Iran und
Nordkorea - ein. Wir müssen die internationale Kontrolle
verbessern, damit gravierende Verstöße gegen den NVV
leichter aufgedeckt werden können.
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Wir müssen jeden Missbrauch
ziviler Nuklearprogramme für militärische Zwecke verhindern.
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In diesem Zusammenhang müssen wir die Risiken, die sich aus der
Beherrschung des gesamten
Kernbrennstoffkreislaufes ergeben, wirksam ausschalten, ohne hierbei
neue Gräben zwischen den Unterzeichnerstaaten des
Nichtverbreitungsvertrags aufzureißen.
Wir werden uns ferner darum bemühen, der nuklearen Abrüstung
neue Impulse zu geben. Der Stillstand der diesbezüglichen
internationalen Bemühungen muss endlich überwunden werden.
Wir müssen unverzüglich Verhandlungen über einen Vertrag
beginnen, der die weitere Herstellung von Spaltmaterial zu
militärischen Zwecken verbietet. Das Inkrafttreten des Vertrags
über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT) muss -
gerade vor dem Hintergrund des nordkoreanischen Nuklearversuchs - auf
der internationalen Tagesordnung wieder hohe Priorität erhalten.
Dieser Vertrag ist für die Abrüstungsagenda von erheblicher
Bedeutung. Schließlich rufen wir die Kernwaffenstaaten,
insbesondere Russland und die Vereinigten Staaten, dazu auf, ihrer
Verantwortung gerecht zu werden und sich zu weiteren Verhandlungen
über die strategischen Kernwaffen bereit zu erklären. Wir
sind der Auffassung, dass solche Verhandlungen zu einem
Anschlussabkommen zu dem 2009 auslaufenden Start-I-Vertrag über
die Reduzierung strategischer Waffen führen können. Zudem
sind wir davon überzeugt, dass es Zeit ist, die
Rüstungskontrolle um einen Ansatz zu ergänzen, der die
nichtstrategischen Kernwaffen umfasst - eine Waffenkategorie, die
bislang noch nicht Gegenstand eines formellen Rüstungskontroll-
oder Abrüstungsabkommens ist.
Auf dieser Grundlage sind Norwegen und Deutschland bereit, sich mit
aller Kraft für einen Erfolg des im nächsten Jahr beginnenden
NVV-Überprüfungsprozesses einzusetzen. Die internationale
Gemeinschaft muss sich entscheiden, ob der nordkoreanische Atomtest zu
einem weiteren und vielleicht verhängnisvollen Schritt auf dem Weg
der Aushöhlung des NVV wird oder ob er als klares Signal
verstanden wird, dass die Staatengemeinschaft sich erneut auf einen
belastbaren und glaubwürdigen Konsens in Nichtverbreitungsfragen
einigt.
Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind gewaltig. Unsere
Regierungen sind fest entschlossen, sie gemeinsam anzugehen.
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Copyright © FR online 2006
Dokument erstellt am 10.11.2006 um 18:40:09 Uhr
Letzte Änderung am 10.11.2006 um 19:05:58 Uhr
Erscheinungsdatum 11.11.2006