Prof. Dr. Rudolf Hickel, 7. Juli 2004 - Direktor des Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) in Bremen :
Gespensterdebatte zur Verlängerung der Wochenarbeitszeit
Die Vorschläge zur Verlängerung der Wochenarbeitszeit ohne entsprechenden Lohnausgleich überschlagen sich. Begonnen hat die SiemensAG mit der bewusst als Ausnahme deklarierten 40 Stundenwoche in den beiden Handywerken in Nordrhein-Westfalen. Der Präsident des DIW zog nach mit dem Vorschlag, auch die 50-Stundenwoche zuzulassen. Danach erklärt der Direktor des ifo-Instituts, Sinn, generell die 44-Stunden-Woche einzuführen.
Alle Vorschläge zielen auf eine Senkung der Arbeitskosten pro Stunde. Bei einer generellen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden - gegenüber den tarifvertraglich vereinbarten 35 Stunden - würde dadurch die Produktionskapazität um mehr als 14% steigen. Beim Sinn-Vorschlag wäre der Zuwachs größer. Ohne eine nachhaltige Ausweitung der Nachfrage nach den Produkten muss diese Strategie scheitern. Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich generieren jedoch nicht die erforderliche Steigerung der binnenwirtschaftlichen Nachfrage.
Fall 1: Unter funktionierenden Wettbewerbsbedingungen ist damit zu rechnen, dass die Senkung der Arbeitskosten per Preissenkung weitergegeben wird. Dann kommt es nicht zur Gewinnsteigerung, die das eigentliche Ziel ist. Wenn alle Unternehmen so handeln, werden am Ende die Preise auf breiter Front sinken. Zusätzliche Nachfrage ist nicht zu erwarten. Es kommt zur Deflation, zum Gewinnverfall und zur wirtschaftlichen Stagnation.
Fall 2: Wenn sinkende Arbeitskosten nicht über Preisreduzierung weitergegeben werden, dann freut dies jeden Unternehmer, weil er glaubt, dadurch mehr Gewinne erzielen zu können. Wird aber das zusätzliche Angebot nicht nachgefragt, dann kann die Rechnung nicht aufgehen. Es entsteht also kein neuer Arbeitsplatz. Im Gegenteil, Jobs werden mangels am Markt verdienter Gewinne abgebaut. Was betriebswirtschaftlich rentabel erscheint, geht gesamtwirtschaftlich nicht auf. Die Erfolglosigkeit gilt in jedem Fall für die Binnenwirtschaft.
Die Exportwirtschaft hingegen benötigt diesen Impuls nicht. Denn die internationale Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist hoch. Das wird durch die Lohnstückkosten, die außer Japan, sich am günstigsten in Deutschland entwickelt haben, belegt. Derzeit boomt die Exportwirtschaft im Sog des überraschend starken Aufschwungs in den USA, in Japan, China und Osteuropa.
Die Praxis der Unternehmenswirtschaft belegt gegenüber diesen gespenstischen Vorschlägen den richtigen Weg. Auf der Basis einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit zwischen 35 und 38 Stunden sollten die Möglichkeiten der Flexibilität über Arbeitszeitkonten genutzt werden. Nur Unternehmen in einer nachweislichen Krise sollten auf der Basis der Entscheidung der Tarifvertragsparteien angemessene Abweichungen unterhalb und oberhalb der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich nutzen. Während der Laufzeit dieser Sonderregelung muss eine Beschäftigungsgarantie gelten.
(Die Nachricht kam von Peter Wahl, WEED - Weltwirtschaft, Ökologie
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