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Auszug aus "Der Spiegel" Nr. 47/19.11.2007, Seiten 56/57 (gescannt)

Deutschland -

ENERGIEPOLITIK

„Heiliger Aloysius"

Mit seiner Forderung, die Stromkartelle in Deutschland zu zerschlagen, geriet Hessens Wirtschaftsminister Rhiel unter Kommunismusverdacht - zu Unrecht.

Die linke Gefahr droht diesmal von rechts -jedenfalls aus Sicht der hessischen FDP. In Wiesbaden, wet-;erte vergangene Woche die Landesspitze ler Liberalen, regiere im Wirtschaftsminis-;erium ein Mann, „dessen Wortwahl uns m die Pamphlete des Spartakus und des kommunistischen Bundes Westdeutsch-.ands erinnert". Ein Mann mit CDU-Par^ ;eibuch.

Der Attackierte heißt Alois Rhiel, 57, und er ist Anwürfe dieser Art gewohnt, manchmal sogar von seinen eigenen Parteifreunden. Er hat Stromanbietern in Hessen untersagt, ihre Preise zu erhöhen; 3r will Wasserversorger per Anordnung zur Preissenkung zwingen. Er organisierte den Widerstand der Länder gegen die Privatisierung der Bahn AG. Und am vergangenen Montag hat er in Berlin einen Gesetzentwurf vorgelegt, den seine Kritiker als Ruf nach Staatsdirigismus und Enteignung geißeln: Um die Marktmacht der vier großen Stromkonzerne E.on, RWE, Vattenfall und EnBW zu brechen, will der Christdemokrat diese notfalls zwingen, Kraftwerke zu verkaufen oder ganze Un-ternehmensteile abzugeben.

Die Aktion war seit Monaten geplant, sie passt gut in die Zeit. Gerade hatten die Konzerne angekündigt, die Strompreise zum Jahresende wieder mal zu erhöhen, und die Kartellbehörden fanden Hinweise auf verbotene Preisabsprachen (SPIEGEL 45/2007). Die EU denkt über ein schärferes Kartellrecht und eine Trennung von Stromerzeugung und Leitungsnetz nach, und auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) plant eine strengere Kontrolle der Strompreise.
Aber der CDU-Mann Rhiel hätte es gern noch radikaler: Er will staatliche „Eingriffe in die Marktstruktur" bis hin zum „Zwangsverkauf". „Das Eigentumsrecht muss immer in Relation gesetzt werden zum Gemeinwohl", sagt er.

Mit solchen Sätzen gerät man schnell unter Linksaußen-Verdacht, nicht nur bei der FDP. Offenbar habe Rhiel „nicht verstanden, was Lagerwahlkampf bedeutet", beschwerte sich, gut zwei Monate vor der Landtagswahl, der hessische FDP-Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn bei seinem Wunsch-Regierungspartner Roland Koch (CDU), „oder verbindet Rhiel mit der hessischen SPD mehr als mit der FDP?".

Rhiel ist in der Tat eine Ausnahmeerscheinung im konservativen Kabinett des hessischen Ministerpräsidenten. Ein Quereinsteiger mit Erfahrung aus der Wirtschaft, einer der wenigen Minister, die nicht zu Kochs engster Seilschaft aus gemeinsamen Tagen in der Jungen Union gehören - dafür aber der Einzige, der es neben Koch regelmäßig in die überregionalen Schlagzeilen schafft. Verbraucherschützer loben ihn, „Bild" feierte ihn schon mal als „Super-Rhiel", die „Frankfurter Rundschau" als „Robin Hood der privaten Haushalte".

Doch diesen Wirtschaftsminister in die Nähe linker Ideologien zu stellen wäre ein krasses Missverständnis.

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Kartellgegner Rhiel: „Pamphlete des Spartakus" (Bild )
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„Ich habe ein sehr gefestigtes Weltbild", sagt er von sich. Und das stammt aus eindeutig konservativer Quelle: Rhiel ist katholisch, streng katholisch sogar. Er ist aufgewachsen als katholischer Bauernsohn im protestantischen Mittelhessen, machte Abitur auf einer katholischen Stiftschule. Auf seinem Ministerschreibtisch steht neben dem Foto der Familie eines vom Papst, daneben ein Bild seines alten Schulfreundes, des Bamber-ger Erzbischofs Ludwig Schick, mit dem er fast täglich telefoniert. „Heute morgen erst hat er mir um 5.45 Uhr eine SMS aus der Türkei geschickt", strahlt Rhiel und liest die Grüße vor, „abgeschickt vom Geburtsort des heiligen Paulus".

Im Gespräch sagt er dann Sätze wie: „Mir geht es darum, die Schwachen zu schützen."
Ungerechtfertigt hohe Strom-, Gas- und Wasserpreise seien „zutiefst unsozial", vor allem Familien mit Kindern seien diesen Kosten „hilflos ausgeliefert". Streckenweise klingt es fast wie eine Predigt. Die hessischen Grünen verspotteten Rhiel vergangene Woche im Landtag als „Heiligen Aloysius", als „selbsternannten Rächer der Armen, Witwen und Waisen". Nur sei seine Politik alles andere als stringent, bemängelt Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir. Es sei ja gut, wenn Rhiel in Berlin die Monopolstrukturen auf dem Strommarkt bekämpfen wolle. Aber gleichzeitig sorge er in Hessen dafür, dass sich Konzerne „die Taschen weiter vollstopfen" könnten - indem etwa E.on der Bau eines neuen, gigantischen Kohlekraftwerkblocks bei Hanau erlaubt werden soll. „Wozu? Um denen das Kraftwerk nachher gleich wieder abzunehmen?" Das sei doch „angewandte Schizophrenie", lästert Al-Wazir.

Rhiel stören solche Vorwürfe nicht.   Eine   Baugenehmigung müsse nach Recht und Gesetz erfolgen, ohne Rücksicht auf den Betreiber. Er könne sich aber vorstellen, dass das Kraftwerk später beispielsweise von der russischen Gasprom betrieben werde. Hauptsache sei, dass mit Hilfe eines starken Staates endlich Wettbewerb einziehe in den nicht mehr funktionierenden Markt der Anbieter-Oligopole. Denn Wettbewerb, das hat er aus seinem Volkswirtschaftsstudium in Marburg mitgenommen, „ist der Schlüssel für eine soziale Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards". Allerdings gebe es viele in der FDP und auch in seiner eigenen Partei, die dies nicht mehr so recht wahrhaben wollten. Seine Selbstsicherheit schöpft Rhiel wohl auch daraus, dass er das Thema Wettbewerb aus vielen Perspektiven kennt. Er war mal Oberbürgermeister in Fulda, er weiß um die verführerische Lobbyarbeit der Stromkonzerne. Er hat beobachtet, wie Kommunalpolitiker mit Gattinnen zu exklusiven Venedig-Reisen eingeladen wurden, bei denen dann zwischen Gondelfahrt und Opernbesuch pro forma auch mal irgendein Kraftwerk besucht wurde. Er weiß von den „Beiräten" der Konzerne, in denen diejenigen mit üppigen Sitzungsgeldern und gutem Essen verwöhnt wurden, die in den Gemeindeparlamenten dem Verkauf ihrer Stadtwerke an einen großen Versorger zustimmen sollten.
Und er war sieben Jahre lang im Vorstand einer regionalen Öko-Supermarkt-Kette, die sich gegen die Macht der großen Handelsketten durchsetzen musste, 1998 hat er als Manager für den Wareneinkauf die erste Stufe der Strommarktliberalisie-rung erlebt. „Dadurch konnten wir plötzlich 40 Prozent Strompreissenkung durchsetzen", sagt Rhiel: „Das war eine prägende Erfahrung."

Wie beharrlich dieser Minister aus Hessen auf seinen Wettbewerbskreuzzügen sein kann, haben bereits Bahn-Chef Hartmut Mehdorn und Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) schmerzlich erfahren. „Am Anfang waren wir die Einzigen aus der Länderkammer, die laut gegen die Bahn-Privatisierungspläne protestiert haben", erinnert sich ein enger Rhiel-Mitarbeiter.

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UMFRAGE: STROMPREISE

„Hessens Wirtschaftsminister Alois Rhiel will die Marktstettung der großen Stromkonzerne schwächen, um mehr Wettbewerb zu ermöglichen. Sollte sich der Staat stärker in den Kampf gegen hohe Strompreise einmischen?"

JA                 89 %
NEIN                8 %
„weiß nicht"       keine Angabe

(laut TNS Forschung für den SPIEGEL vom 14. und 15. November; 1000 Befragte; an 100 fehlende Prozent)
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Doch die Überzeugung, dass private Anteilseigner an einem „natürlichen Monopol" wie dem Schienennetz wohl eher auf höhere Renditen als auf niedrigere Fahrpreise drängen würden, setzte sich schließlich bei einer Mehrheit des Bundesrats durch - unabhängig vom Parteibuch der Ministerpräsidenten.

Ein solches überparteiliches Länder-Bündnis will Rhiel nun auch gegen die Stromkonzerne schmieden - Gelegenheit dazu bietet schon Anfang dieser Woche das zweitägige Wirtschaftsministertreffen in Darmstadt. Erste Sympathiebekundungen für seinen Zwangsverkaufsvorschlag gingen schon vorab ein - etwa vom Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die Linke). Auch die Rhiel-Kollegen Dietrich Aus-termann (CDU) aus Schleswig-Holstein und Ernst Pfister (FDP) aus Baden-Württemberg signalisieren vorsichtig Bereitschaft.

Wahrscheinlich ist jedoch, dass Rhiel die Abstimmung über seinen Gesetzentwurf im Bundesrat gar nicht mehr als Minister erleben wird. Denn Ende Januar wird in Hessen gewählt, und nach allen Umfragen wird die Koch-Regierung dann zumindest ihre absolute Mehrheit verlieren. Die FDP aber, die sich der CDU als Koalitionspartner andient, hat bereits sehr deutlich gemacht, dass sie dafür auf jeden Fall den Job des Wirtschaftsrninisters haben will.

„Wir gehen davon aus", schrieb FDP-Landeschef Hahn an seinen langjährigen Freund Koch zur Causa Rhiel, „dass auch Sie solche Positionen in Ihrem Kabinett nicht dulden."

Seinen Job womöglich zu verlieren versetzt Rhiel aber nicht in Panik. Entspannt lehnt sich der Ex-Manager in seinen Sessel zurück - und lächelt. „Für mich wird es immer irgendwas zu tun geben."

MATTHIAS BARTSCH