Zurueck zur Vorseite
"Bild am Sonntag" vom 12.11.2006

Hat der Hessen-Chef versucht, die Freien Wähler zu kaufen ? Vier Eide gegen Koch


Berlin - Wer lügt in Wiesbaden? Der mächtige hessische Ministerpräsident Roland Koch, der in zwei Wochen zum Stellvertreter Angela Merkels in der CDU aufrücken soll - oder Thomas Braun, der weitgehend unbekannte Vorsitzende der Freien Wähler im Land?

Der Vorwurf, den Braun erhebt, ist ungeheuerlich. Wenn er zutrifft, dann hat die hessische CDU versucht, sich ein günstigeres Wahlergebnis zu erkaufen -und zwar mit Steuergeld. Wenn es stimmt, was Braun behauptet, geht es um das politische Schicksal von Roland Koch. Der Ministerpräsident bestreitet die Vorwürfe nicht nur. Er fühlt sich von den Freien Wählern sogar unter Druck gesetzt. Doch die Freie Wähler Gemeinschaft (FWG) ist jetzt bereit, ihre Darstellung zu bezeugen - unter vierfachem Eid!

"Eine Solche Tatsachenverdrehung ist mir selten untergekommen"
(Roland Koch gestern zu BamS (Südhessen):

Der Reihe nach: Vergangenes Wochende, Delegiertentreffen der FWG in Großgerau Südhessen).Landeschef Braun erklärt, Kochs CDU habe eine Kostenerstattung bei Kommunalwahlen angeboten. Die Zuschüsse aus Steuergeldern gebe es aber nur, wenn die FWG im Gegenzug nicht zur Landtagswahl im Januar 2008 antrete. Bei diesen Wahlen will Koch seine absolute Mehrheit verteidigen. Die FWG (Prognose: bis zu 2,5 %) könnte der CDU entscheidende Stimmen wegnehmen. Braun spricht von „Erpressung". Der hessische CDU-Generalsekretär Michael Boddenberg weist die Vorwürfe sofort zurück („Unsinn", „grotesk"). Koch selbst wird konkreter. Der Ministerpräsident gestern zu BILD am SONNTAG: „Eine solche Tatsachenverdrehung ist mir selten untergekommen. Die Freien Wähler verlangen seit vielen Jahren Geld für ihre Kommunalpolitiker. Und in diesem Jahr haben sie versucht, uns damit zu drohen, notfalls bei der Landtagswahl 2008 anzutreten, wenn diese Finanzierung nicht läuft Das machen wir nicht mit, da wir uns nicht drohen lassen. Mit einer solchen FWG-Landesspitze, die nicht nur zu drohen versucht, sondern anschließend auch die Tatsachen verdreht, reden wir nicht mehr."

Tatsache ist: Bislang gehen die hessischen Freien Wähler bei der Parteienfinanzierung leer aus. Nur bei Bundes- und Landtagswahlen gibt es Geld aus dem Steuertopf. Fakt ist auch: Alles dreht sich um ein Spitzengespräch in der Landesgeschäftsstelle der Hessen-CDU in Wiesbaden am 3. April um 8 Uhr.

Was wurde dort wirklich besprochen?

BILD am SONNTAG liegt ein Aktenvermerk der Freien Wähler Gemeinschaft über das Gespräch vor. Anwesend aufseiten der CDU waren außer Koch noch Innenminister Volker Bouffier, Kultusministerin Karin Wolff und Generalsekretär Michael Boddenberg. Die Freien Wähler wurden neben Braun von dessen Stellvertreter Stefan Becker, Lan-desgeschäftsführer Michael Krönung und Pressesprecher Dirk Oßwald vertreten.

Unter „Top 5 Finanzierung der Freien Wähler vs. Landtagswahlbeteiligung" heißt es: „Koch spricht das Thema Landtagswahlbeteiligung und Finanzierung der Freien Wähler an. Bouffier erklärt, dass es einen fertigen Gesetzentwurf in der Schublade gibt, der rückwirkend vom 1.1.06 den Freien Wählern eine Erstattung von l bis 1,50 Euro pro Wählerstimme zugesteht."

Damit würden die Freien Wähler für den Verzicht auf die Landtagswahl entschädigt - mit Geld, das ihnen für die im März 2006 abgehaltene Kommunalwahl aus der staatlichen Parteienfinanzierung zustünde. Nach FWG-Darstellung wären das 106 000 Euro.

Laut Aktenvermerk stellte Koch eine Bedingung: Die Freien Wähler sollten als Vorleistung für das Gesetz bei ihrer Landes-versammlung Anfang November einen Verzichtsbeschluss fassen. In dem Aktenvermerk steht dazu: „Koch macht deutlich, dass ein solches Entgegenkommen nur bei Antrittsverzicht der Freien Wähler bei der Landtagswahl zu haben sei - daher die letzte Lesung (des Gesetzes, die Red.) im Landtag erst nach dem Landes-delegiertentag (der FWG, die Red.) stattfinden werde."

Die Freien Wähler sind bereit, auf ihre Darstellung einen Eid zu schwören. Landeschef Thomas Braun kündigt gegenüber BamS an: „Alle vier für die Freien Wähler bei dem Treffen mit der CDU anwesenden Personen können die Richtigkeit der Darstellung in diesem Aktenvermerk bezeugen. Wir sind bereit, dies vor einem Untersuchungsausschuss oder vor Gericht auch unter Eid zu tun."

Die Opposition irn Wiesbadener Landtag will einen Untersuchungsausschuss einsetzen -wenn Koch nicht am kommenden Mittwoch in einer Sitzung des Hauptausschusses alle Vorwürfe glaubhaft ausräumt. Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wa-zir zu BamS: „Die Fakten müssen auf den Tisch. Es geht um die Frage: Lügt Roland Koch oder sagt er die Wahrheit? Notfalls muss er seine Aussagen beeiden - und das geht nur in einem Untersuchungsausschuss."