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FR vom 11.04.2006

Grüne kritisieren Privatisierung gesellschaftlicher Probleme

Parteispitze entwirft mit Thesenpapier neues Profil / Mitglieder sollen auf Regionalkonferenzen "Zukunftsdebatte" führen

Die Bündnisgrünen wollen sich wieder radikaler als Umweltschutzpartei profilieren und in der Debatte über den Sozialstaat eine "Wiederentdeckung öffentlicher Institutionen" forcieren. Das schlägt die Spitze der Grünen in einem Thesenpapier vor.

Berlin · Auf sechzehn Regionalkonferenzen wollen die Grünen in den kommenden Wochen und Monaten anhand des 20-seitigen Thesen-Papiers eine "Zukunftsdebatte" führen. Den Schlusspunkt der Debatte, in die auch Wissenschaftler, Experten und Künstler einbezogen werden sollen, soll Anfang September ein Zukunftskongress in Berlin setzen. Der lang geplante Debattenstart am Montag kam für die Grünen jedoch zum denkbar unglücklichen Zeitpunkt. Eigentlich war deren Thesenpapier auch als Kontrapunkt zur zeitgleich geplanten programmatischen Vorlage der SPD gedacht. Doch die geriet durch den Rücktritt Matthias Platzecks ins politische Off.

In ihrem Thesenpapier postuliert die Grünen-Spitze, die inhaltliche Ausrichtung der Partei dürfe nicht von "Koalitions-Präferenzen dominiert werden". Als "Seismograf gesellschaftlicher Probleme" müssten die Grünen sich für eine "Wiederentdeckung öffentlicher Institutionen" stark machen. Das bedeute keine Rückkehr zu einer Politik "staatlicher Allzuständigkeit", aber eine klare Absage an die zunehmende Privatisierung gesellschaftlicher Probleme, heißt es in dem Papier. Dabei wollen sich die Grünen stark an skandinavischen Vorbildern der sozialen Absicherung orientieren und "privaten Reichtum stärker als bisher zur Finanzierung staatlicher Aufgaben" heranziehen.

Auf ihrem ureigenen Politikfeld, der Umweltpolitik, wollen sich die Grünen künftig wieder lauter zu Wort melden. Die Partei müsse die "Radikalität der ökologischen Frage" neu thematisieren und "wieder eine Sprache finden, die die Dramatik der Umweltprobleme" deutlich benennt, fordern die Parteichefs Reinhard Bütikofer und Claudia Roth in ihrem Papier.

In der Integrationspolitik sprechen sie sich gegen eine Politik der "Knute" aus . Von den Migranten könne man zugleich aber die "Zumutung" verlangen, sich deutsche Sprache, Geschichte und Demokratie zu eigen zu machen.

Die aufkeimende Kritik an ihrer personellen Aufstellung und an ihren Führungsstrukturen spielten in dem jetzt begonnenen Diskussionsprozess keine Rolle, meinten Bütikofer und Roth. Sie reagierten damit auf jüngste Kritik des hessischen Grünen-Vorsitzenden, Matthias Berninger, an der bisherigen Arbeit der Fraktions- und Parteispitze seit dem Wechsel in die Opposition. Der grüne Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon hatte sich für die Abschaffung des grünen Prinzips der Doppelspitze ausgesprochen. Wenn im Rahmen der Zukunftsdebatte auch darüber diskutiert würde, werde man das nicht abwürgen, betonte Bütikofer. Aber das sei nicht das Problem, das die Partei "umtreibt". Vera Gaserow