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Grassierende Korruption beklagt
Die Korruptionsaffäre bei Siemens
ist kein Einzelfall. Gegen zahlreiche Großkonzerne haben
Finanzbehörden, Kartellamt und Staatsanwaltschaften in den
vergangenen Monaten ermittelt.
Bestechung, Schmiergeld, schwarze
Kassen (dpa)
Hamburg - In der Siemens-Affäre ermittelt die Münchener
Staatsanwaltschaft gegen ein Dutzend Beschuldigte. Sie sollen mehr als
200 Millionen Euro veruntreut und als Schmiergeld eingesetzt haben.
Neue Anschuldigungen gegen seine internen Kontrolleure wies der Konzern
jetzt zurück. Die Beschäftigten der Compliance-Abteilung
hätten sich stets korrekt verhalten, teilte das Unternehmen mit.
Rechtsanwalt Wolfgang Kreuzer, der einen in dem Schmiergeld-Skandal
Beschuldigten vertritt, hatte in der ARD-Sendung "Monitor" gesagt, die
Kontrolleure hätten von dem System der schwarzen Kassen gewusst
und es noch unterstützt.
Siemens nannte die Angaben "verleumderisch". Gegen Kreuzer sei
Strafanzeige wegen Verleumdung erhoben worden, hieß es. Der
Leiter der Compliance-Abteilung, Wilfried Walisch, sei Mitte Dezember
von der Staatsanwaltschaft als Zeuge vernommen worden. Gegen ihn seien
keine Anschuldigungen erhoben worden, betonte Siemens. Walisch wird als
Chef der Überwachungsstelle des Konzerns Anfang 2007 vom
bisherigen Staatsanwalt Daniel Noa abgelöst.
Schmiergeld und Insidergeschäfte
Für keineswegs ungewöhnlich hält Professor Hans See den
Fall Siemens. "Korruption, ich spreche lieber von
Wirtschaftskriminalität, wird generell praktiziert", warnt der
Vorsitzende der regierungsfernen Organisation Business Crime Control.
"Ich würde für keine Firma meine Hand ins Feuer legen - und
zwar weder im Ausland noch im Inland." Schmiergeld-Affäre bei
Siemens, Korruptionsverdacht bei Volkswagen, Bestechungsvorwürfe
bei Rewe - auch in deutschen Unternehmen werde betrogen. Der "illegale
Normalzustand" sei längst Teil des globalen Wettbewerbs geworden.
Kriminologe See sieht sogar einen "wachsenden Trend", zu dem der
Rückzug des Staates aus dem öffentlichen Leben erheblich
beitrage.
Eine Recherche der Frankfurter Rundschau ergab, dass Behörden
gegen 18 der 30 Konzerne im Deutschen Aktienindex (Dax) in den Jahren
2005 und 2006 ermittelt haben - tätig wurden die Finanzaufsicht,
das Kartellamt, die Zollfahndung oder Staatsanwaltschaften. Nicht jeder
Verdacht wird sich in den oft jahrelangen Verfahren erhärten. Bei
den Nachforschungen geht es um Schmiergeldzahlungen, Bestechung,
Untreue, Geldwäsche, Insidergeschäfte, Kartelle,
Patentverletzungen oder Betrügereien bei Warentests. Auch ein
gutes Testergebnis ist sein Geld wert.
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Internationale
Regeln
Die UN-Konvention
gegen Korruption, kurz UNCAC, haben 168 Staaten unterzeichnet, vor drei
Jahren auch Deutschland. 68 Länder haben die Konvention bislang
verbindlich ratifiziert - Deutschland gehört nicht dazu.
Das deutsche
Strafrecht - und wohl auch der fehlende politische Wille - stehen der
Ratifizierung im Wege: Paragraf 108e definiert Bestechlichkeit und
Bestechung von Abgeordneten sehr einschränkend. So können
Unternehmen straflos Mandatsträgern angenehme Vorteile
gewähren. Die UN-Konvention UNCAC fordert dagegen, dass korrupte
Parlamentsmitglieder wie Angehörige des öffentlichen Dienstes
bestraft werden. hp
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Wo Wirtschaftskriminalität ist, bedarf es schwarzer Kassen, um
Bestechung und Warenmanipulationen zu finanzieren. Nicht allein See
wundert sich, dass in Deutschland Wirtschaftsprüfer, die jede
Bilanz jährlich durchleuchten und absegnen, häufig dicke
Löcher in der Buchhaltung übersehen. Konzerne, so ist zu
vernehmen, bilden am liebsten in solchen Ländern schwarze Kassen,
wo die Buchhaltungsgrundsätze lax sind und unverbuchte
Beträge leicht auf Nummernkonten in der Schweiz oder in dubiose
Finanzoasen wie die britischen Jungferninseln überwiesen werden
können.
Bekannt ist auch das Geschäft mit zwei Rechnungen: einer
offiziellen, niedrigeren, die korrekt verbucht wird und einer
höheren, die der Kunde tatsächlich bezahlt. Die Differenz
wird in eine schwarze Kasse für besondere Zwecke abgezweigt.
Lange Zeit galt Korruption im Ausland als Kavaliersdelikt, als
notwendiges Übel gar. Bis 1999 konnte Bestechung außerhalb
der Landesgrenzen sogar von der Steuer in Deutschland abgesetzt werden.
Business Crime Control fordert eine Gesetzgebungsdebatte, um den Druck
auf Wirtschaft und Politik zu erhöhen. Es gehe nicht um
Einzelfälle und kleine Beträge, sondern um Milliarden Euro.
Genauere Gesetze, mehr Kontrollen durch Finanzbehörden, eine
transparentere Mitbestimmung und eine verbesserte Aufsicht über
Wirtschaftsprüfer könnten das Problem eindämmen.
Hermannus Pfeiffer
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Copyright © FR online 2006
Dokument erstellt am 27.12.2006 um 17:16:02 Uhr
Letzte Änderung am 27.12.2006 um 18:08:21 Uhr
Erscheinungsdatum 28.12.2006
Kommentar
Der Nährboden
VON HERMANNUS PFEIFFER
Ob die Dunkelziffer in der Wirtschaftskriminalität wirklich bei 95
Prozent liegt - Experten wie der Kriminologe Hans See und der
Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner gehen davon aus -, weiß
niemand.
Jedenfalls wurde oder wird 2005/2006 gegen 18 von 30 Dax-Konzernen von
Aufsicht oder Staatsanwaltschaft ermittelt. Nicht jeder Verdacht
lässt sich erhärten, nicht jede Klage wird vor Gericht
Bestand haben, und manchmal mag es nur um die Verfehlung eines
Einzelnen gehen. Trotzdem muss man davon ausgehen, dass die
Wirtschaftskriminalität seit dem Ende des heute romantisierten
rheinischen Kapitalismus zugenommen hat. Auch frühere Platzhirsche
wie Daimler-Chrysler, Deutsche Bank und Siemens werden auffällig.
Globalisierung und Schwächung des Staates, brutale Konkurrenz, der
Niedergang kaufmännischer Tugenden und eine Raffke-Mentalität
unter den Managern in aller Welt bilden einen fruchtbaren
Nährboden. In vielen Ländern gehört Bestechungsgeld zum
Alltag in Geschäft und Behörde. Gegen jeden fünften
Parlamentarier in Indien, dem jüngsten Hoffnungsträger der
Weltwirtschaft, wird angeblich ermittelt. Wer nicht mitschmiert, habe
schon verloren, heißt es.
Erstaunlich ist, dass Vorstände oft versichern, über die
Vorgänge in ihren Konzernen nichts mitbekommen zu haben. Ein
Zeichen von Führungsschwäche? Sollten sie aber Bescheid
gewusst haben, wäre es noch schlimmer. Das eigentliche Problem
bleibt, dass in korrupten Konzernen Millionenbeträge an Bilanz und
Finanzamt vorbei gebildet werden können. Dagegen sollten Politik
und Behörden energischer vorgehen. Ansonsten bleibt als
Hoffnungsschimmer nur die Erkenntnis von Machiavelli: Die Chance, ein
konspiratives Tun geheim zu halten, schrumpft mit jeder weiteren
Person, die eingeweiht wird.
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Dokument erstellt am 27.12.2006 um 17:16:02 Uhr
Letzte Änderung am 27.12.2006 um 18:05:46 Uhr
Erscheinungsdatum 28.12.2006