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"express" (Offenbach) vom 13.09.1991

Kritischer Aktionär verteidigt Montanmitbestimmung

Zur Hauptversammlung der PREUSSAG AG

„Vorstand und Aufsichtsratsmehrheit haben durch ihre organisatorischen Maßnahmen erreicht, daß die Montanmitbestimmung im Bereich der alten Salzgitter AG, der mehrheitlich das gesamte Unternehmen umfaßt, in Frage gestellt wird, was zu einer Störung des Betriebsfriedens führen kann. Die von den Gewerkschaften eingeleitete Klage beim Landgericht Hannover ist als eine berechtigte Verteidigungsmaßnahme zum Schutz der Arbeitnehmerrechte anzusehen. Die Dividendenzahlung von 25 % bei den Stahlwerken Salzgitter-Peine mit Montanmitbestimmung zeigt, daß eine weitergehende Mitbestimmung der Arbeitnehmer sich nicht schädlich, sondern vorteilhaft für die Ertragslage und damit auch für die Dividendenzahlung an die Aktionäre auswirken kann."

Mit dieser Begründung hatte der kritische Aktionär Wilhelm Rühl (Höxter) seinen Gegenantrag versehen. Vorstand und Aufsichtsrat der Preussag AG auf der Hauptversammlung am 15.5.1991 in Hannover nicht zu entlasten. Bereits auf der außerordentlichen Hauptversammlung der Preussag AG im Dezember 1989 hatte er in einem Gegenantrag gegen die Übernahme der Montanmitbestimmten Salzgitter AG (des eindeutig größeren Unternehmens) durch die Preussag AG Stellung bezogen.

Hier hatte der Aufsichtsratsvorsitzende Neuber (Vorstandssprecher des Mehrheitsaktionärs WestLB) die Möglichkeit der Einführung der Montanmitbestimmung durch Satzungsänderung angedeutet, von der er auf den ordentlichen Hauptversammlungen 1990 und 1991 nichts mehr wissen wollte. Im März 1991 haben die Bundesvorstände der zuständigen Gewerkschaftsorganisationen (DGB, IG Metall und IG Bergbau) gegen den Wegfall der Montanmitbestimmung bei der alten Salzgitter AG Klage erhoben. Auf der diesjährigen Hauptversammlung selbst erinnerten die kritischen Aktionäre wiederum an die Möglichkeit einer Satzungsänderung zwecks Einführung der Montanmitbestimmung im Gesamtunternehmen und versuchte (allerdings vergeblich) die Vertreter der indirekten Großaktionäre (die SPD-Landesregierung von NRW und die rotgrüne Regierungskoalition in Niedersachsen) für ihren Plan zu gewinnen. Da half es auch nichts, an die Bewährung der Montanmitbestimmung während der Kohle- und Stahlkrise in NRW und an deren Stellenwert in einer sozialen Marktwirtschaft zu erinnern. Allerdings bekannte Vorstandssprecher Pieper, daß er und seine Vorstandskollegen ein positives Verhältnis zur Montanmitbestimmung hätten. Er habe fünfzehn Jahre lang einen montanmitbestimmten Konzern (die Salzgitter AG) geleitet und habe keine schlechten Erfahrungen damit gemacht.

"express" (Offenbach) vom 13.09.1991

Hintergrundinformationen zur HV der PREUSSAG 1991

Ende 1989 hatte im Rahmen ihrer Privatisierungspolitik die konservativ-liberale Bundesregierung die bundeseigene Salzgitter AG an die PREUSSAG AG verkauft. Dieser Verkauf war im deutschen Bundestag und im niedersächischen Landtag nicht nur gegen die Stimmen der oppositionellen SPD und der Grünen, sondern auch gegen die von Lokalpolitikern der CDU erfolgt Mit diesem Verkauf war auch die Montanmitbestimmung im Bereich der alten Salzgitter AG weg. In der Peine-Salzgitter AG, der größten Tochter des ehemaligen Salzgitter-Konzerns, blieb sie noch erhalten, hat aber wegen der nunmehr praktischen Beherrschung durch die PREUSSAG keine Bedeutung mehr. Auch auf der im Dezember 1989 stattgefundenen a o Hauptversammlung der PREUSSAG, auf der der Verkauf von den Aktionaren abgesegnet wurde, lag ein oppositioreller Gegenantrag eines Vertreters der Kritischen Aktionare e V gegen den Verkauf vor, der von der Eigentümerseite her zumindest die Montanmitbestimmung zu retten versuchte.

Die Mehrheit der PREUSSAG befand sich nämlich damals im Besitz der Westdeutschen Landesbank (WestLB = ca. 45 %), in der das Land Nordrhein-Westfalen das Sagen haben müßte, welches schon lange Jahre mit absoluter Mehrheit von einer SPD-Regierung geführt wird. Auf dieser Hauptversammlung deutete der Versammlungsleiter Friedet Neuber (Aufsichtsratvorsitzender der PREUSSAG, Vorstandvorsitzender der WestLB und SPD-Mitglied) die Möglichkeit einer Satzungsänderung zwecks Einführung der Montanmitbestimmung an, von der er allerdings auf den nachfolgenden Hauptversammlungen nichts mehr wissen wollte. Zwischenzeitlich hat die WeslLB ungefähr die Hälfte ihres Anteils (ca 20% des Grundkapitals) an eine Beteiligungsgesellschaft weitergegeben, an der auch das Land Niedersachsen (damals unter der Regierung von Albrecht, jetzt mit rot-grüner Koalition) maßgeblich beteiligt ist. Der frühere Vorstandsvorsitzende der Salzgitter AG Ernst Pieper (ebenfalls SPD-Mitglied) übernahm die Leitung des neuen großen PREUSSAG-Konzerns.
                                                                                                                                                          Wilhelm Rühl